Sissy/ Teil II

Erzählung zum Thema Verantwortung

von  Saira

Ein kurzer Rückblick: Es war eine unheimliche Begegnung, die ich vor etwa einem Jahr beim abendlichen Spaziergang mit meiner Willma hatte. Wir trafen auf einen jungen, ungewöhnlich gekleideten und sich merkwürdig verhaltenen Mann. Ihm folgte fast zeitgleich ein freilaufender Hund. Beide kamen aus der Dunkelheit des Waldes und ängstigten mich. Wie ich Tage später erfuhr, war der Mann der Sohn des Jägers und angeblich drogenabhängig.  Der Jäger, sein Name ist Hans-Dieter, hatte seine Hündin Sissy zur Jagd ausgebildet.

 

Fortsetzung …

 

 

Es war ein frostiger Abend, Schneeflocken fielen und Wilma versuchte, nach der einen oder anderen zu schnappen. Da meine Kleine zu dem Zeitpunkt nur kurze Strecken laufen durfte, bot sich diese zwanzigminütige Abendrunde an. Der Weg führte in eine kleine Wohnsiedlung. Es war sehr ruhig um uns herum.

 

„Sie“ war nicht zu hören, tauchte einfach auf. Sissy hatte einen lauernden Blick, als sie Wilma beobachtete. Es dauerte eine Schrecksekunde, bis ich Wilma auf dem Arm hielt. Ich zischte: „Hau ab Sissy!“ Zunächst reagierte sie nicht und ich befürchtete, sie würde mich anfallen. Nun schrie ich sie an. Endlich lief sie fort, Richtung Wald. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das mich überkam. Einerseits war ich wütend auf den Hund und andererseits tat er mir leid. Das Tier konnte schließlich nichts dafür, dass sein Herrchen so ein verantwortungsloser Mensch war.

 

Ich nahm mir vor, schnellstmöglich noch ein Gespräch mit Hans-Dieter zu führen, bevor ich ihn anzeigen würde. Bis dahin allerdings musste ich noch achtsamer unterwegs sein.

 

Es war Freitag, am Montag wollte ich Hans-Dieter in seinem Haus aufsuchen.

 

Am Montag machte ich mit Wilma unseren üblichen Morgenspaziergang, der in den Wald führte. Es war schon verrückt, was für Zufälle es gibt! Hans-Dieter kam uns mit einer hinkenden Sissy, die angeleint war, entgegen. Das rechte Vorderbein der Hündin war mit einem schlechtsitzenden Verband versehen. „Was ist mit Sissy passiert?“, fragte ich. Hans-Dieter antwortete: „Ach, die hat sich im Wald verwundet, nicht schlimm.“

 

Ich empfand Mitgefühl mit Sissy. Abermals versuchte ich, den Jäger auf die Bedrohung, die von Sissy ausging, aufmerksam zu machen. Ich appellierte an seine Verantwortung seinem und anderen Hunden gegenüber und drohte ihm mit einer Anzeige.

 

„Ja, ja, alles klar“, meinte er und lief weiter. Ich wusste nicht, ob er sich auf meine Anzeige oder meinen Appell bezog. Also wartete ich erst einmal ab.

 

Fünf Tage später ging ich am Haus von Hans-Dieter vorbei. Ich hatte Glück, denn er war gerade im Garten und auch Sissy konnte ich entdecken. Ihr Vorderbein war immer noch verbunden, aber der Verband sah übel aus. Er war blutig und dreckig. Ich sprach Hans-Dieter über den Zaun hinweg an und fragte nach Sissys Befinden.

 

Hans-Dieter antwortete: „Ich werde wohl mal zum Tierarzt gehen müssen.“ Ich war erschüttert, dass er nicht schon längst dort gewesen war. Sissy machte auf mich einen schlechten Eindruck. Sie hatte ganz offensichtlich schlimme Schmerzen. Nachdem ich ihm viel Glück beim Tierarzt und gute Besserung für Sissy gewünscht hatte, ging ich mit Wilma gedankenvoll weiter.

 

Es dauerte eine weitere Woche, bis ich wieder auf Hans-Dieter traf, dieses Mal ohne Sissy. Er war auf einem rostigen Fahrrad unterwegs und wirkte sehr angespannt. Als ich ihn auf Sissy ansprach, hielt er an und erzählte mir, dass Sissy in der Tierklinik gestorben sei. Sie hatte Tetanus gehabt.

 

Es fiel mir schwer, mich zusammenzureißen. Am liebsten hätte ich den Mann durchgeschüttelt und ihm ins Gesicht gebrüllt, dass er schuld am Tod von Sissy war! Eine innere Stimme mahnte mich, es nicht zu tun, denn wenn ich alle Idioten dieser Welt schütteln wollte, würde der ganze Planet beben. Auf diese Weise wäre niemandem geholfen und schon gar nicht mehr Sissy. Ich würgte an meinen Tränen und brachte noch ein: „Scheiße!“ hervor. Hans-Dieter stand irgendwie hilflos da. „Es tut mir leid, Hans-Dieter, aber ich hoffe, du weißt, dass du Sissy früher zum Arzt hättest bringen müssen und dass sie nicht ohne Aufsicht und ohne Leine hätte unterwegs sein dürfen! Weißt du, wie viele Wildtiere sie vielleicht schon zu Tode gejagt hat und wie viele Hundehalter Angst um ihre Hunde hatten? Ich habe von einigen erfahren, dass sie wie ich in Sorge waren!“

 

„Ja, ja, hast wohl recht!“, meinte er und stieg wieder auf sein altes Fahrrad und fuhr weiter.

 

Seit acht Monaten hat Hans-Dieter nun wieder einen Hund, eine Bordeaux Dogge, namens Kara. Ein sanfter Riese, selbst im Welpenalter schon groß, eben ein tapsiger Geselle mit viel Fell, in das noch viel Hund wachsen sollte. Diesen Hund führt Hans-Dieter an der Leine. Wilma und Kara verstanden sich auf Anhieb.

 

Inzwischen ist Kara beinahe ausgewachsen und befindet sich noch in der Ausbildung zum Jagdhund. Sie ist längst nicht mehr lammfromm, im Gegenteil, sie legt ein aggressives Verhalten an den Tag.

 

Man sagt, dass Jagdhunde durchaus zu einem sozialverträglichen Jagd- und Familienhund erzogen werden können, aber die Wahrheit kann auch anders aussehen:

 


Jagdhunde – grausame Ausbildung und gefährliche Einsätze

 

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2022



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Kommentare zu diesem Text

Teolein (70)
(12.11.22, 15:34)
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 Saira meinte dazu am 12.11.22 um 15:46:
Hallo Teo,

ich freue mich über dein Feedback und deine Empfehlung!
Dein Lob motiviert mich :) 

Liebe Grüße
Sigrun

 franky (12.11.22, 17:06)
Hi liebe Saira
 
Sehr gut geschrieben, dein Erlebnis mit dem schrulligen Förster.
Habe Deine Geschichte sehr gerne gelesen.
 
Liebe Grüße von Franky

 Saira antwortete darauf am 13.11.22 um 09:36:
Lieber Franky,
 
ich freue mich sehr über dein Lob und danke dir für deine Empfehlung + Favorisierung!
 
Herzliche Grüße
Saira

 EkkehartMittelberg (12.11.22, 17:17)
Hallo Sigi,

man leidet mit der missbrauchten Sissy. Darf eigentlich jeder seinen Hund zum Jagdhund abrichten?

Herzliche Grüße
Ekki

 Saira schrieb daraufhin am 13.11.22 um 09:40:
Lieber Ekki,
 
ja, das Leid der Sissy berührt. Ich habe einen Link zu den Voraussetzungen für eine Ausbildung zum Jäger und ein Zitat aus dem Artikel kopiert:

 Jagdschein in Deutschland machen – Voraussetzungen und Infos 

 Voraussetzungen für den Jagdschein
Zu den Basis-dokumenten, die benötigt werden, um einen Jagdschein zu bekommen, gehören ein gültiger Personalausweis und ein Passbild. Alternativ wird auch ein gültiger Reisepass anerkannt.
Für die Erteilung eines Jagdscheines muss der Antragssteller mindestens 16 Jahre alt sein. Um einen (Jugend-) Jagdschein zu erhalten, muss zwingend eine Jägerprüfung gemacht werden. Wie die Jägerausbildung dafür aussieht, ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Was allerdings in 11 unserer 16 Bundesländer gleich geregelt ist, ist, dass Vorbereitungslehrgänge belegt werden müssen. In den anderen hingegen ist kein Ausbildungslehrgang nötig, um die Prüfung zu machen. Die untere Jagdbehörde bildet hierfür den Prüfungsausschuss bzw. die Prüfungskommission.
Wichtig ist auch die persönliche Zuverlässigkeit, die durch ein Führungszeugnis nachgewiesen wird. Zusätzlich wird eine entsprechende Erklärung verlangt, in der der angehende Jäger bestätigt, dass weder ein Verfahren gegen ihn läuft oder jemals eine Strafe oder Bußgeldstrafe verhängt wurde.
Jeder angehende Jäger benötigt zudem eine Jagdhaftpflichtversicherung, über die ein Nachweis mit eingereicht werden muss.
Herzliche Grüße
Sigi

 TassoTuwas (12.11.22, 18:55)
Liebe Sigrun,

dein Erlebnis zeigt, dass zur Tierhaltung ein verantwortungs- und liebevoller Umgang des Halters gehört. Aber wie kann man verhüten das Tiere in falsche Hände geraten?
Ich weiß keine Antwort.

Herzliche Grüße
TT

 Saira äußerte darauf am 13.11.22 um 09:44:
Lieber Tasso,
 
das ist ein großes Problem. Anzeigen bei der Polizei gegen den Halter werden erfahrungsgemäß nicht verfolgt. Die Meldung über einen Hundebiss sollte man unbedingt beim Ordnungsamt melden. Die prüft den Vorfall und wird entscheiden, ob der Halter zukünftig Auflagen erfüllen oder den Hund abgeben muss.
 
Bei Sissys Halter ist es nicht nachvollziehbar, warum ihm als Jäger und nach Anzeigen anderer Hundebesitzer nur „die Leinenpflicht“ auferlegt wurde. Ich weiß, dass er mit dem Förster befreundet ist.
 
Herzliche Grüße
Sigrun
Taina (39)
(12.11.22, 23:27)
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 Saira ergänzte dazu am 13.11.22 um 09:45:
Das sehe ich genauso wie du
 
Ich danke dir für dein Feedback und deine Empfehlung!
 
Liebe Grüße
Sigrun

 AchterZwerg (13.11.22, 07:46)
Eine innere Stimme mahnte mich, es nicht zu tun, denn wenn ich alle Idioten dieser Welt schütteln wollte, würde der ganze Planet beben.
Da sagst du was!

Lächelnde Grüße
Heidrun

 Saira meinte dazu am 13.11.22 um 09:46:
Nicht wahr, liebe Heidrun? Wer weiß, wohin dann ein Zwerg purzeln würde …
 
Herzliche Grüße
Sigrun
Teolein (70) meinte dazu am 13.11.22 um 10:13:
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 Saira meinte dazu am 13.11.22 um 15:18:
Moin Teo,
 
trägst du zu früher vielleicht ein anderes Eau de Toilette (zum Beispiel: parfum pour nez de chien/ Parfum für Hundenasen)? 😊 Diese Wandlung im Kontakt von dir zu Hunden ist schon bemerkenswert.
 
Ich wünsche dir ebenfalls einen schönen Sonntag!
 
Kläffende Grüße
Sigrun
Teolein (70) meinte dazu am 13.11.22 um 15:56:
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 AlmaMarieSchneider (13.11.22, 12:28)
Die Jagd und die Ausbildung von Hunden gehört schon lange verboten. In letzter Zeit werden die Prozesse von Waldbesitzern auf Jagdverbot sogar positiv entschieden. 
Der Ausgang der Geschichte war jetzt etwas bedrückend, weil diese Hundeausbildung schon grausam ist und bestehen die Hunde nicht, werden sie (zumeist in Spanien erhängt) in Deutschland landen sie dann im Tierheim oder werden aus fadenscheinigen Grund erschossen. Natürlich zufällig.

Liebe Grüße
Alma Marie

 Saira meinte dazu am 13.11.22 um 15:24:
Nachdem ich deinen Kommentar gelesen habe, bin ich weiter auf die Suche nach Artikeln über die Gründe bzw. Notwendigkeit der Jagd gegangen und auf den unten aufgeführten gestoßen. Als ich ihn las, wurde mir übel, obwohl mir einiges daraus bekannt war.

 Warum jagen Jäger wirklich?

Hier ein Ausschnitt:


Ein Jäger und Journalist:
"Ich jage, also bin ich"
Der Jäger und Journalist Eckard Fuhr versucht sich im ZEIT Magazin als Philosoph, indem der den philosophischen Grundsatz »Ich denke, also bin ich« abwandelt:

»Wenn es mir nur um Erholung in der Natur ginge, würde ich Golf spielen. Aber Golf ist für mich so ziemlich das Unsinnigste, was es gibt. Jagen dagegen ist Sinn schlechthin. Jagen ist keine Neben-, sondern eine Hauptsache. Ich jage, also bin ich.«

Die Frage, warum er jage, beantwortet er so: »Und natürlich, ich gebe es zu, Jagd ist aufregend. Ein wild lebendes Tier zu erbeuten ist etwas anderes, als eine alte Henne mit dem Hackebeil in ein Suppenhuhn zu verwandeln. Auch nach vielen Jahren habe ich mit dem Jagdfieber zu kämpfen. Pulsfrequenz und Adrenalinspiegel steigen, wenn sich jagdbares Wild zeigt. Das Schießen verlangt Selbstbeherrschung. Wenn das tote Reh dann gefunden ist, stellt sich ein unvergleichliches Gefühl innerer Zufriedenheit ein. Doch, vergleichbar ist es: Nach erfolgreicher Jagd fühlt man sich wie nach gutem Sex oder nach dem Schreiben eines Textes, den man für gelungen hält.« (Eckard Fuhr: Jagd - Hat der einen Schuss? ZEIT Magazin 48/2010)

Eine »Notwendigkeit« der Jagd für die Natur, den Wald oder die Allgemeinheit ergibt sich daraus nicht. Andere Menschen gehen zum Bungee-Jumping, um den Adrenalinspiegel zu pushen. Aber dafür muss niemand leiden und sterben.

Ich danke dir für deinen Beitrag zu diesem traurig-ernsten Thema, deine Empfehlung und Favorisierung!

Herzliche Grüße
Sigrun

Antwort geändert am 13.11.2022 um 15:25 Uhr
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