Der tote Segler

Kurzgeschichte zum Thema Wagnis

von  Koreapeitsche

Ulf K. ist tot, auch wenn er offiziell noch nicht für tot erklärt wurde. Das war der Segler, der fast täglich in der Schrevenpark-Szene abhing und fast täglich abends besoffen nach Hause taumelte. Es besteht kaum Hoffnung, dass er doch noch lebend gefunden wird. Er wollte sein Segelboot von der Schlei zurück nach Kiel überführen. Er schickte zuletzt einem Freund eine Textnachricht, während er vor der Klappbrücke Kappeln wartete. Das war sein letztes Lebenszeichen. Er galt als sehr erfahrener Segler. Wenn da nicht sein Alkoholproblem gewesen wäre. Davon stand in den Zeitungen nichts. Laut einer dänischen Zeitung wurde das Boot inzwischen in Ærø an Land geschwemmt. Das ramponierte Boot war auf einem Foto in der Zeitung abgebildet. Jemand hatte es wiedererkannt, als er den Zeitungsartikel sah. Seine Jacke wurde jedoch in der Nähe des Stoller Grunds gefunden. Wie durch ein Wunder blieb das Handy unversehrt und voll funktionstüchtig. Die GPS-Daten, die von der Polizei ausgelesen wurden, vermerkten, dass er noch im Stoller Grund gekreuzt haben muss. Danach verlor sich die Spur. Dabei ist die Region doch Sperrzone - auch für Segler. Das Stoller Grund soll randvoll mit Weltkriegsmunition liegen. Aber da scherte sich eh kein Segler drum. Die Polizei hat schließlich seine letzten Kontakte auf dem Handy überprüft und seinen Freund angerufen, mit dem er aus Kappel die Nachrichten austauschte. Der fiel fast aus allen Wolken. Er hatte zwar von dem Segelunglück gehört, doch er hatte es nicht mit Ulf K. in Verbindung gebracht, da er längst zurück in Kiel hätte sein müssen. Der verunglückte Segler plante, vom Stoller Grund aus weiter in die Kieler Förde zu segeln und zu seinem Liegeplatz in Stickenhörn auf dem Kieler Westufer. Doch er kam nie an. Stattdessen gab es eine Suchaktion mit über 15 Deutschen und Dänischen Booten, auch Marineschiffe waren dabei. Mehrere Hubschrauber sollen im Einsatz gewesen sein. Wenig später wurde eine Leiche bei Kühlungsborn angespült. Doch das liegt zwischen Wismar und Rostock und liegt einfach zu weit entfernt vom vermuteten Unglücksort. Inzwischen ist die Leiche identifiziert. Es war nicht Ulf K.
Es vergingen weitere Wochen der Ungewissheit. Genau fünf Wochen nach der Vermisstenmeldung, dem Auffinden der Jacke vor Damp und dem Stranden der Jolle vor Ærø wurde eine Wasserleiche am Strand von Langeland entdeckt. Die Obduktion und der Datenabgleich mit den deutschen Kollegen vom Polizeirevier in Eckernförde ergab, dass es zweifelsfrei die Leiche von Ulf K. war. Nach dänischem Recht musste der Leichnam schnellstmöglich eingeäschert werden, sodass nur eine Urne nach Kiel überführt wurde. Da eine Seebestattung stattfinden sollte, fuhr das Schiff mit der Urne auf die Ostsee, wo die Asche im Wasser zertreut wurde. Zur Beerdigung waren rund 40 Personen angereist, teils aus anderen europäischen Staaten. Es war sogar ein alter Freund aus Liverpool angereist, um sich vom verstorbenen Segler zu verabschieden.


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