Meine letzten Worte an dich, aber nicht meine letzten Gedanken

Liebesbrief zum Thema Abschied

von  Mondscheinsonate

Hallo Nachbar,


Wie sollte ich dich sonst anreden? Manchmal sagte ich "Alter Mann", liebevoll, vermutlich, um Distanz zwischen uns zu bewahren, dabei waren wir längst eng umschlungen. Einen Kosenamen gab es nicht, ich war immer die "Cori", das "i" für die Kleine.

Stets hast du mich wie eine Erwachsene behandelt, was ich schön fand und es war selbstverständlich, dass ich um zwei Uhr früh noch immer bei dir saß, vielleicht wolltest du auch nicht alleine sein und wer hätte das gedacht, die pure Harmonie endete beinahe mit dem Ende deiner Karriere, gerade hatte sie so schön begonnen, aber mit Geld und Beziehungen kann man in Wien alles richten, ja, aber es hat dich dann doch zugrunde gerichtet. 


Heute habe ich die neue Sensation ergattert, das hätte dir gefallen, den Briefwechsel zwischen Frisch und Bachmann. Der Buchhändler meines Vertrauens hat es sofort für mich zurückgelegt, stell dir vor, es war innerhalb von Stunden in ganz Wien ausverkauft! In der Alser Straße ist meine Buchhandlung, reizende Leute, stolzer Preis, fast 42 Euro hat man hinblättern müssen. Du hättest es mir sicher an Weihnachten unter die Zimmertanne gelegt, damals schon, wäre alles damals. Schließlich las ich meine erste Bachmann bei dir, nahm sie aus dem Regal, las den Titel "Malina" und setzte mich auf deine Couch und begann zu lesen. "Cori, möchtest du einen Saft?" -"Hmm"-"Hmm heißt ja oder nein?" Schweigen. Als ich aufsah, standest du vor mir, mit dem Glas in der Hand, hast gelächelt. "Warum lächelst du?" "Ich freue mich, dass du liest."

Ja und ich habe nie wieder aufgehört zu lesen, habe alles von dir gelesen, auch "Clever&Smart", das mochte ich gerne und deine "Mad"-Comics, herrlich. 

Also, das Buch hätte ich definitiv von dir bekommen, es liegt vor mir und erinnert mich an dich, der Titel "Wir haben es nicht gut gemacht" läßt mich erschaudern. 


Alles bei dir, nein, alles an dir fand ich schön, besonders das Zusammensein. Der Mensch neigt dazu, erst im Nachhinein das Schöne zu erkennen. 

Im Grunde bin ich nie von dir fortgegangen, habe dich mitgenommen, du bist ein guter Teil von mir geworden, vielleicht der Beste, das solltest du wissen. 

Und ja, du hast dir lange Mühe gegeben, "nur" einen Vaterersatz zu spielen, verdammte Mühe, dann einen Freund, aber du konntest den Casanova nicht unterdrücken, irgendwann gar nicht mehr. Gut, für dich war das sicher auch komisch, zuerst sitzt ein junges Mädchen vor dir und plötzlich eine junge Frau.

Die schönste Nacht meines Lebens war die, als ich in deinen Armen einschlafen konnte und das, obwohl es mir nicht gut ging, du warst da und alles war in Ordnung, so hätte es immer sein müssen. 

Wir haben es wirklich nicht gut gemacht, ja, ich hätte sowieso irgendwann bald mit dir geschlafen, ein bisschen Mut antrinken und dann sicher, Dummkopf! 

Was wäre dann gewesen? Sag's du mir!

Wäre ich wie eine Katze um's Haus geschlichen, um dir nicht mehr zu begegnen vor Scham, so wie nach deiner Tätlichkeit? Oder, hätten wir es immer wieder getan? Hätten wir so getan, als ob nichts passiert wäre? Wären die unschuldigen Jahre vorbei gewesen? Das Ja. 

Du warst ein Freigeist, ich die Verklemmte bei dir. Wie sehr ich dich liebte! Das wusstest du ohne Worte. 


Ich höre deine Stimme, die letzten Worte hast du immer verschluckt, genuschelt und warst du fertig, hast du gelacht. Heute las ich eine Botschaft von einer Frau, mit der du politisch tätig warst: "Mein Mentor, mein Freund...!"

Anscheinend, meine Stimme geht jetzt hinunter, um zynisch zu werden, hast du sogar noch im Alter die alten Damen entzückt. Ein Foto mit ihr, zwei alte Leute umarmt. Du hast am Schluss wie Thomas Bernhard ausgesehen, den du mir übrigens geschenkt hast und ich kam nie wieder los. Ich betrachtete dich und dachte: "Da gehörst du schon lange nicht mehr zu mir, das ist nun wirklich ein alter Mann, das davor gehörte mir."

Du vor dem Computer sitzend, ich fahre mit meiner Hand, hinter dir stehend, unter deinen Bademantel und spüre dein Herz klopfen, nackte Haut und lege meinen Kopf ganz nah an deinen, schließe die Augen. Kurz verharren, weiter geht es in Keuschheit. 

Ich erzählte dir alles, einfach alles, du hast nicht nur meinem Körper weh getan, sondern auch meiner Seele.


Heute telefonierte ich zwei Stunden mit Tom, das ist mein bester Freund, das seit 20 Jahren, der ist jetzt 55 und wohnt in der Nachbarschaft. Einmal gestand er mir Liebe, ich erwiderte sie nicht. Ich schwöre dir, der hübscheste Junggeselle, gutsituiert, lieb, belesen, aber ich hatte Angst, wieder mal. Mich hätte interessiert, ob der dir zugesagt hätte, hat dir ja niemand. Und nein, ich habe den nie angegriffen, ich Depp. 

"Cori, hör immer auf dein Herz!" Und du?

Na ja, er versteht mich. Ich kann nur mit ihm darüber reden, sonst hassen dich meine Schwester und C. Du hast mir wehgetan. Ich muss die Glückliche spielen. Wieso hast du so viel gesoffen?

Wolltest du deine Seele reinigen?

Nun, es ist jetzt genug, ich werde jetzt lesen gehen. Ich werde dein Werk fortführen und dem Bürgermeister schreiben, damit du ein Bankerl bekommst, für ein Platzerl warst du zu klein, schließlich hast du viel im Kleinen bewirkt. Aber, ich setze mich dafür ein, denn du warst mein "ganzes Leben-Mensch" - Ich bin jetzt Du. Und, ich werde keine Politikerin, keine Dampfplauderin, sondern Juristin, wie sagtest du so schön: "Bildung kann Macht bedeuten". Den Mut habe ich von dir und mein neuestes Projekt wird das Verbot der Laubbläser in Wien sein, die Grazer haben es durchgesetzt und es war vor Corona bereits im Gespräch, ja, ich hätte dich wieder gebraucht, aber jetzt mache ich es alleine, denn ich habe Igel und die soll man in Ruhe lassen. Ich mache das, du wärst stolz auf mich. Aber, das warst du sicher, ich kenne dich, du hast gesehen, dass ich zum du werde. 

Spät, aber doch.

Im Übrigen, wir haben es wirklich nicht gut gemacht. Das nicht. 

Und genau das ist das Traurige.

Schlaf gut, jetzt musst du morgen nicht mehr früh raus, träum was Schönes.

Ich lebe inzwischen.

Deine Cori


P.S. Die Sexualstrafrechtklausur spritz ich, hab das Nebenfach genommen, dachte, es geht, aber das geht nicht. Das sitzt zu tief. Ich verzeihe dir, vergesse aber nicht.


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