Liebe und Schuld

Essay zum Thema Liebeserklärung

von  Graeculus

I ask not, I care not

If guilt’s in thy heart.

I know that I love thee

Whatever thou art.


Ist das möglich? Einen Menschen so sehr zu lieben, daß es einen nicht kümmert, was er charakterlich ist und welche Schuld er auf sich geladen hat? Er sei ein Schuft, ein Mörder, ein Vergewaltiger, ohne daß es den Liebenden kümmert oder er auch nur danach fragt!

 

Mit einer solchen Liebe würde er sich bedingungslos ausliefern, auch wenn es natürlich so sein kann, daß der Geliebte all das nicht ist, sondern ein liebenswerter Mensch. Ob es so steht, es kümmert den Liebenden aber seinem Geständnis zufolge gar nicht.

 

Oder handelt es sich lediglich um eine der im Liebeswerben üblichen Übertreibungen, um den Geliebten ins Bett zu bekommen und sich danach von einer anderen Seite zu zeigen? Das wäre dann aber freilich eine bis ins Absurde gesteigerte Übertreibung, die dem Versprechenden später arg auf die Füße fallen kann.

 

Doch dies ist eine rationale Kalkulation, und genau darum scheint es hier nicht zu gehen: Die Liebe reicht so weit, daß sie auf jede Kalkulation verzichtet. Eine unbedingte, durch nichts eingeschränkte Liebe. Das höchste denkbare Risiko.

 

Was in aller Welt kann einen Menschen dazu bewegen?


Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

Es ist lächerlich

sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

[Erich Fried: Liebesgedichte. Berlin 1979]



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Kommentare zu diesem Text

Taina (39)
(15.07.22, 14:25)
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 Graeculus meinte dazu am 15.07.22 um 14:51:
Als Witwe sage sie: ja, er schrieb Liebesgedichte, keines davon an mich.

Das ist ein schreckliches Geständnis. Ihre Liebe (nicht diejenige Frieds, der darüber schrieb) ist von dieser Art.

Das macht mir das Phänomen nicht verständlicher, denn wir wissen ja damit nur, daß es eine solche Liebe tatsächlich gibt. Daran hatte ich allerdings schon vorher keinen Zweifel. Deshalb habe ich mich nicht zu dem Verständnis des Eingangsgedichts als "handelsübliche Übertreibung" entschlossen.
Taina (39) antwortete darauf am 15.07.22 um 15:12:
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 Graeculus schrieb daraufhin am 16.07.22 um 00:01:
Das war m.E. ein Schlawiner! Aber hier & jetzt ist Fried nicht mein Thema, sondern eine bestimmte Art von Liebe, und die sehe ich in diesem Falle - dank Deines Hinweises - auf der Seite der Frau, die ihm anscheinend alles nachgesehen hat.
Wie kann man sich so an einem Menschen binden, ihm geradezu freie Hand zu geben ausstellen?
Das hätte ich gerne etwas besser verstanden.

Natürlich war ich es, der Fried zitiert hat, aber nur, weil er in seinem Gedicht diese völlig irrationale Auffassung von Liebe vertritt.
Er selbst schmückt sich vielleicht eher damit; aber seine Frau hat es an sich erlebt und erlitten. Oder?

 Graeculus äußerte darauf am 16.07.22 um 00:03:
Übrigens sind manche Gedichte von Fried wirklich sehr schön und tief; doch das macht ihn nicht unbedingt zu einem besseren Menschen.
Sollten wir das zur Bedingung für einen Künstler machen, privat ein guter Mensch zu sein?
(Richard Wagner, dieser grauenhafte Mensch, hat den "Tristan" komponiert!)
Taina (39) ergänzte dazu am 16.07.22 um 05:29:
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Taina (39) meinte dazu am 16.07.22 um 05:40:
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 14:04:
An Taina 1:

Selbstverständlich gibt es das auch umgekehrt.

Das

Sie hat sich nicht selbst auf diese weise gebunden, sie hat es zugelassen, dass sie so gebunden wurde.
darf ich aber doch wohl so verstehen, daß es eine Disposition bei ihr gab, oder? Das kann man ja nun eindeutig nicht mit jedem so machen. Es muß, anders kann ich es mir nicht erklären, irgendein Bedürfnis in der auf diese Weise liebenden Person vorhanden sein. Ein Manipulator nutzt das dann aus.

 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 14:09:
An Taina 2:

Darin sind wir einig. Mit Verehrung bin ich eh zurückhaltend. Manchmal sage ich: es ist eine interessante, faszinierende Person.

An Michelangelo Caravaggio, den großen Maler und Verbrecher, bin ich kürzlich wieder erinnert worden, als eine römische Villa, die ein - skandalöses - Deckengemälde von ihm aufweist, zum Verkauf stand.
Francois Villon ist ein anderes berühmtes Beispiel.

 Dieter Wal meinte dazu am 18.07.22 um 07:28:
Natürlich war ich es, der Fried zitiert hat, aber nur, weil er in seinem Gedicht diese völlig irrationale Auffassung von Liebe vertritt.
Sorry fürs Reingrätschen. Gibran beschreibt  Liebe in Der Prophet wesentlich masochistischer. Und dann auch noch religiös verbrämt. Ein scheußliches Gedicht.

Antwort geändert am 18.07.2022 um 07:29 Uhr
Taina (39) meinte dazu am 18.07.22 um 08:05:
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 Graeculus meinte dazu am 18.07.22 um 23:21:
An Dieter Wal:

Du grätschst nicht rein, Du nimmst am Gespräch teil.
Zwar hatte ich hier die erotische Liebe im Sinn, aber natürlich gibt es diese uneingeschränkte Unterwürfigkeit auch im Bereich der Religion.

Da ist doch am letzten Samstag P. Philipp Jeningen SJ selig gesprochen worden.
Über ihn heißt es:

Emplastrum sum (haec erant familiaria eius sensa dictaque) emplastrum sum, quod noxiis humoribus purgat vulnera , sed postea nullis usibus servit, nisi ut abjiciatur et comburatur. Canis sum scabiosus, qui latratu suo dormientes peccatores excitat. Bufo sum, qui ut ipse turget toxico, ita illud ex aliorum corporibus et animis extrahit. Aqua sum, faeces peccatorum vehens, maximus ipse peccator. Cepa sum, quae id unum boni habet, lacrimas peccatori exprimat.

Ein Pflaster bin ich (dies waren seine gewöhnlichen Empfindungen und Worte), ein Pflaster bin ich, das die Wunden von schädlichen Säften reinigt, hinterher aber keinen anderen Nutzen hat, als weggeworfen und verbrannt zu werden. Ein räudiger Hund bin ich, der mit seinem Gebell die schlafenden Sünder aufscheucht. Eine Kröte bin ich, die selbst vor Gift anschwillt, um jenes aus den Körpern und Seelen anderer zu ziehen. Wasser bin ich, das den Kot der Sünder führt, selbst der größte Sünder. Eine Zwiebel bin ich, deren einziger Vorzug es ist, dem Sünder die Tränen herauszutreiben.
(Joseph Pergmayr: Vita Venerabilis Servi Dei P. Philippi Jeningen - Lib. II, Cap. IV)


Masochismus ist das Wort, das auch mir dazu einfällt.

 Graeculus meinte dazu am 18.07.22 um 23:26:
An Taina:

A. An das Stockholm-Syndrom habe auch ich mal gedact. Das ist aber, so meine ich, eine sehr spezielle Situation, daß man nämlich durch äußere Umstände (Zufall) in eine völlige Abhängigkeit auf Leben und Tod von einem/mehreren anderen hineingerät. Dann ergibt Unterwürfigkeit einen Sinn, und um sich nicht vor sich selbst schämen zu müssen, auch Liebe.
Doch wer begibt sich aus freien Stücken in eine solche Situation hinein?

B. Sie kann irrational sein, tritt aber auch in der Weise auf, daß Vernunft und Gefühl sich in völligem Einklang befinden. Das erschien mir immer als Ideal. Hat, rückblickend, nicht immer geklappt.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 09:37:
Noch an Taina:

Per Zufall habe ich gerade in einem Roman folgenden Satz gefunden:

Das ergehe den meisten Geiseln so, weil ihr Leben von Leuten  abhänge, die sie in ihrer Gewalt hätten; es sei klassische Notwehr, sich den zum Freund zu machen, der einen bedroht.
(Minette Walters: Des Teufels Werk. München 2006, S. 177)
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 10:46:
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 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 14:28:
Die Liebe kann furchtbar kompliziert sein, und allzuoft steht sie mit der Moral auf dem Kriegsfuß. Nicht zufällig sagt man, in der Liebe und im Krieg sei alles erlaubt.
Diese enge Verbindung von Liebe und Krieg gibt schon zu denken!

Die Idealform? "To live in peace with the love of my heart." Oder?
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 16:04:
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 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:17:
Mögen sie zueinander finden! Das kann man jedem Menschen wünschen. So kann man glücklich werden.
Adrian (47)
(15.07.22, 15:06)
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 00:05:
Verstehe ich nicht, kann ich nicht drauf eingehen.

 LotharAtzert (15.07.22, 15:28)

„Ist das möglich? Einen Menschen … "
 den Rest hab ich nicht mehr gelesen, weil für mich die Fragestellung nach Mageninhalt das Entscheidende ist, bzw. ein Mangel an Prinzip sich im Zeichen statistischer Erfassung niederläßt. Grundsätzlich ist alles Unbestimmte bestimmbar, alles Unbewußte bewußt, Unbekanntes kennbar zu machen, oder viele Täler zur Bergspitze türmen – aber es ist doch viel entscheidender, welche Bewußtheit die Frage stellt. Denn, wie das Sprichwort sagt: „Viele Köche verderben den Brei.“
Der finale Grund ist nicht der Geist, es ist jenes, welches ihn ermöglicht. Ab dem Mahayana spricht man von der „Natur des Geistes“. Der finale Grund ist nicht dual.
 
Ich will nur also eine „Teil-Antwort“ geben, mehr steht einem Büßer A nicht zu: Ein Mensch stellt die Fragen.
Und solange ein anderer Mensch antwortet, ist es duales menschliches Irren. Die Liebe, sang einst Conny Francis, ist ein seltsames Spiel. Sie kommt und geht von einem zum andern … kurze Zeit später wurde sie vergewaltigt.
 
Aber shit happens, es sang auch mal einer tausendmal berührt, tausendmal is nix passiert …

 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 00:05:
Ich überlege gerade, ob ich jemandem einen Kommentar zu seinem Text schriebe, wenn ich diesen erklärtermaßen gar nicht gelesen hätte.
Ich glaube nicht.

Antwort geändert am 16.07.2022 um 00:50 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 16.07.22 um 00:51:
Natürlich hab ich ihn gelesen, aber erst danach und das hat mich nur bestätigt in dem, was ich nach fünf Worten wusste: Mangel an Prinzip. "Ist das möglich" ist einfach kein guter Stil, weil  siehe oben.
Adrian (47) meinte dazu am 16.07.22 um 10:21:
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 14:10:
Ob es möglich ist und - mehr noch - wie es möglich ist, ist für mich tatsächlich eine Frage. Mir fehlt es halt "an Prinzip" (was immer das heißen mag).

 LotharAtzert meinte dazu am 16.07.22 um 15:37:
@ Adrian

Ich bin kein Halter. Und Nähmaschinengelaber (ichduichduichdu) und Meinungen interessieren mich nicht. Das Universum mit allem Leben ist eine Einheit und was du einem darin antust, das hast du dir selbst angetan. Darüber kann man reden.
Adrian (47) meinte dazu am 16.07.22 um 20:47:
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Agnete (66)
(15.07.22, 19:26)
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 00:17:
"Er sei" heißt in diesem Falle: er möge sein ...
Im Indikativ: Du magst ein Schuft sein, aber ich liebe dich (whatever thour art).

Ob der Betreffende tatsächlich ein Schuft ist, ist ja irrelevant, wenn ich ihm in dieser Hinsicht von vornherein einen Freibrief ausstelle: whatever thour art. Das ist mir egal! - Das ist die Einstellung, die ich nicht verstehe.

Dein Beispiel mit den Verbrechern (Serienmördern zuweilen!), denen Frauen Liebesbriefe in den Knast schreiben, ist gut gewählt. In solchen Fällen habe ich sogar den Verdacht, daß es ihnen nicht gleichgültig ist, sondern daß das sogar den eigentlich Reiz für solche Frauen ausmacht. Noch rätselhafter!
Allerdings sitzt der Betreffende hinter Gittern und ist insofern "entschärft", ungefährlich - man kann mit der Gefahr spielen.

Daß das für mich ebensowenig wie für dich in Betracht kommt, ist hoffentlich deutlich geworden.
Dennoch verstünde ich es gerne. Es ist ein besonder rätselhafter Bestandteil unserer rätselhaften Welt.

Was den Aspekt der Verführung angeht, so habe ich wahrscheinlich in der Tat etwas altmodisch gedacht. Das käme heute höchstens dann in Betracht, wenn der/die Geliebte nicht so leicht rumzukriegen ist.

Wir können übrigens auch die Rollen tauschen: Zwar ist unsere eigene Liebe nicht von dieser Art; aber würde uns das beeindrucken, wenn jemand uns mit einer solch hingebungs- und entsagungsvollen Liebe liebte?
Taina (39) meinte dazu am 16.07.22 um 05:55:
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 14:15:
Ich kenne einen Fall etwas näher, nämlich den des US-amerikanischen Serienmörders Ken Bianchi. Der hat solche Beziehungen kräftig ausgenutzt und manipuliert, indem er sich von den Fauen ein Alibi für Tatzeiten versprach.
Für den einsitzenden Häftling muß das natürlich grandios sein.

Wenn es sich von Seiten der Frauen um ein Helfersyndrom handelt, bleibt immer noch die Frage, warum sie dieses gerade an Verbrechern, an Sexualverbrechern zumal, ausleben. Warum reicht ihnen der Beruf als Krankenschwester nicht?
Agnete (66) meinte dazu am 16.07.22 um 14:30:
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Taina (39) meinte dazu am 16.07.22 um 15:26:
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 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 23:31:
An Agnete:

Lassen wir den Konjunktiv auf sich beruhen.

Auch ich mag keine Unterwürfigkeit, nicht einmal bei Hunden, obwohl die zu solch bedingungsloser Unterwerfung fähig sind. Im 19. Jhdt. hat mal ein - bedenklicher - Forscher seinen Hund brutal mißhandelt, um herauszufinden, ob der anschließend immer noch devot sein würde. Er war es.

Insgesamt - wir sehen von unserem persönlichen Geschmack einmal ab - schließen Liebe und Macht einander nicht aus. Ein gutes Beispiel dafür sind die Gläubigen der monotheistischen Religionen, die hoffen, durch Unterwerfung unter den Willen Gottes dessen Gunst zu erlangen. "Islam" heißt ja bekanntlich "Unterwerfung".
Die Haupteigenschaft des Teufels ist die, sich nicht zhu unterwerfen. Maxime: Non serviam - ich werde nicht dienen.
(Für mich ist natürlich auch dies nichts.)

 Graeculus meinte dazu am 16.07.22 um 23:34:
An Taina:

1.
Bei Dir? Auf mich würde es abstoßend wirken: "Homines ad servitutem parati - Die Menschen sind zur Knechtschaft bereit."
Also ... bei einem Menschen; bei einem Hund vielleicht nicht.

2.
Bei dem Freibrief bin ich von dem englischen Gedicht ausgegangen: "I ask not, I care not ...". Das scheint mir zu heißen: es ist mir egal.
Taina (39) meinte dazu am 17.07.22 um 05:23:
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 Graeculus meinte dazu am 17.07.22 um 16:16:
Ah, das Vertrauen ist grenzenlos! So kann man das "I ask not, I care not" allerdings auch verstehen. Paßt das auch auf das "whatever thou art"? Dann ist das wirklich gut, dann paßt das, was mir als Gleichgültigkeit erscheint, auch zu der starken Emotion.

zu 3.: Davon habe ich gehört - es kam irgendwo in Filmen oder Büchern vor. Konkret fällt mir gerade nichts ein; in meinem Umfeld habe ich es noch nicht erlebt. Halte ich für gut möglich, daß es das gibt.
(Vielleicht der Marquis de Sade und die Frauen einerseits, sein Diener [!] andererseits ... da erinnere ich mich an was.)
Taina (39) meinte dazu am 18.07.22 um 08:15:
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 Graeculus meinte dazu am 18.07.22 um 23:30:
de Sade hat gegenüber manchen Männern, z.B. seinem Diener, von dem er sich auspeitschen ließ, die passive Rolle übernommen, nicht aber bei Frauen.

Das mit dem Vertrauen ist ein guter Ansatz, auf den ich nicht gekommen bin, von dem mich "guilt" und "whatever thou art" abgehalten haben.

In Frieds Gedicht geht es freilich nicht um Vertrauen, gelt? Da geht es ums Irrationale, um Liebe, die vom Standpunkt der Vernunft aus als Wahnsinn erscheint.

Antwort geändert am 19.07.2022 um 09:32 Uhr
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 06:08:
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 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 09:34:
Es hängt mit solchen Beobachtungen zusammen, daß man heute nurmehr selten und offenbar weniger unter Fachleuten von Sadismus oder Masochismus spricht, sondern von Sadomasochismus.

Allerdings habe ich bei Leopold von Sacher-Masoch keine sadistischen Neigungen beobachten können. Aber ich bin nur Laie.
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 10:19:
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 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 14:17:
Die Schuld muß sich auf die Vergangenheit beziehen, das stimmt. Christlich - ich weiß nicht ob diese Konnotation hier paßt - muß es sich um eine bereute und vergebene Schuld bzw. Sünde handeln.
Das "whatever thou art" bezieht sich freilich nicht eindeutig auf die Vergangenheit, sondern ist ein Präsens.

Zum Wahren Satz "Es gibt nichts, was es nicht gibt" ein Zitat:

Es gibt ja nichts, was es nicht gibt auf der Welt. Ich sage sogar, das ist der größte Fehler an unserer Welt, dass es nicht wenigstens ein paar Dinge gibt, die es nicht gibt.
[Wolf Haas, Der Brenner und der liebe Gott. Hamburg 2009, S. 185]


Ja, das ist der größte Fehler an unserer Welt.
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 16:05:
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 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:19:
Diese völlig originelle, dazu witzige Sprache! Kennst Du auch seinen letzten Brenner-Roman? Ist noch ziemlich neu.
Taina (39) meinte dazu am 20.07.22 um 07:37:
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 Graeculus meinte dazu am 20.07.22 um 23:48:
Wiederholt! Ja, die haben etwas, einen knurrigen Charme.
Taina (39) meinte dazu am 21.07.22 um 06:10:
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 Graeculus meinte dazu am 21.07.22 um 16:08:
Und in diesem Falle ist es wirklich gut, daß es etwas gibt, was es gibt.

 Verlo (17.07.22, 00:13)
Jeder Mensch "definiert" für sich, was Liebe ist.

Diese Definition ändert sich, wenn der Mensch sich verändert. 

Der Liebende muß zB den Mörder nicht als Mörder empfinden, sieht in ihm etwas, was seine Liebe weckt, was andere nicht sehen.

In sehr tragischen Fälle, kann derjenige nur einen Mörder lieben, so sehr er auch zB einen Menschenfreund lieben möchte.

 Graeculus meinte dazu am 17.07.22 um 16:09:
Nun, ein gemeinsames Grundverständnis muß es schon geben, sonst könnte man ja auch "Stuhl" dafür sagen.
Also: eine tiefe emotionale Zuwendung.
Wem sie gilt und was sie auslöst, das ist sehr verschieden.

Der Liebende (z.B. eine Mutter) muß den Mörder nicht als Mörder empfinden, das ist wahr. Aber im vorliegenden Falle - Gedicht am Anfang - ist es ihm erklärtermaßen gleichgültig; er will es nicht einmal wissen. Danach frage ich.

Daß manche nur einen Mörder lieben können, erscheint mir ebenso rätselhaft, ist aber nicht dasselbe. Hier staune ich über das Desinteresse an der Frage, ob er einer ist.

 Verlo meinte dazu am 17.07.22 um 16:31:
Graeculus, du sprichst von Liebe, Tania spricht von Liebe, ich spreche von Liebe – wieso sprichst du jetzt von Stuhl?

 Graeculus meinte dazu am 17.07.22 um 16:45:
Jeder Mensch "definiert" für sich, was Liebe ist.

Wenn Liebe völlig subjektiv, also überhaupt nicht intersubjektiv definiert wäre, dann könnte jemand auch etwas x-Beliebiges darunter verstehen, z.B. Stuhl.
So wie mir mal eine Schülerin sagte: "Haß, das ist für mich Spinat."
Nein, es gibt - wie ich schrieb - schon eine gemeinsame Grundbedeutung, die individuell variiiert werden kann, z.b. durch das, was man liebt.

 Verlo meinte dazu am 17.07.22 um 16:56:
Graeculus, du hast meine Frage nicht beantwortet, sondern deine Aussage wiederholt.

So wie mir mal eine Schülerin sagte: "Haß, das ist für mich Spinat."
Diese Schülerin meinte: "Ich hasse Spinat", nicht, "das Spinat Haß ist".

Ich habe gesagt und meine: 

Jeder Mensch "definiert" für sich, was Liebe ist.
Das bedeutet: Frau A nennt es Liebe, aber für Taina ist es Unterwürfigkeit, für Graeculus Stuhl.

Entscheidend ist: Frau A nennt es und fühlt es als Liebe.

Antwort geändert am 17.07.2022 um 17:22 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 17.07.22 um 17:54:
1. Was die Schülerin in diesem Kontext meinte (es ist nicht das, was du unterstellst), weiß ich besser als du, weil ich dabei war. Und sie hat es ganz bewußt so ausgedrückt: "Haß ist Spinat." Nicht: "Ich hasse Spinat."

2. Ich glaube zu wissen, was du meinst, und habe auch darauf geantwortet - fürchte jedoch, daß du mich nicht verstanden hast. Wenn man Worte willkürlich verwendet, kollabiert die Kommunikation; sie funktioniert lediglich bei einer intersubjektiven Basis.
Wenn du z.B. sagst: "Ich liebe Adolf Hitler, seine elende Feigheit, seine verachtenswerte moralische Skrupellosigkeit, seinen törichten Rassismus", dann sage ich: Du gebrauchst das Wort Liebe falsch. Ich weiß nicht, welchen Sprachunterricht du genossen hast, bin aber fest davon überzeugt, daß auch dein Lehrer das so festgestellt hätte.

Das Wort Liebe gehört in einen bestimmten Bedeutungsbereich, innerhalb dessen es sich differenzieren kann. "Ich liebe Adolf Hitler, weil er Vegetarier war", ist eine ungewöhnliche Perspektive, aber sprachlich okay.

 Verlo meinte dazu am 17.07.22 um 18:09:
Graeculus:

1. Was die Schülerin in diesem Kontext meinte (es ist nicht das, was du unterstellst), weiß ich besser als du, weil ich dabei war. Und sie hat es ganz bewußt so ausgedrückt: "Haß ist Spinat." Nicht: "Ich hasse Spinat."

"Haß ist Spinat." – Das ist kein Satz, der für einen nicht eingeweihten Leser einen Sinn ergibt.

Ebensoweniger wie: "Haus ist Spinat." 

Oder: "Liebe ist Spinat."

Graeculus, verrätst du, was die Schülerin meinte?

#


Graeculus:

2. Ich glaube zu wissen, was du meinst, und habe auch darauf geantwortet - fürchte jedoch, daß du mich nicht verstanden hast. Wenn man Worte willkürlich verwendet, kollabiert die Kommunikation; sie funktioniert lediglich bei einer intersubjektiven Basis. 

Graeculus, du unterstellst willkürliche Verwendung, weil du die Gefühle einer Person nicht nachvollziehen kannst.

Du kannst ja mal einer Frau, die sagt, sie liebt einen Mann, widersprechen. Sie wird dich auslachen. Und dir vermutlich sagen: Lies weiter, alter Mann, in deinen staubigen Büchern.

Die Frau, die ich die ganze Zeit vor Augen haben, wird direkter sein und sagen: Armer alter Mann, du hast doch noch nie geliebt!

Und glaube mir: Alle werden dieser Frau glauben und dich bemitleidend ansehen.

Und egal, mit welchem Zitat du dich versuchst, zu rechtfertige, sie wird die passende Antwort haben.

Antwort geändert am 17.07.2022 um 18:11 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 17.07.22 um 22:42:
Hast du Lust, mal auf meine Beispiele einzugehen? Was soll der kryptische Hinweis darauf, was Frauen, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen, dazu sagen würden? Hic Rhodos, hic salta!

Die Anekdote mit der Schülerin habe ich in meinem Buch "Der Homo sapiens im Alltag" verwendet. Die Verkaufszahlen sind miserabel. Bitte ändere das.

Antwort geändert am 17.07.2022 um 22:54 Uhr

 Verlo meinte dazu am 17.07.22 um 22:56:
Graeculus:

Die Anekdote mit der Schülerin habe ich in meinem Buch "Der Homo sapiens im Alltag" verwendet. Die Verkaufszahlen sind miserabel. Bitte ändere das.

Für 186 Seiten Taschenbuch 18 Euro: das ist sportlich.

Als ehemaliger Beamter solltest du doch eine sehr gute Rente bekommen. Weshalb müssen sich dann deine Bücher verkaufen?


Graeculus:

Hast du Lust, mal auf meine Beispiele einzugehen? Was soll der kryptische Hinweis darauf, was Frauen, die ich nicht kenne, dazu sagen würden? Hic Rhodos, hic salta!

Ich muß gar nichts mehr beweisen, Graeculus! Ich kann meine Erfolge genießen ...

Deine Beispiele ändern die Situation nicht: du willst einer Frau sagen, was sie zu fühlen hat: das ist Liebe, das ist keine Liebe.

Du scheint das noch nie gemacht zu haben, deshalb habe ich dich verbal erleben lassen, was dir passieren würde.

Ebenso zwecklos ist es, einer Frau, die sagt, daß sie dich nicht mehr liebt, einreden zu wollen, daß ihr Gefühl etwas anders bedeutet.

Danke, Graeculus, das du mich am Sonntag mehrere Stunden erheiterst (ich habe diese Szene deutlich vor Augen).

 Graeculus meinte dazu am 17.07.22 um 23:18:
Ist ein Paperback, kein Taschenbuch.
Kennst du die Preise auf dem aktuellen Buchmarkt? Bei Suhrkamp kommst du mit 18 Euro für ein Taschenbuch schwerlich aus.

In einem Buch steckt viel Arbeit, und daß Leute das dann lesen, ist ein erwünschter Effekt, daß sie etwas dafür bezahlen, für mich ein schöner Nebeneffekt, für andere der Lebensunterhalt.
Aber der Buchmarkt liegt darnieder, jedenfalls in Deutschland.

Nein, du mußt weder etwas beweisen noch ein Gespräch führen, aber wenn du ein sinnvolles Gespräch mit mir führen willst, mußt du schon (ein konditionales Muß) auf das eingehen, was ich schreibe.

In meinem Leben habe ich Menschen (nicht nur Frauen) das Wort "Liebe" auf sehr verschiedene Weisen gebrauchen hören: manche lieben sich, manche ihr Auto, andere Bücher, die meisten ihre Kinder und viele einen Sexualpartner; aber noch nie habe ich erlebt, daß einer dieses Wort völlig willkürlich, also ohne die von mir erwähnte Grundbedeutung benutzte: Ich liebe diesen verachtenswerten, stinkenden, strunzdummen Bastard!

Deine Bekanntschaften scheinen etwas ungewöhnlicher Art zu sein.

 Verlo meinte dazu am 17.07.22 um 23:43:
Graeculus:

Ich liebe diesen verachtenswerten, stinkenden, strunzdummen Bastard! 

Graeculus, auch das ist legitim.

Meine Mutter hat einen dummen, jähzornigen Kinderficker geliebt. 

Im Grunde kann man sich nicht aussuchen, wen man liebt.

 Graeculus meinte dazu am 18.07.22 um 00:33:
Meine Mutter hat einen dummen, jähzornigen Kinderficker geliebt.

Hat sie das gewußt? Hat sie das sprachlich so ausgedrückt? Oder hat sie das - vor sich selbst und anderen - geleugnet?

Ob's legitim ist, darum geht es mir nicht, sondern darum, ob man das sprachlich so sagen kann.

 Verlo meinte dazu am 18.07.22 um 00:40:
Sie hat es nie so gesagt.

Das ist doch aber auch klar.

 Graeculus meinte dazu am 18.07.22 um 23:32:
Eben, das ist klar. Man sagt nicht: "Du bist ein dummer Kinderficker, aber ich liebe dich!" Entweder weiß man das nicht oder will es nicht wahrhaben.
Und das ist der Konsens im Gebrauch des Wortes "Liebe": der Geliebte muß liebenswert zumindest erscheinen.
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 10:23:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 14:23:
Und damit gebrauchen sie das Wort "Liebe" eigentlich in einem ganz normalen und verständlichen Sinne - sie wenden es nur auf eine Person an, über die sie sich Illusionen machen.

Es ist mir schwer gefallen, diesen Unterschied Verlo deutlich zu machen, von dem ich den Eindruck hatte, er wolle das Wort selbst einer völlig beliebigen Bedeutung ausliefern.

Am Rande: Der Jazz-Saxophonist Lester Young hat sich im Laufe seines Lebens immer mehr in eine solche Privatsprache zurückgezogen - worüber selbst seine Freunde sagten: "Wir verstehen ihn nicht mehr. Aber wenn er Saxophon spielt, verstehen wir jedes Wort."
Zum Nachdenken, wenn man mag.

 Verlo meinte dazu am 19.07.22 um 14:45:
Graeculus:

... von dem ich den Eindruck hatte ...

Genau, Graeculus, es war/ist dein Eindruck.

Während ich nur sagte und meinte: Fühlt ein Mensch Liebe, ist es Liebe, wie unvorstellbar es auch für andere ist.

Und selbstverständlich wird er nicht sagen: Stuhl ist Liebe, sondern: ich liebe einen Stuhl.

Ich wette, es gibt Länder, in denen man einen Stuhl heiraten kann.
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 16:18:
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 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:23:
An Verlo:

"Ich liebe eine Stuhl" ist seltsam, kann aber vorkommen. Ich selber hatte mal einen Stuhl, den ich mochte. Sprachlich ist das verständlich.

"Ich stuhle dich" ist etwas anderes - auch wenn man auf Nachfrage erklärt: "mit stuhlen meine ich lieben." "Warum", würde ich dann antworten, " nennst du das dann stuhlen?"
(So war übrigens Lester Young - völlig unverständlich, und er konnte das auch niemandem mehr erklären. Er konnte nicht mehr kommunizieren.) Diese Grenze möchte ich aufzeigen.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:27:
An Taina:

Ein großartiger Musiker, nicht wahr? "Blue Lester" ist wunderbar. Kennst Du dann sicher auch.

In einem Frühstadium seines speziellen Ticks (oder wie man das nennen soll) hat er Männer als "Ladies" angesprochen.

Das Wort "cool" soll übrigens in seiner heutigen Bedeutung auf ihn zurückgehen, auch die Bezeichnung der Stilrichtung Cool Jazz.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:27:
Ich habe das mal in einem Buch über Jazz gelesen.

 Dieter Wal (18.07.22, 07:22)
I ask not, I care not
If guilt’s in thy heart.
I know that I love thee
Whatever thou art.
Wenn es auch in einem Gedicht steht, und damit vermuten lässt, es sei allgemeingültig, dürfte es sich um ein Situationsgedicht handeln, das einer ganz konkreten Person gewidmet war, um sie von den tiefen Gefühlen des Autors/der Autorin zu überzeugen.

Ansonsten wäre eine wie von Dir näher ausgeführte Liebe wohl Elternliebe.

Das berühmte Fried-Gedicht handelt eher von Abhängigkeit, sicher nicht von einer funktionalen Liebesbeziehung.

Deine hinzugefügten Schlagworte "Liebe, Abhängigkeit und Hingabe" umschreiben es treffend.

 Graeculus meinte dazu am 18.07.22 um 23:37:
Auffallenderweise hat niemand gefragt, woher dieses Gedicht eigentlich stammt, in welchem Kontext es entstanden ist.
Da wäre ich auch in Verlegenheit gewesen. Ich habe es einst bei Schopenhauer zitiert gefunden, und ich meine mich zu erinnern, daß er es als Volkslied, also ohne Verfasser angegeben hat.
Wenn mich jemand fragt, woher es stammt, schaue ich es nach.

Elternliebe ist oft völlig unbedingt; die berühmte Mutter liebt ihr Kind noch, wenn es als Mörder im Knast sitzt.
Können wir das jetzt loben, im Falle des Fried Gedichtes aber von Abhängigkeit statt Liebe reden? Oder müssen wir nicht sagen, daß es eine (Art von) Liebe gibt, die mit Abhängigkeit verbunden ist?

 Dieter Wal meinte dazu am 19.07.22 um 09:47:
Oder müssen wir nicht sagen, daß es eine (Art von) Liebe gibt, die mit Abhängigkeit verbunden ist?
Stimmt. In meinen Augen eher eine Krankheit.
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 10:27:
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Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 10:29:
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 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 14:04:
An Dieter Wal:

Auch mir erscheint das als Krankheit; allerdings ist das eine laienhafte, keine klinische Aussage.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 14:08:
An Taina 1:

Auch das kommt vor, daß eine Mutter sich extrem enttäuscht von ihrem Kind distanziert.

Vor einigen Tagen las ich:

Erykios von Kyzikos (1. Jhdt.  v.u.Z.):

Ἁνίκ‘ ἀπὸ πτολέμου τρέσσαντά σε δέξατο μάτηρ,
πάντα τὸν ὁπλιστὰν κόσμον ὀλωλεκότα,
αὐτά τοι φονίαν, Δαμάτριε, αὐτίκα λόγχαν
εἶπε διὰ πλατέων ὠσαμένα λαγόνων.
„Κάθανε, μηδ‘ ἐχέτω Σπάρτα ψόγον. οὐ γὰρ ἐκείνα
ἤμπλακεν, εἰ δειλοὺς τοὐμὸν ἔθρεψε γάλα.“

Als du zitternd dereinst ohne die Waffen vom Kriege
heimgekommen und dich deine Mutter so empfing,
griff sie, Demetrios, gleich zum männermordenden Speere,
stieß ihn dir jäh in des Leibs wogende Weiche und rief:
„Stirb! Kein Tadel soll Sparta berühren! Denn Sparta hat keine
Schuld, wenn einst meine Milch eine solche Memme gesäugt!“
(Anthologia Graeca VII 230)



Und hier ging es nur um Feigheit! Das war in Sparta soziokulturell schlimmer konnotiert als Mord oder Vergewaltigung.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 14:10:
An Taina 2:

Liebe ist immer auch Abhängigkeit - aber ist sie auch immer unbedingte Abhängigkeit?
Das Hohelied der Liebe des Apostels Paulus suggeriert es, auch wenn er über Agape statt über Eros schreibt.
Taina (39) meinte dazu am 19.07.22 um 16:00:
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 Dieter Wal meinte dazu am 19.07.22 um 19:39:
Das Hohelied der Liebe des Apostels Paulus suggeriert es, auch wenn er über Agape statt über Eros schreibt.
@Graeculus:


Suggeriert was?

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:29:
An Taina:

Das ist für mich nachvollziehbar. Weil ich das Buch nicht kenne, habe ich das zunächst anders verstanden.
Die Spartanerin hat dann wieder ein eigenes Motiv: die Schande.

 Graeculus meinte dazu am 19.07.22 um 23:30:
An Dieter Wal:

Suggeriert, daß "wahre" Liebe unbedingt sei und alles verzeihe.
Irre ich da?

 Dieter Wal meinte dazu am 20.07.22 um 07:08:
Von Unbedingtheit ist  dort mit keinem Wort die Rede. Dass die Agapä alles verzeiht, durchaus. Sie könnte mit Brüderlichkeit übersetzt werden. Der Text ist nicht als Beispiel für Eros geeignet. Ob er als Beispiel für irgendeine menschliche Form von Liebe taugt, bezweifle ich. Davon abgesehen ist er das wahrscheinlich bedeutendste Gedicht im NT.

Gibt es von dem Gedicht bei Schopenhauer weitere Strophen?

 Dieter Wal meinte dazu am 20.07.22 um 11:47:
Die in manchen Bibeln nachträglich gesetzten Titel  für 1. Korinther 13, wie "Hohelied der Liebe", womit auf das "Lied der Lieder" im AT oder auch auf das "Hohelied" angespielt wird, in dem unvergleichlich über erotische Liebe gedichtet wurde, lässt vermuten, es handelte sich bei Paulus um ein christliches Hohelied, worum es sicher nicht geht. Agapä wird bei nichtsexuellen Beziehungen verwendet, die man in Familien antrifft und im übertragenen Sinn für (ideales) Sozialverhalten unter "Geschwistern" im Gemeindeverbänden. Dabei beschreibt es kein Sozialverhalten, dem Paulus so oder ähnlich in Gemeinden begegnete, sondern idealiter begegnen wollte.


Liebe ist geduldig und freundlich, hält sich fern on hektischem Eifer und Klamauk, von Dünkel und Frechheit, / sie kennt keinen Eigennutz und keine Verbitterung. Heimtücke ist ihr genauso zuwider / wie die hämische Freude am Unrecht. Wer liebt, freut sich mit dem anderen über alles, was gut ist. / Wer liebt, kann alles vergeben, kann von Herzen glauben, inständig hoffen und alles ertragen.
Das Neue Testament und Frühchristliche Schriften Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Insel Verlag 1999, S. 105


Anders als in der prophetischen Literatur bei Gibran ist hier nicht von Eros, sondern Agapä die Rede, und die meint kein soziales Miteinander unter Urchristen, sondern zeichnet poetisch Pauli Jesus-Bild nach. Paulus dürfte während seiner Gemeindebesuche Jesus-Erzählungen gehört haben. Dort wird der Rabbi als nahezu fehlerfreier "Übermensch" oder jüdischer Superman dargestellt. Derart ideale Brüderlichkeit besingt das Gedicht. Wie abgehoben Jesusbilder im NT sein können, zeigt der Hebräerbrief und die Johannesoffenbarung. Johannes wieder war alles andere als angetan von Pauli Bemühungen, sondern geißelte sie als "Synagoge des Satans". Auch die Evangelien, die von Zweit- und Drittgenerationen geschrieben wurden, bieten keinen "Original-Jesus", sondern Jesus-Legenden.

Antwort geändert am 20.07.2022 um 18:33 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.07.22 um 20:40:
Hallo Graeculus,
wie immer eine sehr interessante Frage. Ich denke, dass bei Menschen, die öffentlich gestehen, einen Mörder oder Vergewaltiger zu lieben, viel Wichtigtuerei und Eitelkeit im Spiel ist, im günstigeren Falle Abenteuerlust. Es kann freilich sein, dass sie auf solche Menschen sexuell "abfahren" und ihre Hörigkeit mit Liebe verwechseln.
Ganz anders sehe ich das, wenn der Mörder oder Vergewaltiger seine Tat ehrlich bereut. Das hat zum Beispiel Dostojewski in "Schuld und Sühne" glaubwürdig verarbeitet, wo Raskolnikow von Sonja geliebt wird, die seine potentielle Bußfertigkeit ahnt und ihm selbstlos ins Strafgefangenenlager nach Sibirien folgt.

 Graeculus meinte dazu am 20.07.22 um 23:40:
An Dieter Wal:

Das Wort "unbedingt" kommt natürlich nicht vor, aber

sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles
ist genau das, was ich meine.

Daß "agápe" nicht im erotischen Kontext gebraucht wird, stimmt, ist aber für mich untergeordnet, denn es geht mir bei dem, was mir rätselhaft erscheint, ja nicht um Sex, sondern um eine vollkommene Hingabe.

Ist das Hohelied des Paulus ein schöner Text? Du ahnst bestimmt, daß mir weder der Inhalt zusagt noch die litaneiartige Form.

Eine interessante Frage ist die, worauf sich diese Lobpreisung eigentlich bezieht; das habe ich immer als Aufforderung an uns Menschen gelesen. Es mag sein, daß ich mich da geirrt habe.
Selbst der Jesus, von dem die Evangelien berichten, hat m.E. dieses Ideal nicht ereicht. Vgl. die irritierende Geschichte von dem Feigenbaum.

 Graeculus meinte dazu am 20.07.22 um 23:47:
Ja, Ekkehart, ein reuiger Verbrecher ist etwas anderes - zumal wir alle - wie Kriminologen versichern - das 'Zeug zum Verbrecher' haben. Homo sum humani nil a me alienum puto.

Was die offenkundigen und 'standhaften' Verbrecher angeht, so gibst Du mit Wichtigtuerei, Eitelkeit und Abenteuerlust naheliegende Motive an.

Aber ich meine, daß das Ausgangsgedicht - übrigens, Dieter, nein, Schopenhauer zitiert keine weiteren Strophen - die Eigentümlichkeit hat, daß der Liebende das völlig offenläßt. Er liebt keinen Verbrecher, weder einen reuigen noch einen sonstigen, sondern das Vertrauen (Taina) oder die Ergriffenheit (meine erste Annahme) sind so vollständig, daß das überhaupt keine Rolle spielt.
Das kann ich nur schwer verstehen.
Taina (39) meinte dazu am 21.07.22 um 06:16:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 21.07.22 um 16:12:
Gibt es nicht öfters Verbrecher, denen man Bewunderung zollt? Die großen Verbrecher? Ich meine, in Paris liegt einer von ihnen sogar im Invalidendom.
Man zehrt, wie ein Parasit, von seiner Stärke.

 Dieter Wal meinte dazu am 21.07.22 um 17:10:
Ist das Hohelied des Paulus ein schöner Text?
Ist das wichtig?


Es handelt sich um ein Gedicht. Demzufolge bei Paulus nach seiner Wirkung um den weltweit bedeutendsten Brief-Autor und darüber hinaus Lyriker. Und das bei einem einzigen Gedicht.  "Glaube, Liebe, Hoffnung" ist weltbekannt.

Bei "sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles" handelt es sich nicht um einen masochistischen, idiotischen Menschen, der alles erträgt, glaubt, hofft und duldet, sondern um ein paulinisches Ideal von Brüderlichkeit, das keineswegs mit dem von Dir zitierten Gedicht vergleichbar ist, da es realistischerweise nie, oder idealerweise bestenfalls einmal gelebt wurde, von Christus als leidender Gottesknecht.

Allerdings taugt es als abschreckendes Beispiel vollkommener Hingabe.

Antwort geändert am 22.07.2022 um 09:21 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 22.07.22 um 00:36:
Für mich ist das wichtig, denn es ist ein Zugangsweg für mich zu einem Text - und kein geringer. Hier bleibt er mir verschlossen.

Weltbekannt ist das Hohelied natürlich, aber bei der Art, wie es populär gemacht worden ist, habe ich Bedenken. Wir sind halt (fast) alle seit der Kindheit mit den Bibelsprüchen vertraut. Sie bekommen dadurch eine Verankerung in uns, wie ich sie bei dem lateinischen Hochamt erlebt habe.
Ein "Ideal von Brüderlichkeit" ist es für mich keineswegs. Erinnere Dich an das, was Sigmund Freud in "Das Unbehagen in der Kultur" über die systematische Überforderung durch die christliche Vorstellung von Nächstenliebe und ihre krankmachenden Folgen geschrieben hat.
Es hat mich einigen Aufwand gekostet, mich davon frei zu machen.
Mir ist aber nicht klar, inwieweit es für Dich ein Ideal ist.

 Dieter Wal meinte dazu am 22.07.22 um 07:29:
Mir ist aber nicht klar, inwieweit es für Dich ein Ideal ist.



Für christlich geprägte Menschen liegen dort ihre Wurzeln. Man kann sie verleugnen, sie sich vermeintlich abkonditionieren, doch wohl kaum restlos vergessen. Von dieser Diskussion ausgehend las ich (ungläubig) wieder große Teile des Hebräerbriefes und war verblüfft, wie viele "Goldnuggets" darin enthalten sind, dessen dortige Verortung ich vergessen hatte. Wie meist bei biblischen Texten bringt man als Leser jedesmal seine Vorurteile gegenüber dem Text mit und liest sie mit individuell verschieden gefärbten Brillen. Auch C. G. Jung muss von Hebräer 10, 31, "Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen." angetan gewesen sein, denn er zitiert es in seinem roten Buch, diesem Buch, schwer mit Gott umhangen. Pinchas Lapide meinte zu dem Vers, er könnte ebenso gut in der Tora stehen. Doch ist es tatsächlich schrecklich? Nicht eher  erschreckend in positivem Sinn? Für mich war das paulinische Hohelied eine Inspiration für das Gedicht  Zauberkugel. Daher geht es für mich damit nicht darum, ob ich etwas darin als schön empfinde oder an dessen Inhalte glaube, sondern dass es mich zu einem mir wichtigen Gedicht inspirierte, in dem Orpheus und Apoll lebendig erscheinen.



Man kann "Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen." auch ohne Jesus-Frömmigkeit ansprechend finden. Jedesmal bei 1. Kor 13,3 bei "und ließe meinen Leib brennen", frage ich mich, ob er damit auf einen griechischen Historiker anspielte, der schilderte, wie ein Fakir sich in Athen selbst verbrannte, um zu beweisen, dass er über den Tod erhaben sei.

Antwort geändert am 22.07.2022 um 07:31 Uhr

 Dieter Wal meinte dazu am 22.07.22 um 11:32:
Weltbekannt ist das Hohelied natürlich, aber bei der Art, wie es populär gemacht worden ist, habe ich Bedenken.
Moi aussi.

 Graeculus meinte dazu am 22.07.22 um 15:53:
Wie wenig auch ich meine Kindheit vergessen kann, ist hoffentlich schon deutlich geworden.

Zu dem Vers Hebräer 10, 31: Wieso steht da betont "des lebendigen Gottes"? Gelten ihm die heidnischen Götter als tote?

Sehr interessant: Weißt Du Näheres über den griechischen Historiker, welcher die Selbstverbrennung eines Fakirs in Athen schildert?

 Dieter Wal meinte dazu am 22.07.22 um 17:47:
Kalanos erkrankte später in Persien und verbrannte sich selbst. Dies war eine Sensation, sollte sich aber nach den Quellen mit einem indischen Gesandten, ein Brahmane, der später auf dem Weg zu Kaiser Augustus war und sich in Athen verbrannte wiederholen. Der Name des Brahmanen war Zarmanochegas, und lässt sich aus dem Sanskrit übersetzen als shramanakarya – „Lehrer des Shramana“11.
https://www.grin.com/document/155546









Den Topos "lebendiger Gott" findet man in der hebräischen Bibel. Z.B. Jeremia 10,10 od. Daniel 6,27.

Der Autor des Hebräerbriefes zitiert an jener Stelle bereits mehrfach aus der Tora. Besagtes Zitat ist uns heute leider unbekannt, doch vermutlich stellt es gleichfalls ein Zitat dar.


Rudolf Otto beschrieb in "Das Heilige - Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen", 1917.

Nach ihm ist eine Epiphanie Gottes im Wesentlichen durch zwei gleichzeitige Vorgänge gekennzeichnet: 1. „Mysterium tremendum“, 2. „Mysterium fascinosum“.

Etwas in dieser Art scheint der Vers bei Hebräer auszudrücken.


https://www.deutschlandfunk.de/theologe-rudolf-otto-das-heilige-geheimnis-100.html

Antwort geändert am 22.07.2022 um 21:24 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 22.07.22 um 23:40:
Ist ja ein Zufall! Mit den Gymnosophisten befasse ich mir gerade:
https://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=8872

Allerdings habe ich die Selbstverbrennung in Athen noch nicht eruieren können. Der Name Zarmanochegas und die Zeit des Augustus geben mir Hinweise, wo ich zu suchen habe. Also schonmal nicht bei Herodot.

Ich verstehe, "lebendiger Gott " ist ein älterer Topos. Mich erstaunt die Betonung der Lebendigkeit - sie scheint sich gegen etwas zu richten, und da dachte ich an tote Götter, also die der anderen.

 Dieter Wal meinte dazu am 23.07.22 um 00:19:
In der  Liturgie der EKD wird vor Beginn der  Lesung gesprochen: "Wort des lebendigen Gottes".

Dass das Heilige lebendig ist, muss offensichtlich selbst unter Gläubigen verdeutlicht werden.

Mir erzählte ein Freund die Geschichte mit der Selbstverbrennung unter Angabe des Historikernamens, den ich leider vergaß. Er brachte sich Altgriechisch selbst bei und zitierte manchmal Teile im Original auswendig. Ich dachte dabei sofort an Selige Sehnsucht Goethes und war sehr berührt. Die Selbstverbrennungsgeschichte eines Brahmanen in Athen hätte theoretisch bereits für die Gründung einer neuen Religion genügt. Und außer Kurt hatte mir niemand bisher davon erzählt und ich las sie auch nirgends. Sie war demnach relativ unbekannt geblieben.
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