2013. Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft

Text zum Thema Qual(en)

von  Terminator

De Sade ist im Vergleich zu Kant noch human; auch bei Kant geht es grundsätzlich um die Qual, aber im Gegensatz zu de Sade beraubt Kant die Qual jeder Humanität, indem der ihr den Anderen entzieht: du sollst dich selbst quälen. Das ist sein wahres moralisches Imperativ. Kant ist der Moralphilosoph der protestantischen Askese, der Autoannihilation des leeren cartesianischen Subjekts.


Die moralische Selbstvernichtung darf aber keine Kurzschlüsse zulassen: der Suizid ist nicht erlaubt. Wer sich vorzeitig erlöst, verschwendet wertvolle Qualen. Die Untersuchung der praktischen, handelnden Vernunft, des arbeitenden, nicht rechnenden Algorithmus des abstrakten Subjekts, zeigt das schreckliche Faktum der Vernunft auf: du kannst anders handeln als du willst. Und deshalb kannst du auch etwas anderes wollen als das, was du eigentlich willst.


Edel ist das Beispiel mit der Standhaftigkeit unter Folter: wer unter Qualen kein falsches Zeugnis redet, ist zu bewundern. Aber die Situation mit der Folter ist künstlich konstruiert, um, bereichert mit der Figur des Anderen, des Folternden, den Geprüften mit Anerkennung zu locken. Im realen Leben gibt es diese Anerkennung nicht. Du handelst heldenhaft und bist nur allein dabei Zeuge.


Das Beispiel mit der Unzucht und dem Galgen fand ich immer sympathisch aufgrund meiner Verachtung der nuttigen Promiskuität in der gegenwärtigen ultradekadenten Gesellschaft, aber an sich ist es nicht schlüssig. Wenn mich nur der Galgen vom Objekt meiner Begierde abhalten soll, und ich sonst keine moralischen Hemmungen habe, dann ficke und vergewaltige ich das Objekt meiner Lust, und gehe danach gern in den Tod. Und wenn die Lust dadurch noch gemehrt wird, dass die Frau, die meinen ästhetischen Ansprüchen genügt (!), mich aus eigener Lust verführt, dann nehme ich diesen hedonistischen Lebenshöhepunkt doch gern mit, und wünsche mir sogar unmittelbar danach den Tod: was soll denn dann noch kommen?


Und der Ochse, dem ein straffer Arsch und ein paar große Titten schon genug sind, wird genau so handeln, wenn die Lust nur groß genug ist, auf den Galgen zu pfeifen. Was soll das also mit einer Moralität, die selbst die Lust daran, sich als moralisch guter Mensch zu fühlen, verdammt, die Liebe und Wohlwollen ausschließt, und einer Handlung nur dann einen moralischen Wert zugesteht, wenn das moralische Subjekt seine menschliche Natur verleugnet und wie eine Maschine handelt?



Anmerkung von Terminator:

Buch des Jahres 2013

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (15.09.22, 10:21)
Hallo Jack,

es ist sehr verdienstvoll, dass du Kant mit klar beschriebenen Beispielen einer größeren Leserschaft nahebringst.

LG
Ekki

 Terminator meinte dazu am 16.09.22 um 05:02:
Um Kant qualifiziert kritisieren zu können, muss man vor die Nominalistische Wende zurück. Gegen neuzieitliche und moderne Kritik gewinnt Kant immer.

 Augustus (15.09.22, 11:43)
Es wäre zu fragen, inwieweit die menschliche Natur gegenüber der menschlichen  Moral (Abstrakt) und der maschinellen Moral (Abstrakt) differenziert. Maschinen erfüllen den KI aufs genaueste, weil sie eben keine menschliche Natur besitzen. Dass Kant Vorbereiter des  Transhumanimus ist, das ist scharf beobachtet. Will der Mensch den KI erfüllen, so begibt er sich zwangsläufig in den abstrakten Bereich der Maschinen. Maschinen sind moralisch besser als Menschen.  Will der Mensch eine moralisch bessere Welt, übersieht er, dass diese Forderung in den transhumanismus führt, der die menschliche Natur vernichtet. Das ist ein Problem oder?

 Terminator antwortete darauf am 16.09.22 um 05:07:
Der KI ist so konstruiert, dass seine automatische Erfüllung am besten funktioniert. Da es keine Glücksmaschine (Paradies-Matrix) gibt, hofft Kant, dass für die manuelle Erfüllung des KI der deistische Uhrmacher-Gott als Belohnung die Paradies-Matrix nach dem Tod bereithält: wer den moralischen Test bestanden hat, kommt automatisch in die gute Matrix. Der Gescheiterte kommt in die Höllen-Simulation.
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