Die Wiederkunft

Kurzgedicht zum Thema Religion

von  HerzDenker

Am 12. September 2047 war es soweit: Die Wiederkunft! Bei 42 Grad im Schatten arbeitete sich die erwartete Person an das Mikrofon der UNO, wo eine Weltweit-TV-Schaltung vorbereitet war. Die Ansprache an die Menschheit konnte beginnen.
Harry Oberhuber in Viersen, der als Christ die meiste Zeit den seit 2030 bestehenden rechtskonservativen TV-Sender FARI schaute, also ein Fari-Seher, war irritiert. Folgende Dinge ließen ihn vor allem den Kopf schütteln:
- Es wurde in keiner Weise Bezug darauf genommen, welche „Konfession“ oder "Religion" ein Mensch hatte. Dieser Begriff kam im Vokabular der Rede nicht vor.
- Es war fast nur von LIEBE die Rede, die nun die universale „Frauschaft“ im Menschsein übernehmen solle. (Das Wort Herrschaft galt von nun an als verpönt.)
- Was den Fari-Seher am meisten verblüffte: Es war eine Frau!
Nach Ende der Sendung legte er sich in die Badewanne und beschloss, nun auf den wahren Messias zu warten, denn diese Person erkannte er einfach nicht als die, die doch seit 2030 Jahren angekündigt war. In der Wanne hörte er von draußen Freudengesänge. Menschen zogen durch die Straßen und sangen Freudenlieder, speziell von Joachim Tersteegen. Für den Text hatten einige Kopien aus Gesangbüchern dabei…allerdings kaum einer ein ganzes Gesangbuch...



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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (08.08.22, 16:24)
Wahre Emanzipation ist ohne die Messiana nicht denkbar.

LG
Ekki

 Graeculus (08.08.22, 16:32)
Ob es 2047 noch TV geben wird?
Der Glaube, ein Messias könne irgendetwas bewirken, hat sich ja schon lange gehalten und könnte auch in der Zukunft noch existieren. Auf irgendetwas muß man ja hoffen ...
Andererseits: Worauf hoffen eigentlich die Menschen in denjenigen Kulturen, die den Messias-Mythos nicht kennen?

 HerzDenker meinte dazu am 08.08.22 um 17:56:
Also, ich sehe schon eine Wirkung bei dem, was Jesus vor 2000 Jahren tat...Kulturen ohne Heilsbringer legen die Hoffnung vielleicht auf eine Art und Weise, die an die 70er Jahre des 20.Jh. erinnert: Mehr Bildung, mehr mitmenschliches Verständnis und Liebe.

 Graeculus antwortete darauf am 08.08.22 um 18:10:
Unzweifelhaft hatte das, was Jesus vor 2000 Jahren getan hat, eine Wirkung. Aber diese bestand ebenso in der Gründung von Spitälern wie in der teils blutigen Vernichtung des Heidentums, der Ermordung der Hypatia von Alexandria, der Entstehung des Papsttums, der Inquisition, Religionskriegen, den Kreuzzügen und den katholischen Heimen, in denen Kinder mißhandelt wurden (Bspe.: Irland, Kanada).

Hat also das Wirken Jesu insgesamt das Gute in der Welt vermehrt, vermindert oder gleich gelassen? Was ist die Bilanz der Religion, die sich auf ihn beruft?
So brillant, daß man auch heute noch auf den/einen Messias hoffen sollte, fällt sie m.E. nicht aus.

 HerzDenker schrieb daraufhin am 08.08.22 um 20:22:
Ja, den Pessimismus kann ich verstehen. Dennoch bleibe ich optimistisch und folge Leuten wie Teilhard: Es gibt nicht nur eine Evolution a la Darwin sondern auch eine des Geistes.

Antwort geändert am 09.08.2022 um 04:47 Uhr

 Graeculus äußerte darauf am 08.08.22 um 22:12:
Habe soeben den Film "Der Stern von Indien" auf arte gesehen: über die Teilung Indiens 1947 und die damit verbundene Gewalt.
Die Stellung des Messias nimmt hierbei natürlich Gandhi ein. Du weißt, daß er gescheitert ist; aber es gab einen Moment in diesem Film, in dem Gandhi einen Vorschlag zur Wahrung der Einheit Indiens als eines Staates für Moslems und Hindus machte und ich dachte: genial!
Sein Vorschlag lautete: der Führer des Moslems, also der Minderheit, müsse Ministerpräsident werden.
Das wäre ein für die Liebe typischer Weg, nicht wahr?

Aber Nehru zog uns gleich den Stecker aus der Dose, indem er sagte: "Indien wird eine Demokratie werden, und weil es viermal soviel Hindus wie Moslems in Indien gibt, werden die ersten Wahlen dazu führen, daß ein Hindu Ministerpräsident wird."

Leider wurde keine Antwort Gandhis auf dieses Argument genannt.

Siehst Du, u.a. deshalb bin ich Pessimist und vermag - leider - keine Evolution des Geistes (im moralischen Sinne) zu erkennen.

Was hätte Teilhard de Chardin zur heutigen Welt oder zur Entwicklung der Welt seit seiner Zeit gesagt?

 HerzDenker ergänzte dazu am 09.08.22 um 04:50:
Schwierig zu beurteilen. Ich hege die Hoffnung, dass nicht Mehrheiten sondern eine Art Hefe, die den Brotteig zum "Gehen" veranlasst, genügt. Auch in der DDR gingen 1989 nur höchstens zwei Prozent mit Kerzen (!) auf die Straße...
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