Meine verkackte Schulzeit: Ich beklaue eine Mitschülerin

Kurzgeschichte zum Thema Abgrund

von  Koreapeitsche

(Der entwendete Kopfhörer)

Ich hatte in den Wochen zuvor mein 2-wöchiges Schulverbot absitzen müssen. Zosch hatte mir auf Anraten der kleinwüchsigen Geschichtslehrerin sein Geschichtsheft ausgeliehen, auf dem Zoschs Name stand. Ich sollte und wollte den verpassten Stoff für die anstehende Geschichtsklausur nachholen. Doch ich konnte Zoschs Schrift nicht lesen. Die Klausur ging ergo in die Hose.
Ich meinte mich an der Deutsch- und Geschichtslehrerin rächen zu müssen, stellte ihr einen defekten Stuhl ans Pult. Als sie sich bei Unterrichtsbeginn auf den Stuhl setzte, krachte die Sitzfläche runter und sie saß auf dem Boden. Die ganze Klasse lachte. Zum Glück ging sie der Sache nicht nach, sodass ich als Täter unbehelligt blieb.
Zu der Zeit enterten wir an einem Samstagabend eine Party von Normalos in Strande. Ich trug zu der Zeit noch meinen Gips. Der Bus fuhr nur bis Schilksee, sodass wir zu Fuß nach Strande gehen mussten. Allerdings gingen wir die Straße entlang und nicht den Weg am Wasser Richtung Schiffshallen und Sportbootshafen. Das Wetter war schlecht. Es war kalt. Wir waren stark betrunken, verhielten uns aselig. Es gab permanent Stress. Ich übertrug die Aggressionen durch meinen sportlichen Knock Out nach meinem Bänder- und Kapselriss auf mein Umfeld. Die Gastgeberin war erst ein paar Wochen auf unserer Schule. Sie war von einer anderen Schule gewechselt. Mit ihrer Schwester hatte ich mal in Altenholz-Klausdorf auf einer Party rumgemacht.
      Es war anstrengend, abends im Suff bei Dunkelheit mit meinem Gipsbein lange Strecken zu Fuß zurückzulegen. Auch auf der Party wirkte ich sehr desorientiert und kam mental nicht wirklich an. Wir hatten Probleme mit der Musik, die dort lief und wollten das ändern.
Ich legte Oi-4, The Oppressed und die 4Skins auf, die ich auf Tape dabei hatte. Es gab bösen Stress, die Gastgeberin wirkte stark verängstigt und war nicht mehr Herrin im eigenen Haus.
      Ich kann mich an einen hellen, getäfelten und leergeräumten Partykeller erinnern, der ziemlich verlassen wirkte, da die eingeschüchterten Partygäste sich inzwischen in andere Räume zurückgezogen hatten, wahrscheinlich, um uns aus dem Weg zu gehen. Später hieß es, wir hätten versucht, die Anlage mitzunehmen. Das kann ich mir schlecht vorstellen. Was ich sicher mitnahm, waren ein paar Tapes und einen Sennheiser-Kopfhörer. Ich tat es, da ich kopflos war. Doch es gab später ein Nachspiel deshalb. Es sprach sich an der Schule rum, dass ich und meine Clicke die Übeltäter waren.
      Ich stand jetzt am Pranger und wollte nicht, dass die Schülerin sich bei der Schulleitung oder dem Klassenlehrer beschwerte, dass sie von einem Mitschüler auf ihrer eigenen Party ausgeraubt wurde. Ich fühlte mich auf dem Pausenhof beobachtet und von Blicken durchbohrt. Das erkannte ich in der Raucherecke trotz Restalkohol.
      Die geschädigte Schülerin wollte natürlich ihr gestohlenes Equippment zurück, den teuren Kopfhörer und die Tapes, die ich noch nicht überspielt hatte.
Ich wollte der Schülerin die Sachen nicht persönlich zurückgeben, weil es mir zu peinlich war. Außerdem hoffte ich, mich irgendwie rauswinden zu können. Also musste ich mir etwas einfallen lassen. Ergo entschied ich mich für eine unspektakuläre Lösung, packte die Tapes und den Kopfhörer in eine Jutetasche, legte Zoschs Geschichtsheft dazu und nahm den Beutel mit in die nächste Chemiestunde. Nach der Chemiestunde, als fast die gesamte Klasse den Hörsaal verlassen hatte und der Chemie-Lehrer Zählmann, den wir auch in Physik und Sport hatten, vorne die Tafel wischte, rief ich:
      „Herr Zählmann? Hier hat jemand eine Tasche vergessen.“
Der Lehrer, der kurz vor der Rente stand und regelmäßig Leichtatletik trainierte und wiederholt von seinem Rekord beim Hochsprung mit 1,31 m prahlte, hielt inne und schaute mich mit großen, wachen Augen an. Während er mir entgegen ging, nahm ich den Jutebeutel vom Regalbrett unter der hochklappbaren Tischplatte, kam dem Lehrer ein paar Meter zum Mittelgang entgegen und reichte ihm den Jutebeutel. Ich sagte
      „Da liegt noch ein Schulheft drin, vielleicht steht da ja ein Name drauf.“
Danach verließ ich sofort den Chemieraum. Allein das muss schon verdächtig gewirkt haben. Ich hörte zunächst nichts mehr von dem Vorfall und weiß auch gar nicht, wie das seinen weiteren Weg ging. Es war natürlich eine Intrige, die ich da anzettelte, die Zosch treffen sollte. Zosch wurde sicher konsultiert wegen des Geschichtshefts mit seinem Namen. Zosch wusste inzwischen von den gestohlenen Tapes und dem Kopfhörer und wird zur Aufklärung beigetragen haben. Zählmann hat ihn sicher gefragt, ob das seine Sachen waren.
Der Lehrer hatte allerdings in diesem Schuljahr schon für Verwirrung gesorgt, als er behauptete
      „Magarine wird in Quadraten verkauft.“
Zosch sagte mir danach:
      “Pass bloß auf die Butter auf!“
Ich verstand die Welt nicht mehr und fühlte mich verkackeiert.
Nachdem ich eben den Jutebeutel mit mehreren TDK-SA Kassetten und dem teuren Sennheiser Kopfhörer unter dem Klapptisch auf das Regalbrett gelegt und den Lehrer darauf aufmerksam gemacht hatte, war mir klar, dass ich eine rote Line überschritten hatte. Ich empfand zum ersten Mal so etwas wie Schamgefühl, während ich auf dem Weg zur Aula am Garderobenbereich vorbeischlich.
Meine Tage waren gezählt. An einem meiner letzten Tage an der Hebelschule vor meinem Abgang warf Zosch mir auf dem Heimweg im Schulbus vor, ich würde zu wenig Hüsker Dü hören und sei deshalb zurückgeblieben. Ich nahm das sehr ernst, denn ich wollte nicht wieder als Pseudo gelten. In der Zeit, in der meine alten Kumpels Hüsker Dü hörten, zog ich mir die Oi- und Skinhead-Platten rein. Und als sie 1985 zum Hüsker Dü Konzert nach Hamburg in die Markthalle fuhren, war ich als Skinhead-Aussteiger auf einem Psychobilly-Trip und sah aus wie der Leibhaftige.
Ich hatte nicht den Mumm, Zosch über den Ausgang der Intrige zu befragen. Ich saß wie ein Autist jeden Morgen mit Restalkohol im Klassenzimmer. Ich musste ohnehin die Schule verlassen, auch wenn es so aussah, als geschah es aus freien Stücken. Es war alles so zerfahren und desolat.
Zosch sprach mich von sich aus nie wegen des Schulhefts an. Auch die geschädigte Schülerin schwieg. Ich unterhielt mich erst wieder mit Zosch, als er mir die Hüsker Dü Studio-LPs nach der Landspeed Records empfahl, die ich mir von Hecker auslief und tapte, die “Zen Arcade“, “Flip your Wig“, “Metal Circus“ und die “New Day Rising“.
Die “Candy Apple Grey“ hingegen und die Warehouse Songs and Stories“ besorgte ich mir schließlich selbst. Da hing ich bereits in Dänischenhagen auf dem Dorfe im Punkhexenhaus ab. Ich war auch nicht auf dem Hüsker Dü Konzert 1985 in der Markthalle, sondern erst ‘88 in Knopf’s Music Hall direkt an der Reeperbahn, als die Ami-Hardcore-Band bereits dem Ende ihrer Laufbahn entgegensteuerte. Dennoch hat mich das Konzert vom Hocker gerissen, da es wirklich krass abging. Es war eins der härtesten und größten Punkkonzerte, die ich je sehen durfte. Es war Massenpogo ohne Ende bis zur Selbstlosigkeit. Der Abend geriet aus den Fugen. Stagediving wurde sofort unterbunden. Die Security griff hart durch. Jeder, der die Bühne erklomm um stagezudiven, wurde sofort von der Security abgegriffen, bevor die Pogofrau oder der Pogomann in die Massen springen konnte. Die Security zerrte die Leute sofort zum Hinterausgang, markierte sie und warf sie mit Hausverbot raus. Die Türsteher ließen danach niemanden mehr mit Markierung ins Knopf’s.
Zurück zur Schulintrige. Zosch unterhielt sich in Zukunft nur noch unter Vorbehalt mit mir. Ich habe sogar bis auf den heutigen Tag nie erfahren, was für ein Nachspiel diese Aktion hatte, ob die geschädigte Schülerin ihren Kram zurückbekam und Zosch sein Geschichtsheft, denn nur kurze Zeit später verließ ich die Schule, und mit mir unterhielten sich sowieso nur noch die anderen Randfiguren an der Schule oder Leute, die Tabak oder Kippen schnorren wollten. Ich rauchte zu der Zeit meinen ersten Joint, auch wenn ich nie inhalierte.


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (24.07.22, 23:41)
Der ursprüngliche Kommentar wurde am 24.07.2022 um 23:44 Uhr wieder zurückgezogen.

 Dieter_Rotmund (24.07.22, 23:46)
Klingt sehr nach nordeustschen Jugendsprachensläng der 1980er. Korea, du bist hier der Millieusprechking!
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