Wir haben das Parkhaus in der Bergstraße überlebt

Kurzgeschichte zum Thema Nacht

von  Koreapeitsche

Ich taumelte wie gehabt erst nach Sendeschluss aus dem Subway. Die Musik war längst verstummt. Der letzte Song war turnusmäßig „Auf der Reeperbahn“ von Hans A. Die sexy Tresenfrau, Katrinka, warf uns nicht sofort raus, schrie aber alle 30 Sekunden „Feierabend“. Sie arbeitete wie auf Speed. Schließlich stellte ich die leere Becksflasche auf den Tresen und stolperte die Treppe hoch am Pfefferminz vorbei, stützte mich am Geländer ab, und schleppte mich hoch zum Hinterhof-Ausgang. Hier wurde ich in ein Streitgespräch verwickelt mit langhaarigen Handwerkern, bis absehbar war, dass ich den Nachtbus verpassen würde. Instinktiv ging ich ins Parkhaus, das in der unteren Etage wirkte wie eine Tiefgarage. Es roch nach Müll, es roch nach Kot, es roch ranzig, irgendwie nach Kotze, es roch nach Autoabgasen. In einer dunklen Ecke sah ich ein paar Gestalten mit Stiefeletten, Jeans, Lederjacken und Acer-Matten. Es glomm etwas, das größer war als eine Zigarette. Ich hörte hämisches Gelächter und aggressive Halbsätze. Als ich mich den Gestalten näherte, erkannte ich meinen Kumpel Gunner, ein Jungrocker aus Dorf-P. Als ich anschnitt, dass ich den letzten Bus soeben verpasst hatte, sagte Gunner, ich solle doch das grüne Rennrad nehmen, das dahinten unangeschlossen in der Ecke steht. Ich ging zu dem Rennrad, dass keinen Markennamen, sondern nur die grüne Rahmenfarbe hatte. Es schien intakt zu sein und war tatsächlich nicht abgeschlossen. Ich schob das Rad zu den Gestalten, wo wir es gemeinsam inspizierten.

      „Das ist gut das Rad. Fahr damit doch nach Hause.“

      „Meinst du ja?“

      „Klar. Das hat 10 Gänge. Die Bremsen funktionieren auch.“

Ich bedankte mich für den Tipp und fuhr los. Ich war zwar betrunken, hatte aber freie Fahrt um die Uhrzeit. Ich musste bloß mit den Pollern auf der Holtenauer aufpassen. Auf dem Weg zur Hochbrücke kam mir das Rad seltsam bekannt vor. Die rechte Pedale ruckelte leicht, ohne dass es mich beim Treten behinderte. Dies Problem hatte mein altes Rennrad auch, dass mir vor wenigen Monaten gestohlen wurde. Doch das alte Rennrad war gelb und dies hier grün. Während der Fahrt dämmerte es langsam. Ich bemerkte ein paar Lackschäden. Höhe Altenholz-Stift sah ich an einigen Stellen gelbe Farbe durchschimmern. Langsam war die Sache klar. Ich fuhr gerade die Fördestraße entlang und fand die Story mit dem Rad so fantastisch, dass ich nicht nach Hause, sondern zu Ringo nach Schilksee führ. Ich wollte ihm das unbedingt sofort erzählen. Als ich bei Oi-Ringo ankam, kletterte ich über den Gartenzaun auf das Dach des Flachbaus und riss ihn aus dem Schlaf. Seine Eltern meckerten kurz. Jetzt saßen wir in seinem Zimmer, hörten wieder Secret Life of Punks und tranken je eine Dose Bier, und ich erzählte ihm die Story mit dem Rennrad, dass mir erst während der Fahrt klar wurde, dass ich offensichtlich mein eigenes Fahrrad im Keller des Parkhauses in der Bergstraße geklaut hatte.

      „Wie kann das denn schon wieder sein?“

sagte Ringo und drehte die LP ein weiteres Mal um.


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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (24.11.22, 07:11)
Sicherlich ein Erlebnis der besonderen Art, das selbst einen veritablen Punk am ausgereizten Hirninhalt zweifeln lässt ...

Viele Grüße
der8.
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