Die Neuen, die da etwas außerhalb wohnen

Bericht zum Thema Welten

von  eiskimo

Die beiden wohnen am Rande vom Dorf, ein komisches Paar.

Sie ist zierlich, gepflegt und damenhaft, vielleicht 50 Jahre alt.

Er ist deutlich jünger, geradezu dürr und hoch aufgeschossen.

Sie passt eigentlich nicht aufs Land, ist einen Tick zu hübsch.

Er schon. Er hat etwas Gruseliges. Sein Mund ist viel zu groß.

Und seine stechend-klaren Augen liegen in tiefen Höhlen.

Den beiden gehört das Haus, wo früher Chabert drin wohnte.

Chabert, der Säufer, der mit dem Motorrad verunglückt ist.

Er hatte dann noch drei Jahre da gehaust, im Rollstuhl.

Das komische Paar muss die Hütte billig gekriegt haben.

Drinnen war ja alles zugemüllt, völlig heruntergekommen.

Und zwei, drei Jahre hatte sich da überhaupt nichts getan.

Sie sind aus der Schweiz in dieses  Dorf übergesiedelt.

Man hört es an ihrem Akzent und dem eigenen Vokabular.

Geld scheinen sie nicht zu haben. Sie machen alles selbst.

Nee, Handwerker von hier kriegen bei denen nichts zu tun.

Denn man sieht sie oft in ihrem Dacia, hinten ein Anhänger.

Da fahren sie den Sperrmülll aus dem Anwesen zur Kippe.

Es ist immer er, der bei diesen Touren am Steuer sitzt.

Ob die Frau überhaupt einen Führerschein hat?

Immerhin: Sie packt mit an, selbst die versifften Sachen.

Und auch bei der Gartenarbeit hat man sie schon gesehen.

Nur sie. Ihr schlaksiger Partner, den zieht es in den Wald.

Auch allein. So wie der rennt, da käme sie gar nicht mit.

Ein Nachbar meint, der Kerl würde laut reden im Wald.

Sie hockt derweil am Fenster. Da liest sie. Stundenlang.

Abends hört man schon mal Rockmusik. Das ist sicher er.

Nein, ein Herz und eine Seele, das sind die beiden nicht.

Sieht eher nach einer bloßen Zweckgemeinschaft aus.

Zwei, die sich irgendwie gefunden haben. Und brauchen.

Vielleicht deutlich mehr brauchen, als sie sich mögen.

Solo wäre jeder der beiden in diesem Dekor glatt verloren.

Die Bruchbude - die zu sanieren, das hält sie zusammen.

Sie haben da was zu tun. Nix Dolles. Aber ein Projekt.

Bruchbuden, gerade in der toten Provinz, haben ja was.

Da kann man herumbasteln. Sich Zeit nehmen. Ungestört.

Ideal für einen Neustart, weit genug weg von den Altlasten.

Sozusagen Lebenshilfe. Schutzraum für Sanierungsfälle.

So welche bleiben eh nur am Rand des Dorfes. Außenseiter.




Anmerkung von eiskimo:

Beobachtet in einem abgelegenen Dorf in Burgund

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Kommentare zu diesem Text


 uwesch (31.10.22, 07:57)
Sehr hautnah beschrieben. Hab mal einen Roman zu einem entsprechenden Thema in so einem lapidaren Stil gelesen, komme aber leider nicht auf den Titel.
LG Uwe

 eiskimo meinte dazu am 31.10.22 um 08:45:
Danke. Wenn man in so einem Dorf selber Außenseiter ist, dann kriegt man ein Auge für bestimmte Situationen - es ist durchaus spannnend!
LG

 lugarex (31.10.22, 08:55)
Einfach super. Die müssen wohl "france federale" sprechen, anders wäre es nicht zu merken; aus der Schweiz ohne Geld wäre wahrscheinlich eher falsche Spur, oder?

Gruss Luga

 eiskimo antwortete darauf am 31.10.22 um 10:55:
Die Schweiz gilt ja auch als so ein Musterländle, Unangepasste haben es da schwer...
LG
Taina (39)
(31.10.22, 09:13)
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 eiskimo schrieb daraufhin am 31.10.22 um 10:57:
Ja, sie sind perfekt für diese Rolle geeignet. Fügung? Gewollt?
Taina (39) äußerte darauf am 31.10.22 um 11:02:
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 eiskimo ergänzte dazu am 31.10.22 um 11:29:
Das ist richtig - da müsste man noch viel mehr und Persönlicheres wissen. Aber ich frage mich schon, wie es zu diesen Rollenzuweisungen kommt. Und ob man da noch frei ist was zu ändern...

 Regina (31.10.22, 09:37)
Die Sozialwissenschaft definiert Integration nach vier Kriterien: sprachliche, soziale, Arbeitsintegration und identifikatorische. Die Protagonisten sprechen das etwas spezielle Schweizerfranzösisch und scheinen sich mit der Gemeinschaft im Dorf nicht so recht identifizieren zu können. Sie machen ihr eigenes Ding und bleiben am Rande. In der Stadt würde das nicht auffallen und es gilt nicht nur für anderssprachige Migranten.

 eiskimo meinte dazu am 31.10.22 um 10:59:
Der Vorteil des Dorfes: Man sieht alles wie unter der Lupe. Und es lenkt kaum etwas ab...
LG

 EkkehartMittelberg (31.10.22, 15:55)
Der Text macht Lust, über Außenseiter nachzudenken und sie zu beobachten.

LG
Ekki

 eiskimo meinte dazu am 31.10.22 um 16:11:
Danke, lieber Ekki.
Wenn dem so ist, kann man ja im Zusammenleben die eine oder andere Macke mal verzeihen...
Man selber rutscht ja auch schon mal in eine komische Rolle.
LG
Eiskimo

 AZU20 (31.10.22, 16:54)
Gut beobachtet. LG
Agnete (66)
(01.11.22, 19:45)
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 eiskimo meinte dazu am 02.11.22 um 07:33:
Ich würde mir ja gerne das "genial" anheften, aber ich habe nur versucht zu berichten...
LG
Eiskimo
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