Technisch-taktischer Exkurs: Warum Panzer?

Essay zum Thema Krieg/Krieger

von  TrekanBelluvitsh

Sehen wir Bilder von modernen Kriegen, sehen wir Bilder von Panzern. Doch warum setzte sich der Panzer, der im Jahre 1916 zum ersten Mal auf einem Schlachtfeld auftauchte, durch? Schließlich sprachen führende Militärs vom Ende des Panzers – im Jahre 1919! Warum ist Panzer noch da?

Aus welchen Gründen
der Panzer sich als Kampffahrzeug durchsetzte und derart bestimmend wurde, verdeutlicht der sogenannte Panzerdreisatz. So bezeichnet man die einfache Bewertung eines Panzers nach den Gesichtspunkten Mobilität, Panzerung und Feuerkraft. Wie alle einfachen Betrachtungsweise ist der Panzerdreisatz grob. Dennoch erlaubt er eine erste Klassifizierung. So ist z.B. ein Panzer mit einer guten Panzerung schwer und nicht so beweglich wie ein leichteres Fahrzeug. Gleiches gilt für eine schwere Bewaffnung. Geschütz und nötige Munition erhöhen das Gewicht, auch weil sie mehr Raum einnehmen, der seinerseits umpanzert werden muss, was mehr Gewicht bedeutet. Dies kann durch einen stärkeren Motor ausgeglichen werden. Doch auch der wird mehr Platz einnehmen, der wiederum umpanzert werden muss, wass das Gewicht erhöht. Tatsächlich sind Panzerkonstruktuere seit jeher bemüht, die Motoren so kompakt wie möglich zu bauen. Dabei kommt es immer wieder zu Problemen bei der Kühlung und der Feldverwendungsfähigkeit: die Mechaniker kommen bei kompakt gebauten Motoren in der Regel schlecht an die einzelnen Komponenten, wenn sie reparatur- bzw. wartungsbedürftig sind.

Diese drei Gesichtspunkte -
Mobilität, Panzerung und (Feuer-)Kampfkraft – sind an sich nichts Neues. Vielmehr streben Soldaten seit Anbeginn der Zeit nach einer optimalen Kombination, bzw. wählen ihre Taktik auf dem Gefechtsfeld derart, dass sie ihren Stärken in einem der drei Bereichen entgegenkommt. Ein Beispiel sind die spätmittelalterlichen Ritter, die mit Rüstung und den ihnen zu Verfügung stehenden Waffen in den Bereichen Panzerung und Kampfkraft punkteten. Ohne Pferd waren sie jedoch unbewegliche Metallmänner, die enorme Schwierigkeiten hatten, bewegliche Gegner zu bekämpfen. Dies wurde gar sprichwörtlich: Jemanden vom hohen Ross holen, spielt auf diesen Schwachpunkt jener Ritter an.

Sehr gut kann de
r Panzerdreisatz auch dort verdeutlicht werden, wo ihn kaum jemand vermutet: beim berühmtesten Zweikampf der Militärgeschichte, David gegen Goliath. Goliath ist für seine Zeit herausragend gepanzert. Mehr noch: Diese ist allen Gegnern signifikant überlegen. Sie bietet ihm gegen die meisten Waffen seiner Zeit einen nahezu absoluten Schutz. Auch verfügt er über die HighTech - Waffen seiner Zeit. Zusammen mit seiner eigenen Körperstärke verschaffen sie ihm eine scheinbar unüberwindbare Überlegenheit. In puncto Kampfkraft ist Goliath indes auf den Nahkampf spezialisiert. Auch darum nutzt er eine schwere Panzerung. Er muss, will er seinen Gegner besiegen bzw. seine Stärken ausspielen, nah an ihn herankommen. Und sonderlich beweglich ist er nicht. Goliath bewegt sich verhältnismäßig langsam und ist im Nahkampf selbst nicht behände. Er verlässt sich auf verhältnismäßig gradlinige, aber allgemein verwendbare Taktik. Seine Rüstung soll ihn während der Annäherung und im Nahkampf vor beweglicheren Gegnern schützen, während seine Waffen diesen tödlich treffen.

David ist das militärische Gegenteil zu Goliath.
Er verfügt über keinerlei Rüstung. Schon der kleinste Treffer kann ihn außer Gefecht setzen. Er besitzt auch keine Waffe für den Nahkampf die – in seiner Zeit – irgendwie adäquat genannt werden können. All das macht ihn allerdings extrem beweglich. Langsamen Attacken seiner Widersacher kann er sich durch ausweichen und das beziehen neuer Positionen entziehen. Dabei ist es für ihn überlebenswichtig, immer eine gewisse Distanz zwischen sich und seine Gegner zu bringen, weil er im Nahkampf nicht bestehen kann. Wehrlos ist er hingegen nicht. Mit seiner Steinschleuder besitzt er eine Fernwaffe. So kann er auf den Feind bereits aus größere Entfernung einwirken, auf eine so große Entfernung, die es vielen Kämpfern unmöglich macht, ihn ihrerseits zu bekämpfen. So werden Gegner abgenutzt, bevor es zum eigentlichen Gefecht kommt – in jener Zeit der Nahkampf.

G
oliath ist der bessere Allrounder. Er kann überall auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden, ohne dass er seine Taktik grundsätzlich variieren muss. David ist ein Spezialist. Damit er auf dem Gefechtsfeld bestehen kann, benötigt er eine ausgeklügelte Taktik. Um einen Kampf erfolgreich zu führen, benötigt er Präzision und muss das Gelände gut ausnutzen (um nicht in die Ecke getrieben und in den Nahkampf gezwungen zu werden). Dieser Einsatz ist intellektuell schwieriger als der Goliaths. Kein Wunder, dass der als tumber Haudrauf und David als Schlitzohr dargestellt werden.

Beim Panzer stellte sich sehr bald heraus, dass er als Waffensystem dieser drei Faktoren auf nahezu perfekte Weise in einem Fahrzeug verschmolz. Der Panzer besitzt die Beweglichkeit eines Davids, ist gepanzert wie ein Goliath, kann wie dieser im Nahkampf bestehen und mit seinen Waffen – Kanone und Maschinengewehr – wie David auch auf große Entfernung wirken. Das macht den Panzer nicht zu einer unverwundbaren Wunderwaffe. Doch wer eine ge
gnerische Armee auf dem Schlachtfeld besiegen will muss, wenn jene über Panzer verfügt, diese ausschalten. Nur so gibt es auch nur eine theoretische Chance zu bestehen. Darum wird der Panzer auch in Zukunft nicht von den Gefechtsfeldern verschwinden.



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Kommentare zu diesem Text

Taina (39)
(19.10.22, 05:14)
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 FrankReich meinte dazu am 19.10.22 um 12:17:
Ich schätze, dass mit "im Sand eingegraben" provisorische Schützengräben gemeint sind, aus denen Infanteristen panzerbrechende Munition einsetzten und dass die Drehungsmanöver der Panzerfahrer, die ein solches "Nest" aushoben, besonders dem Grund der Demoralisierung dienten. 🤔 

Ciao, Frank

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 19.10.22 um 14:45:
@Taina

"Hinzu kommt, dass David kein Militär war und doch den Kampf entschied"

Das stimmt. Ich habe den Zweikampf hier nur auf die militärischen Aspekte runtergebrochen, um den Panzerdreisatz zu verdeutlichen, weil ich davon ausgehe, dass jeder die Geschichte kennt.



"Die feindlichen Panzer fuhren über sie hinweg und drehten sich, wodurch die Soldaten zermalmt wurden. Unvorstellbar schrecklich."

Die deutsche Bezeichnung dafür ist "Kampf mit der Kette". In den Erzählungen wird diese Verhalten natürlich immer nur dem Gegner unterstellt. Davon abgesehen ist das zufällige überrollt werden immer eine Gefahr, auch für die eigenen Soldaten.



"Panzer gelten als verwundbar." Panzer sind kein unverwundbarer antiker Held. Aber eben weil sie so viel Kampfkraft in sich vereinen, werden sie natürlich immer zuerst bekämpft. Und wenn der Gegner über gar keine Panzer verfügt, kann auch ein 50 Jahre alter T-55 zum Schlachtenentscheider werden.



"die Schwachstelle der russ. Panzer,"

Die in der Ukraine eingesetzten Panzer verfügen alle über einen Ladeautomaten (wodurch sie nur eine 3-Mann Crew haben, Kommandant, Richtschütze, Fahrer). das bedeutet aber auch das knapp über 20 Geschoss offen im Kampfraum liegen.

Westliche Panzer verfügen noch über ein 4. Besatzungsmitglied, den Ladeschützen, der die Munition in den Verschluss der Kanone wuchtet. dies ermöglicht es auch, die Munition in einer gesicherten Abteilung unter dem Kampfraum zu lagern. Natürlich kann auch die getroffen werden. Eine Explosion dieser Munition tritt jedoch nicht so schnell ein, bzw. bleibt so der Besatzung so mehr Zeit den Panzer zu verlassen.



@Ralf-Renkking

"aus denen Infanteristen panzerbrechende Munition einsetzten"

Das ist der Schrecken aller Panzerbesatzungen. denn die Sicht ais dem Panzer heraus ist doch sehr eingeschränkt. Ein einzelner Soldat kann da schnell übersehen werden, zumal in der Hitze des Gefechts. Auf der anderen Seite erfordert es vom einzelnen Soldaten immer noch sehr viel Mut, mit Waffen wie einer "Panzerfaust" einen Panzer zu bekämpfen. Zumal in der Regel ein Treffer mit den sogenannten "Panzernahbekämpfungsmitteln" NICHT ausreicht, um einen Panzer auszuschalten.



@all:

Der Tod im und um den Panzer soll später thematisiert werden.
Taina (39) schrieb daraufhin am 20.10.22 um 00:23:
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 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 20.10.22 um 02:31:
@Taina:

bzgl. Kampf mit der Kette:

Wie oft dies bewusst eingesetzt wird, lässt sich natürlich unmöglich quantifizieren. Zumal es - aus Sicht der Panzerbesatzung - eigentlich keine gewollte Taktik ist. Wenn ein Ziel derart nah ist, dass man es eher überrollen als mit den Bordwaffen bekämpfen kann, ist es eindeutig zu nah! Es ist eine Taktik, die ebenso von Panik wie von Kalkül gelenkt wird.

Nichtsdestotrotz ist das natürlich der Horror aller Infanteristen. Und wird so etwas beobachtet, wird es natürlich in durch Erzählungen vervielfacht. Zur Einordnung: Im Ersten und im Zweiten Weltkrieg entstanden zwischen 60 und 70% der Verluste durch Fernwaffen (Artillerie, Flugzeuge, Raketen). abgesehen von äußerst speziellen Gefechtsfeldern - Berge, Dschungel, Wälder - und ich würde schätzen, dass diese Verhältnis heute immer noch vergleichbar sind.
Taina (39) ergänzte dazu am 20.10.22 um 06:52:
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 AchterZwerg (19.10.22, 07:46)
Hier spricht ein Fachmann! :) 
Die David-Goliath-Expertise überzeugt total.

Angeregte Grüße
der8.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.10.22 um 14:47:
Danke.
Ich dachte mir, ein Beispiel, dass alle kennen, verdeutlicht am besten, was ich erklären will.

 TassoTuwas (19.10.22, 09:43)
Alte Filme zeigen das Auftauchen der ersten Panzer im WK1, erschreckende Eisenungetüme, für die es keine geeignete Gegenwehr gab. Bis hin zum "Panzerdreisatz" war es ein weiter Weg und vielleicht liegen die Pläne für den umweltfreundlichen E-Panzer schon in der Schublade!
TT

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.10.22 um 14:52:
Der "Panzerschreck", d.h. der Zeitpunkt, wenn ein Soldat zum ersten Mal mit einem gegnerischen Panzer auf dem Schlachtfeld konfrontiert wird, ist real und kann gerade für schlecht ausgebildete Truppen zu einem echten Problem werden. Allerdings weiß man erst, wie jemand unter Beschuss reagiert, wenn diese Person unter Beschuss gerät.

Da ein E-Motor vom ersten Moment an das volle Drehmoment liefert, wäre das für einen Panzer in der Tat vorteilhaft. Ansonsten gibt es jedoch zu viele Nachteile, die einen E-antrieb nichtfeldverwendungsfähig machen.

 AZU20 (19.10.22, 13:06)
Davon ist leider auszugehen. LG

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.10.22 um 14:52:
Der Panzer ist gekommen, um zu bleiben, ja.

 Augustus (19.10.22, 15:33)
Spannend. 
Interessant finde ich, dass die im Mittelalter Schlachten entscheidende gepanzerten Ritter komplett abgesetzt wurden, als Schiesswaffen und Schiesskanonen ins Gefecht geführt wurden. Kein Staat führte Ritter mehr in die Schlacht. Der Ritter war auf dem Schlachtfeld ausgestorben. Ihn ersetzten später die Panzer. 

Mit dem Aufkommen von Drohnen, die von oben herab die Panzer beschiessen können, wäre zu fragen, ob der Panzer bald obsolet wird? 

Eine reine Panzerbrigade hat keine Chance gegen Drohnen.der Materialverbrauch im Vergleich einer Drohne und Panzer und Herstellungssufwand könnten aufzeigen, in welche Richtung tendenziell die Art des Krieges sich verlagert. 

Weitaus cleverer wäre es für die Russen gewesen, die alten Panzer zu verschrotten und daraus das gewonnene Material für den Bau neuer hochmoderner Drohnen zu verwenden. Der Vorteil wäre heute immens gewesen, statt mit 5000 alten Panzern von Boden aus, mit 4000 Drohnen von der Luft aus Ukraine zu beschiessen. Wäre so etwas heute Realität, wenn Putin die Idee vor 20 Jahren so umgesetzt hätte?

Salve
FensterblickFreiberg (49) meinte dazu am 19.10.22 um 19:46:
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 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.10.22 um 23:54:
"Mit dem Aufkommen von Drohnen(...)"

Die Bedrohung des Panzers "von oben" ist eigentlich nichts Neues. Das wird dazu führen, bzw. hat auch schon dazu geführt, das Rohr-Fla-Waffen wieder eine größere Bedeutung erhalten, die sie seit den 1990er verloren hatte.

Dabei habe ich auch schon gesehen, dass Zugführer (Zug = 3-5 Panzer) einen Angriff gar nicht mehr selbst mitfahren, sondern mittels Drohnen überwachen und steuern. Gerade für die Beobachtung sind Billigdrohnen etwas, dass an Bedeutung gewinnt. Und du hast völlig zu recht erwähnt, dass Krieg auch immer einen Versuch darstellt, die Waffensysteme des Gegners mit billigeren Waffen außer Gefecht zu setzen.



"Wäre so etwas heute Realität, wenn Putin die Idee vor 20 Jahren so umgesetzt hätte?(...)"

Darauf zu antworten wäre schon zwei eigene Texte wert. Darum kurz:
a) Nein, nur mit Drohnen kann man einen Krieg nicht gewinnen. Man braucht etwas um den Boden in Besitz zu nehmen.
b) Dazu wäre Russland gar nicht in der Lage gewesen. Zu Beginn dieses Jahrtausends versuchte Russland seine Armee in eine High-Tech-Armee - vergleichbar denen westlicher Nationen - umzubauen. Nach einer Weile stellte man in Russland fest, dass einem dazu die finanziellen Mittel fehlen.

 Tula (19.10.22, 22:25)
Hallo
Eines steht fest: die noch im April vorhergesagten Panzerschlachten um den Donbass haben so nicht stattgefunden. Im offenen Gelände sind sie sogar außerordentlich verwundbar. Ich frage mich, wie ausschlaggebend sie wirklich sind. 
In der Zukunft werden sie wohl zu ebenfalls (wie Drones) unbemannten mobilen Geschützen mutieren. Keine angenehme Vorstellung. Der Krieg aus der Entfernung mit Joystick in der Hand. Die Infanterie dann ... ein Heer von Terminatorn  :(

LG
Tula

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 20.10.22 um 00:04:
Als sich die Kämpfe in den Donbass verlagerten, änderte sich die Taktik in der tat dahingehend, dass nun die Artillerie zur russischen Hauptwaffe wurde. Allerdings zeigte sich da auch die Schwäche der russischen Armee, denn Artillerie ist nicht umsonst eine Unterstützungswaffe. Die Russen waren nicht in der Lage, mit ihrer überlegenen Artillerie das Gefechtsfeld so "vorzubereiten", das Panzer einen Einbruch durchführen konnten.

Allerdings zeigte diese Schwäche der russischen Armee bereits in den ersten Wochen des Krieges, als sie sich im Bewegungskrieg den ukrainischen Streitkräften als unterlegen erwies.

(In Kurz: Das erfordert eigentlich eine eigenen Text.)



Es gibt einige Fachleute die glauben, dass Waffensysteme in der Zukunft vollautomatisiert sein werden. Ob dies so kommen wird, werden wir sehen. Ich persönlich denke das nicht, gerade wegen der Erfahrung des Krieges in der Ukraine, wo Funkstörsender eine enorme Rolle spielen. Zuweilen funktioniert dort selbst der gute alte Funk nicht mehr. Ferngesteuerte Waffensysteme werden ihren Platz im Arsenal der Armee finden. Die ethische Seite solcher Waffen, zumal wenn sie den Feind auch noch autonom bekämpfen soll, gehört meiner Meinung nach in die öffentliche Diskussion.
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