Panzer und Gesellschaft: der israelische Merkava

Essay zum Thema Krieg/Krieger

von  TrekanBelluvitsh

Geschichte:

Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 sah sich die IDF (IDF =
Israeli Defensive Forces, israelische Armee) mit zwei Problemen konfrontiert. Zunächst galt es die Verluste an Panzern zu ersetzen. Wie hoch diese waren, vermochte Israel vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Doch die Panzerwaffe der IDF war substanziell geschwächt. Alle Kriege seit der Gründung des Staates Israel hatten offen gelegt, wie abhängig man von Waffenlieferungen aus dem Ausland war. Besonders deutlich wurde dies, als Großbritannien Israel aus der beabsichtigen Beteiligung an der Entwicklung des „Chieftains“ ausschloss. Mehrere Länder aus dem Nahen Osten drohten, diesen nicht zu kaufen, sollte Israel auf irgendeine Weise am „Chieftain“ beteiligt sein. Großbritannien war auf die Erlöse aus den Panzerverkäufen angewiesen. Es gab dem Drängen der anderen Nationen nach. Israel ging leer aus.


Der „Merkava
:


Um bei einem zentralen Waffensystem wie dem Kampfpanzer nicht vom Ausland abhängig zu sein, beschloss die israelische Regierung die Entwicklung eines eigenen Fahrzeuges. Der „
Merkava“ (hebräisch – dtsch. „Streitwagen“) wurde geboren. 100 Millionen US-Dollar wurden für seine Entwicklung bereitgestellt. Die Konzeption stammte von einem Team unter Führung des Generals Israel Tal. Diese Konzeption wurde von einem Büro unter der Leitung des Ingenieur Israel Talan umgesetzt. Er sollte vollständig in Israel gefertigt werden. Letztendlich waren über 200 israelische Unternehmen an der Teileherstellung beteiligt. Gefertigt wurde der Panzer von dem staatlichen Rüstungskonzern IMI (IMI = Israeli Military Industries). Nur einige Teile der elektronischen Feuerleitung wurden aus den USA importiert.

Der neue Panzer sollte Israel aber nicht allein von Waffenlieferungen unabhängiger machen. Wie angewiesen das Land im Kriegsfall auf diese war, wurde während der in Israel und im Westen als „Jom-Kippur-Krieg“ und in den arabischen Ländern als „Oktober-Krieg“ genannten Auseinandersetzung von 1973 - die Entwicklung des „Merkava“ lief bereits - erneut unübersehbar. Und die im Ausland eingekauften Panzer waren nicht für das Gefechtsfeld, auf dem die IDF kämpfte, entwickelt, sondern für den großen Krieg zwischen NATO und Warschauer Pakt, dessen Landstreitkräfte in Europa auseinander getroffen wären.

Das israelischen Entwicklerteam vernachlässigte den Punkt Mobilität. Sowohl operativ als auch taktisch kämpfte die IDF nicht in den großen Bewegungsschlachten, die den westlichen panzerbauenden Nationen vorschwebten. Das neue Fahrzeug musste im frontalen Kampf, in Angriff und Abwehr, seine Überlegenheit beweisen. Der Schwerpunkt lag auf der Feuerkraft und dem Panzerschutz. Der „
Merkava“ bekam die beste Bewaffnung seiner Zeit einschließlich Feuerkontrolle.

Doch vor allem bei der Panzerung ging man ungewöhnliche Wege. Das Gewicht des Fahrzeuges war dabei nebensächlich. Schon das Erscheinungsbild des Panzers unterscheidet ihn fundamental von andern. Das liegt daran, weil der Motor sich nicht im Heck befindet, wie es bei Kampfpanzern seit dem französischen FT-17 von 1917 – dem konzeptionellen Urvater aller nachfolgenden Panzer – üblich ist, sondern vorne. Er dient als zusätzlicher Schutz für die Besatzung. Zwar ist er selbst keine Panzerung. Ein Geschoss, dass die starke Frontpanzerung durchschlägt, muss allerdings auch den Motorblock durchdringen, was einen zusätzlicher Schutz für die Besatzung darstellt. Durch die Platzierung des Motors sitzt der Fahrer, in allen anderen Panzern vom Rest der Besatzung getrennt, mit den anderen Soldaten in einem Kampfraum, was einen psychologischen Vorteil bietet. Alle technischen Geräte sind, soweit möglich, aus diesem Kampfraum verbannt und um ihn herum angeordnet. Dies gilt besonders für die hydro-elektrische Turmbetätigung. (Andere Panzer dieser Zeit verfügten über eine im Kampfraum liegende hyraulische Turmbetätigung, die im Falle eines Treffers einen gefährlichen aerosolisierten Nebel über die Besatzung versprühen konnte, was eine große Verbrennungsgefahr für die Soldaten darstellte.) So entstand um den Kampfraum herum, abgesehen von der Panzerung, noch ein weiterer Kokon, der einkommende Geschosse abhalten sollte und die Brandgefahr wurde verringert. Dies sind nur einige Beispiele, die aufzeigen, dass das Hauptaugenmerk der Entwickler auf dem Schutz der Besatzung lag.

Zum ersten Mal im Einsatz war der „
Merkava“ bei der israelischen Invasion des Libanons im Jahre 1982. Nicht alle Panzereinheiten waren mit dem neuen Fahrzeug ausgerüstet. So war ein Vergleich möglich. Wenn ein „Merkava“ getroffen wurde, war die Gefahr für die Besatzung, verwundet zu werden, signifikant kleiner. Kein einziger „Merkava“ fiel aufgrund eines kapitalen Brandes aus. Kein einziges Besatzungsmitglied erlitt während der Kämpfe Verbrennungen.

Panzer und Gesellschaft
:

Das Fahrzeug hielt das, was man sich von ihm versprach. Das bedeutet nicht, dass er nicht ausgeschaltet werden konnte. Wie jeder andere Panzer auch ist der „
Merkava“ keine unverwundbare Wunderwaffe. Die Chance der Besatzung, den Ausfall ihres Panzers zu überleben, ist allerdings sehr hoch. Warum wurde darauf solch ein Wert gelegt?

Israel kämpfte seit seiner Gründung gegen seine arabischen Nachbarn. Dabei ist es ein kleines Land. Jedes Leben eines Israelis ist für die Gemeinschaft wichtig und kann nur schwer zu ersetzen. Hinzu kommt, dass der Staat Israel gegründet wurde, um das Leben der Juden*innen zu schützen. (In der IDF kämpfen seit jeher auch Frauen.) Dieses Versprechen gilt es auf allen Ebenen einzuhalten. Es betrifft nicht nur die Politik im engeren Sinne. Die Erfahrungen haben Israel gelehrt, dass ein Krieg immer im Bereich des Möglichen liegt. Wenn es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommt, ist es darum nicht nur ein Gebot des militärischen Denkens – alle potentiellen Gegner verfügen über eine viel größere Bevölkerung und damit über ein potentiell größeres Reservoir an Soldaten als Israel, d.h. sie sind in der Lage, Verluste eher auszugleichen -, sondern auch und vor allem das gesellschaftliche Menschenbild im Staate Israel, dass die Verantwortlichen dazu zwingt, die Soldaten so gut wie möglich im Gefecht zu schützen. Mit dem „
Merkava“ ist dies gelungen. Darum ist er – in der Variante Mark IV – auch bis heute im Einsatz. Der „Merkava“ war und ist einer der bestgeschützen Panzer der Welt – und mit knapp 70 Tonnen auch der schwerste Kampfpanzer der Welt. Und von den 100 Millionen US-Dollar gaben die Entwickler in den 1970er Jahren nur knapp 65 Millionen aus. Der „Merkava“ wurde als nationale Notwendigkeit betrachtet, nicht als Waffensystem, mit dem ein Unternehmen so viel Geld wie möglich machen wollte.




Anmerkung von TrekanBelluvitsh:

Im Text genannte Panzer im Bild:

 Israelischer Panzer "Merkava" Mark I

 Britischer Panzer "Chieftain" Mark X

 Französicher Panzer FT-17 (mit Maschinengewehr als Bewaffnung)

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Taina (39)
(26.11.22, 07:15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 26.11.22 um 11:39:
Die Sache mit dem Gewicht eines Panzers ist auch einfachste Physik. Je mehr Ausrüstung ich in einem Panzer verbaue, desto mehr Raum nimmt diese ein und die muss man auch umpanzern - was wieder mehr Gewicht bedeutet.

Ein weiterer Punkt, warum das Gewicht des "Merkava" eher nebensächlich ist, liegt an dem theoretischen Kampfraum Naher Osten. Denn während z.B. die Sovietarmee davon ausging, dass in Europa durchschnittlich alle 30 km ein größeres Gewässer zu überqueren ist, spielen Flüsse etc. und damit Brücken, die ja nur ein bestimmtes Gewicht tragen können, für die Planungen IDF keine große Rolle. Und mit 70 Tonnen ist der aktuelle "Merkava" selbst unter modernen Panzern ein echtes Stahlmonster. (Diesen Punkt habe ich nicht im Text verarbeitet, um ihn nicht zu lang werden zu lassen.)

Eine kurze Frage, warum heissen der Merkava und der Chieftain beide mit Vornamen Mark? Obwohl von verschied. Herstellern gebaut.
Mark ist die englische Bezeichnung für "Ausführung*. "Merkava" Mark IV bedeutet also "Merkava" Ausführung IV. Zum Vergleich: "Leopard" A6 bedeutet "Leopard" Ausführung 6.
Taina (39) antwortete darauf am 26.11.22 um 21:23:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 TrekanBelluvitsh schrieb daraufhin am 26.11.22 um 21:55:
Diesen Wettlauf von Panzerung und Waffenwirkung gab es bei Panzer auch und gibt es immer noch.

Die Panzerung eines modernen Panzers besteht nicht mehr allein aus Panzerstahl. Aber dazu werde ich später auch noch einen kurzen Exkurs veröffentlichen.

 TassoTuwas (26.11.22, 19:28)
Sehr interessant, auch im Hinblick auf die speziell israelischen Anforderungen. 
Inwieweit entspricht ein 1970 konzipierter Panzer technisch dem noch nach mehr als 50 Jahren?
TT

 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 26.11.22 um 21:51:
Danke. Ich wollte zeigen, dass die Entwicklung von Panzern nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern es eine große Rolle spielt, wer ein Fahrzeug wann entwickelt. Am zweiten Panzer, den ich beispielhaft vorstellen werde, wird dies noch deutlicher.


Die ursprünglichen "Merkava" Mk I Panzer gibt es nicht mehr - außer im Museum. (Einer steht auch im deutschen Panzermuseum in Munster). Die Versionen MK II, die nur noch als Reserve im Depot lagerten, sind in den letzten Jahren verschrottet worden. Dort gibt es nur noch Mk. III Varianten.

Im aktiven Dienst sind nur noch "Merkava" Mk. IV, die sich deutlich von der ursprünglichen Version unterscheiden. Hauptsächlich in puncto Bewaffnung - die ursprüngliche 105mm Kanone wurde gegen eine 120mm Kanone ausgetauscht - Elektronik (Digitalisierung) und zusätzlicher Panzerung.

Und die Fahrzeuge der Ausführung Mk. IV an sich sind natürlich nicht in den 1970er und 1980er Jahren gefertigt werden. Obwohl - zumindest in Friedenszeiten - Militärfahrzeuge heutzutage erstaunlich lange genutzt werden. Sie werden allerdings auch ständig gewartet.

 EkkehartMittelberg (26.11.22, 19:46)
Hallo Trekan,
gründliche Recherche und klare Sprache zeichnen deinen Essay aus, wie immer.

LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh ergänzte dazu am 26.11.22 um 21:52:
Danke. Ich habe versuch, keinen überlangen Fachidiotenbeitrag zu verfassen. Hoffe, dass ist gelungen.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram