Das große Rußland

Bericht zum Thema Kultur

von  Graeculus

Angesichts der Tendenz in den regierungsamtlichen russischen Verlautbarungen, den Kampf gegen Rußlands Aggression in der Ukraine (und in Syrien) als Symptom von Russophobie darzustellen, also Putin und seine verbrecherische Politik mit Rußland gleichzusetzen (eine Unverschämtheit im Grunde!), möchte ich das Bewundernswerte an der russischen Kultur vorstellen, welches sich doch deutlich abhebt von aktuell dominierender Kleptokratie und Personenkult. Es tut weh, Rußland in solchen Händen zu sehen.

 

Meine Vorstellung wird subjektiv sein, nämlich auf meinen persönlichen Eindrücken beruhen – das, was auf mich gewirkt hat. Andere werden bei der Begegnung mit russischer Kultur anderes hervorheben – und das ist gut so, sofern es nur weiterhin zu einer Begegnung mit russischer Kultur kommt, was ich mir sehr wünsche.

 

1.

Anton Tschechow: Im Herbst. – Eine kurze Kurzgeschichte, in der gar nicht viel passiert. Wir erleben eine Szene in einer Kneipe, in deren Zentrum die Darstellung eines traurigen Alkoholikers steht, der das Opfer einer unglücklichen Liebe geworden ist, deren letzte Erinnerung er schließlich gegen einen Wodka eintauscht. Die tiefe Melancholie dieser Szene („Frühling, wo bist du?“) war ergreifend.

 

2.

Modest Mussorgskij: Boris Godunow. – Nach dem gleichnamigen Drama von Alexander Puschkin, das sich seinerseits auf historische Ereignisse bezieht, hat Mussorgskij diese Oper komponiert. „Leider“, wie mir ein Opernliebhaber einmal sagte, „ohne große Frauenrollen.“ Ja, Italiener hätten irgendeine Liebesgeschichte hineinerfunden. Puschkin und Mussorgskij geht es aber um etwas anderes: daß das russische Volk selbst nach der Albtraum-Zeit Iwans des Schrecklichen lieber einem Legitimität vorgaukelnden Scharlatan hinterherläuft, als einem wohlmeinenden Herrscher zu vertrauen, der eben nicht der legitime Nachfolger seines Vorgängers ist und möglicherweise – man weiß es bis heute nicht – diesen sogar hat umbringen lassen.

 

Anscheinend zieht das „große, arme russische Volk“ Unglück „in der rechten, gottgewollten Ordnung“ dem Glück vor, das nicht aus dieser Quelle fließt. Das verdichtet sich in einer Szene, in welcher Boris Godunow einem armen Gottesnarren mitleidig etwas schenkt, was dieser voller Abscheu zurückweist, aus dieser Hand nicht annehmen will.

 

3.

Michail Bulgakow: Hundeherz. – Die Erzählung eines Mannes, dem zu Erhaltung seines Lebens ein Hundeherz transplantiert wird. In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine kühne Vision, die man im Zeitalter der Schweineherzklappen als sehr aktuell ansehen kann. Allerdings bemerkt schon Bulgakow in dem technischen Fortschritt eine Schattenseite: Der Patient nimmt nach der Operation mehr und mehr die Eigenschaften eines Hundes an. Das ist eine Gefahr, daß Technik nämlich nicht nur genutzt wird, sondern uns verändert, daß wir so agieren, wie das Computerprogramm es erfordert, daß wir Probleme überhaupt auf ihre technische Seite reduzieren, daß wir gleichsam ein Maschinenherz bekommen.

 

4.

Lew Rasgon: Nichts als die Wahrheit. – Erinnerungen eines alten Mannes und Kinderbuchautors, der als sehr junger Mann in die Mühlen der „Großen Säuberung“ in der Stalin-Ära geraten und aus heiterem Himmel beschuldigt worden ist, ein Attentat auf Stalin geplant zu haben. Rasgon überlegt nicht lange, als der NKWD ein Geständnis von ihm verlangt. Warum sich lange sträuben, wenn man nach der Folter doch gestehen wird? Aber mit einem Geständnis begnügt man sich nicht: er soll seine Freunde als Mittätet denunzieren. Die Behörde braucht nach Stalins Plansoll weitere Verschwörer.

 

Das ist nun moralisch bedenklich, das lehnt Rasgon ab. Daraufhin sagt man ihm: „Du hast doch eine Frau mit Diabetes, die Insulin benötigt. Entweder kooperierst du mit uns, dann bekommt deine Frau weiterhin Insulin, oder du tust es nicht, dann kommt sie ins Lager, wo es kein Insulin gibt. Du hast die Wahl.“ Rasgon liebt seine Frau über alles und ist deshalb zu allem bereit. Er denunziert seine Freunde. „Meine Frau“, so sagt er, „ist schon auf dem Weg ins Lager gestorben.“

 

Das lehrt uns, nie, niemals jemandem zu glauben, der ein Verbrecher ist. Warum sollte jemand, der bereit ist, uns zu foltern und zu töten, sich ausgerechnet an Versprechen halten?

 

Rasgon berichtet auch von einem Kameraden in der Haft, dem beim Verhör die Zähne herausgeschlagen wurden, um anschließend – man lebt ja im fürsorglichen Sozialismus – durch ein Gebiß ersetzt zu werden ... das dann beim nächsten Verhör zerschlagen wurde. Er ergibt keinen Sinn, dieser Sozialismus, meint Rasgon.

 

Von Boris Jelzin ist er in dessen Menschenrechtsrat berufen worden, der den russischen Präsidenten in Menschenrechtsfragen beraten sollte. Putin hat diesen Menschenrechtsrat aufgelöst.

Putin hat auch die Gesellschaft Memorial, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, an die Verbrechen jener Epoche zu erinnern, verbieten lassen. Rußland allerdings wird kleiner, wenn nurmehr an seine Größe erinnert werden darf.

 

Rasgons Buch ist eine Kurzfassung (knapp 400 Seiten) und geeignet für diejenigen, die sich den drei Bänden des Horrors von Alexander Solschenizyn („Der Archipel GULag“) oder gar den sechs Bänden von Warlam Schalamow („Geschichten von der Kolyma“) nicht aussetzen wollen.

 

5.

In Sagorsk. – Das in der Nähe Moskaus gelegene Kloster des Hl. Sergius habe ich in den Jahren der Breschnew-Ära besucht, als das Bekenntnis zur Religion noch bedenklich war. Am Schrein des Hl. Sergius, dessen Mumie man durch einen Glasdeckel sehen konnte, hatten sich im Halbdunkel der Kerzen ältere Leute, meist Frauen, versammelt, die weder die behördliche Mißbilligung noch den weiten Weg gescheut hatten, um dem Popen Zettel mit Fürbitten zu überreichen. Dieser trug sie im Sington dem Heiligen vor, und die Gläubigen lauschten ergriffen. Um was mögen sie gebeten haben? Um die Gesundheit des Vaters? Einen guten Mann für die Enkelin? Um Frieden? Ich weiß es nicht, denn ich konnte kein Russisch.

 

Aber einmal, dieses einzige Mal in meinem Leben habe ich den Sinn von Religion gespürt.

 

6.

Andrej Tarkowskij: Solaris. – Die maßgebliche Verfilmung des berühmten Romans des Polen Stanisław Lem um einen verstörenden Exoplaneten und dessen Erforschung durch ein menschliches Forscherteam. Der Planet scheint in einem gewissen Sinne über Intelligenz zu verfügen, auch wenn die Menschen diese nicht verstehen können. Sie untersuchen den Planeten auf die verschiedensten Weisen, und aus irgendeinem Grund scheint ihm das zu mißfallen. Die Forscher beginnen seltsame Erlebnisse zu haben: In ihren Einzelkabinen begegnet ihnen, jedem einzeln, die schamvollste Erinnerung ihres Lebens, verkörpert und wiederauferstanden.

 

Ich bin davon überzeugt, daß jeder Mensch in seinem Leben irgendetwas getan hat, das ihn mit tiefer Scham über sich selbst erfüllt und das er am liebsten verdrängt. Diese Verdrängung unterläuft der Planet – wenn er denn tatsächlich der Urheber ist – mit einer höchst wirksamen psychologischen Waffe. Der Protagonist zum Beispiel hat eine Geliebte in den Suizid getrieben; nun sitzt sie plötzlich vor ihm, und er muß sich damit auseinandersetzen. Selbst als er sie erneut beseitigt, ist die anschließend wieder da. Er wird sie nie mehr los, nevermore (wie Poes Rabe sagen würde).

Ein anderer Forscher, so wird angedeutet, hat gerne an Mädchenschlüpfern geschnüffelt. Wir erfahren nicht, in welcher Weise er nun damit konfrontiert wird.

 

So hat jeder seinen Albtraum: du, ich, und möge Putin den seinen haben. Rußland aber ist groß, größer als Putin.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (12.07.22, 16:29)
Da fehlen aber noch viele, z,B. die Klassiker Dostojewski, Tolstoi, Puschkin, und dann die Musiker Tschaikowskij, Mussorgskij, Rimski-Korsakow und lange Listen. Die russische Kultur ist reich.

 LotharAtzert meinte dazu am 12.07.22 um 16:48:
... und ich fordere jeden zum Duell, der die Lichtgestalt Lermontow nicht mal erwähnt ... oder auch den irren Skrjabin vergisst ...

 Graeculus antwortete darauf am 12.07.22 um 17:02:
Das ist (abgesehen davon, daß ich Puschkin und Mussorgskij erwähnt habe) eine sehr persönliche Auswahl, die jederzeit von jedem ergänzt werden kann.
Aber wie sagte kürzlich Regina bei der Vorstellung von Friedensliedern? "Mein Text ist eh schon lang genug." (frei zitiert)

Ein Loblied auf Dostojewskij und Tolstoij zu singen, heißt ja: allseits Bekanntes vorzutragen.

Im Grunde ist es weder von Euch noch war es damals von mir eine Kritik, sondern eine Bestätigung, wie bedeutend die russische Kultur ist und wie frech, jemanden, der Putin ablehnt, als russophob zu bezeichnen.

Man könnte 50 Seiten schreiben und wäre noch nicht am Ende.

Ich hatte noch Grigori Perelman auf dem Zettel.

 Graeculus schrieb daraufhin am 12.07.22 um 23:41:
und ich fordere jeden zum Duell, der die Lichtgestalt Lermontow nicht mal erwähnt

Das mit dem Duell lassen wir mal hübsch bleiben; es könnte sich jemand dabei verletzen.

Lermontow, da war mal was, das habe ich gelesen. Gott, mein Gedächtnis! Ich schaue noch einmal rein.
Wie bei anderen alten Leuten bleibt auch bei mir das besser in der Erinnerung, was ich früh erfahren habe, während das Spätere auf eine Art Teflon-Gedächtnis trifft.

 LotharAtzert ergänzte dazu am 13.07.22 um 15:35:
Und ich fasse mich gern kurz: man weiß nie, wann es soweit ist. Lermontow starb im Duell.
Was bedeutet das inhaltlich?

 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:16:
Du, ich habe Lermontow gelesen. Was davon bei mir hängen geblieben ist? Fast nichts. Spricht das nun gegen Lermontow oder gegen mein Gedächtnis? Sagen wir mal: Letzteres. Ach, Lothar!
Aber ich schaue jetzt noch einmal rein. Steht neben Dieter Wals Empfehlungen auf meinem Zettel.
Wo ist der doch gleich?

 LotharAtzert meinte dazu am 13.07.22 um 17:12:
Der ist beim Hades. Brauchste nicht länger zu suchen.

 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 17:21:
Eine mir sehr nahestehende Person (um es einmal so zu sagen) konnte sich kürzlich nicht mehr an einen Roman erinnern, den sie vor vierzehn Tagen gelesen hatte; das dämpft ihren sanften Spott über meine Vergeßlichkeit.

Aber irgendwann in nicht allzu ferner Zeit kommt er natürlich, der große Radiergummi.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 14:04:
Nun habe ich mir einmal den Lermontow vorgenommen: "Ein Held unserer Zeit". Der Held war mir nicht sonderlich sympathisch; ich war bei der Lektüre wohl schon über die Unruhe der Jugen hinaus, so daß mich diese kalte Verachtung nicht mehr berührt hat.
Aber es ist schon interessant, was verschiedenen Leuten als erstes zur russischen Kultur einfällt. Sie hat halt viele Seiten für viele Leute.
Taina (39)
(12.07.22, 16:48)
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 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 17:05:
Wo zu sehen? Streaming-Fernsehen? Bei uns technisch nicht möglich.

Ich hatte noch einen neueren russischen Film im Sinn, zu dem mir aber der Titel nicht mehr eingefallen ist.

Die Lücken sind groß! Die meines Gedächtnisses und die meines Wissens.

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 17:07:
Wie groß veranschlagen wir die Relation dessen, was wir wissen, zu dem, was wir nicht wissen? 1 : 100000000000?

 AngelWings meinte dazu am 12.07.22 um 17:29:
Ja, Russland ist groß! E her Regierung! Die Menschen, nicht!
Taina (39) meinte dazu am 12.07.22 um 17:49:
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 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 18:01:
Netflix, ja. Da geht mir ein ganzer neuer Kulturzweig ab.

Leider weiß ich von dem Film weder den Regisseur noch den Titel. Es ging um das Leben einer Kleinstadt an der Eismeerküste. Wie soll man dann suchen?

Aufgefallen ist mir noch, daß das russische Kulturministerium den Film gefördert hatte, obgleich er keine sehr positves Bild von diesem Leben zeichnete. Später ist er dann verboten worden.

Ich habe ihn im Kino und später auf arte gesehen, habe ihn sogar aufgezeichnet, so daß ich im Prinzip in meinem Katalog nachschauen könnte ... wenn ich nur Regisseur oder Titel wüßte.
Taina (39) meinte dazu am 12.07.22 um 18:03:
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 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 18:24:
Der ist es! Jetzt, dank Deiner Hilfe, habe ich ihn auch in meinem Verzeichnis gefunden.
Kennst Du dann wohl. Großartig, oder?

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 18:25:
"Durak - Der ehrliche Idiot" habe ich bei meiner Suche noch aufgespürt; der hat mich ebenfalls beeindruckt.

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 19:27:
Wie hast Du "Leviathan" erraten?
Taina (39) meinte dazu am 12.07.22 um 20:22:
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 Terminator meinte dazu am 12.07.22 um 21:56:
Großartiger Film; den hat mir, als er herauskam, KV-Nutzer Diogenes empfohlen.

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 23:06:
Großartiger Film;

Welcher, Durak oder Leviathan? (oder beide?)

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 23:08:
An Taina:

Du kennst Dich gut aus in der Literatur und im Film - im Film noch mehr als ich, dank Netflix.

Unn da Du gut rekonstruieren kannst, werde ich Dich künftig gerne um Rat fragen, wenn ich etwas nicht mehr zusammenbekomme.

 Terminator meinte dazu am 12.07.22 um 23:13:
Leviathan. Er sah es vermutlich auf Englisch mit russischen Untertiteln, ich dann im Original.

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 23:37:
Gut. Ich glaube, ich schaue ihn mir nochmals an. Es gehört sich nicht, daß ich das so vergessen habe.
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 05:52:
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 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:18:
Dann hoffen wir mal, daß Du dieses Angebot nicht noch bereust. Ich kann Menschen mit meinen Fragen auf die Nerven gehen. (Ist aber nicht herabsetzend gemeint, also um Menschen in Verlegenheit zu bringen, sondern mir gehen ständig Fragen durch meinen überfüllten Kopf.)
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 17:16:
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 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 17:34:
Bisher warst Du ja bei Filmen ganz gut.
Meine Frau suchte einmal nach einem Buch, bei dem sie sich nur noch an die Farbe des Buchrückens erinnerte. Solche Fragen werde ich vermeiden!

In Kombination weiß man immer mehr als allein.
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 17:41:
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 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 14:13:
Daß man von den Orten beeindruckt ist bzw. war, als man sie erlebt hat, ist natürlich ein Ansatzpunkt. Das 'funktioniert' auch bei mir.
Davon abgesehen ist es mir wichtig, daß ich ziemlich rasch (sowohl bei Büchern als auch bei Filmen) Personen begegne, die mich emotional ansprechen, d.h. deren weiteres Schicksal mir nicht gleichfültig ist.
Stilistischer Glanz u.ä. können das nur unzureichend ersetzen.

Ein gutes Beispiel dafür ist Adalbert Stifters "Der Nachsommer": ein wunderschöner Garten, darin Leute, die zum Sterben langweilig sind. Das ging nicht gut.
Taina (39) meinte dazu am 14.07.22 um 15:19:
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 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 19:57:
Mindestens einer sollte sympathisch sein, ja. Habe kürzlich einen Roman gelesen, in dem niemand mir sympathisch war und (so glaube) auch niemand sympathisch sein sollte. Das war schlecht.

Zwei Antagonisten, die in Prüfungen zusammenfinden, sind geradezu klassisch. Daran kann man Anteil nehmen.

 Terminator (12.07.22, 22:01)
Hundeherz wurde 1988 verfilmt. Ich hatte den Film einmal als Kind, einmal als Jugendlicher und einmal als Erwachsener gesehen. War jedesmal begeistert, gleichwohl durch jeweils andere Aspekte. In Gesprächen mit dem Professor erinnerten die Hausverwaltungs-Proletarier arg an zeitgenössische SJWs (social justice warriors).

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 23:10:
Wird Bulgakow, der Unangepaßte, heute noch geschätzt in Rußland?

"Der Meister und Margarita" ist kürzlich neu ins Deutsche übersetzt worden.

 Terminator meinte dazu am 12.07.22 um 23:15:
"Der Meister und Margarita" ist vermutlich das Lieblingsbuch meines Vaters. Er hat auch alle Verfilmungen und Verserie:ungen gesehen.

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 23:36:
Das ist auch ein großartiges Buch. Daß man solch große Schwierigkeiten hat, sechs exemplarische Exemplare russischer Kultur auszuwählen, spricht schon für diese Kultur.

Man hat sich ja gewundert, wie im Lande Kants & Goethes sich der Nationalsozialismus etablieren konnte. Darüber kann man auch im Falle Rußlands staunen.
Und selbst in den USA, dem Land der allzeit bleckenden Zähne und fanatischer Bibelgläubigkeit gibt es großartige Literatur ... die so ganz anders ist.

Kennst Du die Bücher Viktor Pelewins?

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 23:45:
Ich bemerke, daß niemand auf Lew Emanuilowitsch Rasgon eingeht. Diese Lektüre werde ich nie vergessen.
Diese Geschichte mit der Erpressung und der Ehefrau!
Dieter Birnbacher sagte mir einmal, er hätte sich für die Freunde entschieden - wegen deren größerer Zahl. Ganz der Utilitarist! (Seine Frau hat das zum Glück nicht gehört.)

 Terminator meinte dazu am 13.07.22 um 00:31:
Fiktiv und zeitgenössisch: das kommt bei mir nicht einmal in die Warteschlage (die lang ist). Ich lese nicht mal Murakami (ich habe die Intuition, dass er der interessanteste Schriftsteller unserer Zeit ist). Von den bereits angefangenen Büchern ist derzeit nur eines fiktiv: die Göttliche Komödie von Dante. Der Rest ist Natur- oder Geschichtswissenschaft.
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 09:43:
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 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:21:
An Terminator:

Pelewin also nicht. Zum Primat der Natur- und Geschichtswissenschaften kann ich nichts sagen; aber zu literarischen Texten mit philosophischem Gehalt habe ich eine eigene Sammlung von über 1000 Seiten, einzeilig. Darin findet sich übrigens auch Pelewin.

Aber warum taucht die Philosophie in Deiner Liste nicht (mehr) auf?

 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:22:
An Taina:

Murakami steht bei mir, nie gelesen, und schaut mich jetzt, auf Deine Empfehlung hin, vorwurfsvoll an: "Ich habe es dir ja gleich gesagt!"
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 16:57:
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 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 17:28:
Zwei Romane habe ich von ihm.

 Dieter Wal (13.07.22, 09:28)
Mir erzählte einmal ein Medien-Wissenschaftler, Andrej Tarkowskij sei nicht nur der bedeutendste Filmemacher Russlands, sondern der Welt. Ich weiß nicht, ob viele diese Einschätzung teilen, seine Filme sind in technischer Hinsicht alt, doch gibt es keinen, den ich sah, der sich mir nicht tief eingebrannt hätte. Daher nehme ich an, der Mann liegt richtig.

 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:25:
Mit "Nostalghia" konnte ich ausgesprochen nichts anfangen. Der Versuch ist schon eine Weile her, und vielleicht war ich noch nicht reif dafür. Kennst Du sicher, magst Du offenbar.
Wie großartig "Solaris" ist, ist mir in vollem Umfang erst bei der verkitschten Version mit George Clooney aufgefallen.
Das Buch freilich ist mir von Anfang an ans Herz gewachsen.

 Dieter_Rotmund (13.07.22, 10:02)
Ich habe Solaris (den Film, Buch nie gelesen) etwas anders gesehen und bei Boris Godunow bin ich eingeschlafen.
Aber schöne Liste, gerne gelesen!

 Dieter Wal meinte dazu am 13.07.22 um 12:28:
Kenne bisher seine Spielfilme. Boris Godunow noch nicht. Danke für die Warnung. :)

 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:27:
Moment, Tarkowskij hat auch "Boris Godunow" verfilmt? Ich dachte zunächst, Dieter_Rotmund meinte (wie ich) die Oper.
Dabei einzuschlafen ist allerdings schwer, vor allem wenn der stark besetzte Chor "Slawa! Slawa!" ruft.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 13.07.22 um 16:36:

Moment, Tarkowskij hat auch "Boris Godunow" verfilmt?



Nein.

Ich bin während der Oper "Boris Godunow" eingeschlafen, mit Tarkowskij hat das nichts zutun.

 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:48:
Aha. Dann hoffe ich, daß Du wenigstens bei "Slawa! Slawa!" aus dem Schlaf geschreckt bist.

Ein bißchen schwierig wird es natürlich, wenn die Oper in russischer Sprache gesungen wird ... und man nichts versteht. Aber Du bist ja sehr für Originalsprachen, und man muß sich dann halt vorbereiten.

 Dieter Wal meinte dazu am 13.07.22 um 18:48:
Moment, Tarkowskij hat auch "Boris Godunow" verfilmt?

Fast. Er führte 1983 allem Anschein nach Regie der Oper.


1983:  Boris Godunow,  Covent Garden Oper London (Regie) [9]




Sieht aus, als gäbe es keine DVD davon.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 14:15:
Ah, das ist eine faszinierende Kombination! Schade, daß uns das nicht zugänglich ist.

 eiskimo (13.07.22, 10:13)
Ein klasse Beitrag! Wohltuend sicher insbesondere für die vielen aufgeklärten  Russen,  die jetzt in der Welt mit an den Pranger gestellt werden.

 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:30:
Das sollte nie geschehen, daß man russische Menschen für einen Herrscher verantwortlich macht, der nicht dank freier, sondern nur durch manipulierte Wahlen an der Macht ist.

 Quoth (13.07.22, 11:49)
Graeculus: Man hat sich ja gewundert, wie im Lande Kants & Goethes sich der Nationalsozialismus etablieren konnte. Darüber kann man auch im Falle Rußlands staunen.
Gerade die, die ihre nationale Kultur lieben, sind anfällig für eine Ideologie, die ihnen einredet, sie seien eben durch diese Kultur etwas Besseres als der Rest der Welt. Mein Onkel ist mit dem Faust im Ranzen gen Russland gezogen ... Kunst veredelt nicht - sie blendet. Danke für den schönen Text! Quoth
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 12:49:
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 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 16:46:
Wenn man manchmal hört, welche Leute sich 'ihres' Kants und Goethes rühmen, als Auszeichnung des Deutschtums, zu der sie selbst nichts beigetragen haben, kann man auf diesen Gedanken kommen. Man begegnet dieser Attitüde übrigens auch bei Hitler selbst, der sich gerne mit Kant, noch lieber aber mit Schopenhauer geschmückt hat. Und selbst Adolf Eichmann hat sich in Jerusalem auf den kategorischen Imperativ berufen!

Also, Taina, ich kann das nicht ausschließen, daß es das von Quoth genannte Denkmuster gibt - auch in Rußland.

In seiner berühmten Ansprache nach dem deutschen Überfall, nachdem er sich von dem Schock erholt hatte, hat Stalin gesagt: "Sie halten uns für Untermenschen, uns, die wir [und jetzt zählte er einige russische Geistesgrößen auf] haben! Sie wollen einen Vernichtungskrieg. Gut, sie sollen ihn haben!"
Das stand freilich in dem genannten Kontext, d.h. Stalin wehrte sich gegen den Vorwurf des Untermenschentums, ohne damit die russische Kultur über andere zu stellen.
Dennoch enthält die Identifizierung mit den eigenen Heroen den Keim zu einer Haltung, die sich anderen überlegen fühlt.

Ein tieferes Verständnis von Kultur drückt sich darin allerdings nicht aus, darin stimme ich Taina zu - nicht tiefer als Eichmanns Verständnis des kategorischen Imperativs.
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 17:03:
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 Graeculus meinte dazu am 13.07.22 um 17:25:
Das ist eine gute Formel dafür, die uns einen Rest an Optismismus läßt.

Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges (Kriegserklärung Deutschlands an Rußland und Frankreich) gab es freilich unangenehm viele deutsche Geistesgrößen (Max Weber usw.), die den Nationalismus in sich entdeckt haben.
Eine Stimme im Reichstag gegen die Kriegskredite!

So ganz schaffe ich das nicht mit dem Optimismus.
Taina (39) meinte dazu am 13.07.22 um 17:38:
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 Quoth meinte dazu am 14.07.22 um 10:49:
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/der-1-weltkrieg/als-thomas-mann-und-rainer-maria-rilke-fuer-den-krieg-trommelten

https://www.sueddeutsche.de/kultur/literatur-das-zwiespaeltige-erbe-des-maxim-gorki-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-180322-99-590385

Zwei Links zu Artikeln, die in diese Diskussion passen. Gerade auch die Kultvierten sind nicht gefeit gegen Überheblichkeit.

 Roger-Bôtan meinte dazu am 14.07.22 um 12:13:
S. Lems Solaris gilt als sein bester Roman. Ich aber fand es fade, langweilig, gekünstelt und ohne tiefen Sinn. Na, nicht einmal sonderlich intelligent. Und die Hauptfiguren... Die haben keine persönlichkeitsmerkmale im Handeln wie im Reden. Die Frau ist ein blasses Bild. Die tragische Vorgeschichte mit dem Suizid aufgrund der Untreue ihres Mannes wirkt wie... Nein, die hat überhaupt keine Wirkung auf den Leser. Jedenfalls hat sie mich kalt gelassen. Die Geschichte ist viel zu unecht.
Was Tarkowski angeht, er hat der Welt gezeigt, wie man Filme machen nicht sollte.
Nur eine Szene aus seinem Salaris hat in mir einige Emotionen hervorgerufen, eher sarkastische Emotionen: Da fahren die zwei Typen im Auto durch eine futuristisch anmutende Stadt. Mit japanischen Verkehrszeichen. Offensichtlich in Japan gedreht, in der UdSSR gab es solche Autobahnen nicht.
Ach ja. Lems beste Werke sind seine humoristisch-philosophischen Erzählungen über die Reisen des Ijon Tychy und die Cyberiada. Alles andere kann man ruhig vergessen.

Antwort geändert am 14.07.2022 um 12:14 Uhr

 cyboro meinte dazu am 14.07.22 um 12:54:
"ich als weltwesen widme mich natürlich der weltkultur"

ups , das klingt jetzt aber grosspurig von mir,
aber ist doch nicht ganz so blöd wie es klingt,
denn es gibt auch in der Kultur (Literatur) die 
"Artenvielfalt", und jede Diskriminierung 
führt zu Verlusten.

und "weltkultur" ist keine "schublade",
sondern die offenheit neues zu sehen.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 14:19:
An Quoth: ein guter Beitrag. Und natürlich ist auch Maxim Gorki mit seiner Anfgälligkeit für den Stalinismus ein passendes Beispiel. Lion Feuchtwanger ein weiteres.

Wir hätten dann auch noch für den Faschismus: Ezra Pound, Knut Hamsun (Literaturnobelpreisträger!) sowie Louis-Ferdinand Céline.
Sollen wir auch Martin Heidegger nennen?

 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 14:24:
An Roger-Bôtan: Das sehe ich extrem anders, d.h. gerade die humoristischen Szenen um den Pilot Pirx haben mich wenig amüsiert. Aber wenn Lem sich mit der Frage des Zugangs zu einer uns völlig fremden Intelligenz befaßt (was er ja nicht nur in "Solaris" tut), komme ich in Schwung. Das Verstehen des Fremden und die Überlegung, was sich so alles in den Weiten des Universums entwickelt haben könnte, fasziniert mich.
Einige Essays von Lem sprechen mich ebenfalls an. Will sagen: Er beeindruckt mich mehr als Philosoph denn als Humorist.
Aber diese Verschiedenheit des Geschmacks ist ja in Ordnung.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 14:28:
An cyboro:
Herzlich willkommen bei kV!

Die Vielfalt ist schon ein kultureller Wert, und der Begriff "Weltkultur" siganlisiert eine größtmögliche Offenheit.
Aber stößt Du da nicht gelegentlich an Grenzen? Wenn Du nämlich merkst, daß Du keinen Zugang zu etwas findest? Bei mir ist das beispielsweise dann der Fall, wenn es um Helden und ihre dämonischen Widersacher geht.
Taina (39) meinte dazu am 14.07.22 um 15:07:
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Taina (39) meinte dazu am 14.07.22 um 15:10:
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Taina (39) meinte dazu am 14.07.22 um 15:32:
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 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 19:55:
Der Rest ist Verpackung.

Der Rest ist Schuld. Aber selbst die SF-Geschichte halte ich nicht nur für eine Verpackung, denn der Planet hat sein rätselhaftes Eigengewicht in der Geschichte. Oder?

 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 19:59:
Ist es nicht bezeichnend, dass er aus dem heutigen Schulkanon entfernt wurde?

Gorki ist aus dem heutigen russischen Schulkanon entfernt worden? Im Ernst?
Taina (39) meinte dazu am 14.07.22 um 22:00:
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Taina (39) meinte dazu am 14.07.22 um 22:07:
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 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 23:54:
Zu Solaris:

Paßt die Metapher für das Unbewußte (an sich ein schöner Gedanke) in das Werk Lems? Ein psychoanalytischer Autor ist er ja nicht. Zudem denke ich an die viele Seiten langen Diskussionen im Roman über Solaris-Theorien, die (meiner Erinnerung nach) teils satirisch, teils naturwissenschaftlich sind. Und das ist typisch Lem.
Die Art dieser 'Waffe', die der Planet einsetzt, ist allerdings in der Tat psychologisch. Das Thema Schuldkomplex ist schon ungewöhnlich bei ihm.

"Eden" ist ein weiterer Roman von ihm über einen rätselhaften Planeten.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.22 um 23:55:
Zu Gorki:

Ah ja, danke.
Taina (39) meinte dazu am 15.07.22 um 06:16:
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 Graeculus meinte dazu am 15.07.22 um 14:33:
Das Wort Schuldkomplex habe ich ungenau benutzt; gemeint ist nur etwas, das auf einem schwer lastet. Es wurde ja wohl verdrängt und das Leben dadurch lebbar gemacht.

Daß diese verdrängten Erinnerungen sich inkorporieren (Wiedergeburt?), habe ich nicht jenseitig (transzendent) gedeutet, aber als Wunder, d.h. als für uns unerklärlich.

Die Reaktion des Planeten scheint damit zusammenzuhängen, daß er bei den Experimenten bestrahlt wird. Aber auch das wissen wir im Grunde nicht.

Daß Lem uns ein unaufgelöstes Rätsel zumutet und damit ja in etwas sagt: es gibt im Universum Dinge, die sich unserem Verständnis entziehen - das hat mich beeindruckt.
Daran glaube ich auch.
Taina (39) meinte dazu am 15.07.22 um 14:57:
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 Graeculus meinte dazu am 15.07.22 um 23:55:
Wenn wir das so verstehen sollen, warum gibt Lem dann über viele Seiten wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Diskussionen über die Natur von Solaris wieder?
Nimmt nicht sogar das Schuldproblem einen relativ kleinen Raum innerhalb des Romans ein?
Es ist schon etwas her, daß ich den Roman zum zweiten Male gelesen habe, und ich mag mich irren. Dann korrigiere mich.
(Bei der ersten Lektüre war ich noch sehr jung.)
Taina (39) meinte dazu am 16.07.22 um 05:22:
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 14:19:
Das wird so sein. Ob Lem selbst das so gesehen hat, bleibt für mich die Frage, und zwar weil das Thema auch in seinem sonstigen Werk eine geringe Rolle spielt. "Solaris" ist in dieser Hinsicht ein Solitär (nicht im Hinblick auf das Problem außerirdischer Intelligenz).

Falls Du SF magst, könnte ich Dir zu diesem Thema den eindrucksvollen Roman eines anderen polnischen Autors empfehlen.
Taina (39) meinte dazu am 16.07.22 um 15:09:
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 23:23:
Der polnische Roman:


Adam Wiśniewski-Snerg

Roboter

München 1981 (Heyne SF)
Das klingt nicht nach außerirdischem Leben, überlegener Intelligenz; aber in Kapitel 21: Die Überwesen entwickelt der Autor ein spannendes Konzept.

Natürlich hat man als Leser das Recht auf eine eigene Interpretation; die kann u.U. klüger sein als die Eigendeutung des Autors.

(Warum die Schriftgröße jetzt so unterschiedlich ausfällt, weiß ich nicht.)

 RainerMScholz (19.07.22, 23:22)
Das ist alles richtig, die große Kultur und so, wer wollte das bestreiten. Aber Buchenwald lag auch nur einen Sonntagsspaziergang von Weimar entfernt.
Grüße,
R.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:41:
Das stimmt natürlich. Und die Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz liegt nicht weit von der Lubjanka. Schönheit und Grauen können einander die Hand reichen.

Wohl niemand bestreitet, daß Rußland eine große Kultur hatte und hat. Aber von manchen wird gerne suggeriert, wer gegen Putin sei, sei gegen Rußland; da mag es helfen, sich vor Rußland zu verbeugen und festzustellen, daß das nicht Putin gilt.

 RainerMScholz meinte dazu am 19.07.22 um 23:43:
Da stimme ich zu.
Obschon da Russland marschiert, nicht wahr, in der Ukraine, in Syrien, in Tschetschenien, in Georgien, in Moldawien...und nicht ein Mann alleine, der zudem gewählt worden sein will.

Antwort geändert am 19.07.2022 um 23:44 Uhr

 Terminator meinte dazu am 20.07.22 um 03:48:
Es ist davon auszugehen, dass Putin prozentual ungefähr so viele echte Unterstützer hat, wie damals Hitler. Auch die Prozentzahl der Mitläufer wäre vergleichbar, wenn bei Neutralität Repressalien drohten. Putins Regime beruht aber auf keiner Ideologie, sondern auf bloßer Kriminalität; da reicht es schon, die Klappe zu halten, um in Ruhe gelassen zu werden. In Gegenden, wo die Mafia herrscht, ist diese ja auch mit Schweigen zufrieden, und fordert kein Bekenntnis zur Mafia.

Antwort geändert am 20.07.2022 um 03:48 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 20.07.22 um 23:27:
An RainerMScholz:

Es stimmt, weder im Guten noch im Schlechten ist Putin allein Rußland.

 Graeculus meinte dazu am 20.07.22 um 23:33:
An Terminator:

Das mit der Zustimmung wird so sein - allerdings unter der Bedingung einer strikt gelenkten Information (wie auch bei den Nazis).

Ob es reicht, die Klappe zu halten - bei der Mafia und in Rußland -, weiß ich nicht. In manchen Berufsgruppen (Polizei, Lehrer, Jorunalisten etc.) habe ich Zweifel.

Hast Du die Äußerung S. Lawrows von heute gehört, Rußland werde den Krieg jetzt ausweiten und habe an Friedensverhandlungen kein Interesse?
Da bin ich gespannt, was die Vertreter der Verhandlungslösung dazu sagen.

 Terminator meinte dazu am 20.07.22 um 23:49:
In manchen Berufsgruppen (Polizei, Lehrer, Jorunalisten etc.) habe ich Zweifel.
Die sind natürlich Mittäter/Mitläufer, wenn sie weiter zum System gehören wollen. Viele unabhängige Journalisten sind aus Russland schon ausgewandert (unter Androhung hoher Gefängnisstrafen für nicht gefällige Berichterstattung). Die Unterstützung durch nicht systemrelevante Gruppen ist aber in ideologisch gestützten Regimes höher, so meine Vermutung.


Russland hat den Krieg so gut wie verloren, deshalb dieser letzte diplomatische Bluff. Aus Angst vor weiterer Eskalation den Konflikt einfrieren: das ist, was die EU in Putins Auftrag tun soll. Zum Glück für die Ukraine ist es aber nicht Oktober, sondern erst Juli. Es bleibt noch Zeit, den Aggressor militärisch zu schlagen.

 Graeculus meinte dazu am 21.07.22 um 16:07:
Die Unterstützung durch nicht systemrelevante Gruppen ist aber in ideologisch gestützten Regimes höher, so meine Vermutung.
Ein interessanter Gedanke.

Erinnert mich an den alten Ausspruch, gewiss gebe es in der UdSSR noch gläubige Kommunisten, aber natürlich nicht in der KPdSU. Die wissen ja, wie die Dinge laufen, und laufen aus Karrieregründen mit.

Rußland hat den Krieg so gut wie verloren? Kannst Du diesen optimistischen Standpunkt kurz begründen?

 Terminator meinte dazu am 22.07.22 um 02:04:
Die strategischen Reserven Russlands sind erschöpft. Russland hat Zentralasien an China verloren (Kasachstans "Abfall" von Russland scheint hier keiner mitbekommen zu haben). China weigert sich, Russland militärisch zu unterstützen. Russland muss den Iran um Waffen bitten, der seit 40 Jahren unter schweren Sanktionen lebt. Die Kampfkraftreserven sind aufgebraucht, es wird bei Terrororganisationen und in Gefängnissen rekrutiert. Die Generalmobilmachung ist unmöglich, die Verweigererquote wäre bei 90%, die Prostete dagegen wären massiv und würden zum Sturz der Regierung führen.

 Graeculus meinte dazu am 22.07.22 um 15:48:
Danke für die Information.
Kasachstans Distanzierung von Rußland habe ich im Zusammenhang mit dem Angebot, Gas in die EU zu liefern, mitbekommen - auch daß Rußland davon nicht angetan war. In seiner strategischen Bedeutung ist mir das aber wohl nicht bewußt geworden.

Vielleicht interessiert Dich der folgende Artikel, den ich informativ fand:
Irina Rastorgujewa: Ein ganzes Land macht sein Testament; in: FAZ vom 22.7.2022

 EkkehartMittelberg (04.08.22, 19:26)
Hallo Graeculus,
auch die Liebe für das große Russland verbindet uns. Aber ich meine, man sollte auch hier, obwohl sie so berühmt sind, Tolstoi und Dostojewski noch einmal besonders hervorheben. Ich fürchte, dass sehr viele sie erwähnen, aber nur sehr wenige ihre großartigen Romane gelesen haben. 
Ich begann als Siebzehnjähriger Goethe , Schiller und diese beiden russischen Erzähler zu lesen. Alle vier haben mich fasziniert, aber der Unterschied war, dass ich über der Lektüre von Dostojewski und Tolstoi meine Umwelt total vergessen habe.
Später habe ich alle bekannten russischen Dichter gelesen und war oft begeistert und niemals enttäuscht.

 Graeculus meinte dazu am 04.08.22 um 20:36:
Die Liebe zu russischer Literatur teilen wir. Schon als junger Mann habe ich mich durch die Klassiker gelesen, und dabei fehlten natürlich weder Dostojewskij noch (L.) Tolstoij. Das ist also lange her, und ich weiß nicht mehr genau, welche Stimmung sie damals bei mir ausgelöst haben; aber ich weiß, daß ich bei beiden etliche Passagen nie vergessen habe, während ich - leider - bei manchem anderen Buch bereits nach einem Jahr nicht mehr weiß, worum es da überhaupt ging.

Meine Einschätzung, sie hier zu erwähnen, könnte heißen, Eulen nach Athen zu tragen, kann falsch sein. Das wäre sehr schade, ein großer kultureller Verlust.
Danke für Deine Ergänzung.

 Dieter_Rotmund (05.08.22, 09:44)
Inzwischen erinnere auch ich mich an Leviathan/Leviafan (RUS 2014), habe ich damals in einem Programmkino gesehen - ein Sieg der Korruption und der Gewalt über den Menschen. Auch ich war damals beeindruckt, aber ich muss zugeben, ich habe ihn fast vergessen...

 Graeculus meinte dazu am 05.08.22 um 13:25:
Und ich hatte "nur" den Titel vergessen. Geht mir öfters so.
Wovon hängt es ab, was wir erinnern?

Du schaust ja mehr Filme, als ich Bücher lese (meine Schätzung); da müßte einiges schon in der Masse untergehen.

 Graeculus meinte dazu am 05.08.22 um 13:26:
Gibt es russische Filme, die Dich besonders beeindruckt haben?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 05.08.22 um 13:58:
Ja, The Return (Originaltitel  "Vozvrashchenie", Russland 2003)
und dieser brutale, mit den marodierenden SS-Horden und einem jungen Pärchen im Mittelpunkt, wie sprachen bereits darüber.

 Graeculus meinte dazu am 05.08.22 um 17:20:
Stimmt. Davon war einmal die Rede. "Solaris" war es jedenfalls nicht. Wobei ich mit anderen Tarkowskij-Filmen große Schwierigkeiten habe.
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