Eine Verteidigung des Krieges

Essay zum Thema Krieg/Krieger

von  Graeculus

Es gibt nichts, was mir dermaßen zuwider ist wie Krieg und Gewalt. Niemals in meinem Leben habe ich eine Waffe in die Hand genommen. Das ist eine tiefe emotionale Abneigung. Die Frage jedoch, ob und unter welchen Umständen der Krieg eine positive Bedeutung für die Menschheit hat, ist eine ganz andere, ist eine der nüchternen Reflexion.


Dabei sollten wir uns nicht vom Christentum den Blick vernebeln lassen, auch nicht von dem Christentum, das selbst uns Atheisten aufgrund eines über Jahrtausende hinweg vermittelten Wertekanons von Kindertagen an noch im Blut steckt. Christen haben zwar allezeit ihr „pax vobiscum“ auf den Lippen getragen; sie vertreten aber doch die intoleranteste, streitsüchtigste und militanteste Religion, welche die menschliche Geschichte kennt. Schon in ihren frühen Tagen haben sie nicht nur die „Heiden“ bekämpft, sondern auch in ihren zahllosen Sekten einander im Streit um theologische Spitzfindigkeiten die Schädel eingeschlagen.


Was spricht, indem wir uns davon nicht blenden lassen, für den Krieg?


1.  Wenn wir annehmen, daß es höhere Werte gibt als das eigene Leben (und viele Menschen sind dieser Ansicht), dann gibt es Werte, für deren Wahrung man sein Leben einsetzen sollte. Für manche ist es Gott, für viele die Familie (d.h. geliebte Menschen), und in einer langen Tradition sind es Recht und Freiheit, die „Freiheit aufzubrechen, wohin man will“ (Hölderlin). Dem entspricht das Konzept des gerechten Krieges, also eines Krieges, der rechtlich legitim ist. Dazu gehören der Verteidigungskrieg (der Krieg gegen einen unprovozierten Angriff), der präventive Krieg (der Krieg gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff) sowie der Interventionskrieg (der Krieg zum Schutz anderer Menschen und ihrer Menschenrechte, etwa vor einem Genozid). Dies abzulehnen würde bedeuten, es gäbe eine Pflicht, sich als Volk und Staat ohne Widerstand zum Opfer zu machen und andere Menschen ihrem Schicksal zu überlassen.


2. Menschen neigen zur Trägheit; solange sie zufrieden mit dem Bestehenden sind, tun sie nichts, um am Bestehenden etwas zu ändern. Der Krieg aber „ist aller Dinge Vater, aller Dinge König“ (Heraklit). Er zwingt uns – mehr noch als alle kleineren Konflikte -, unser gesamtes Potential auszuschöpfen und unsere Fähigkeiten zu entwickeln. Er ist damit ein Motor der menschlichen Entwicklung – nichts Bequemes, nichts Angenehmes, nichts für ein wohliges Gefühl, doch etwas sehr Wirksames.


3. Im Einklang damit steht eine historische Beobachtung: Nahm man früher an, der Krieg habe seinen Anfang genommen mit der Neolithischen Revolution (ab 8000 v.u.Z.), also mit der Einführung von Ackerbau und Viehzucht als veritablen Kriegsmotiven, so zeigt sich inzwischen in den Forschungen der Archäologen immer deutlicher, daß auch vorher schon Stämme einander mit Gewalt begegnet sind. Auch die Motive dafür sind älter als die Neolithische Revolution: Territorium und Frauen. Nicht um Äcker und Feldfrüchte handelte es sich zunächst, aber um Jagdgründe und um Gebiete mit allerlei sammelbaren Früchten. Was die Frauen angeht, so gab es endogene und exogene Stämme, also Stämme, die sich ihre Frauen innerhalb oder außerhalb des eigenen Stammes suchten. Es ist klar, welche Variante biologisch vorteilhafter ist. Zwei Stämme können Frauen tauschen, oder sie können sie rauben. Wer erfolgreicher dabei ist, hat mehr Frauen. Auch hier liegt der biologische Vorteil klar auf der Hand.

 
So hat der Krieg entscheidend zur Entwicklung (Evolution) der Menschheit beigetragen; ohne den Krieg wären wir nicht das, was wir sind.

 
Will man dem moralische Bedenken entgegenhalten (keineswegs ein unsympathischer Standpunkt), dann muß man das Leben und die Naturordnung selbst infrage stellen. Ein „es wäre doch nett, wenn wir alle einander liebhätten“ ist kein Konzept einer alternativen Naturordnung.


Aber die Evolution ist ein Spiel, ein Experiment; sie muß nicht zu einem glänzenden Erfolg führen, sondern kann auch scheitern. Und es ist abzusehen, wie wir Menschen unser Kriegspotential inzwischen dermaßen hoch entwickelt haben, daß wir damit nicht nur unsere Feinde, sondern auch uns selbst, uns alle vernichten.


Insofern ist ein Nachdenken über eine alternative Naturordnung kein schlechter Einfall. Und zwar ohne die naive Annahme, der Krieg lasse sich „mit ein bißchen gutem Willen“ durch etwas Besseres ersetzen.


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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (21.11.22, 15:58)
Jeden Krieg kann man einen legitimen Anstrich verpassen, ich denke dabei an den Irak und seine angeblichen Chemie-Waffen. Ausschlaggebend ist auch die Seite die festlegt was für sie legitim ist. Russland sieht sich in einem legitimen Krieg gegen die Ukraine. Die Ukraine auch, sie verteidigt ihr Land. Für mich gibt es keinen "legitimen" Krieg, weil jeder Krieg zu Hass, Gewalt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mord führt. Mord an den vom Staat in den Krieg gezwungenen Soldaten, die sich auch noch gegenseitig umbringen sollen. Warum sollte eine Mutter ihre Kinder für solch einen Wahnsinn hergeben? 
Sicherlich ist die Natur des Menschen anders gestrickt und Frieden wird es erst geben, wenn der letzte Mensch verschwunden ist. Doch diesen Wahnsinn zu verteidigen wäre von mir zu viel verlangt.

Herzlichst
Alma Marie

 Regina meinte dazu am 21.11.22 um 17:41:
Genau, Alma-Marie. Wer sich klar macht, wieviel Schmerz und Mühe es kostet, ein Kind menschenwürdig aufzuziehen, muss einsehen, dass wir als Mütter das nicht auf uns nehmen, um unsere Söhne für einen Krieg zu opfern, bei dem vor allem andere bestimmen, was für angeblich "höhere Werte" über dem Leben stehen. Krieg bedeutet Zerstörung mit großem Fleiß aufgebauter Häuser und Wohnungen, Zerstörung der Infrastruktur funktionierender Städte und letzten Endes Mord und menschenunwürdige Quälerei. Wer Krieg führt, versündigt sich gegen die Menschheit, wer nicht alles tut, Krieg zu beenden, schändet sich und sein Volk. Wer den Krieg verachtet, darf sich nicht zur Kriegspartei machen lassen.

 Graeculus antwortete darauf am 21.11.22 um 22:03:
Daß diese meine Thesen auf große Zustimmung stoßen könnten, habe ich nicht angenommen. Nun, meine eigene, persönliche Einstellung zum Krieg habe ich deutlich gemacht, aber auch, daß es mir hier nicht darum geht, sondern um die historische Bedeutung des Krieges in der Menschheitsgeschichte.

Ihr bringt nun mit Recht die weibliche Perspektive ein. Mütter haben keine Neigung, Kinder für den Krieg zu gebären. Das kann man so sehen, das sagt schon die Lysistrata in der gleichnamigen Komödie des Aristophanes.

Man kann das als Frau allerdings auch anders sehen, und ich bin mir sicher, daß viele Frauen dies auch anders gesehen haben (heute noch sehen?).

1. Von vielen Frauen (ich denke jetzt historisch, ja?) kann man hören, daß sie erfolgreiche Helden attraktiv finden.
Meine eigene Mutter sagte mir einmal, daß sie als junge Frau eine Schwäche für Männer in Uniformen gehabt habe. Und dann kam mein Vater als schmucker Feldwebel. Und was, welchen Typ Frauen attraktiv finden, hat für Männer eine enorme Bedeutung! Das ist biologisch (Geschlechtswahl) von höchster Bedeutung; daran müssen Männer sich orientieren, wenn sie sich erfolgreich fortpflanzen wollen.

2. Neben dem Fall, daß eine Mutter im Krieg einen Sohn verliert, gibt es ja auch den, daß er als Held, als erfolgreicher, ruhmvoller Krieger aus der Schlacht zurückkehrt. Sollten da nicht auch etliche Mütter stolz sein? Auch dafür kenne ich Belege.

3. Von den Irokesen, einer matrifokalen Gesellschaft (d.h. mit einer den Männern überlegenen gesellschaftlichen Bedeutung von Frauen), weiß man, daß die Frauen dort zwar nicht gekämpft haben, aber bei der Folterung der gefangenen Feinde am Marterpfahl höchst aktiv waren. Auch Frauen kennen schließlich Konkurrenz und Stammesidentität.

4. Ferner fält mir auf, wie populär der bekannte Amazonen-Mythos ist, also die Vorstellung von starken, kriegerischen Frauen. Was für Männer eher beunruhigend sein mag, kann mithin für Frauen durchaus faszinierend sein.

Fazit: So eindeutig und einseitig ist die Einstellung von Frauen zum Krieg nicht, wie Ihr es suggeriert.

 AlmaMarieSchneider schrieb daraufhin am 21.11.22 um 23:30:
Lieber Graeculus,

dazu muss ich mich mal etwas empört melden. Ich bin keineswegs eine "historische Frau", sondern gehöre einer Generation von Frauen an, die nicht mehr dem "Heldenepos" frönt sondern in Kriegen männliche Machtdemonstration und natürlich das Kapital sieht, dass aus solchen Katastrophen zu ziehen ist. Diesen Warlords werde ich weder Mann noch Kind opfern. Selbstverständlich sind auch Frauen zu Grausamkeiten fähig. Grausamkeit gebiert Grausamkeit. Die Geschichte sollte uns doch lehren wie furchtbar und grausam Kriege sein können. Die Faszination des Bösen gemischt mit Macht ist dem Menschen eigen und deshalb ist Hoffnung auf Frieden eher eine Utopie. Aber man sollte Kriege verurteilen und nie rechtfertigen. So sehe ich das. Ich lebe in der Jetztzeit und kann weder historischen Kriegen noch Neuzeitlichen etwas abgewinnen. Die Historischen tun nur nicht mehr weh.
Taina (39) äußerte darauf am 22.11.22 um 12:13:
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 Graeculus ergänzte dazu am 22.11.22 um 13:34:
Frauen finden nicht automatisch Uniformen attraktiv.

Das freilich habe ich nie behauptet, sondern eher dies:

Uniformen werden in Kriegszeiten allgemein  bevorzugt, sonst nur von best. Frauentypen.

D.h. es ging mir darum, dem (berechtigten) Standpunkt von Alma und Regina gegenüber darauf hinzuweisen, daß es sehr wohl auch einen anderen weiblichen Standpunkt gibt, was ich dann durch Beispiele belegt habe. "Ich will mein Kind nicht in einem Krieg verlieren", ist eine mögliche Einstellung. Es ist auch biologisch sinnvoll, für das Überleben der eigenen Kinder besorgt zu sein; aber wenn es Krieg gibt (und es gibt ihn ja), dann ist es sinnvoll, starke Kinder und Männer zu haben. Insofern ist das, was die anderen Frauen (die anderen als Alma und Regina) empfinden, ebenso verständlich.

Daß man Kriege für moralisch schlecht und verderblich erklärt, hilft nicht viel, solange man keine Vorstellung von einer alternativen Natur- und Gesellschaftsordnung hat - einer Ordnung, die auch die Funktion übernehmen kann, welche Kriege für die Evolution haben.
Soweit ich weiß, ist bisher jeder Versuch, sich ein biologisches System auszudenken, das ohne die Gesetzmäßigkeit von Vermehrung --> Verknappung der Lebensmittel --> Kampf ums Dasein --> Auslese auskommt, gescheitert, weshalb Biologen selbst für hypothetisches Leben auf Exoplaneten nicht anders können, als dieses Modell zugrunde zu legen.

Daß der Kampf ums Dasein im Evolutionsgeschehen hier auf der Erde momentan in eine Sackgasse zu führen scheint - geschenkt.
Taina (39) meinte dazu am 22.11.22 um 14:55:
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 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 15:34:
Es gibt Inseln, wo die Vermehrung konsequent begrenzt wurde, so dass es nicht zur Verknappung kam.

Und die Evolution dort? Oder stagnierte das System dort? Wie wurden ungünstige Mutationen herausselektiert?


Also, der Ansatz zahlenmässig kontrollierter Vermehrung ist gar so abwegig, es wurde schon erfolgreich praktiziert.

Fehlt dort nicht ein "nicht"?


Der aktuelle Krieg wird nicht wg. fehlender Ressourcen geführt ...

Da muß man wohl eine tiefere Analyse der Hintergründe dieses Krieges vornehmen. Worum geht es da eigentlich? Wie steht Rußland künftig in der Welt da? Wer bestimmt künftig die Weltordnung? Und welche Bedeutung hat das für die beteiligten Politiker? Ihre subjektiven Ziele (Macht) müssen nicht identisch sein mit dem, worum es objektiv geht. Das habe ich von Hegel gelernt. Das, worum es Alexander dem Großen subjektiv ging, hat wenig zu tun mit der objektiven Bedeutung dessen, was dabei herausgekommen ist: der Hellenismus.

 Tula meinte dazu am 22.11.22 um 21:57:
Hallo
Ich denke, hier werden jetzt einige Dinge verwechselt. Die Darwinsche Theorie natürlicher Selektion wird nicht über Kriege bewiesen, schon gar nicht wenn zwei Zivilisationen aufeinander treffen, welche gesellschaftlich und technologisch auf völlig verschiedenen Stufen stehen. Da könnte man eher darüber debatieren, warum mehrere Wellen der Pest im Mittelalter etwa die Hälfte der Bevölkerung Europas dahinrafften, während die zweite Hälfte mehr oder weniger unversehrt überlebte. Auch das hat nichts mit dem 'Stärkeren' zu tun, aber sehr wohl mit genetisch bedingter Resistenz, die sich unter den Bedingungen jener Pandemie über soziale Ränge hinweg als Selektionsfaktor erwies.

Die richtige Frage wäre nicht nach 'Krieg', sondern Aggressivität im weiteren Sinne. Jede Spezies in der Natur hat ihre eigenen Formen der Aggressivität, je nach Lebensraum und -weise. Wir stammen schließlich von unseren Vorfahren ab, die bereits in ihrem tiefsten 'Tierstadium' aggressiv ihren territorialen Anspruch gegen andere Gruppen durchsetzten, ob als Eroberung (weil im 'besetzten' Gebiet aus verschiedenen Gründen die Resourcen knapp wurden) oder Verteidigung. Das ist übrigens bei Schimpansen bekannt, die haben sogar so etwas wie 'Grenztruppen'. Ebenso ist das auf und ab von Populationen in der Natur schon lange vor dem Studium der Lemminge bekannt gewesen. Unter 'guten Bedingungen' wächst die Population bis sie an die Grenzen der Verfügbarkeit der Resourcen gerät, oder sich jene durch Umweltbedingungen verringert.

Lange Rede kurzer Sinn: Aggressivität ist für die Spezie als auch das einzelne Individuum notwendig. Aber eben auch Nächstenliebe (für den Erhalt der Gruppe). Genauso haben sich Raffgier und Uneigennützigkeit und viele andere typisch menschlichen und sich anscheinend widersprechenden Eigenschaften irgendwann in der Evolution als nützlich erwiesen, je nach den Umständen und im Kontext der sozialen Familie vs. Individuum. Und ja, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Territorium - Resourcen - Aggressivität. Die letztere sichert wenn notwenig das Überleben der Gruppe. Alles nichts Neues.

Wir sind also stets zwei Seiten einer Medaille, es gibt keine mit nur einer. Alles in uns hat seine Ursache, aus tierischer Sicht. Wir haben uns aber gesellschaftlich entwickelt und Zivilisationen geschaffen, die zwar ähnliche soziale Grundstrukturen wie die ursprünglichen Gruppen (Stämme) aufweisen, aber weitaus komplexer sind. Krieg ist demnach 'typisch' für unsere Spezie, aber deshalb noch lange keine unabwendbare Bedingung für unseren Fortbestand auf lange Sicht. Eher das Gegenteil. Der Territorialstaat wird irgendwann verschwinden bzw. kulturell an Bedeutung verlieren, bis zu dem Punkt an dem kein Land mehr versuchen wird, sich über direkte Annexionen zu erweitern. Das schließt nicht aus, dass wir auf alle Ewigkeit um Macht und wirtschaftliche Vorherrschaft 'kämpfen' werden. Aber eben nicht wie im Mittelalter (sorry, ich meine natürlich das 20. und 21. Jahrhundert).

LG
Tula

Antwort geändert am 22.11.2022 um 22:00 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 12:57:
1. Darwin selbst war ein Sozialdarwinist, der (in "Die Abstammung des Menschen") das britische Empire mit der Überlegenheit der britischen Rasse erklärt (und in einem gewissen Sinne gerechtfertigt) hat.

2. Krieg ist sicherlich nicht die einzige Art, in der Selektion stattfindet, und Aggression mag das übergeordnete Phänomen sein.

3. Daß Darwin systematisch die Kooperation unterschätzt, ist ihm schon früh vorgehalten worden, zuerst m.W. von dem russischen Anarchisten Pjotr Kropotkin ("Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt").

4. Ich habe den Eindruck, daß, wenn wir jetzt einmal über Menschen in ihrer Stammesgeschichte sprechen, Kooperation in erster Linie innerhalb des Stammes eine Rolle spielt, während zwischen Stämmen - nicht immer, aber oft - Konkurrenz herrscht.

5. Die universelle Menschenliebe ist gewiß eine ethische, keine biologische Kategorie.

6. Konkurrenz heute noch so zu gestalten wie im Mittelalter oder im 19. Jhdt., erscheint auch mir weder biologisch noch ethisch sinnvoll, schon im Hinblick auf das selbstzerstörerisch gewordene Potential der Technik. Leider fällt mir keine Alternative ein. Ethisch könnte man Freuds Gedanken über Sublimierung heranziehen, aber biologisch? Was wird aus der Selektion?

Ein interessantes Gespräch!
Herzlichen Gruß
Graeculus
Taina (39)
(21.11.22, 17:59)
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 Graeculus meinte dazu am 21.11.22 um 22:15:
Viele sind der Ansicht, wenn es aber an ihnen ist, diese Ansicht umzusetzen, ändern sie ihre Meinung.

Das sehe ich keineswegs so. Im Grunde ist jeder Selbstmordattentäter (und jede Selbstmordattentäterin!) eine Widerlegung dieses Standpunktes.

Nein, der Krieg ist keine menschliche Erfindung, darin gebe ich Dir recht. Was jedoch die Bedeutung des Krieges noch verstärkt.


Was immer er für fortschrittliche Nebenprodukte lieferte, der Preis ist zu hoch.

Nun, schauen wir uns das einmal an. Mir liegt ja immer die Antike nahe. Ohne den erfolgreichen Feldzug Alexanders des Großen hätte es keinen Hellenismus gegeben, und ohne den Hellenismus hätte das Neue Testament nicht in seiner Sprache (der Κοινή) verfaßt sein und von allen Menschen des Mittelmeeraumes verstanden werden können; es wäre eine jüdische Sekte geblieben. Und ohne Christentum ...

Ein neueres Beispiel ist der amerikanische Sezessionskrieg. Gäbe es ohne ihn noch die Sklaverei in den Südstaaten?

Und so weiter. Das sind nicht alles bloß unbedeutende Nebenprodukte.

 AlmaMarieSchneider (21.11.22, 19:38)
Bertholt Brecht möchte ich mal zitieren. Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin, dann kommt der Krieg zu dir.

 Graeculus meinte dazu am 21.11.22 um 22:20:
Bertolt Brecht war gegen bestimmte Kriege, nämlich gegen diejenigen, welche den Interessen des Kapitals bzw. der "Ausbeuter" dienten. Den Krieg, der alle Kriege beendet (ein schöner Traum!), also die sozialistische Weltrevolution, wußte er durchaus zu würdigen.
Nein, die Marxisten kannten sich zu gut in der Geschichte aus, um anzunehmen, daß ihre Ziele ohne Revolution (d.h. Bürgerkrieg) zu erreichen wären.

Allerdings hatten sie für die Zeit danach, also den Kommunismus, eine alternative Gesellschaftskonzeption. Hat ja "wunderbar geklappt". Ich wüßte gerne eine Alternative, die ich plausibel finden kann.

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 21.11.22 um 23:44:
Ja, wenn die Menschen Engel wären, dann bräuchte man über Alternativen nicht nachdenken und eine Alternative wird es vermutlich auch nicht geben.
Eigentlich sagt ja genau das Zitat dies aus. Selbst wenn keiner hingeht gibt es Krieg.

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 13:36:
Wenn es keine Alternative gibt, dann ist das wahr, was ich befürchte. Unsere Naturordnung ist kein Ponyhof, sondern steht mit moralischen Vorstellungen im Dauerkonflikt.
Taina (39) meinte dazu am 22.11.22 um 15:02:
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 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 15:40:
Ja, ich rede über die Auseinandersetzung mit dem Darwinismus, den man ja als die zweite große Kränkung der Menschheit bezeichnet hat:
1. Die Erde steht nicht im Mittelpunkt des Universums. (Kopernikus)
2. Der Mensch ist ein Tier und agiert wie ein Tier. (Darwin)
3. Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus. (Freud)

Man muß dem nicht zustimmen. Aber was ist die Alternative?
Wenn (zu Punkt 1) die Christen heute immer noch von einem geozentrischen Weltbild ausgehen und glauben, für Gott stünden die Menschen und die Erde im Zentrum seines Interesses, dann ist das eben keine Alternative, sondern ein überholtes Weltbild.
Wenn (zu Punkt 2) Menschen heute immer noch annehmen, es sei doch im Grunde ganz einfach, friedlich zusammenzuleben, dann ist das naiv, das ist vor-darwinistisch (und selbst ein antiker Römer hätte darüber müde gelächelt).

 Tula (21.11.22, 22:41)
Hallo Graeculus
Dass Krieg fester Bestandteil der menschlichen Entwicklungsgeschichte ist, wird niemand bestreiten. Die Betonung liegt dabei wohl auf 'Entwicklung', denn sowohl Anlässe (offizielle oder vorgegebene) als auch Kriegsführung und die benutzte Waffentechnik sind in diesem Prozess einem Wandel unterworfen.

Meine hoffentlich nicht ganz ungerechtfertigte Sichtweise dazu ist, dass sich gewisse kriegerische Auseinandersetzungen in der Zukunft einfach nicht mehr "lohnen" werden. Zum einen bedroht das Zerstörungspotenzial moderner Waffen auch die Existenz der Seite, die sie zuerst benutzt (weil der Gegenschlag kaum verhinderbar ist). Zum anderen kommt man mit anderen Mitteln wirtschaftlicher Natur (einschließlich als 'Waffe', siehe Sanktionen) schneller voran. Die Nachteile des direkten Krieges überwiegen denen anderer Mittel der Auseinandersetzung.

Ich sehe dahingehend die russische Aggression gegen die Ukraine als einen der letzten dieser Art, d.h. einen mehr oder weniger imperialistischen Eroberungsfeldzug, der in einer globalisierten Welt von vornherein wenig Chancen auf nachhaltige Gewinne hat. Er passte gut ins 20. Jahrhundert und weist zum Beispiel einige interessante Parallelen zum Winterkrieg zwischen Russland und Finnland auf.

Grenzkonflikte und generell Kriege um natürliche Resourcen (nicht nur Öl, auch Wasser, seltene Metalle usw.) wird es wohl weiterhin geben, auch wenn sie aus humanistischer Perspektive nie und nimmer eine Rechtfertigung verdienen. Ich sehe dann auch die Gefahr des organisierten Verbrechens, die Interesse daran haben, ein Land im Chaos bürgerkriegsähnlicher Zustände zu halten. Nicht weil man die Macht anstrebt, sondern weil gewisse Geschäfte im Chaos besonders gut laufen. Siehe Somalia.

LG
Tula

Kommentar geändert am 21.11.2022 um 22:47 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 13:44:
Was die moralischen Bedenken gegen den Krieg angeht, so brauchen wir darüber nicht lange zu diskutieren.
Interessant ist Deine These, daß das, was Kriege in der Vergangenheit für die Menschheitsentwicklung geleistet haben (in einem biologischen Sinne), in Zukunft nicht mehr funktionieren wird. Insofern steht die Menschheit derzeit an einem Scheideweg: Entweder gelingt es uns, eine Alternative zu diesem System zu etablieren, oder das Projekt Homo sapiens ist gescheitert.
In einem anderen Forum wies mich kürzlich eine Frau auf eine andere Problematik hin, die sie geradezu als Paradox bezeichnete: Einerseits gelingt es der Medizin, immer mehr Menschen immer länger am Leben zu erhalten (was biologisch sinnvoll ist), andererseits trägt genau dies zu einer Überbevölkerung der Erde bei (was biologisch nach dem Korrektiv des Krieges "schreit").
Und nun? Wo ist die Alternative? Wir haben kein Konzept, keinen Plan.
Die Menschheit fährt auf einem Schiff ohne Kompaß.

 Tula meinte dazu am 22.11.22 um 14:15:
Hallo Graeculus
Dieses Paradox ist leicht zu lösen: Kondome  :D
Oder genauer: Familienplanung findet genau dort statt wo die Menschen länger am Leben gehalten werden und dieser Trend führt unweigerlich zur demografischen Veralterung. Ohne frisches Blut aus ärmeren Ländern würde es 'uns' in Europa in ein paar hundert Jahren nicht mehr geben, Restbestände allenthalben.

Das wahre Problem scheint mir eher kultureller Natur (im weiteren Sinne) zu sein. Wenn wir an den Resourcen sparen, müssen wir ihretwegen in der Zukunft ja auch keine Kriege anzetteln. 

LG
Tula

Antwort geändert am 22.11.2022 um 14:15 Uhr

Antwort geändert am 22.11.2022 um 14:16 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 15:47:
Klar, Kondome. Aber was wird dann aus Mutation & Selektion, was aus der Evolution? Wir setzen eine uralte natürliche Gesetzmäßigkeit außer Kraft, ohne etwas Besseres zu haben, woran wir uns orientieren.

Wenn wir an den Ressourcen sparen, können mehr Menschen auf der Welt überleben. Gut. Entweder stoßen wir dann bei 12 Milliarden Menschen statt bei 8 an unsere Grenze, oder wir stagnieren, weil es keinen Druck mehr gibt, sich weiter zu entwickeln.

Zu den Kondomen bzw. zur Begrenzung der Fortpflanzung: Kürzlich ging die Nachricht um, daß die Zahl der Spermien pro Ejakulat sich weltweit (also nicht nur in den Industrieländern) seit 1960 halbiert hat. Die Tendenz ist mit 1,5 % pro Jahr weiter fallend. Über die Ursachen wurde nichts gesagt ... aber biologisch klingt das bedenklich, malthusianisch vielleicht beruhigend.
Taina (39) meinte dazu am 22.11.22 um 15:52:
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 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 16:00:
Kriege, klassische Kriege, fördern keine Mutation (Atomkriege schon), sondern die Selektion! Survival of the fittest. In dieser Hinsicht haben sie die Indianer als nicht so 'fit' erwiesen - so faszinierend und sympathisch sie ansonsten auch gewesen sein mögen.
Taina (39) meinte dazu am 22.11.22 um 16:51:
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 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 21:20:
Darwin selbst wußte noch nichts von Genetik, er kannte Mendel nicht; deshalb nennt man das aktuelle biologische Modell "Snythetische Evolutionstheorie". So fasse ich Deine Frage auf, und ja, ich hatte ja auch von Mutationen gesprochen, während Darwin vage von Anlagen spricht.

Es gibt nach meiner Kenntnis kein Kriterium für Fitness in der Biologie außer diesem einen: Überleben. Wer überlebt, hat sich dadurch als fitter erwiesen, denn er hat die Chance, seine Anlagen/Gene vermehrt an die Nachkommen weiterzugeben. Das ist das Entscheidende!
Man mag dieses Kriterium schwammig nennen, aber es ist doch in einer Hinsicht eindeutig: dem Fortpflanzungserfolg.

Zu der Frage, wie biologisch der Kampf zwischen zwei eng verwandten Gruppen einzuschätzen ist, kenne ich keine Antwort - außer dieser einen: Es wird eine Seite gewinnen, und die wird einen entscheidenden Vorteil haben.
Eine andere Frage, mir ebenfalls nicht klar, ist die nach der biologischen Funktion eines relativ stabilen Anteils an homosexuellen Individuen, obwohl die doch mangels Nachkommenschaft glatt herausselektiert werden müßten.

Der Darwinismus resp. die Synthetische Evolutionstheorie beantwortet keineswegs alle Fragen, aber ohne diese Theorie wüßten wir überhaupt nicht, wie Lebewesen sich entwickeln.
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 00:14:
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 Tula meinte dazu am 23.11.22 um 01:04:
Hallo Taina
Krieg ist nicht notwendig für die Evolution in biolologischer Hinsicht. Krieg ist (leider) Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklung gewesen.
Das mag fatalistisch klingen (es ging zumindest bis heute nicht ohne Kriege und Gewalt). Läuft dennoch auf die alte These hinaus, dass gesellschaftliche Entwicklung 'notgedrungen' über Sklavenhalterschaft und andere Formen brutaler Ausbeutung (Kolonialismus usw.) bis hin zum modernen Kapitalismus lief und 'laufen musste'. Gerade weil in jeder Epoche damit erzeugter Mehrwert (Reichtum, Produktion) gesteigert wurde. Der ewige Drang nach mehr Mehrwert hat im Grunde zwei Seiten: Handel und Krieg. Sind immer beide Hand in Hand gegangen und haben zwangsläufig nach destruktiven Phasen immer wieder Raum für Neues (Wissenschaft, Kultur, Technik) eröffnet und erobert.

Klingt jetzt alles ein bischen wie Marx  ;) Aber es ist wohl so: wenn alles nochmals von vorn beginnen würde, es liefe im Groben denselben Weg. Das bedeutet nicht, dass Krieg "gut" sei. Ist er nicht. Und wird vielleicht eines Tages wirklich der Vergangenheit angehören, aus den genannten Gründen der Gefahr der Selbstzerstörung. Aber dazu müsste als erstes das Prinzip 'Territorium als Machtbasis' überwunden werden. Staatengemeinschaften wie die EU sind da durchaus ein Schritt in diese Richtung. Oder ich bin jetzt allzu idealistisch  :D

LG
Tula

Antwort geändert am 23.11.2022 um 01:06 Uhr
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 11:19:
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 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 13:02:
An Taina:

Irgendwo - ich weiß, da ich in Eile bin, gerade nicht, wo es am passendsten wäre - möchte ich Dir vor der Fortsetzung unseres Gespräches die Frage stellen: Wendest Du Dich gegen den Darwinismus oder gegen meine Interpretation des Darwinismus? Im letzteren Falle müßten wir klären, ob ich den guten Charles überhaupt richtig verstanden habe.
Sozialdarwinist war er in der Tat, wie man in "Die Abstammung des Menschen" (nicht in "Die Entstehung der Arten") gut erkennen kann.

Auf später!
Graeculus
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 13:24:
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 Tula meinte dazu am 23.11.22 um 13:57:
Hallo
Ich denke, wir verwechseln noch immer zwei Dinge, was das Anführen des Sozialdarwinismus auch offenlegt.

Die natürliche Selektion ist ein Prozess der über viele Generationen hinweg die Anpassung der Spezies an ihre Umwelt ermöglicht bzw. verbessert. Sie hat uns Aggressivität als 'instinktives Verhaltensmuster' gegeben, gleichermaßen anderen Tieren, die sich 'territorial' verhalten um zu gewährleisten, dass in ihrem 'Revier' die Nahrung nicht ausgeht. Das ist natürlich nur einer von mehreren Gründen für Aggressivität (z.B. neben den Kämpfen um soziale Rangordnung usw.).

Sowohl Raub als auch die Verteidigung des eigenen Territoriums sind somit Urinstinkte des Menschen, die Zivilisation und Kultur in jeder Epoche beeinflussen. Ich würde sogar behaupten, dass von den beiden komplementären Instinkten der der Verteidigung der stärkere ist. Wir sind eher bereit uns für die Heimat (d.h. für 'unseren Stamm') selbstlos zu opfern als für eine Eroberung. Ich denke auch das wird im Krieg der Ukraine (wie auch vorher von Afghanistan bis hin zurück zu den 300 Spartanern) ziemlich deutlich. Eroberer haben das schon sehr oft unterschätzt, es geht dabei um weit mehr als Liebe zur Heimat.

Krieg erwächst aus diesen uralten sozialen Verhaltensmustern und hat somit die Geschichte mitbestimmt. Jeder Krieg für sich ist jedoch aus der Perspektive der Evolution nur ein momentanes Ergebnis, welches im Sinne Darwins überhaupt nichts beweist. Ganz nebenbei halte ich Sozialdarwinismus jeder Art für ziemlich zweifelhaft. 

In der Debatte geht ein zweiter Aspekt unter. Wir haben neben der Aggressivität auch das Gegenstück gewonnen, d.h. die Fähigkeit, komplexe soziale Konflikte friedlich zu lösen, innerhalb der Gruppe und mit anderen. Noch wichtiger für die menschliche Entwicklung als die Fähigkeit, Kriege zu führen, denn ohne sie wäre Zivilisation unmöglich. Wie im Vergleich der Instinkte Raub vs. Verteidigung sind die Instinkte der Erhaltung stets stärker als die der Bereicherung bzw. potentiellen Zerstörung der sozialen Gemeinde. Deshalb ist jeder Krieg der Zukunft vermeidbar. Das Gute ist stärker als das Böse.

LG
Tula

Antwort geändert am 23.11.2022 um 14:01 Uhr
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 14:53:
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 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 17:42:
Ich bin nicht sicher, ob ich mit allen Aspekten unserer Dreier-Diskussion noch mithalten kann; möglicherweise geht mir der eine oder andere Aspekt verloren.

Mein Versuch, die Übersicht zu behalten:

1. Es ist ein alter Einwand gegen den Darwinismus, daß sein Prinzip "Im Kampf ums Dasein überleben die Bestabgepaßten" tautologisch sei, d.h. nicht mehr bedeute als "Im Kampf ums Dasein überleben die Überlebenden", weil es nämlich kein anderes Kriterium für 'besser angepaßt' gibt als 'überleben'. Ich sehe nur eine Möglichkeit, diesem Einwand zu begegnen, indem man nämlich das Prinzip erweitert: "... und durch dieses Überleben findet die Entwicklung der Arten statt, indem die Überlebenden ihre Erbanlagen weitergeben können". Dieser Zusatz ist nun nicht mehr tautologisch. Das müßte auch in etwa im Sinne Darwins sein.

2. Einen wichtigen Schritt über den erweiterten Darwisnismus, die Synthetische Evolutionstheorie, hinaus bildet die relativ neue Disziplin der Epigenetik, die besagt, daß kulturelle, soziale und ähnliche Einflüsse durchaus dazu führen können, daß bestimmte Erbanlagen eingeschaltet werden oder eben nicht; insofern sind dann auch erworbene Eigenschaften vererbbar - was ja früher eine Tabu-These war.

3. Zur selektiven Funktion von Kriegen ein Beispiel: Die Indianer waren (genetisch bedingt, soweit ich weiß) anfällig für Alkoholismus sowie bestimmte Krankheiten, gegen die sich bei den Weißen bereits Resistenzen gebildet hatten. Das ist eine Selektion im Krieg der Weißen gegen die Indianer.

4. Ein weiteres Beispiel vermute ich in den Kriegen der Römer gegen die Karthager. Man müßte dabei klären, ob die unerbittliche Zähigkeit der römischen Bauernkrieger, die nicht einmal die militärische Genialität Hannibals zu überwinden wußte, eine genetische Komponente hatte. Hier fehlen mir ein wenig die Kenntnisse.

5. Wenn ich den Darwinismus richtig verstanden habe (siehe 1), braucht man sich allerdings nicht allzu viele Gedanken über genetische Details zu machen, denn allein der Umstand, daß eine bestimmte Gruppe im Krieg überlebt, die andere nicht, führt dazu, daß die erste Gruppe ihre Anlagen an die nächsten Generationen weitergeben kann, die andere hingegen nicht. Es waren die Römer, welche die weitere Geschichte Europas und des Mittelmeerraumes bestimmt haben, nicht die Karthager.

6. Wenn der Darwinismus recht hat mit seiner These, daß auch Menschen Tiere sind und ihre Evolution vom Australopithecus bis zum Homo sapiens den Spielregeln der Evolution verdanken, dann kann der Sozialdarwinismus - wie gesagt, schon bei Darwin festzustellen - nicht völlig danebenliegen. Allerdings und selbstverständlich verfügen Menschen über die Möglichkeit, sich von biologischen Determinanten zu lösen und andersartige Normen zu entwickeln: Moral, Religion. (Das in vielen Religionen zu findende Ideal der Keuschheit ist ein Beispiel dafür, die Feindesliebe/das Keinen-Widerstand-Leisten ein anderes: Beides ist biologisch sehr ungünstig.)

7. Es ist nun relativ leicht, sich über den Sozialdarwinismus zu erheben und eine andere Art der Regelung sozialer Probleme zu propagieren; es erscheint mir jedoch sehr schwer, sich eine dazu passende Naturordnung auszudenken. Schwache und behinderte Kinder (noch bei den Griechen umstandslos ausgesetzt) sollen nun am Leben erhalten werden. Gut. Damit verzichtet man auf die Selektion. Auch gut. Und welche Folgen soll das haben für die Menschheit? Gibt es dazu ein Konzept? Das würde ich gerne kennenlernen.

8. Ich halte es für dringend notwendig, sich Gedanken um alternative Konfliktlösungen zu machen, da die Entwicklung (auch dies eine Evolution) der Kriegstechnik eine selbstzerstörerische Tendenz bekommen hat. Was einst als Selektion funktioniert hat, führt nun anscheinend in eine Sackgasse.

 Tula meinte dazu am 23.11.22 um 18:36:
Hallo Graeculus
Ich verstehe die These, denke aber, dass Schlüsse wie in 3) und 4) nicht sehr sinnvoll sind. Der Ausgang eines Krieges hängt von vielen Faktoren ab. Daran lässt sich kein Darwinsches Prinzip beweisen. Im Detail: die nordamerikanischen Indianer waren dem 'weißen Mann' in vielerlei Hinsicht klar unterlegen: in Anzahl, waffentechnisch, logistisch und und und ... Der Zusammenprall der Zivilisationen auf verschiedenen Stufen gesellschaftlicher und technologischer Entwicklung hat stets dasselbe Resultat: die weit fortgeschrittenere siegt. Da helfen leider auch meine Verteidigungsinstinkte wenig. Den Niedergang Karthagos kann man ebenso rein militärisch analysieren. Glück oder Pech in der Schlacht oder einfach nur der Umstand, dass der Einmarsch über die Alpen logistisch gesehen zum Scheitern verurteilt war.

So oder so, die Auslese der Evolution beinhaltet eine schrittweise Anpassung über äonische Zeitspannen. Ein Krieg ist ein historisches Ereignis, welches allenthalben beweist, dass die eine Seite der anderen aus welchen Gründen auch immer überlegen war. Mehr aber auch nicht. Der Knackpunkt solcher Theorien liegt im Unterschied zwischen Genetik und Kultur. 

Ähnlich in der Arbeitswelt: bessere Organisation, neue Ideen zum richtigen Zeitpunkt, auch Aggressivität im marktwirtschaftlichen Sinne können über Sieg und Untergang entscheiden. Das wäre die Genetik eines Unternehmens, jenseits der Genetik der Menschen, die in ihr arbeiten. Und das evolutioniert nicht auf der Ebene der Firma selbst, sondern markt-gesellschaftlich insgesamt. Die Firma die noch heute den Markt bestimmt, geht schon morgen krachen. Da reicht eine unbedachte Investition ... bzw. eine drastische Veränderung in der "marktwirtschaftlichen Umwelt".
Aber die Leute, die sich dann einen neuen Job suchen müssen, können später durchaus wieder sehr erfolgreich sein.

LG
Tula

Antwort geändert am 23.11.2022 um 18:37 Uhr

Antwort geändert am 23.11.2022 um 18:41 Uhr

 Tula meinte dazu am 23.11.22 um 19:00:
PS: ein letzter Punkt: das alte Sprichwort: wir kochen alle nur mit Wasser (d.h. teilen die gleiche DNA)

Evolution unterliegt dem Prinzip des Zufalls (genetische Mutation). Die, nennen wir es 'gesellschaftliche Genetik', beinhaltet aktives, bewusstes Handeln. Daraus erwächst im Laufe der Zeit Stärke, natürlich nicht allein im kriegerischen Sinne. Es ist aber kein Auslese-Prozess, sondern eine dynamische Auseinandersetzung zwischen Ländern, Unternehmen usw. Die 'besten' mögen da gewinnen, die DNA im biologischen Sinne spielt überhaupt keine Rolle, schon weil sie über unvergleichlich längere Zeiträume in Erscheinung tritt.

Fazit: es gibt Parallelen zwischen Genetik/Evolution und gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen. Dennoch hinken solche Vergleiche. Kultur und Genetik sind nicht dasselbe. 

LG
Tula

Antwort geändert am 23.11.2022 um 19:00 Uhr

Antwort geändert am 23.11.2022 um 19:01 Uhr
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 20:23:
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 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 23:29:
Morgen, bitte; heute bin ich zu müde.

Nur zu einem möchte ich spontan & kurz etwas sagen, lieber Tula:

dass der Einmarsch über die Alpen logistisch gesehen zum Scheitern verurteilt war.

Nach diesem "logistisch zum Scheitern verurteilten" Einmarsch über die Alpen hat Hannibal die Römer in drei Schlachten geschlagen: an der Trebia, am Trasimenischen See und - die wohl heftigste Niederlage, die eine römische Armee jemals erlitten hat - bei Cannae. Dennoch hat Rom nicht aufgegeben, nicht einmal ernsthaft daran gedacht, und Hannibal hat den Krieg verloren. Diese römischen Sturköpfe hatten eine bestimmte Mentalität. Woher? Wieso? (Natürlich gibt es darauf keine eindeutige biologische Antwort - aber Darwin hätte eine gegeben.)

 Tula meinte dazu am 24.11.22 um 00:20:
Hallo Graeculus
Gutes Beispiel dafür, dass man mehrere Schlachten gewinnen kann und den Krieg dann doch verliert. Ich vermute, Rom hatte die längere Puste, eine Kapazität, immer wieder neue Heere aufzustellen und an verschiedenen Punkten des Territoriums zuzuschlagen. Hanibals Mittel und Logistik blieben im Vergleich begrenzt. Seinem Heer ging irgendwann die Puste aus ...

Was hätte Darwin gesagt? Vielleicht gar nichts. Jedenfalls kannte er die Punischen Kriege. Es ändert auch nichts am Aspekt genetischer Faktoren. Es gab keine, die Völker des Mittelmeerraums waren alle genetisch gesehen enge Verwandte. Der Aspekt der Mentalität, wenn man hier anführen darf, wäre kultureller Natur. Ob die Römer 'für die Heimat' kämpften, würde ich im Vergleich eher weniger berücksichtigen. Aber Rom hatte eine nie versiegene Quelle frischer Soldaten und war militärisch (genau wie Karthago) 'hoch-entwickelt'. Man kann es auch andersherum sehen: es gab nur Platz für eine Supermacht im Mittelmeerraum. Nur eine konnte gewinnen. Am Ende spielte vielleicht auch Kriegsglück eine Rolle.

Aber zurück zum Thema: Kultur (wie auch aus dem Vergleich mit Unternehmen der heutigen von starker Konkurrenz geprägten Marktwirtschaft ersichtlich) ist das Ergebnis aktiver Gestaltung durch den Menschen selbst. Wir haben alle auf der Welt dieselbe DNA. Die Unterschiede, die selbst Resultat der Anpassung an klimatische Bedingungen darstellen (Hautfarbe, Augenform), sind irrelevant wenn es um Kultur und gesellschaftliche Prozesse geht. Es gibt allerdings sicher Unterschiede auf individueller Basis. Die Risikobereitschaft eines Mannes ist ihm generell wahrscheinlich in die Wiege gelegt worden. Was er damit im Leben macht und entweder ein Krimineller oder erfolgreicher Unternehmer wird, könnte wiederum von kulturellen und sozialen Faktoren abhängen.

Der Sieg eines Stärkeren ist kein Beweis für eine 'Anpassung' im Darwinschen Sinne, sondern schlichtweg eine Folge der Umstände. Goliath siegt ... ha, und ab und zu der andere.

Ich halte den sozialen Darwinismus für wenig wissenschaftlich. Er lässt sich weitaus leichter am Beispiel widerlegen als beweisen, und führt uns obendrein in eine gefährliche Richtung mit Hinsicht auf die angebliche Überlegenheit der einen gegenüber anderen. 

Wie auch von Taina angeführt, natürliche Selektion braucht Zeit. Irgendwann las ich mal, dass für die Anpassung der Hautfarbe ans Klima mindestens 20.000 Jahre nötig sind. Gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen laufen aber derart rasant ab, dass der genetische Entscheidungsfaktor von vornherein ausscheidet. 

Man könnte, wenn man es will, von einer 'kulturellen DNA' reden und dann interessante Vergleiche ziehen. Aber selbst dann bleibt der Unterschied: im Gegensatz zum Zufallsprinzip, dem 'blinden' Spiel natürlicher Auslesung, werden Gesellschaft und Kultur, im Großen wie im Kleinen, aktiv geformt und gestaltet. Somit ist Krieg (als Erscheinung) einfach nur Resultat des Darwinschen Prozesses, unseres 'Mensch-seins', der natürlichen Instinkte, die uns die Evolution gegeben hat.

Im frühen Mittelalter war uns die arabische Welt in vielen Aspekten weit überlegen und wir die 'stinkenden Barbaren'. Hat unser 'europäischer Aufstieg' und der Niedergang bzw. Stagnation der arabischen Welt irgendetwas mit genetischen Faktoren zu tun? Ich denke nicht. 

LG
Tula

Antwort geändert am 24.11.2022 um 00:27 Uhr
Taina (39) meinte dazu am 24.11.22 um 06:42:
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 Tula meinte dazu am 24.11.22 um 07:44:
Schwache und behinderte Kinder (noch bei den Griechen umstandslos ausgesetzt) sollen nun am Leben erhalten werden.
Das wäre ohnehin eine Missdeutung Darwins. Sein 'survival of the fittest' bezieht sich in erster Linie auf die Fortpflanzung und schrittweise Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen.

Da sich behinderte Menschen schwerer fortpflanzen als völlig gesunde, ist dieser Mechanismus auch so garantiert, bis heute.
Ich vermute auch, dass sich 'bei den Griechen' speziell auf Sparta bezieht. Da zogen bei weitem nicht alle alten Kulturen mit.

Ausserdem geht es bei Darwin um ALLE Arten und nicht nur den Menschen. Ich wüsste nicht, dass zum Beispiel die Gazellen Krieg führen und ihre behinderten Jungen bewusst den Löwen zum Fraß vorwerfen ...  ;)

Tula

Antwort geändert am 24.11.2022 um 07:50 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 24.11.22 um 14:43:
An Taina:

Man kann das so sehen: alles, was geschieht, ist Selektion. Dann muß man jedoch hinzufügen, daß sie ein Spiel ist, dessen Ende wir weder sehen noch beeinflussen können.

Ein interssanter Fall ist bzw. war ja Stephen Hawking, den man mit großem Aufwand am Leben gehalten und der das der Menschheit mit großen Leistungen gedankt hat.

 Graeculus meinte dazu am 24.11.22 um 14:58:
An Tula:


Wir haben alle auf der Welt dieselbe DNA. Die Unterschiede, die selbst Resultat der Anpassung an klimatische Bedingungen darstellen (Hautfarbe, Augenform), sind irrelevant wenn es um Kultur und gesellschaftliche Prozesse geht.

Ist das so? Oder handelt es sich hier um eine These?

Ich möchte noch einmal etwas anders ansetzen, und zwar unter Ausklammerung der Genetik, die ja - wie gesagt - in Darwins Konzept ursprünglich gar nicht vorkam.

Es gibt da ein berühmtes Experiment:
Wir bauen zwei Wasserbecken, eines mit dunklem, eines mit hellem Grund. In beide setzen wir eine Mischung von dunklen und hellen Fischen. In der Nähe suchen Kraniche nach Beute.
Nach einer relativ kurzen Zeit werden im dunklen Becken die hellen Fische ausgestorben sein, im hellen Becken die dunklen.
Das ist so simpel und so einleuchtend, daß man m.E. davon ausgehen kann, daß Natur so funktioniert.
Kann man das als Krieg der Kraniche gegen die Fische auffassen?

Ist nicht so wichtig. Ich übertrage dies auf einen Krieg, und zwar unter Menschen. Du kennst die gewiß die bei allen Armeen verbreitete Flecktarn-Uniform. Diese war eine Erfindung der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg. Gut kann ich mich noch daran erinnern, wie mein Vater erzählte, sie von der Wehrmacht hätten anfangs gespottet über dieses komische Kostüm. Sie haben nicht lange gespottet, denn der Flecktarn bedeutete einen wichtigen Überlebens- und Selektionsvorteil im Kriegseinsatz.
Dermaßen vorteilhaft, daß inzwischen - s.o. - alle Armeen ihn übernommen haben.

Am Anfang steht in diesem Falle keine genetische Auslese (obgleich die SS darum ja einen großen Bohei gemacht hat), sondern ein Einfall. Er erweist sich als günstig im Kampf. Und Menschen verfügen jetzt - im Gegensatz zu Fischen - über die Möglichkeit, ihn zu übernehmen.
Kann man sagen daß so - unter dem Druck des Krieges - ein Fortschritt stattgefunden hat?

Es ist damit natürlich nicht gesagt, daß man das nicht auch ohne Krieg - etwa mit zivilem Wettbewerb - haben könnte. Allerdings sehe ich das noch nicht, und ich sehe auch nicht, daß die Abschaffung des Krieges, so sehr sie von vielen gewünscht wird, vor der Tür stünde.

 Graeculus meinte dazu am 24.11.22 um 15:00:
Ich fürchte, Tula, ich bin jetzt nicht auf alle Gedanken von Dir eingegangen; sollte ich einen übersehen haben, der Dir wichtig ist, dann mache mich bitte auf ihn aufmerksam. Es ist hier unübersichtlich geworden.

 Graeculus meinte dazu am 24.11.22 um 15:03:
Noch zu Taina:


Ich denke es ist genau anders rum, es überleben nicht nur die fittesten. Es überleben alle, außer den unfitten.

Das klingt komisch, wenn man bedenkt, daß alle Hominiden und Homininen ausgestorben sind außer einer einzigen Spezies.
Taina (39) meinte dazu am 25.11.22 um 08:11:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 27.11.22 um 17:50:
Nein, der Fall Stephen Hawking widerspricht nicht der Biologie. Physische Fitness ist eben nicht das Kriterium, sondern nur: das Überleben und die Fähigkeit, Nachkommen zu zeugen. Eventuell kann sogar ein Individuum keine Nachkommen hervorbringen und dennoch zur Fitness seiner Gruppe beitragen.
Offenbar haben schon die Neandertaler behinderte Individuen  versorgt und am Leben erhalten - warum, wissen wir nicht.

Ich habe nicht behauptet, daß der Homos sapiens alle seine Vorläufer ausgerottet habe; aber er ist im Kampf ums Dasein als einzige Spezies übriggeblieben.
"Ausrottung" dürfte in der Biologie ohnehin nicht der Regelfall im Kampf ums Dasein sein.
Aber der Homo sapiens hat, wo immer er auftrat, die Großsäuger (Mammuts, Höhlenbären etc.) tatsächlich ausgerottet. In Amerika sogar die Pferde ... bis die Weißen sie reimportiert haben.

 Augustus (22.11.22, 12:16)
Aus der Sicht der Natur betrachtet, liegt in militärischer Stärke eines Staates auch gleichzeitig seine Resistenz gegenüber potenziellen Gefahren, und sichert dem Staat sein Überleben. Die Gefahr jedoch droht von anderen Staaten. Die Natur hat es jedoch so eingerichtet, dass der überlebt, der sich am ehesten an die verändernden Bedingungen anpasst. Es ist logisch begründbar warum Staaten Militär halten und Waffen besitzen; es garantiert ihnen ihr Überleben, nach dem Prinzipien der Natur. 
Ein wehrloser Staat ist eine Beute für den militärisch stärkeren Staat. Auch dies ist dem Naturprinzip entlehnt. Gleichwertig militärisch starke Staaten stehen unentschieden einander gegenüber. Das Risiko bei einem Krieg mit einem gleichwertigen Gegner ist höher, als der Sieg. Aufgrund des Prinzips de überlebensfähigkeit eines Staates, analog der Natur, werden gleichwertig starke Staaten keinen Krieg gegenseitig ausfechten. 

Dem naturprinzip widerspricht jedoch das moralische Prinzip der Menschenverachtung. 

Wenn Waffen in der Welt entstehen, entsteht mit ihnen gleichzeitig die Menschenverachtung. Menschenverachtung ist jenes Prinzip in der Natur, durch den Menschen hervorgebracht,  welches die Staaten benötigen um ihr Überleben zu sichern.

Die Menschenverachtung geht also der Waffe voran und nicht umgekehrt. 

Es ist also das Prinzip der Menschenverachtung, das einerseits dem moralischen Prinzip widerspricht, der Mensch darf einen anderen Menschen nicht töten, andererseits schafft es die Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit eines Staates. 

Der Mensch ist dem anderen Menschen nicht ein Mensch, sondern ein Räuber, der ihm nach dem Leben trachten könnte. Darauf gründen alle Staaten, die Militär besitzen. 

Salve

Kommentar geändert am 22.11.2022 um 12:20 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 13:52:
Aufgrund des Prinzips der Überlebensfähigkeit eines Staates, analog der Natur, werden gleichwertig starke Staaten keinen Krieg gegenseitig ausfechten.

Es sei denn, einer von ihnen befindet sich in einer Notlage: Untergang oder Risiko! Der Verzweiflungsangriff ...

Daß die biologische Ordnung des Kampfes ums Dasein moralischen und rechtlichen Regeln widerspricht, d'accord.
Letztere sind von Menschen erdacht, ohne daß die Natur daran gebunden wäre.

Darauf kann man in zwei Weisen reagieren:
1. Schopenhauer: Er lehnt die Welt aus moralischen Gründen ab, empfiehlt die Verneinung des Willens zum Leben, ist Pessimist.
2. Nietzsche: Er lehnt die Moral zugunsten des Lebens ab und nennt das einen "Pessimismus der Stärke".
Nur für den Optimismus scheint es kein Refugium zu geben.

 Regina meinte dazu am 22.11.22 um 14:08:
Die Kriege der Antike und die vor 1850 waren andere Kriege, wo Mann gegen Mann bzw. Pferd und Schwert auf dem Schlachtfeld gegeneinander gekämpft haben. sie sind mit den modernen Luftkriegen geschweige denn Atom nicht vergleichbar. Aber gerade, weil die Kriege der Gegenwart immer grausamer geworden sind, muss die Menschheit einen Entwicklungsschritt gehen, der Kriege von der Erde verbannt. Das beginnt mit einer Wirtschaftsform, die nicht auf Konkurrenz basiert, und einer Lebensweise, die die Ressourcen schont. Die Umwelt beachten und Krieg führen, das geht auch nicht zusammen. Eine friedfertige Einstellung ist angesagt. Aber nicht alle haben das schon kapiert.

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 14:11:
Viele Menschen wollen ja die Natur "überwinden" oder "verbessern". Kann das gutgehen? ... solange der Antrieb dazu in uns ein natürlicher ist (Überleben und Vermehrung)? Wir haben ja die Natur nicht nur um uns, sondern auch in uns.

 Regina meinte dazu am 22.11.22 um 14:30:
Richtig. Und da gilt es, anzusetzen. In uns.

 Augustus meinte dazu am 22.11.22 um 14:50:
Aktuell ist es so, dass relativer Frieden durch die Abschreckung von Atombomben gewährleistet ist. 
Stellt man sich das vor, dass jeder Nachbar erst ruhig schlafen kann, wenn er eine Waffe unter dem Kissen hat, dann sollte dies Szenario eigentlich dafür sorgen, dass man gerade nicht ruhig schlafen kann. Denn, wenn alle Nachbarn und man selbst Waffen gegen seine Nachbarn zum Schutz hat, so hätte man im Grunde bei der anfangssituation verbleiben können, wo noch niemand eine Waffe hatte und jeder sich mit bloßen Fäusten wehren müsste.  
Wenn alle Staaten Atombomben hätten, stünden sie in Wahrheit zueinander wie zum Zeitpunkt als wenn kein Staat Waffen hätte. Ihre Ausgangslage ist dieselbe. 
Jeder besitzt Atombomben. Aber keiner hat wirklich faktische Macht mehr. 


Da aber Fortschritt und Zeit(!) das Machtgefälle von Staaten beeinflussen, so entsteht Dominanz eines Staates über einen anderen. 

Dominanz ist gewünscht, da man Macht besitzt.

Eine starke Wirtschaft wird dafür sorgen, dass das Geld ins Militär fließt. Siehe Amerika. Deutschland ist unter den zwei verlorenen Kriegen militärisch entmachtet, sonst würde es unter anderen Umständen Milliarden ins Militär stecken. Chinas Wirtschaft ist stark, die Überschüsse werden ins Militär gesteckt. Simple Logik: es erhöht das Überleben des Staates gegen äußere und innere Feinde. 
1953 fand eine Revolution in der DDR statt. Sowjetische Panzer rollten an. Frieden wurde wieder hergestellt. Das wird China notfalls auch im Innern des Reiches tun. Genauso.

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 15:51:
An Regina:

Bitte etwas präziser, wenn es Dir möglich ist. Welche Vorstellungen von einer Naturordnung hast Du? Wir werden innerlich friedlicher, gut. Und was wird dann aus den biologischen Gesetzmäßigkeiten, denen wir unsere Evolution verdanken?
Die Säugetiere (die wir ja auch sind) verdanken ihren Triumph über die Saurier doch nicht dem Umstand, daß sie so friedlich sind.

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 16:05:
An Regina, noch zu weiter oben, hatte ich beinahe übersehen:

Es ist in der Tat die Frage, ob neuzeitliche Kriege (etwa ab der Erfindung des Maschinengewehrs) noch der Selektion dienen.
Vielleicht (!) ja, dann aber nicht der Selektion einzelner, sondern ganzer Staaten bzw. Völker, deren Technik sich als überlegen erweist. Es kann aber durchaus sein, daß der biologische Mechanismus sich ab einem bestimmten technischen Standard als suizidär erweist. Dennoch bleibt die frage, ob wir etwas Besseres als diesen biologischen Mechanismus aus dem Hut zaubern können - nicht nur moralisch, sondern eben auch biologisch besser.

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 16:09:
An Augustus:

Diese Naturordnung ist wahrlich nicht dazu gedacht, die ihr unterliegenden Wesen ruhig schlafen zu lassen. Sie ist überhaupt nicht dazu gedacht, Wesen glücklich zu machen.

Sollte sie - wider meine Annahme - auf einen Gott zurückgehen, dann war es ein Gott, der den Kampf liebt.

 Terminator (22.11.22, 15:34)
Einige Argumente erinnern an "Krieg. Wozu er gut ist" von Ian Morris.

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 15:52:
Danke für den Hinweis. Kannte ich nicht. Erhebe aber auch nicht den Anspruch, daß das alles auf meinem Mist gewachsen ist.

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 17:38:
Doch, kenne ich wohl, habe ich sogar hier stehen. Manchmal verliere ich den Überblick. Also Dank für die Auffrischung meines Gedächtnisses.

 Terminator meinte dazu am 22.11.22 um 22:12:
Würde mir auch so gehen, wenn ich nicht die Tradition eingeführt hätte,  gelesene Bücher mit einer kurzen Notiz (zuweilen Besprechung oder Rezension) zu versehen. Und da hole ich auch vor vielen Jahren gelesene Bücher aus dem Gedächtnis.

 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 17:46:
Ich beschränke mich auf Anstreichungen und Randbemerkungen in Büchern und ansonsten darauf, sie nach bestimmten Kriterien in den Regalen einzuordnen. Leider gibt es dann unklare Fälle: Gehört dieses Buch nun zur Philosophie oder zur Geschichte, und innerhalb der Geschichte zur Universal- oder zur Kriegsgeschichte usw. So kommt es dann, daß ich eine mögliche Kategorie übersehe und das Buch dann nicht mehr finde.
Deine Methode mag besser sein, noch besser ist sicher das digitale Pendant zur klassischen Karteikarte.

 Graeculus meinte dazu am 24.11.22 um 14:40:
Im Hinblick auf die anstehende Frage und den Untertitel enttäuscht mich das Buch auf den ersten Blick.
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