Ich!

Gedanke zum Thema Egoismus

von  Graeculus

Man kann Egoist sein, ohne zu wissen, was dieses Ego (Ich) eigentlich ausmacht.

Ist es nicht eine groteske Situation, von dem, was einem das Wichtigste im Leben ist, nicht einmal zu wissen, was es ist?



Die ungeeigneten Kandidaten:
• Mein Leib, mein Gehirn, meine Seele: „mein“ ist Possessivpronomen und bezeichnet das, was mir gehört – wem gehört?
• Das, was mich ausmacht: „mich“ ist Reflexivpronomen und bezeichnet einen Rückbezug auf was?
Beide Pronomina können die Frage, was genau das Ich denn sei, nicht beantworten, da sie es schon voraussetzen.
• Ich im Gegensatz zum Du: das Du ist nur ein anderes Ich – was unterscheidet sie?


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Kommentare zu diesem Text

Taina (39)
(05.10.22, 16:29)
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 Graeculus meinte dazu am 05.10.22 um 17:12:
Aber "mein Körper", "mein Gehirn" sagt man doch ganz normal ... oder "meine Seele". Wem in aller Welt gehören die?

LotharAtzert würde sogar sagen, daß es - so die allte buddhistische Annahme - ein Ich gar nicht gibt. Obwohl wir und auch er doch ständig davon reden. Handelt es sich dabei vielleicht um eine Illusion? Hängen Ego-isten einer Selbstttäuschung an?

Antwort geändert am 05.10.2022 um 17:28 Uhr
Taina (39) antwortete darauf am 05.10.22 um 21:45:
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 Graeculus schrieb daraufhin am 05.10.22 um 21:58:
"Ich bin ich." Gut. Aber wer bin ich? Was meint, was bezeichnet man mit diesem Wort?
Wäre das eine ziemliche Selbstverständlichkeit, wie könnten das Buddhisten behaupten, es gebe dergleichen nicht bzw. nur als Illusion?
Und warum geben die Philosophen darauf so unendlich komplizierte Antworten?
Selbst René Descartes, der ja ziemlich viel darauf aufgebaut hat, mußte zugeben, daß er mit dem angeblich unbezweifelbaren "ich" nicht René Descartes meinte. Denn er könnte ja als Kind vertauscht worden sein; d.h. "ich bin Graeculus", "ich bin Taina" ist schon eine zweifelhafte Sache. Obwohl das ja nicht einmal viel sagen würde, daß ich Graeculus bin.

(Habe eben den Film "Charade" geschaut, in dem man bis zum Schluß nicht weiß, wer was ist.)

Wer genau ist also Taina? Und jetzt antworte bitte nicht - wie 99 % aller Menschen es tun - mit "ich".
Taina (39) äußerte darauf am 05.10.22 um 22:12:
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 Graeculus ergänzte dazu am 05.10.22 um 22:36:
Mir fällt gerade ein Ansatz ein: Ich bin ein Lebewesen der Spezies Mensch etc., zu dem ich eine spezielle und einzigartige Beziehung habe: ich erlebe meine Gedanken und Empfindungen in einer Weise, wie sie anderen nicht, sondern nur vermittels Zeichen (Worte, Gestik, Mimik) zugänglich ist.
Ich erlebe meinen Schmerz in anderer Weise, als andere Menschen meinen Schmerz erleben. Ich fühle ihn.

Jetzt habe ich allerdings etwas getan, was man in Definitionen nicht tun darf: Ich (Teufel, schon wieder dieses Wort!) habe das zu Definierende ("ich") in der Definition verwendet.

Bringt uns das dennoch weiter?

Anderer Versuch: Es gibt eine spezielle Art von Beziehung, die ein Lebewesen nur zu sich selbst hat. Diese Beziehung nennt man "ich".
Nun habe ich immerhin das ominöse Wort in der Definition nicht verwendet ... falls es nicht auch im "sich" steckt.

Was hältst Du davon?

(Ich ringe wirklich mit dem Problem.)

 Graeculus meinte dazu am 05.10.22 um 22:37:
Die buddhistische Psychologie hält übrigens von all dem nichts; für sie ist das Ich eine Illusion. (Siehe unten, in dem Allan-Watts-Zitat)
Taina (39) meinte dazu am 05.10.22 um 22:51:
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 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 15:52:
Zu der Beziehung und damit auch zu den anderen Lebewesen:

Damit meine ich, daß Steine einfach sind, was sie sind, während Lebewesen in dem Sinne eine Beziehung zu sich haben, daß sie empfinden - oder im Falle des Menschen sogar reflektieren -, was sie sind. Sie fühlen sich als etwas (hungrig, leidend, genießend usw.), und als Menschen wissen sie sogar, daß sie so sind, denn sie können darüber nachdenken, sprechen etc.
Daß sie - zumindest die 'höheren' Lebewesen - dies in einer Beziehung auf andere tun, kommt dann noch dazu.

Jedenfalls ist das der Sinn meiner versuchsweisen Deutung des Ich: nicht einfach etwas sein wie der Holzklotz, sondern sich als etwas fühlen. Sich zu sich verhalten, zu sich in einer Beziehung zu stehen. (Eine Katze ist nicht einfach im Wasser wie ein Bachkiesel, sondern sie mag es nicht, im Wasser zu sein - sie verhält sich dazu, und zwar negativ.)

Vgl. den berühmten Aufsatz von Thomas Nagel: "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?"

In einem gewissen Sinne sind dann alle Lebewesen Iche; Steine sind es nicht.

Aber ich meine, daß auch Steine ein Wesen haben - obwohl sie keine Lebewesen sind.

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 15:52:
(Ich weiß nicht, was Buddhisten dazu sagen.)
Taina (39) meinte dazu am 06.10.22 um 16:10:
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 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:36:
Ich meine damit bestimmte Eigenschaften, durch die man Steine identifizieren und z.B. von Eisen unterscheiden kann.

Aber weder Steine noch Eisen fühlen sich irgendwie (nehme ich jedenfalls stark an); und das unterscheidet sie von Lebewesen. Deshalb kann ich mir vorstellen, daß ein Fisch ein Ich ist (sich zu seinem Zustand positiv oder negativ verhält), ein Stein hingegen nicht.

Eine andere Frage ist, ob ein Computerprogramm, das sich selbst evaluiert und optimiert, ein Ich ist. Kann man sagen, daß es mit sich selbst 'unzufrieden' ist?
Taina (39) meinte dazu am 06.10.22 um 16:41:
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 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:48:
Es erscheint mir jedenfalls nicht sinnvoll, das Ich auf eine bestimmte biologische Spezies, Gattung o.ä. festzulegen.
Außer den Computerprogrammen müssen wir auch die Möglichkeit von Aliens in Betracht ziehen, die vielleicht eines Tages zu uns sagen: "Hallo! Ich bin Xptilmysop. Wer bist du?"

(Praktisch hat das noch keine absehbare Bedeutung, ein Computerprogramm, das den Turing-Test besteht, schon eher.)
Taina (39) meinte dazu am 06.10.22 um 16:59:
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 diestelzie meinte dazu am 06.10.22 um 17:51:
An Graeculus:
Ich fange mal ganz klein an- bei den Babys:
Diese wissen nichts von Schmerzen, sie weinen nicht, weil Bauch, Hand oder Arm wehtun. Sie wissen nur, dass sie sich im Moment nicht wohlfühlen. Dazu gehört auch das Gefühl der Einsamkeit. Es gibt den Unterschied körperlich/seelisch nicht. So gänge es dir mit den Zahnschmerzen, wenn du die Reflektion im Leben noch nie gehabt hättest. Dann wärst du irgendwo auf der niedrigsten Stufe des Ichseins. 
Das "Ich erkennen" ist somit eine Entwicklung die nur funktioniert, wenn ich nicht völlig alleine auf der Welt bin. Das schließt auch jede Art von Natur mit ein. Ich kann erkennen, dass ich kein Baum bin, aber auch dass ich mich in seinem Schatten gut fühle. Es gibt da sicher endlos viele Beispiele wie die Umgebung auf mein Ich (m-ich) Einfluss nimmt. 
Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob du verstehst, was ich meine 🤔. Anders kann ich es aber nicht erklären.

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 22:32:
An Taina:

Wenn wir ein Alien als Lebewesen identifizieren wollen, dann müßte es wohl Eigenschaften haben, die wir mit Lebewesen verbinden, also auch so etwas wie ein Ich.
Das Identifizieren läuft ja über bestimmte Kriterien.

Wäre es hingegen ein rot-weiß gepunkteter Flummi, der unmotiviert herumhüpft, dann wüßten wir das nicht in einer unserer Kategorien einzuordnen.

Soll heißen: Alles ist möglich, aber wenn wir es verstehen wollen, müßte es unseren Kategorien entsprechen.

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 22:43:
An Stelzie:

Da ich selber nicht weiß, was dieses Ich ausmacht, und nur eine Vermutung habe, bin ich unsicher, wenn ich auf Deinen Gedanken eingehe.

Babies haben wohl kein Ich-Bewußtsein in dem Sinne, daß sie sich bewußt sind, was sie im Unterschied zu anderen sind. Also nicht: Ich bin ein Kind, und das ist meine Mutti.
Aber wie Du sagst: sie empfinden etwas. Das scheint mir, um Deinen Ausdruck zu gebrauchen, eine niedrige Stufe des Ich-Seins zu sein - vielleicht vergleichbar mit manchen Tieren, die ebenfalls etwas empfinden, ohne daß sie ein klares Bewußtsein darüber hätten.
Je präziser dieses Bewußtsein wird (in der Evolution oder in der individuellen Lebensentwicklung), desto größer ist die Rolle, die die anderen dabei spielen. Und ja, das schließt auch jede Art von Natur ein.

Ist das Ich also etwas Graduelles, d.h. etwas, von dem Regenwürmer wenig und erwachsene Menschen viel haben?
Ein Regenwurm schiebt sich durch die Erde, während wir wissen, daß es Erde gibt, daß ein Regenwurm sich durch sie schiebt und daß ich kein Regenwurm bin.
Nur Steine etc. haben gar nichts von dieser Art.

Jetzt hoffe ich, nicht an Dir vorbeigeredet zu haben.

 FrankReich (05.10.22, 17:43)
Egoismus ist eine Sucht, den Egoisten interessiert also nicht, was sie ausmacht, sondern wie er sie befriedigt. 
Diese Selbstsucht verhindert somit auch, dass jemand nach sich selbst sucht, schon gar nicht bei anderen.
Eigentlich wäre in solch einem Fall ein Entzug angebracht, dafür müsste allerdings eine Basis vorhanden sein. Wer Anthony Burgess "Clockwork Orange" gelesen oder gesehen und diesbezüglich verstanden hat, kann sich in dieses Dilemma vielleicht etwas besser hineinversetzen.

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 05.10.22 um 21:25:
Den Egoisten interessiert es nicht, was dieses Ego ist - wie wahr.
Andererseits ... es steht ja  nun nicht so, daß ich [!] es wüßte. Wir alle - und vielleicht sind wir doch alle mehr oder weniger Egoisten - wissen es nicht. So ist jedenfalls mein Eindruck.
Ein Eigenname kann "ich" nicht sein, denn dann trügen wir ja alle denselben. Handelt es sich überhaupt um einen desginierenden Terminus, also ein Wort, das einen Gegenstand bezeichnet? Welcher sollte das sein?
Ich [!] weiß es nicht.
Taina (39) meinte dazu am 06.10.22 um 10:27:
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 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 15:56:
Im umgangssprachlichen Sinne ist nicht jedes Ich ein Egoist.
Aber wenn man Egoismus definiert als "Mir geht es um mein Glück", dann ist jeder Mensch ein Egoist, und zwar einer von drei Typen:
1. Ich bin glücklich, wenn andere Menschen glücklich sind. (der sympathische Typ)
2. Ich bin glücklich; wie es anderen geht, ist mir gleichgültig. (was man normalerweise als Egoisten bezeichnet)
3. Ich bin glücklich, wenn andere Menschen unglücklich sind.
(der Sadist)

Aber allen Dreien und allen Menschen geht es um ihr Glück und insofern um ihr Ego.

 FrankReich meinte dazu am 06.10.22 um 17:56:
Allerdings ist diese Definition keine gültige, der Egoist ist nur auf seinen Vorteil bedacht, ob ihm das letztlich Glück bringt oder zum Wohl gereicht, wage ich zu bezweifeln und hier wären wir beim Wirtschaftsmodell von Adam Smith angelangt, der das Wohl aller durch ums-ich-tiges (nicht rücks-ich-tsloses) Denken und Handeln jedes Einzelnen im Sinn hatte.
Wenn jeder - an sich - denkt, ist an alle gedacht, wenn jeder nur ans (eigene) Ich denkt, eben nicht.

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 22:50:
Es stimmt, daß "mir geht es um mein Glück" nicht bedeutet, daß ich tatsächlich durch das, was ich zu diesem Zweck tue, auch tatsächlich glücklich werde. Wer weiß das schon?
Spricht das gegen meine hypothetische Typisierung?

Du führst - mit Recht - noch eine weitere Unterscheidung ein: die zwischen dem klugen Egoisten (der um die Abhängigkeit seines Glückes von anderen weiß) und einem dummen Egoisten (der das ignoriert).

Doch man kann sich gut einen klugen Egoisten vorstellen, der das Glück der anderen nur deshalb "in Kauf nimmt", weil er weiß daß sein eigenes Glück davon abhängt, während es ihn ansonsten nicht interessiert. Das ist doch ein Unterschied zu einem Menschen, den es in einem tieferen Sinne glücklich macht (= Egoismus, Typ 1), wenn er andere glücklich machen kann.

Ich gebe zu, daß meine Einteilung gegen die Umgangssprache verstößt; aber ich bin halt der Ansicht, daß es einen im strengen Sinne selbst-losen Menschen nicht gibt.

 FrankReich meinte dazu am 07.10.22 um 09:12:
Vielleicht relativiert folgende Aussage Deine Annahme:

Alle Menschen sind Individuen, doch nicht jeder ist Individualist.

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 14:30:
Alle Menschen haben ein Ego (was immer das sein mag), aber ...

Kann sein. "-imus" meint ja, sich etwas zum Prinzip zu machen. Das gilt dann sogar für den Altruismus.

 FrankReich meinte dazu am 07.10.22 um 16:14:
Stimmt, die Erklärung tut es auch: Jeder verhält sich ab und an egoistisch, ist es aber nicht prinzipiell.

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 17:26:
Und doch sind wir, auch wenn wir altruistisch handeln, an unserem Glück interessiert: es macht uns Freude.
Ich wüßte sonst auch kein Motiv für irgendein Handeln: Erreichung von Freude, Vermeidung von Schmerz.

 FrankReich meinte dazu am 08.10.22 um 10:17:
Okay, Glück ist aber nicht alles, was ein Ego ausmacht, wie wäre es mit dem Begriff "Identitätsbewusstsein"?

 Graeculus meinte dazu am 08.10.22 um 15:36:
Stimmt, Glück ist nicht alles, was ein Ego ausmacht - es ist lediglich sein leitendes Motiv.

Identitätsbewußtsein klingt gut. Allerdings ist dieses durch die Erinnerung in einer komplizierten Weise strukturiert. Sagen wir: Der zweijährige R-R hat X erlebt, woran sich der zehnjährige R-R noch erinnert; zugleich hat der zehnjährige R-R Y erlebt. Der fünfzigjährige R-R erinnert sich noch an Y, jedoch nicht mehr an X. X ist mithin Teil seiner Identität, obwohl er sich dessen nicht mehr bewußt ist.

Unsere Identität umfaßt also, so scheint mir, mehr als das, dessen wir uns bewußt sind. Der unbewußte Teil reicht sicher noch über Vergessenes hinaus.

 FrankReich meinte dazu am 09.10.22 um 01:54:
Natürlich ändert sich das Ich im Lauf der Zeit, das spielt aber überhaupt keine Rolex, sondern nur, ab und bis wann jemand in der Lage ist, sich mit sich identifizieren zu können.

 Graeculus meinte dazu am 09.10.22 um 17:18:
Wenn Du zustimmst, daß sich das erweitern (Einsicht in Verdrängtes), aber auch (Alzheimer!) verengen kann, sind wir uns einig.

 FrankReich meinte dazu am 09.10.22 um 18:30:
In diesem Zusammenhang finde ich das Phänomen des Identitätsverlustes als erwähnenswert, denn der Betroffene verfügt auch dann immer noch über ein Selbst, selbst wenn es weder momentan noch in der Zukunft für ihn fassbar sein sollte. 🤔

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 09.10.22 um 22:09:
Meinst Du die Dissoziative Persönlichkeitsstörung (früher: Multiple Persönlichkeit)? Oder ein verwandtes Phänomen?

 FrankReich meinte dazu am 10.10.22 um 07:06:
Nein, eher ein Trauma, dass die Persönlichkeit des Betreffenden völlig auslöscht, das ist zwar selten, kommt mitunter aber vor. Wenn mich nicht alles täuscht gibt es darüber sogar einen Film mit Harrison Ford in der Hauptrolle. 🤔

Ciao, Frank

 FrankReich meinte dazu am 10.10.22 um 07:11:
P. S.: "In Sachen Henry".

 Graeculus meinte dazu am 10.10.22 um 17:22:
Verstehe, auch wenn ich den Film nicht kenne. Depersonalisation nennt man das m.W. in der Psychiatrie.

Ich hatte mal die Gelegenheit, die geschlossene Abteilung einer großen psychiatrischen Klinik zu besuchen. Da standen im Garten bewegungslose Gestalten. Auf meine Frage hin sagte man mir, die würden morgens dorthin gestellt und abends wieder abgeholt. In der Zwischenzeit zeigten sie keinerlei Regung. Tag für Tag.

Danke für den Hinweis auf den Film.

 FrankReich meinte dazu am 10.10.22 um 18:11:
Gerne, obwohl er eher als abschreckendes Beispiel denn als Empfehlung dienen dürfte. 🙂

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 10.10.22 um 22:13:
Das habe ich als ein sehr angenehmes Gespräch empfunden.

 FrankReich meinte dazu am 10.10.22 um 22:32:
Ah, okay, dito. 🙂

Antwort geändert am 10.10.2022 um 22:34 Uhr

 Augustus (05.10.22, 18:32)
Geht das Du aus deinem Ich hervor, so bezeichnet es ein fremdes Ich. Geht das DU aus einem fremden Ich hervor, dann bezeichnet es dein Ich.



In Raumzeit können zwei Iche nicht denselben Raum (Körper) bewohnen. Jedes Ich braucht also seinen Raum, selbst wenn es den anderen Körper tötet, kann es nicht hinen. Der Raum dehnt sich durch die Zeit aus, während das Ich stets reiner Beobachter bleibt. Selbst wenn das Gefühl (Instinkt) oder der Gedanke oder der Wille sich für eine Handlung entscheidet, ist und bleibt das Ich Beobachter. Es beobachtet, wie all die Dinge auf die Sinne einwirken, es beobachtet Dinge, die es auch nicht versteht. Denn ich möchte meinen, all unser Handeln rührt aus Gründen, die unabhängig unseres Ichs sind. Das Ich ist also ein Zuschauer, der Leib, der angebliche Wille, die Seele, das Gehirn, die Gefühle, sind die Inhalte im Raum, die auf der Bühne bewegt werden, während das Ich enstpannt, zurücklehnend im Sessel die Dinge, die da geschehen, beobachtet.

Jeder hat seine Eintrittskarte in den Film Leben eingelöst.

Kommentar geändert am 05.10.2022 um 18:35 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 05.10.22 um 21:32:
Befindet sich das Ich im Leib wie der Vogel im Käfig? Ja, wo denn da? Allan Watts spottete einmal: irgendwo hinter den Augen zwischen den Ohren; er glaubte nicht daran, daß das zutrifft.
Das Ich ist ein Zuschauer? Hat es also Augen? Wer hat die Augen?
Und wenn das Handeln sich unabhängig vom Ich vollzieht (die Libet-Experimente scheinen das zu bestätigen), welche Funktion hat es dann überhaupt?


Ich glaube, die faszinierendste Frage, die es überhaupt gibt, ist: Wer bin ich? Oder: Was bin ich? Derjenige, der sieht, derjenige, der weiß und der man selber ist, das ist die unzugänglichste aller Erfahrungen, geheimnisvoll und verborgen.

(Allan Watts: Ego)


Was ist nun unser Ego also? Eine Illusion, die mit einer Fruchtlosigkeit verheiratet ist. Es ist das Bild von uns selbst, welches unkorrekt, unwahr und eine bloße Karikatur ist, verheiratet, kombiniert mit einer fruchtlosen Muskelanstrengung, die unser Durchsetzungsvermögen gewährleisten soll.

(Allan Watts, das.)

 Augustus meinte dazu am 06.10.22 um 10:02:
Das Ich ist das „Mehr“ als die Summe der Materie, die den Menschen bildet. Das Ich ist die Wechselwirkung der Materie, die durch eine genau abgestimmte  biologische und chemische Zusammensetzung entsteht. 
Dieses Ich ist identisch mit dem fremden Ich in der Entstehung der Iche, aber nicht in deren Wechselwirkung. Jedes Ich wechselwirkt anders mit der Umwelt. Die Wechselwirkung begründet die Verschiedenheit der Iche. 
Da das Ich am Anfang jeder Erzählung steht, um dem fremden Ich die des eigenen Ichs Verschiedenheit aufzuzeigen, wird mit dem „Ich“ der Anfang einer Erzählung begründet. Das Ich ist somit eine Singularität ohne Verschiedenheit.   

Test: zwei Menschen treffen einander und sagen sich gegenseitig ständig nur „ich“. Sie werden am Ende des Gesprächs verwirrt sein. 

Damit das Ich zur Entfaltung gelangt, benötigt es ein Narrativ. Erst dadurch gelangt die Verschiedenheit des eigenen Ichs im Kontrast zu dem fremden Ich deutlich hervor. 

Antwort geändert am 06.10.2022 um 10:03 Uhr

Antwort geändert am 06.10.2022 um 10:05 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:03:
Nehmen wir das Ich einmal so:

Das Ich ist die Wechselwirkung der Materie, die durch eine genau abgestimmte  biologische und chemische Zusammensetzung entsteht.

Dann gilt das für jedes Lebewesen. Aber nur eines, nur ein einziges dieser Lebewesen bin ich. Was macht da für mich den Unterschied zu allen anderen Lebewesen aus?

Ich weiß keine bessere Antwort als: Nur zu einem einzigen Lebewesen habe ich einen speziellen Zugang, der bedeutet, daß ich (beispielsweise) meinen Schmerz ganz anders erlebe als den Schmerz aller anderen Lebewesen. Ich fühle ihn unmittelbar, während ich von dem der anderen nur durch ihre Mitteilung weiß.
Diese ganz besondere Beziehung zu sich selbst, die man zu keinem anderen hat, muß - so meine ich - etwas mit unserem Verständnis von Ich zu tun haben.

Verstehst Du, was ich meine?

 Augustus meinte dazu am 06.10.22 um 16:48:
Hier würde ich Kant einführen. Den Schmerz der anderen beruht in erster Linie a posteriori Erfahrungen, aus unseren eigenen Erfahrungen; denn sonst könnte uns ein berührender Film nicht berühren. 

Es sei anzumerken, dass es für die Kreation eines einzelnen Ichs es zwei Iche benötigt. Eine gewisse mathematische Kausalität könnte man hinter dem Programm „Geburt“ vermuten; aus 2 werde 1. Das Ich bedarf zwingend zweier verschiedener Elemente. Während es im Tierreich Möglichkeiten gibt, dass ein-und dasselbe Tier zeugen und gebären kann, ist dies beim Menschen und anderer säugetiergattungen nicht der Fall. 

Genauer könnte man nun sagen, im männlichen Spermium sind alle Informationen vorhanden, die das Ich darstellen. In der eizelle der Frau, werden die Informationen aus dem Spermium entpackt, so wie die DNA. 

Beim Entpacken aller Informationen müssen die Informationen aber auch auf einem grundlegenden Programm laufen können „Natur“ oder „Universum“. 

Die einzelne Datei „Graeculus“ wird entpackt und kann nun auf dem grundlegenden Programm der Erde sich entwickeln. Alle dafür benötigten Informationen sind vorhanden. 

Das Ich ist ein wesentlicher Bestandteil der Summe der Informationen. Möglicherweise macht es sich die Natur mit dem Ich so einfach und betreibt „copy und paste“, und setzt es in ein Gehirn ein, während das Ich nun in dem Gehirn „gefangen“ und zwingend mit ihm verbunden ist. 

Es wäre zu fragen: wie würdest Du mit wenig Aufwand das Problem der Körper und Iche lösen, um einem jeden seine Einzigartigkeit glaubhaft zu machen?

Antwort geändert am 06.10.2022 um 16:50 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 23:04:
Sowohl die eigenen Schmerzen als auch die der anderen erfahren wir a posteriori, das ist klar. Ich meine nur, daß wir die eigenen Schmerzen auf eine andere Art erfahren, nämlich unmittelbar, d.h. ohne die Verwendung von Zeichen (Sprache, inkl. Körpersprache).
Das Besondere dabei ist, daß man sich bei eigenen Schmerzen nicht darüber irren kann, bei anderen schon.

- Du gehst zu einem Arzt und sagst: "Herr Doktor, ich habe Schmerzen." Der Arzt untersucht Dich und sagt: "Sie irren sich, Sie haben gar keine Schmerzen." Das ist absurd!
- Du begegnest einem Bettler, der Anzeichen von Schmerzen zeigt. Du nimmst an, daß er Schmerzen hat; aber das kann ein Irrtum sein, wenn es sich nämlich um jemanden handelt, der Schmerzen simuliert, um Dein Mitleid zu erwecken.

Wenn die Natur - etwa mittels eines genetischen Programms - uns ein Ich ins Gehirn setzt, und zwar so, daß das Ich von dem Zustand des Gehirns abhängig ist (und bei einer chemischen Veränderung des Gehirns - Bsp. Alkoholkonsum - mitbetroffen ist), welchen evolutionären Vorteil sollte das haben? Was leistet dieses Ich für uns, was wir nicht ohne Ich genau so gut oder gar besser könnten? Denke an die vielen Leistungen, die wir unbewußt vollbringen! Wenn ich beim Laufen daran denke, wie ich die Beine setzen muß, weirkt sich das sehr ungünstig aus.

Was leistet das Ich für unser Leben?

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 17:24:
P.S.: Korrektur - Alan Watts.

 Augustus meinte dazu am 07.10.22 um 19:46:
Ein guter Ansatz wäre um Unterschiede zu finden wäre einen Komapatienten mit einem gesunden Menschen zu vergleichen. Weiß man welche Gehirnareale bei einem Komapatient aufleuchten bzw. intakt sind? Gibt es gravierende Unterschiede zwischen den beiden Gehirnen? Wieso erwacht der Komapatient nicht sofort wieder auf, wie ein Boxer nach einem Ko-Schlag? Heißt das, dass sich das System Gehirn dauerhaft zum eigenen Schutz abschalten kann und somit das Ich abschalten kann? Wie schaltet es das Ich wieder an?

Das Ich ist engverbunden mit dem Willen. Denn willenlose Menschen gibt es nicht. Ihr Wille hängt dann eng mit dem Überlebenstrieb zusammen. Z.B. Sklaven, die jedoch zuvor gegen ihren Willen zu Sklaven gemacht wurden.

Das Ich ist somit möglicherweise jene Quelle, aus dem der Wille entspringt. Könnte Shopenhauer hier helfen?

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 22:14:
Man kann mittels EEG schon feststellen, ob sich jemand im Koma befindet. Das Bewußtsein ist anscheinend eine Funktion des Gehirns. Ist das Bewußtsein das, was wir unter "ich" verstehen wollen?

Bei Schopenhauer gibt es eine Doppelung: ein Subjekt des Wollens und eines des Erkennens. Wie die zusammenhängen, gilt ihm meiner Erinnerung nach als Rätsel.

Und dann gibt es noch einen anderen Gedanken Schopenhauers:

Daß der Kopf im Raume sei hält ihn nicht ab, einzusehn, daß der Raum doch nur im Kopfe ist.

[Parerga und Paralipomena]

Auf das Gehirn bezogen: Das Bewußtsein ist eine Funktion des Gehirns, aber das Gehirn ist ein Objekt des Bewußtseins. D.h. wir kennen - etwa in der Neurologie - das Gehirn nur als Objekt unserer Erkenntnis.
Also hängen beide wechselseitig voneinander ab, je nachdem, ob man den Standpunkt der Empirie oder des transzendentalen Idealismus einnimmt - die beide ihre Berechtigung haben.

 Augustus meinte dazu am 08.10.22 um 00:02:
Eine Funktion des Gehirns, welches erlaubt, das sich das Gehirn selbst wahrnimmt, stellt das Ich dar, als die eigene Wahrnehmung des Gehirns. 

Das Ich ist das Gehirn, das sich im Spiegel der objektiven Wahrnehmung selbst betrachtet. 

Das Ich ist das Spiegelbild des Gehirns. Die Wahrnehmung seine Funktion, den Spiegel zu erschaffen. Dann guckt es sich im Spiegel an und sagt: das bin ich. 

Tiere verfügen über eine solche Funktion nicht. 

Diese Funktion hebt den Mensch über das Tier. 

Vllt ist es genaugenommen die Funktion an sich, die es nur seinem Anwender erlaubt, und nur den Anwender zu erkennen. 

Ohne diese Funktion würden alle Menschen zu Tieren verkommen. Es gebe kein Ich mehr. 

Weil aber jedes Gehirn sich im eigenen Spiegel betrachtet, erzeugt die Betrachtung über das Gehirn die Einzigartigkeit des Gehirns.

 Graeculus meinte dazu am 08.10.22 um 15:31:
Das Ich ist das Gehirn, das sich im Spiegel der objektiven Wahrnehmung selbst betrachtet.
Änderungsvorschlag: "Das Gehirn ist das Ich, das sich ..." Wahrnehmendes Subjekt ist nicht das Gehirn; das Gehirn fällt vielmehr auf die Seite der Wahrnehmungsobjekte.
Es gilt sogar für den gesamten Leib, denn das Ich ist mehr als Gehirn.

Weil aber jedes Gehirn sich im eigenen Spiegel betrachtet, erzeugt die Betrachtung über das Gehirn die Einzigartigkeit des Gehirns.
Hier zögere ich. Erstens wegen meines Einwandes oben, zweitens entsteht die Einzigartigkeit meines Gehirns bzw. Leibes durch den speziellen Zugang: die unmittelbare Empfindung.
Hier könnte man freilich einwenden, daß wir gerade das Gehirn nicht empfinden; es ist m.W. schmerzunempfindlich.

Wie siehst Du das?

 Augustus meinte dazu am 08.10.22 um 18:19:
Ich empfinde, also bin Ich. So lautet deine Maxime. 

Tiere empfinden jedoch auch, Schmerz. Haben Tiere also ein Ich? 

Ich habe es bisher nicht beobachtet, dass Tiere ein Ich haben sollen. Wenn doch, wie drückt es sich aus? 

Was deine Korrekturen zu meinem satz davor betrifft, bin ich d‘accor. 

Das Ich geht wohl über die Empfindung hinaus. Wir können nicht leugnen, dass jeder sein eigenes Ich hat. 
Ich glaube das Ich ist 1:1 identisch wie jedes andere Ich im Menschen. 

Möglicjerweise funktioniert das Ich wie eine Filmkamera zur lichtbefluteten Leinwand verhält. Während der Kinosaal einen Zuschauer hat, ist der Zuschauer das Ich, während beim Tier kein Zuschschauer sitzt.

 Graeculus meinte dazu am 08.10.22 um 22:00:
Ich habe es bisher nicht beobachtet, dass Tiere ein Ich haben sollen. Wenn doch, wie drückt es sich aus?

In Wünschen bzw. Intentionen ... und manchmal in erstaunlich klugen Überlegungen.

Beispiel: Ein Hund muß feststellen, daß Herrchen auf dem Sessel sitzt, auf dem Hund gerne säße. Hund läuft zur Tür, als ob er Gassi gehen müsse. Herrchen steht auf und kommt zur Tür. Hund läuft rasch zum Sessel und nimmt dort Platz.

Das ist eine Intention dritter Stufe: Ich will, daß du glaubst, daß ich will.

Und dann bestehen ja auch Schimpansen und Elstern den Spiegel-Test, d.h. sie erkennen sich selbst im Spiegel.

Die Grenze zwischen Menschen und anderen Tieren ist fließend.

 diestelzie (06.10.22, 00:20)
Ich meine schon einmal folgendes gehört oder gelesen zu haben, was recht gut zu deinem Gedanken passt:
"Das Ich ist die Reaktion der Umwelt auf meine Person." 
Hier geht es zwar um Identifikation und darum dass ein Mensch in totaler Isolation sein "Ich" nicht kennenlernen kann, weil ihm die Reflektion von außen fehlt. 
Das Ego ist also das, was deine Umgebung von dir wahrnimmt und die Reaktion als Folge daraus. 
Was wiederum dazu führt, dass es ein Ich ohne ein Du nicht geben kann und dass ist ja dann wieder sehr poetisch 😊.

Liebe Grüße 
Kerstin
Taina (39) meinte dazu am 06.10.22 um 10:32:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:10:
An Kerstin:

"Das Ich ist die Reaktion der Umwelt auf meine Person."
Ich ist dann eine Interaktion zwischen Ichen.
Da stimme ich in dem Sinne zu, daß ich nur weiß, was ich selber bin, durch die Spiegelung in anderen, auch durch deren Rückmeldungen.

Ich bin ein Mann - das kann ich erst wissen, wenn ich Frauen kenne.
Ich bin alt - das kann ich nur wissen, weil ich junge Menschen kenne.
Ich bin ein Mensch - weil es eben andere Lebewesen gibt, die keine Menschen sind.

Das erscheint mir richtig.

Aber wenn ich Zahnschmerzen habe, dann spüre ich mich unmittelbar, oder? Ich wache morgens auf und weiß, daß ich krank bin, weil ich Schmerzen habe. Ist das ein anderer Aspekt von Ich-Sein, oder weiß ich auch das erst, wenn andere mich als krank behandeln?

Herzlichen Gruß
Wolfgang

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:12:
An Taina:

Ich und Du, das ist die Sphäre der Kommunikation. Ohne Zweifel.
Und es scheint so zu sein, daß es kein Ich ohne Du gibt - jedenfalls kein menschliches.

Die Kinder, die ohne Kommunikation aufgezogen worden sind, haben sich aber auch irgendwie gefühlt. Oder? Hungrig, müde usw.
Taina (39) meinte dazu am 06.10.22 um 16:16:
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 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:43:
Nein, ich nehme lediglich Empfindungen wie z.B. Schmerz als Beispiel. Was wir hier tun, nämlich über uns nachzudenken, ist ein anderes Beispiel - wobei ich annehme, daß diese Fähigkeit spezifisch menschlich ist, die Schmerzempfindung hingegen nicht.

Empfindung (alle Lebewesen), Emotion (Vögel und Säugetiere), Denken (Menschen) - das sind die drei Komponenten, die zum Ich gehören, das mithin je nach Spezies unterschiedlich ausfällt.

Daß das Ich stabil ist, nehme ich eigentlich nicht an ... jedenfalls habe ich da starke Zweifel. Jedenfalls wird die Frage dadurch noch komplizierter: Nicht nur "was macht mein Ich aus?", sondern "Was macht mein Ich stabil/ständig aus?"

Von meinem ersten Lebensjahr bis heute? Da wäre ich in großer Verlegenheit.
Taina (39) meinte dazu am 06.10.22 um 16:48:
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 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 23:11:
Ist das Ich übertragbar? Plus Deine weiteren Fragen dazu: Da gibt es einen wunderbaren Text von Stanislaw Lem in seinen "Dialogen", der all diese Fragen reflektiert.
Jemand weiß, daß er bald sterben muß, und ihm wird das Angebot gemacht, eine perfekte Kopie von ihm anzufertigen, um ihm so ein Weiterleben zu ermöglichen.
Schnell, zu schnell stimmt der zum Tode Verurteilte dem zu.
Dann wird er gefragt: Und wenn wir sicherheitshalber diese Kopie schon vor deinem Tode in Betrieb nehmen?
Nein, schreit der Mann auf, das wäre ja dann nicht ich!

Offenbar geht ihm der Gedanke, es könne ihn zweimal geben, zu weit.
Und natürlich könnte man dann sogar beliebig viele Kopien dieses einen Ichs herstellen.

Probleme über Probleme. Ein genialer Text!
Kennst Du ihn zufällig?
Taina (39) meinte dazu am 07.10.22 um 07:24:
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 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 14:32:
Falls Du Lems fiktiven Dialog haben möchtest, gib mir Bescheid. Auch ihn habe ich als Word-Datei.

Und ja, in Zeitreisen taucht das gleiche Paradox auf.
Taina (39) meinte dazu am 08.10.22 um 11:28:
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 Graeculus meinte dazu am 08.10.22 um 15:23:
Gut. Der genannte Text findet sich in einem Band mit dem Titel "Dialoge". In diesem Falle heißen die Dialogpartner Philonous (= Idealist) und Hylas (= Materialist); Lem verwendet sie öfters.

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:18:
Diese Formulierung ist berühmt.
Du meinst also, daß er damit den Grenzen seines Ich entkommen, sie überschreiten wollte.

Gottfried Benn ("Kokain): "Den Ich-Zerfall, den süßen, schenkst du mir."

Gewiß wollen manche Menschen ihr Ich am liebsten loswerden - weil sie es als unangenehm empfinden, darin leiden.
Sicher ist das Ich etwas, das sich zu sich selbst verhält, positiv oder negativ, angst- oder lustvoll.

Wenn ich sagen soll, was dieses Ich ist, dann weiß ich auch nichts Besseres als: diese Selbstbeziehung.

Haben dann auch Computerprogramme, die sich selbst evaluieren und optimieren, ein Ich?

 Dieter Wal meinte dazu am 06.10.22 um 16:55:
Rimbaud las damals einen mir nicht in Erinnerung geliebenen französischen Okkultisten, der darauf hinauslief, sein Ich aufzulösen.

Ich wüsste nicht, dass ihm dies gelang und ob er es überhaupt erstrebte, jedoch scheint ihm bewusst geworden zu sein, dass jene Konstruktion, die Nichttraumatisierte ahnungslos als Ich bezeichnen, brüchtig werden kann und höchst subjektiv ist.

Ist ein "Ich" nicht eine halbe Walnussschale, die auf dem Meer des Unbewussten treibt?

Haben dann auch Computerprogramme, die sich selbst evaluieren und optimieren, ein Ich?
Du meinst "Alex" zB? Eher nicht. Es handelt sich um ein interaktives Sprachprogramm.

Antwort geändert am 06.10.2022 um 16:57 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 06.10.22 um 17:03:
Ist ein "Ich" nicht eine halbe Walnussschale, die auf dem Meer des Unbewussten treibt?
Wir Pekanüsse finden das einfach nur abstoßend!

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 23:15:
"Alex" ist - meines Wissens - noch nicht so weit; aber Du kennst sicher den Turing-Test. Wenn ein Programm diesen Test besteht, d.h. wir es nicht mehr von der Kommunikation mit einem echten Menschen unterscheiden können, was ist dann?

Und diese Frage ist noch ganz unabhängig von der, ob es gut ist, ein Ich zu haben.
Nicht nur Gottfried Benn mit seinem Kokain, auch die Mystiker möchten es ja gerne loswerden, zugunsten einer höheren Einheit.

 LotharAtzert meinte dazu am 07.10.22 um 10:27:
Eigentlich wollte "ich" mich diesmal raushalten, aber es juckt einfach zu sehr ...

Das Dzogchen hat einen etwas radikaleren Ansatz: Da es kein Ich gibt, gibt es auch nichts loszuwerden. Wie willst du etwas loswerden, was nur in der Vorstellung existiert?

Antwort geändert am 07.10.2022 um 10:49 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 14:36:
Wenn es kein Ich gibt, dann ist der Versuch es loszuwerden, allenfalls der Versuch, eine Illusion loszuwerden.
Alan Watts schreibt das in seinem Essay "Ego" so:

Sie werden nun fragen: „Wie kann ich das loswerden?“ Und meine Antwort darauf lautet: Das ist die falsche Frage. Wie soll was das loswerden? Sie können die Halluzination, ein Ego zu sein, nicht durch eine Aktivität dieses Egos loswerden. Tut mir leid, aber das geht einfach nicht. Sie können sich nicht an den eigenen Schuhriemen in die Höhe heben. Feuer kann nicht mit Feuer gelöscht werden. Und falls Sie den Versuch machen, Ihr Ego mit Ihrem Ego loszuwerden, so werden Sie einfach in einen Teufelskreis geraten. Sie gleichen dann einem Menschen, der sich Sorgen macht, weil er sich Sorgen macht, und sich dann Sorgen macht, weil er sich Sorgen macht, daß er sich Sorgen macht, und Sie drehen sich immer mehr im Kreise und würden verrückter denn je.

Das erste, was man verstehen muß, wen Sie sagen: „Was kann ich tun, um dieses falsche Ego loszuwerden?“, ist, daß die Antwort heißt: „Nichts“, weil Sie die falsche Frage stellen. Sie fragen nämlich: „Wie kann Ich, der ich mich selbst als Ego denke, das Mich-selbst-als-ein-Ego-Denken loswerden?“ Das können Sie offensichtlich nicht. Sie werden vielleicht sagen: „Nun, dann ist die Sache hoffnungslos.“ Sie ist nicht hoffnungslos. Sie haben nur nicht begriffen, worum es geht, das ist alles.

Für die Beantwortung der Frage, wie der Buddhismus zu dieser Annahme kommt, es gebe gar kein Ich, bist eher Du zuständig. [Du = anderes Ich, lustig]

Antwort geändert am 07.10.2022 um 14:36 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 07.10.22 um 15:00:
Daß es auch keinen Zuständigen gibt, wird wen nicht überraschen?

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 15:30:
Halten wir es mit Bodhidharma?

Chinesischer Kaiser: "Wer ist das Uns gegenüber?"
Bodhidharma: "Keine Ahnung."

 LotharAtzert meinte dazu am 07.10.22 um 15:40:
Das läßt sich leichter halten, als den Mund, kein Ding!

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 17:23:
Schön, wir sind uns einig - auch wenn es im Alltag schwer durchzuhalten ist. Eine Woche ohne "ich" zu sagen, eine echte Herausforderung, sofern man unter Leute geht.

 Dieter Wal meinte dazu am 07.10.22 um 17:47:
Noch etwas zu Rimbauds "Seherbriefen". Rimbaud erklärte darin ausgiebig seinem ehemaligen Gynmasiallehrer seine Poetik. Er äußerte sich nicht direkt, dass es ihm tatsächlich gelang, sein Ich aufzulösen, doch er schien es stillschweigend vorauszusetzen, um wahre Poesie hervorbringen zu können.

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 22:07:
Das wird so sein; ich habe allerdings große Schwierigkeiten, ihm zu folgen. Diese Briefe erschließen sich mir nicht. Geht es dir da anders?

 Dieter Wal meinte dazu am 08.10.22 um 00:00:
Ich will keinen Rimbaud-Fan, zu denen auch ich gehöre, entsetzen, aber auf mich wirken diese Briefe manisch. Die Antworten des Lehrers wurden leider nicht überliefert. Es muss großes Vertrauen zwischen ihnen bestanden haben. Heute würde man einen Rimbaud in einer ähnlichen Phase wohl zu einem Psychiater raten. Es stehen ein paar sehr schöne Sätze in den Briefen.

 Graeculus meinte dazu am 08.10.22 um 15:21:
Heute würde man so manchem Dichter zu einer Psychotherapie raten; aber das ist kein Urteilskriterium. Daß Literatur auch eine autotherapeutische Funktion hat, halte ich für selbstverständlich. Manchem, so meine ich, ist damit sogar mehr geholfen als mit einem externen Therapeuten.

Gleichwohl werde ich mit Rimbaud nicht so recht warm.

 Dieter Wal meinte dazu am 08.10.22 um 16:28:
Was wohl aus Wolf von Kalckreuth geworden wäre, hätte er Rimbauds Werk entdeckt? Leider sehr hypothetisch.

 Graeculus meinte dazu am 08.10.22 um 21:54:
Ein interessanter Autor, auf den Du mich da aufmerksam machst. Eine gewisse Nähe scheint mir gegeben.

(Du mußt extrem belesen sein.)

 Dieter Wal meinte dazu am 09.10.22 um 13:01:
WvK entdeckte ich in meiner Jugend durch eine moderne Baudelaire-Gesamtwerkausgabe, in der sich verschiedene Nachdichter seiner Lyrik finden. Die von Wolf übertrafen in meinen Augen selbst Georges hochgerühmte Baudelaire-Übertragungen um Längen. Zwar löste er sich von seiner christlichen Religion, doch behielt tragischerweise den Glauben an ein Leben nach dem Tod bei, was ihn veranlasste, davon auszugehen, er könnte sich im Jenseits zB mit Goethe und Platon unterhalten, was unter anderem dazu führte, dass er sich mit 19 Jahren erschoss. Wolfs Metaphern mancher Sonette leuchten vor Transzendenz. Rimbaud wäre für ihn theoretisch eine literarische Offenbarung gewesen, wie ihn die Nachdichtung der Blumen es Bösen offenbar sein Leben kostete, denn er erschoss sich kurz nach Vollendung dieser Nachdichtungen. Leider war Rimbauds Werk 1907 noch so gut wie unbekannt im deutschen Sprachraum. Wolf dürfte den Namen Arthur Rimbauds wegen seiner Verlaine-Übertragungen gekannt haben, nicht sein Werk. Dass Wolfs Vater ein relativ berühmter Kunstmaler war, merkt man auch an der malerischen Gestaltung von Wolfs Gedichten. Leopold von Kalckreuth verdanken wir sehr schöne Portraits seines Sohnes in verschiedenem Alter. Wie sehr ein kunstmalender Vater einen Literaten prägt, findet man auch bei Michael Ende. Rimbauds Werk hätte Wolf theoretisch einen Grund gegeben, weiterzuleben.

 Graeculus meinte dazu am 09.10.22 um 17:16:
Ich danke Dir jedenfalls herzlich für den Hinweis auf diesen Autor. Mal wieder ein Hinweis darauf, wieviel ich nicht kenne (und nicht weiß). Und die Zeit fürs Lernen wird knapp.

 Regina (06.10.22, 12:06)
"Tat tvam asi" sagt die indische Philosophie, auf die Gesamtheit des Seins blickend, eine entgrenzte Identifikation: "Schau dir die Welt und alle Wesen an, gute wie schlechte, das alles bist du!" "Ich" in unserem Sprachgebrauch hingegen meint die Identifikation mit dem Körper, was mit dem Tod endet. Angst ist dem Ich zugeordnet, sinnvolle Angst. Denn ohne dieselbe würden sich die Leute ständig lustvoll aus dem Fenster stürzen und mutwillig vor fahrende Autos laufen. In letzter Konsequenz ist dem Meditierenden aber das Ego eine Illusion, das die Verbundenheit mit dem All negiert.
Egoismus bedeutet, dass nur noch die eigenen Wünsche wahrgenommen werden, die über das Notwendige hinausgehen und die Bedürfnisse anderer auch theoretisch nicht in Betracht ziehen. Egoismus und Egozentralität sind aber zwei verschiedene Kriterien.

Kommentar geändert am 06.10.2022 um 12:13 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 06.10.22 um 16:30:
Ich ist - im Unterschied zu einem kosmischen Bewußtsein - etwas Individuelles, Singuläres. Ich bin Graeculus und nicht Regina.

Daß ich nicht einen Körper habe (wer hat diesen Körper?), sondern mein Körper bin (mich mit ihm identifiziere), ist eine naheliegende Deutung.
Allerdings ist damit noch nicht klar, welcher unter diesen Milliarden Körpern mein Körper ist.
Meine Meinung: Derjenige Körper ist mein Körper, zu dem ich eine unmittelbare Beziehung habe. Meinen Schmerz empfinde ich unmittelbar, während Du mir Deinen erst irgendwie mitteilen mußt.

"Ich habe Schmerzen" kann unmöglich ein Irrtum sein; "Regina hat Schmerzen" kann das sehr wohl sein - etwa wenn ich Deine Signale falsch deute oder Du mich belügst.
Diese irrtumsfreie Beziehung habe ich zu genau einem Körper, und das macht mein Ich aus. Oder?

Egoismus und Egozentrik sollte man in der Tat unterscheiden; vgl. oben:

Aber wenn man Egoismus definiert als "Mir geht es um mein Glück", dann ist jeder Mensch ein Egoist, und zwar einer von drei Typen:
1. Ich bin glücklich, wenn andere Menschen glücklich sind. (der sympathische Typ)
2. Ich bin glücklich; wie es anderen geht, ist mir gleichgültig. (was man normalerweise als Egoisten bezeichnet)
3. Ich bin glücklich, wenn andere Menschen unglücklich sind.
(der Sadist)

1. ist ein Egoist, aber kein Egozentriker.

Es gibt wohl auch noch einen praktischen Egoismus (Nur ich bin wichtig) und einen theoretischen Egoismus (Nur ich existiere wirklich); Letzteres ist der Solipsismus.

 eiskimo (07.10.22, 09:22)
Dieses "Ich" ist ein sich stets aufs Neu (er-)findendes Wesen, mal wirklich neu, oft in seiner Routine schwebend.
Dass ICH jetzt hier antworte, ist so ein "neuer" Akt.
Das ICH grüßt, es hat sich einen Namen gesucht
Eiskimo

 Graeculus meinte dazu am 07.10.22 um 14:40:
Ich (hm) habe schonmal daran gedacht, daß das Ich ein fluktuierender Knubbel von Eigenschaften ist, der zumindest an den Rändern ständig etwas verliert und anderes hinzufügt. Ein dynamisches, max. 110 Jahre dauerndes Ereignis.

Das Ich, das Deinen Gruß erwidert, ist eine Momentaufnahme.
So etwa?

 Regina (08.10.22, 23:21)
"Ich" ist also der Körper? Aber wo fängt das an, wo hört das auf? Der Körper muss essen, das Essen kommt aus dem Erdreich, es braucht, um zu wachsen, Wasser und Sonne. Sind diese wachsenden Nahrungsmittel schon "Ich"? Der Körper muss atmen. Er zieht Luft ein, extrahiert Sauerstoff und atmet wieder aus, was wiederum den Pflanzen zugute kommt. Ist dieser Atem-Kreislauf auch schon Teil des "Ich"? Dann zeugt dieser Körper andere "Iche". Gehören diese Kinder zum "Ich"? Gehört die Ehefrau zum "Ich"? Wie ist es mit dem Embryo, der noch Teil des Körpers der Mutter ist? Ab wann ist dieser Körper ein "Ich", ab Geburt oder früher oder später? Und wohin verschwindet "Ich", wenn der Körper stirbt? Ungelöste Fragen über Fragen!

 Graeculus meinte dazu am 09.10.22 um 17:12:
Dieser Hinweis darauf, daß die Füße nichts sind ohne Boden, auf dem sie laufen, die Lunge nichts ohne die Luft, findet sich schon bei Alan Watts ("Ego") - er hat seine Berechtigung.

Ich weiß mir nicht anders zu helfen, als daß zu meinem Ich gehört, was ich unmittelbar empfinde: meine Schmerzen, aber nicht Deine Schmerzen. Dazu mag die von mir eingeatmete Luft gehören; aber es erscheint mir sinnlos, die Luft zu meinem Ich zu zählen, die in Thailand einen Sturm erzeugt.
Der Embryo in Deinem Leib, aber nicht der in dem von Frau Müller; Dein Ehemann, aber nicht meine Ehefrau gehören zu Deinem Ich.

Wenn man aber sagen will, daß alles miteinander verbunden ist, dann kommen wir zu einem einzigen kosmischen Ich.

Mag sein, daß das alles nicht so recht befriedigend ist. Gibt es aber eine bessere Richtschnur als die Art, wie Du das Wort "ich" gebrauchst ... und worauf Du es nicht anwendest? Auf mich wirst Du es wohl nicht anwenden.

 Quoth (11.10.22, 21:41)
"Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst." Ernst Bloch
"Am Du werden wir erst zum Ich." Martin Buber
Darüber geht für mich nichts hinaus.

 Graeculus meinte dazu am 11.10.22 um 22:33:
"Werde der, der du bist" (Pindar) könnte man - im Sinne von Ernst Bloch - noch hinzufügen.
Der Gedanke, daß das Ich keine Substanz ist, sondern etwas, das wird, gefällt mir durchaus gut.
Aber beantwortet er die Frage, was Dich (als Du) von mir (als Ich) unterscheidet?

 Quoth meinte dazu am 12.10.22 um 10:56:
Viel interessanter ist doch die Frage: Was macht Ich und Du einander so ähnlich, dass sie sich verständigen und verstehen können?

 Graeculus meinte dazu am 12.10.22 um 15:26:
Erste Antwort: die Sprache.
Aber wie tief reicht das Verstehen mittels Sprache, solange Du nicht in meinen Schuhen stehst?
Taina (39) meinte dazu am 12.10.22 um 15:34:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Quoth meinte dazu am 12.10.22 um 16:19:
Es bleibt immer ein geheimer, unauslotbarer Rest.

 Graeculus meinte dazu am 12.10.22 um 22:17:
An Taina:

Mit ähnlichen Schuhen meinst Du sicher ähnliche Leybensumstände. Gut. Allerdings können ähnliche Lebensumstände sehr unterschiedlich empfunden werden.
Dennoch stimme ich Dir zu, daß man sowas leichter versteht.

 Graeculus meinte dazu am 12.10.22 um 22:23:
An Quoth:

Was hältst Du im Hinblick auf das geheimnisvolle innere Erleben der Menschen von Ludwig Wittgensteins berühmtem Käfergleichnis?

Wenn ich von mir selbst sage, ich wisse nur vom eigenen Fall, was das Wort „Schmerz“ bedeutet, - muß ich das nicht auch von den Andern sagen? Und wie kann ich denn den einen Fall in so unverantwortlicher Weise verallgemeinern?
Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! - Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. - Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. - Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? - So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein. - Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann ‘gekürzt werden’; es hebt sich weg, was immer es ist.
Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von ‘Gegenstand und Bezeichnung’ konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus.

(Philosophische Untersuchungen Zf. 293)

Unser psychisches Empfinden, der Inhalt der Schachtel, ist anderen unzugänglich und deshalb im Sprachspiel irrelevant. Eine kühne These, die mich sehr beeindrukct hat.

 Terminator (16.10.22, 23:28)
Man kann Egoist sein, ohne zu wissen, was dieses Ego (Ich) eigentlich ausmacht.
Laut Ken Wilber kann man sogar nur dann ein (voll überzeugter, unreflektierter) Egoist sein, wenn das Ich noch nicht voll entwickelt ist.


Die Frage aller Fragen: Was ist das Ich?

Ist die Antwort aller Antworten vielleicht im Film Stargate (1994) gezeigt worden, und zwar als  das Ding selbst, welches ein Portal zu anderen Welten ist, wenn es an ist? Das Ich ist diese Membran zwischen Innen- und Außenwelt, weiter nichts. Die Seele ist ein Stück Innenwelt, das fälschlich zum Ich dazugezählt wird, Psyche und Körper sind für das Ich Außenwelt.

 Graeculus meinte dazu am 17.10.22 um 21:14:
"Stargate" muß ich mir wohl einmal wieder anschauen, das ist schon zu lange her.

Kannst Du mir eine kurze Definition von "Seele" (Psyche) geben? Daß der Körper für das Ich zur Außenwelt gehört, kann ich - unabhängig von einer Zustimmung - leichter verstehen.

 Terminator meinte dazu am 17.10.22 um 21:52:
Wenn das Ich reines Subjekt ist, dann ist die Psyche (äußerlich) und die Seele (innerlich) das unmittelbare Objekt. Das Problem damit ist, dass es eine strukturelle Beschreibung ist, die ontologisch nicht weiterhilft. Die ontologische Frage nach dem Ich ist genauso wichtig wie die Frage nach Gott, und immer noch offen (es gibt auf beide Fragen nach 2500 Jahren Philosophie immer noch keine zwingenden Antworten, nur Überzeugungen: Theismus, Atheismus, Platonismus, Nihilismus usw.)

 Graeculus meinte dazu am 18.10.22 um 22:38:
Ich ahne: Du meintest das transzendentale Ich ... was ja ein noch schwierigerer Fall als das empirische ist.

 eiskimo (06.11.22, 11:22)
Gutes Thema!
Der, der jetzt hier dazu was sagt, ist nichts Fertiges, sondern eine im steten Wandel befindliche Komposition, die den unterschiedlichen Rückmeldungen und Anforderungen seiner Umwelt entsprechen will. Um diese Einflüsse zu filtern, braucht er Fixpunkte und Autoritäten, die ihn über unwillkürliche Mechanismen hinwseg helfen.

 Graeculus meinte dazu am 06.11.22 um 14:31:
Das ist eine Auffassung, die mir naheliegt - mit dem Zusatz, daß das "Ich" nicht nur in der Zeit fluktuiert, sondern auch intern nicht homo-, sondern polyphon ist; da gibt es verschiedene und oft auch gegensätzliche 'Stimmen'. Oder?

 eiskimo meinte dazu am 06.11.22 um 15:55:
Genau das ist das Problem. Und zur inneren Polyphonie quatscht einem auch noch die Gattin rein...

 Graeculus meinte dazu am 06.11.22 um 17:49:
"Ein Fleisch sollen sie sein", steht irgendwo in der Bibel über die Ehe. Das erweitert die Polyphonie dann in der Tat beträchtlich. Niemand kann behaupten, das Leben als Ich sei einfach und unkompliziert.
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