Putin hatte Recht

Als George W. Bush US-Präsident war, wünschte er in einem gemeinsamen Auftritt mit Putin Russland eine Demokratie, wie dem Irak. "Wir wollen keine Demokratie wie im Irak" scherzte Putin. Der Irak steig nach dem US-Angriffskrieg von 2003 vom Status der Semiperipherie nach Wallerstein zur chaosgeplagten Peripherie ab. Putin wusste: Demokratie ist im Zentrum des Weltsystems möglich. Will aber ein Land der Semiperipherie souverän sein (kein Vassall des Zentrums), muss es autokratisch regiert werden.

Die Erwartungen der Russen und der Sympathisanten Russlands an Putins Autokratie waren hoch. Doch irgendwann wunderte sich Kreml-Propagandist Solowjow: "Wo sind die Verhaftungen?" Gemeint waren die kriminellen Oligarchen, die Putin als Stalin light hätte verhaften müssen, um in Russland ein System zum Wohle des Volkes, und nicht der herrschenden Verbrecherbande, durchzusetzen. Bis zur Anhebung des Rentenalters 2018, welche ein Vertrauensbruch war, genoss Putin im Volk großes Vertrauen. Nur die kreative Klasse der Großstädte, angeführt von Nawalny, fühlte sich in seiner Autokratie nicht wohl.

Russland war die längste Zeit unter Putin eine vielversprechende semiperiphere Autokratie, die aber sukzessive gegen die Wand gefahren wurde. Die Trennung der Staatsorgane von der organisierten Kriminalität wurde nicht durchgeführt; Verwaltungen und Gerichte wurden, im Gegenteil, immer korrupter. Als mit der wirtschaftlichen Strukturkrise (die Möglichkeiten des Gashahns waren erschöpft, weitere Entwicklung war nur durch den Aufbau einer Zivilgesellschaft möglich, d. h. durch liberale Reformen), der politischen Wechselstimmung (Putin wurde seit 2018 immer unpopulärer, Nawaly immer stärker) und Covid große Herausforderungen kamen, entschloss sich das marode Regime schließlich zum Kollapskrieg, dem finalen Amoklauf.