fährtenlesen

Text

von  W-M

der Küchentisch
hierhin lege ich das Phantombild meiner Kindheit
(aus Dinçer Güçyeter: Mein Prinz, ich bin das Ghetto. Gedichte. Nettetal (Elif Verlag), 2021)

 

den windhundspuren bin ich gefolgt

bis der wind in sturm überging

und aus dem hund ein wolf wurde

knickten wir bäume

und rissen schafe

immer auf der flucht vor den jägern

flüchteten wir uns in die städte des nordens

nahe den eisrändern den gletschern

längst vergessener zeiten

eine ungünstige meeresströmung trieb uns ab

 

wie die mütter die föten abtrieben

die vorgeburt auf eine ägäische insel warfen

oder ins marmarameer

dieses weihwasser zwischen zwei erdteilen

mutter wusch darin wäsche

 

ich aber verspielte mein talent

in flipperautomaten

in den stillgelegten fabriken

die mir heimat wurden lager

für die nacht

 

an vorbildern mangelte es nicht

die alten geschichten waren voll

von mördern zuhältern und edlen kaufleuten

auch ein sultan der sein volk köpfen ließ

fehlte nicht

 

die windhunde sind müde geworden von der hatz

der wind lau

die wölfe grau und zahnlos

eis und gletscher geschmolzen zwischen meinen schenkeln

nur das marmarameer schwemmt weiter blut an die küsten


 




Anmerkung von W-M:

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