Die Ampel muss weg

Erzählung zum Thema Missverständnisse

von  Regina

„Die Ampel muss weg!“ Das schrieb Trulli an den Oberbürgermeister, nachdem er in seine billige, seniorengerechte Ein-Zimmer-Behausung eingezogen war. Er führte aus, dass die Ampel seine Lebensqualität erheblich minderte. Das Stadtoberhaupt antwortete, dass seine Zuständigkeit lediglich bei der Lokalpolitik liege und riet, sich an Abgeordnete des Bundestags zu wenden. So sandte Trulli eine E-mail an einen Oppositionspolitiker in Berlin. Dieser aber meinte, dass derzeit für eine solche Forderung keine Mehrheit zustande kommen würde. Seinem Arzt trug Trulli vor, dass er wegen der Ampel nicht mehr schlafen könne. „Rot-Gelb-Grün, Rot-Gelb-Grün“! So gehe es vierundzwanzig Stunden am Tag und er drehe langsam durch. Der Arzt verschrieb ihm also Schlaftabletten und fragte bei der nächsten Konsultation nach dem Befinden seines Patienten. In der Nacht ginge es ihm jetzt besser, aber tagsüber sei es so schrecklich wie zuvor, antwortete der Rentner. Wegen finanzieller Probleme könne er sich Restaurantbesuche nicht leisten. Er koche und esse zu Hause. Außerdem brauche er Krücken zum Gehen, so dass viele Spaziergänge auch nicht infrage kämen. Die meisten seiner Freunde und Verwandten seien schon gestorben, so dass er praktisch gar nicht mehr eingeladen werde. Aber zu Hause sehe er in einem Fort Rot-Gelb-Grün. Seine Sehnsucht nach anderen Farben habe inzwischen bereits Entzugscharakter. Da Trulli sich darüber hinaus beim Sozialdienst der Stadt über die Ampel beschwerte, wurde zunächst ein Psychologe hinzugezogen, der Trulli in eine Gruppentherapie einbezog, was dessen Zustand aber nicht besserte. Schließlich beauftragte die Behörde eine Sozialpädagogin, dem psychisch angeschlagenen Ruheständler einen Hausbesuch abzustatten. „Angststörung wegen der Bundespolitik“ stand auf ihrem Auftragsformular. Als die städtische Mitarbeiterin Trullis Zimmer betrat, erkannte sie mit einem Blick das Problem: Direkt vor seinem Fenster, das nicht mit Rolläden versehen war, hing eine Verkehrsampel und beleuchtete Tag und Nacht die Unterkunft, wo Trulli aß, seine Tageszeit verbrachte und schlief. Rot-Gelb-Grün. Rot-Gelb-Grün.



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Kommentare zu diesem Text


 AngelWings (02.09.22, 06:49)
Nein, die Regierung muss Weg!

 Regina meinte dazu am 02.09.22 um 06:59:
Ja, wer weiß schon, wie lange sonst Verdunklungsvorhänge noch erhältlich sein werden.

 Dieter_Rotmund (02.09.22, 08:16)
Naja, vorhersehbar, auf was es hinausläuft, aber geschmeidig geschrieben!

 Regina antwortete darauf am 02.09.22 um 08:43:
Immerhin. Grazie

Antwort geändert am 02.09.2022 um 08:43 Uhr

 uwesch (02.09.22, 08:32)
Köstlich und irgendwie auch etwas realistisch  
LG Uwe

 Regina schrieb daraufhin am 02.09.22 um 08:44:
Vielen Dank

 harzgebirgler (02.09.22, 09:34)
die erste ampel auf dem londoner parliament square
gab es - gaslicht betrieben - schon nach kurzer zeit nicht mehr:
ist plötzlich explodiert
herrje oh jemine
was längst nicht mehr passiert
denn gas war dann passé!
https://de.wikipedia.org/wiki/Ampel#Geschichte

 Regina äußerte darauf am 02.09.22 um 11:20:
Wenn es kein Gas mehr gibt und die Atomkraftwerke abschalten, wird auch die letzte Ampel in Berlin ausfallen.

 Hobbes (02.09.22, 11:52)
Guten Tag Regina,

meisterhaft erzählt. 

Gruß 

Peter

 Regina ergänzte dazu am 02.09.22 um 18:07:
Ich danke dir für dein Lob.
CharlyReichhardt (47)
(02.09.22, 12:41)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.09.22 um 16:16:
Singulären Künstlern fällt immer etwas ein.

LG
Ekki

 Regina meinte dazu am 02.09.22 um 18:08:
Danke, ja, ich bin eine Kreative.

 TassoTuwas (03.09.22, 09:25)
Herrjemine Regina,
es ist zum Haare raufen.

Auf die einfachste, natürlichste, wirksamste und dabei noch kostengünstige Lösung kommt wiedermal keiner.
Verordnet dem amen Kerl eine Kur in einem ampellosen Ort.
Dort findet Trulli eine Trulla und gut ist's!

Herzliche Grüße
TT

 Regina meinte dazu am 03.09.22 um 09:35:
Ob die eine Wohnung hat, die nicht ampelgeschädigt ist?
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