Modernes Theater in sieben Szenen

Theaterstück

von  BerndtB

Modernes Theater – Zweite Szene – Eine Zeitungsredaktion

 

Eine Zeitungsredaktion

 

Chefredakteur, Journalist 1, Journalist 2, Journalist 3

 

Journalist 1 

„Ich will heute einen Bericht über Corona-Todesfälle in unserer Region schreiben. Habe gründlich recherchiert.  Das gibt einen Knaller!“

 

Chefredakteur 

„Nun mal langsam. Was soll dabei herauskommen?“

 

Journalist 1 

„Ich habe zweifelsfrei festgestellt, dass die durchschnittliche Sterblichkeit in unserer Region in der Corona-Zeit gesunken ist.“

 

Chefredakteur 

„Das ist doch nichts Besonderes. Natürlich ist die Sterblichkeit gesunken. Aber nur wegen unserer sofortigen Maßnahmen.“

 

Journalist 1 

„Ach so. Also werde ich die gesunkene Sterblichkeit mit den Maßnahmen unserer Regierung verknüpfen. Und dann ist es gut.“ 

 

Chefredakteur

„Genau. Sie begreifen schnell.“

Journalist 2 

„Entschuldigung, wenn ich mich da einmische. Aber ich habe festgestellt, dass die Sterblichkeit mit den Corona-Maßnahmen eigentlich nicht korrespondiert. Ich…“

 

Chefredakteur 

Unterbricht. „Hören Sie bitte sofort mit dem Querdenker-Geschwätz auf. Die ganze Rechnerei wird nicht benötigt. Wir haben eine Pandemie und leben in einer Demokratie. Ist das klar?“

 

Journalist 2 

„Ja, das ist klar. Aber was hat das mit den Zahlen der Statistiker und Wissenschaftler zu tun? Wir haben schließlich die gesetzlich garantierte Pressefreiheit. Und wir sollen doch als Zeitung wahrheitsgemäß berichten. Und die Wahrheit ist…“

 

Chefredakteur 

Unterbricht erneut mit einer ungeduldigen Handbewegung. „Was wissen Sie denn schon von der Wahrheit. Von Plato über Spinoza, Descartes bis zu Kant und Hegel wurde darüber diskutiert. Ich will hier nicht weiter ausführen, auch, wenn ich das könnte.“ Er lächelt selbstverliebt. „Von Habermas und Abendroth will ich an dieser Stelle nichts sagen. Eines können Sie mir glauben: Es gibt keine Wahrheit. Sie ist immer eine Definition, eine Vereinbarung.“

 

Journalist 2 

„Ach so. Ich bitte um Entschuldigung. Das wusste ich nicht. Und wie und von wem wird die Corona-Wahrheit definiert? Wenn ich fragen darf?“

 

Chefredakteur 

Herablassend. „Sie dürfen. Wissen Sie, die Wahrheit ist ein Kompromiss. Wir als Zeitung müssen Rücksicht nehmen auf die verschiedensten Interessen. Für uns ist am wichtigsten, dass wir überleben, Werbeeinnahmen bekommen und unsere Leserschaft erhalten. Das funktioniert am besten, wenn wir in Übereinstimmung mit dem Fernsehen und daher logischerweise auch mit der Regierung sind.“

 

Journalist 3 

„Entschuldigung, wenn auch ich da noch einmal nachfrage. Habe ich richtig verstanden? Das Fernsehen und die Regierung bestimmen die Wahrheit?“ 

 

Chefredakteur 

„Das ist sehr primitiv ausgedrückt. Eines Journalisten unwürdig. Sie sind ja noch in der Probezeit. Ob das mit Ihrem Berufswunsch etwas wird? Ich weiß nicht, ob ich das auch Leuten von bescheidenem Intellekt vermitteln kann. Der Kompromiss ist eine tägliche Herausforderung. Wir müssen wissen, was war, fühlen, was heute ist und voraussehen, was morgen sein wird. Das ist sehr schwierig. Ein täglicher Balanceakt.

 

Journalist 1 

„Bitte um Entschuldigung. Was mache ich denn dann mit meinem heutigen Beitrag? Ich habe ja alles recherchiert…“

 

Chefredakteur 

„Das hatten wir doch schon. Die staatlichen Maßnahmen sind gut und richtig. Dann passt der Beitrag.“

 

Journalist 1 

„Danke, das werde ich mir merken. Dann ist ja alles nicht so schwer. Was die Regierung sagt, ist richtig.“ 

 

Chefredakteur 

„Wie dumm sind Sie denn? Das Richtige, die Wahrheit, muss jeden Tag neu überprüft werden. Wenn das Fernsehen die Regierung kritisiert, weil z. B. Lobbygruppen etwas anderes wollen, dann können, müssen wir sogar die Regierung kritisieren. Dann ist Kritik wichtig. Für Ihren Bericht: Dann ist die niedrige Sterblichkeit NICHT auf die staatlichen Maßnahmen zurückzuführen. Verstehen Sie?“

 

Journalist 1 

„Ich versuche, zu verstehen.“

 

Journalist 2 

„Ach so, jetzt verstehe ich. Wahrheit ist, was wichtig ist. Jedenfalls für unsere Zeitung.“

 

Chefredakteur 

„Ich habe sehr einfache Mitarbeiter. Das ist wohl meine Strafe. Weiß nicht wofür. Aber Hauptsache, Ihr tut Eure Pflicht. Und im Zweifel fragt Ihr mich. Aber was geschieht, wenn ich nicht mehr da bin?“

 

Journalist 3 

„Dann gibt’s halt keine Wahrheit mehr. Oder?“

 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (20.08.22, 18:04)
Sorry, das ist kompletter Quark. Ich nehme an, du hast noch an einer Redaktionssitzung teilgenommen?

 BerndtB meinte dazu am 20.08.22 um 19:20:
Das ist fiktiv, lieber Dieter. Aber schön, dass du es gelesen hast.

 Quoth antwortete darauf am 20.08.22 um 23:29:
Da ist zu wenig los! Es passiert nichts! Ein Drama ohne Dramatik! Nur Gerede ...

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 21.08.22 um 09:19:
Fiktion entbindet den Autor nicht vor der Verpflichtung, etwas glaubwürdig zu gestalten.

Berndt, ich habe eher den Eindruck, dass du schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht hast und dir den Frust von der Seele schreiben wolltest?

 BerndtB äußerte darauf am 21.08.22 um 09:52:
@Quoth: Die Dramatik entfaltet sich beim Lesen der Zeitung.

Dieter, der Autor ist zu nichts verpflichtet. Das nennt man "Dichterische Freiheit".

Viele Journalisten sind tolle Menschen. Ich kenne einige davon. Natürlich gibt es auch andere. Aber darüber schweige ich lieber.

Vielleicht gefällt die ja die nächste Szene besser.

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 21.08.22 um 13:57:
Das sehe ich anders.
Was und wem nützt es, völlig hermetische, krude  und/oder unverständliche Sachen zu schreiben und sich auf die künstlerische Freiheit zu berufen?

 BerndtB meinte dazu am 21.08.22 um 14:29:
Es tut mir aufrichtig leid, dass du es offenbar nicht verstehen kannst.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 21.08.22 um 15:20:
Ja, da sind wir gänzlich verschiedener Meinung.

Ich bevorzuge ein Handwerk, das dem Leser zugewandt ist. Eine schnöselige Künstlerattitüde liegt mir fern.

 BerndtB meinte dazu am 21.08.22 um 15:31:
Danke. Ich bevorzuge eine weniger snobistische Kritik.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 21.08.22 um 15:38:
Dann bin ich bei dir richtig, weniger elitär kann man ja kaum sein...

 BerndtB meinte dazu am 21.08.22 um 15:42:
Ich denke, der Worte sind genug gewechselt. Wünsche dir einen schönen Tag.

 Hobbes meinte dazu am 21.08.22 um 16:12:
Sehr verehrter BerndtB,

Es gibt im Moment nur zwei nennenswerte moderne Dramatiker auf dem deutschen Markt. Ferdinand von Schirach und Jan Polte und ich muss sagen du schreibst nicht viel schlechter! Ich glaube sogar es ist dieses Forum hier, das dich bremst. Da soll es noch anspruchsvollere geben. Ich kenne so einige Dramen von den Privat - Schulen, aber dieses ist teilweise sogar artistisch - pointiert. Hut ab!                                                              Beste Grüße 

Peter

 BerndtB meinte dazu am 21.08.22 um 16:29:
Sehr geehrter Peter,

vielen Dank für diesen Kommentar. Mit Ferdinand von Schirach verglichen zu werden, ist eine große Ehre. Aber ich muss gestehen, dass ich Jan Polte nicht kenne. Hast du da eine Fundstelle?
Aber sei beruhigt: Ich lasse mich nicht so leicht bremsen, und in diesem Forum gibt es wirklich eine Menge interessanter Leute!

Beste Grüße

Berndt

Antwort geändert am 21.08.2022 um 16:34 Uhr

 Hobbes meinte dazu am 21.08.22 um 16:49:
Guten Tag BerndtB,

Die späte Rache des Jan Hus ' von Winfried Polte! Entschuldige. Ein sehr aktuelles Buch zur Krise in Gesellschaft und Politik. 

Sommerliche Grüße 

Peter

 BerndtB meinte dazu am 22.08.22 um 09:36:
Guten Morgen, Peter,

jetzt habe ich ihn gefunden. Muss ich mal lesen. Vielen Dank auch für die Empfehlung.

Grüße aus dem frühen Herbst

Berndt

 Hobbes meinte dazu am 22.08.22 um 11:58:
Guten Tag BerndtB,

ja, gerne, ich habe diese Qualität hier ehrlich gesagt nicht erwartet. Wurde schon lange nicht so positiv überrascht!

Herzliche Grüße

Peter
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