Ich liebe den Krieg - wenn es die *richtigen triff. Und glaube mir, der Trend geht steil GRÜN nach oben! (Romanauszug)

Tagebuch zum Thema Denken und Fühlen

von  alter79

Der Zug stoppt mit einem Ruck. Ein unzumutbares Inferno, das Quietschen der Bremsen. Die Schreie der Menschen. Als sich die Zugtüren rumpelnd öffnen - und eine panische Masse Leben wie auf der Flucht vor wütenden Hornissen an mir vorbei drängt. Ein Ellenbogen erwischt mich an der Nase. Die zu bluten anfängt. Ich schlage sofort zurück. Doch wohin? Tamponiere mir das betreffende Nasenloch mit einem Fetzen Taschentuch. Man ist schließlich ein gesitteter Mensch. Auch im Chaos.

Als ich schließlich auf den Bahnsteig trete, brennen die hinteren Wagen bereits lichterloh. Flammen schlagen wie rote Fahnen aus den zersprungenen Fenstern. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und feuere, während ich ein paar Schritte gehe, aus der Hüfte unzählige Bilder in den Tumult rundum. Shit. Die Hitze wird stärker. Der graue Qualm verdichtet sich. Der vielleicht Staub der Explosion war.

Hunderte verrußte Kreaturen laufen schreiend in Gegenrichtung auf die U-Bahnausgänge zu. Typen wie an Halloween. Blutend. Mit zerfetzten Klamotten. Rauchenden Haaren. Humpelnd. Oder auf allen vieren.
Schwarzer Rauch quillt aus dem Tunnel Ost. Vernebelt den Bahnsteig, breitet sich Richtung West aus.
Einige Leute gaffen stumm. Andere fotografieren, drehen sich um und entfernen sich, - traben mit der zerfetzten Masse, als würde sie das alles nichts angehen.

Aus den Waggons vom Ende des Zuges ergießen sich mehr und mehr schreiende Menschen. Springen umher. Wassertropfen, aus einer defekten Kanne gleich. Würden die nicht in Flammen stehen. Sie fallen übereinander, rappeln sich auf, laufen immer schneller, rennen, krauchen, je nach dem - getrieben von einzelnen Explosionen in den Waggons auf die Ausgänge des Bahnhofs zu. Dabei brennen sie Fackeln gleich. Sind chancenlos. Stürzen übereinander. Und bleiben liegen. Stinkende Kadaver. Als ein einziger Haufen von verbranntem Fleisch. Diese.

Ich bewege mich durch die panisch wogende Menge zum Kiosk. ’Alis Imbiss’ - in der Bahnsteigmitte. Betrete den Laden und nehme mir eine Flasche Red Label aus dem Regal. Vom Verkäufer keine Spur. „Ali!“ Rufe ich deshalb, - ich kenne den Mann seit Jahren. “Ali! - Zahlen!” Denn ich zahle über die Jahre hinweg pünktlich und mit genau diesem Ruf meine Zeche. Doch nichts. Keine Spur von Ali.

Nach dem ersten Schluck Label muss ich wie von Sinnen husten. Spucke Blut. Und schwarze Kruste auf den Boden. “Ali! - Zahlen!” Doch nichts.

Ich trete vor den Laden, klappe mein iPhone aus und sehe mir all die Bilder von eben an. Registriere die life an mir vorbeirennenden Menschen. Sehe die gleichzeitig auf meiner Speicherkarte - im Querformat. Warum, weiß ich nicht.

Ein junger Polizist, die Dienstmütze in der Hand spricht mich an.
„Stehen Sie hier schon lange?“
„Ich kam mit dem Zug.“
„Fahren Sie jeden Morgen damit?“
„Nicht regelmäßig.“
„Aber wenn - dann im ersten Wagon?“
„Ja.“
„Kennen Sie die Fahrer der Linie?“
„Nicht alle.“
„Und den von heute?“
„Ich weiß nicht.“
„Dann sehen Sie sich ihn bitte mal an.“
„Okay.“
„Und?“ Fragt er, als wir den Führerstand erreichen.
„Ali!“ Sage ich. „Der betreibt den Imbiss hier!“
„Und wie kommt er dazu den Zug zu fahren?“
„Was weiß ich.“
„Dann wissen Sie auch nicht, dass er Gotteskrieger ist?“ Deutet der Polizist auf eine Art Allah Medaillion aus Silber.
„Nein, woher. Ich habe mit ihm ab und an im Imbiss getrudelt. Mal Fußball im TV gesehen, sonst nichts.“
„Der Mann heißt richt übrigens Ramzi Binalshibh und flog eins der Flugzeuge am Neunten- Elften.“
„Und wie er kann dann hier sein und U-Bahn fahren?“
„Wenn wir das wüssten.“
„Ja, - nicht.“
„So, nun müssen Sie aber Ihren Platz räumen. Sie sehen ja, die Feuerwehr. - Ihre Personalien habe ich ja schon.“

Genau so erging es mir am 20. 03 1995 in Tokio
Genau so erging es mir am 09. 11. 2001 in NY.
Genau so erging es mir am 11. 03. 2004 in Madrid.
Genau so lief es in Russland. Indien. Australien. Kanada. All over the World.

Und auch genau so berichtet das Fernsehen, die Presse. Bin ich. Der die Bilder des Tages zwischen die von Tokio, NY, Madrid und nun Berlin Alexanderplatz sortiert - und auf den erlösenden Telefonanruf wartet.


Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram