Das Solare I: Der Eremit

Volksbuch zum Thema Gegenwart

von  Terminator

Nach 15-jähriger selbstauferlegter Leidenszeit als asketischer Mann mit gar noch höherem spirituellen Potenzial wurde ich in diesem Sommer zum apollinischen Mann, dem höchsten im Menschlichen. Laotses/Zhuangzis höherer Mensch ganz und gar; zu sagen, ob auch Nietzsches Übermensch, könnte nur Nietzsche selbst, der dafür zu viel Interpretationsspielraum gelassen hat. Jedenfalls bekommt man keine Superkräfte: mir sind keine Flügel gewachsen, ich kann kein Feuer spucken, könnte dich zwar töten, aber nicht, indem einen Lastwagen auf dich schmeiße. Mit der menschlichen Schwäche, mit den Beschränkungen der conditio humana den großen, den inneren Dschihad gewinnen, darum geht es.


"Dein spritueller Erfolg macht dich aber nicht zu einem nützlicheren Ochsen", stellt die tellurische, mütterliche Frau fest. Das ist freilich wahr. Doch ich war auch vorher nie ein Ochse. Ich tat Gutes stets aus Güte, nie aus dem Bestreben, jemandem nützlich zu sein. "Dass du ein apollinischer Mann bist, macht dich aber nicht sexuell attraktiv", tönt die Bitch, die Schlampe, die chthonische Frau. Das stimmt wiederum auch, aber ich war auch vorher nicht sexuell attraktiv, und wollte es nie sein. Ich empfinde es sogar als belästigend, wenn Frauen mich sexuell attraktiv finden (aus Erfahrung gesprochen); allenfalls scherzhaft, dann habe ich nichts dagegen. Natürlich habe ich nichts gegen die unschuldige körperliche Zuneigung einer Jungfrau, der apollinischen Frau, die aber zu kindlichem Körperkontakt hinführt, nicht zu Sex.


Ich bereue nicht, gütig und geduldig gewesen zu sein. Auch die wenigen Ausbrüche des Zorns, die nie Gewalt waren, bereue ich nicht: auch Heilige sind nur Menschen. Und ich bin froh, kein Heiliger mehr zu sein, sondern, um es in meinen Begriffen des Jahres 2004 auszudrücken, ein Weiser. Das war die Zeit, als ich mit 21/22 einen Highspeed-Buddhismus praktizieren wollte, um vom heroischen Mann bzw. der existentiellen Entwicklungsstufe in wenigen Monaten zum Heiligen und dann bis spätestens Ende 2005 zum Weisen zu werden, ohne Meditation und dergleichen, versteht sich. Den Weg bin ich schließlich auch gegangen, aber er war länger und leidvoller; hätte ich mit 21 gewusst, wie lang und leidvoll, hätte ich mich für den Suizid entschieden.


Ein solarer Mann ist auch in der Großstadt ein Eremit. Er hat den Geist eines Eremiten, er ist auch unter Menschen immer bei sich selbst. Nur wenige gleichwertige Geister können im Laufe eines hohen Lebens getroffen werden, und diese Begegnung ist ein Fest, keine Selbstverständlichkeit. Ein höherer Mensch muss aber auch damit rechnen, im Laufe seines irdischen Lebens nie auf den Geist zu treffen, der ihn begreift.



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