Unterm Eichenlaub

Naturgedicht zum Thema Wandel

von  Galstersang

Schon als ich gering an Lenzen
und im Rausch der Jugend war,
streifte ich durch weite Felder,                   
tobte, tollte über Wiesen,                               
lief die Hügel rauf und runter,
stundenlang durch Eichenwälder,
welche mir in stiller Schlichtheit
selbst im Umbruch aller Zeiten
stets ein Quell der Festigkeit
und der Seele Frieden waren.

Die Wälder sucht' ich auf als Freunde
Als die Großeltern verschieden,
und als meine Eltern folgten,
trank die Erde meine Tränen.
Fand hier nach dem Sturm des Krieges
einzig treue Kameradschaft,
fern von falscher Herrlichkeit,
menschgemacht, nichts gut, nichts wert!
Was zählt denn schon das Wort von Kaisern? Vergänglich ist es, ohne Sinn.


Als das Siechtum kam nach Deutschland,
seinen Schoß mit Gräbern füllte,
als der Tod am Kinderbett stand,
mitnahm was mir war das liebste,

fand ich Kraft, fand mich verwurzelt,
hier, im alten Eichenreich,
wanderte täglich die Route,
durch die Heimat, zur Erbauung,
selbst als ich verlor die Söhne
fern auf rot gefärbten Boden.

         
Die Eichenhaine schienen ewig,
ein Widerstand im Strom der Zeiten,
loyal wie die besten Freunde,
während alles kommt zum gehen.
Freunde sterben, Frauen sterben,
endlich stirbt man selbst,
was bleibt ist nur Erinnerung,
bis der letzte, der gedenkt,
hinab steigt in den Schlund der Jahre,
vergraben, schließlich selbst vergessen.

Und so wander' ich noch heute,
hab mehr Ringe selbst als Eichen,
Glieder schmerzen, Knochen schmerzen,
runzlig - welk ist meine Haut.
Die Kraft der Jugend ist verschwunden,
die Mühsal kommt nun immer öfter,
wie ein ungebet'ner Gast, zur Unzeit,
los wird man sie immer schlechter.
Gleich, was man tut, gleich, was man macht:
Gebrechlichkeit verlangt Bewirtung.

Seltener werden die Bäume,
seit die Industrie begann,
trag' die Welt nicht mehr im Herzen,
diese, die nicht meine ist,
kalte Ratio kriecht durch's Land und
kälter auch der Wind hier weht,
kann die Stürme ahnen, schauen,
die am Horizont sich nähern.
Schlimmes wird hernieder kommen,
Nichts und niemand wird verschont sein.

Doch werd' ich dies  nicht erleben,
werde längst entschwunden sein,
wie die Eltern, wie die Alten,
Teil der Heimaterde sein.
Ich bedau're jeden Menschen,
jedes Kind, noch ungeboren,
das erleben wird das Unheil,
viele werden's nicht mehr werden.
Menschen werden Bande lösen,
Gier wie Feuer Fleisch verzehren.

Den Mut entbehrend, trüben Sinnes,
streife, überreich an Lenzen,
ich durch meine vertrauten Felder,
tobe nicht mehr über Wiesen,
schwanke schwer den Hügel rauf,
streife schwach durch meine Wälder,
welche mich in stiller Eintracht
hier, meinem letzten Tage,
als ich zwischen Eichen ruhe,
mich unter ihrem Laub begraben.















Anmerkung von Galstersang:

Aus der Sicht eines alten Mannes, dessen Leben sich größtenteils  im 19ten Jahrhundert abspielt und der den Beginn des Industriellen Zeitalters miterlebt. Während er lernt, dass alles vergänglich und im steten Wandel ist, nimmt er die ländliche Natur seiner Heimatregion als einzig feste Konstante in seinem Leben wahr, vor allem die Eichenwälder. 

Er selbst fühlt sich zunehmend wie ein Relikt der alten, ländlichen Zeit, während er gleichzeitig eine gewisse Ahnung hat, was kommende Generationen durch die Vertechnisierung erwarten wird: soziale Entfremdung, Klimawandel, Umweltzerstörung und die Bedrohung durch nukleare Vernichtung.
Mit der Rodung der Wälder verliert der Ich-Erzähler den letzten Halt im Leben. Und so geht er ein letztes Mal in den geliebten Hain um mit ihm zu sterben.

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Kommentare zu diesem Text


 Iktomi (07.08.22, 11:28)
Oje.
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