Sucht man in einem benachbarten EU-Land Bereiche, die noch total anders sind als in Deutschland, muss man auf den Friedhof gehen. Culture-Clash zu Fuß, sozusagen.
In meinem burgundischen Dorf habe ich es nicht weit, wenn ich dort auf den „cimetière communal“ interkulturelle Studien anstellen will. Kultur? Es ist ein freudlos-desolater Gottesacker, um das gleich vorweg zu sagen. Unmöglich, hier irgendwelche Gedanken an feine französische Lebensart zu entwickeln. Alle Energie, so scheint mir, war dem Leben zugeflossen. Für das, was danach kommt, wird hier rein praktisch gedacht: Pflegeleicht muss die Grabstätte sein. Und, so scheint mir, es soll kein Ort zum Verweilen sein, keine Brücke, um dem Verstorbenen nah zu bleiben.
Als Kölner, der oft und gerne den dortigen Melaten-Friedhof besucht, habe ich natürlich einen extrem positiven Kontrast vor Augen: Alte hochgewachsene Bäume, enorm viel Grün, teurer Blumenschmuck vor imposanten Grabmalen, viele Besucher, die oft das gepflegte und abwechslungsreiche Natur-Areal allein schon zum Spazierengehen nutzen.
Dass der Dorf-Friedhof da nicht mithalten kann, ist klar. Aber dass er derart unwirtlich ist, fast ein Ort der Todes-Verachtung.....
Hauptunterschied: Es gibt auf den französischen Friedhöfen so gut wie kein Grün. Was da naturnah heranwächst, ist ungewollt, nämlich Unkraut. Statt Grün gibt es eigentlich nur Grau. Grau sind schon die simplen Friedhofsmauern, grau die Grabsteine und -abdeckungen, hellgrau die Kieswege da drumherum, graubraun die eisernen Gestelle, mit denen viele Gräber umschlossen sind und schwarzgrau die verwitterten Beton-Kreuze, die mahnend in den Himmel ragen.
Ein bisschen Farbe gibt es freilich auch: Die kommt von den Plastikblumen und Porzellan-Tafeln, die vor bzw. auf den Gräbern platziert sind. Es sind Plastikblumen in allen Stadien des langsamen Zerfalls: Grell-kitschige, die noch frisch sind, und langsam verbleichende, die schon Jahre ihr Alibi-Dasein dort fristen.
Was auch auffällt: Viele Gräber sind sich selbst überlassen. Jahrzehnte, dass sich keiner mehr um sie kümmert. Toter können Tote nicht begraben liegen, selbst wenn der Verfall einen morbiden Charme hat.
Grabpflege wie in Deutschland, zudem von echten Gärtnern, die das ja oft im Abonnement verrichten, so etwas ist in Bonnard unbekannt.
Die Gräber sind dabei nicht unpersönlich. Oft stehen bunt gestaltete Tafeln davor, auf denen die Kinder ihrem Papy ihre „regrets“ ausdrücken, oder Nachbarn, Sportsfreunde oder Kameraden der Feuerwehr seine Erinnerung hochhalten. „Souvenir“ ist dann oft zu lesen, und daneben sieht man einen Motorradfahrer, einen Jäger oder Angler. Manche haben auf der Plakette ein Gedicht abgedruckt mit Blumen umrandet, andere stellen eine bronzene Maria dazu. Christliche Symbole werden – ähnlich wie in Deutschland – aber immer seltener. Statt eines Jesus am Kreuz sieht man eine Sonne oder die Schwalbe, die sich elegant emporschwingt.
Was wieder gänzlich unbekannt ist, das sind ewige Lichter, die man in Deutschland ja sogar beim Discounter schon als Vorratspackung kaufen kann.
Nein, der französische Friedhof ist wirklich tot. Ausnahme: An „Toussaint“, also Allerheiligen. Dann kommen sehr viele Angehörige an die Gräber und stellen ihre Chrysantheme dort ab – ja, diese Topfblume ist offenbar ein vorgeschriebenes „Kulturgut“, das traditionell für diese Gelegenheit in endlosen Mengen heran gezüchtet wird. Alle Märkte, Baumärkte , Hypermarchés stehen rechtzeitig voll davon, und dann bringen die Leute tatsächlich einmal echte Blumen in die kargen Reihen. Dann kommen auch die braunen, würfelförmigen „Gießkannen“ zum Einsatz, und das ist auch wieder sehr französisch: Es sind ausgediente „cubitainer“, die einmal voll des guten Weines waren.
Wenn es daraus aufs Grab gluckert, hat der Verstorbene je nach dem, mehr „souvenir“ als von der Blume selbst. Vielleicht kann er es dann in dieser steinernen Umgebung auch wieder etwas besser aushalten.
Was meine Wenigkeit angeht: Ich möchte - cubitainer hin, cubitainer her - lieber in Deutschland begraben werden. An einem besucherfreundlichen Ort mit lebenden Pflanzen drum herum. Gerne darf dazu etwas Französisches intoniert werden. „Le moribond“ von Jacques Brel wäre nicht schlecht, oder Edith Piaf: „Non, je ne regrette rien...“