Der letzte Tag

Kurzgeschichte zum Thema Hoffnung/Hoffnungslosigkeit

von  Walther

Der letzte Tag

 

Als Bodo ihm den rechten großen Onkel abschleckte, wusste Carl McAllister, dass sein voraussichtlich letzter Tag begonnen hatte. Der Hund musste raus. Weiterschlafen war keine Option. Die unendliche süße Tilly, die sich irgendwann vor fast exakt einundzwanzig Tagen in seiner Bettlandschaft eingenistet hatte, nochmals zu vögeln, wäre erstrebenswert gewesen. Aber dazu brauchte es zwei.

Bodos Harnstau war erfahrungsgemäß groß. Ohne Erleichterung würde Hund samt Harndrang einen Unfall produzieren.

Er löste sich mit größtmöglicher Vorsicht aus Tillys Umarmung. Ihre Antwort war ein unwilliges Maunzen. Eine Katze hätte es nicht besser gekonnt.

„Carl, was ist denn los“, brabbelte sie im Halbschlaf. Diese Grübchen, dachte Carl, über den Bäckchen unten und daneben oben. Dieser Seufzer, der sein halbsteifes Glied wippen ließ.

Die Pflicht ruft, verwarnte er sich, schnappte seine Shorts und schlüpfte hinein. Er huschte vorsichti in Richtung Küche, um Bodo, seinen Dalmatiner-Rüden, dort rauszulassen. Er würde die vertrocknenden Sträucher im Patio wässern.

 

Das Haus hatte den Grundriss eines gleichschenkligen „L“s. Das Patio entstand durch zwei von Weinreben und Rempler-Rosen bewachsene Reihen alter Eisenbahnschwellen, bei denen immer wieder eine oder mehrere weggelassen worden waren. Er hatte die Lücken mit querliegenden Stahlstreben versehen lassen, so dass die Luftigkeit erhalten blieb, aber zugleich keiner durch die Lücken zwischen den Schwellen ins Innere eindringen konnte. Der kluge Mensch baute vor.

Bodo sauste wie der Blitz an ihm vorbei hinaus ins lauschige Geviert. Er musste derart heftig bremsen, dass er sich fast überschlug. Die erste Markierung war keine. Sie war ein fast fingerdicker gelber Wasserstrahl und dauerte ewig. Danach schüttelte der Hund sich, dass Lefzen und Ohren flogen.

 

Hinter Carl hatte sich eine Schlupfwespe geschlichen, die anderes im Sinn hatte, als wie er den Hund zu beobachten. Ihr Griff war eineindeutig.

Die Shorts konnten wegen des entstandenen Hindernisses nicht fallen, als sie sie ihm über die Hüften schob. Er musste nachhelfen. Sie nahm ihn am Objekt ihrer Begierde und drehte ihn damit zu sich. In einer fließenden Bewegung hing sie an ihm, und sein Abstandhalter war in ihr verschwunden. „Carl!“, zischte sie flüsternd. Ihr Mund hinderte ihn an einer verständlichen Antwort.

 

* * *

 

„Sag mal, Carl, willst du mich eigentlich loswerden?“

Tilly beschwerte sich nicht zu Unrecht. Carl fühlte sich ertappt. Allerdings hatte sie die Lage nicht richtig erfasst. Er wollte sie nicht loswerden. Er musste. Und daher war er kalt und abweisend, fast schnippisch. Auch wenn es ihm sonst nicht an Mut mangelte: Bei dieser Frau fiel ihm es so schwer wie nie zuvor, sie hart abzuweisen. Andere hatte er teilweise richtig rüde abserviert auf seiner Flucht. Stolz war er darauf nicht. Auch wenn er damit wahrscheinlich ihre Leben gerettet hatte.

Sie erkannte an Carls Gesicht und seinen Händen, dass es in ihm heftig arbeitete. Diese Zustände hatten vor einige Tagen begonnen, als sie im Store unten in Farmsville eingekauft hatten. Sie hatte versucht, seine Spannungen „wegzulieben“. Dabei gehofft hatte sie gehofft, dass sich der Knoten in ihm nach dem Sex lösen würde und er – endlich! – seine Sorgen mit ihr teilte.

Der Knoten hatte sich tatsächlich gelöst. Er hatte geweint wie ein kleines Kind. Nicht nur einmal. Sie hatte ihn, der so viel größer und stärker war, wie an ein kleines Kind an ihren Brüsten und in ihrem Schoß gewiegt. Ihn geküsst, gestreichelt und nochmals geliebt. Nichts war aus ihm herauszubekommen.

 

„Carl, Schatz, so geht das nicht. Dich quält etwas, und du sagst es mir nicht. Warum darf ich dir nicht helfen?“

Tilly hatte die Hände in die Hüfte gestemmt und sah in ihrem Zorn und ihrer Enttäuschung so schön und anziehend aus, dass Carl der Atem wegblieb. Er schlug die Augen nieder und donnerte mit der flachen Hand gegen den Stützbalken, an den er sich lässig gelehnt hatte. Der Knall war so laut, dass Bodo, der vor sich hingeschlummert hatte, hochschoss und maulte. Er marschierte mit gesenktem Kopf und ebensolcher Rute zu seinem Herrchen und schleckte dessen herunterhängende Hand ab.

Carl beugte sich zu ihm runter, nahm das Tier in den Arm und küsste ihn auf die Stirn.

„Ach, Bodo“, seufzte er. Der dankte es ihm mit starkem Wedeln und leisem Fiepen.

 

„Carl!“, moserte Tilly, „ich rede mit dir!“

Er lachte heiser und gepresst auf. Als er den Hund beruhigte, hatte er einen Entschluss gefasst. Er würde ihr sagen, was zu sagen war, damit sie verstand, warum sie gehen musste, und zwar schnell.

„Du willst es nicht wirklich wissen, Tilly, glaub mir. Aber gut, du sollst es wissen. Aber sag nachher nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.“

 

* * *

 

Sie hatten schweigend einen Brunch gemacht. Das Frühstück hatte sich durch einen Duschmarathon, der in Wer-weiß-Was mündete, quasi zeitlich selbst erledigt. Carl war der unbestrittene Meister des Omeletts. Tilly backt die genialsten Bagels und Blaubeermuffins des Universums. Sie brauchten viele Kalorien. Sie hatten sich ausgiebig genug an- und ineinander verausgabt.

Carl verfügte über ausreichend Tomaten, Champignons und Paprika in der Kühlkammer. Er hatte sowieso immer erstaunlich viele Vorräte. Sogar Eissalat hatte er aufgetrieben und eine gigantisch-gute Blue-Cheese-Sauce gezaubert. Er überraschte sie immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit er Hausarbeiten machte. Kochen, Waschen, Backen, Fegen, Staubsaugen, nass Aufnehmen, Bad- und Klo Putzen, Müll in die dafür vorgesehenen Behälter und Tüten Packen, die er ordentlich entsorgte. Das Bettmachen war ein Fall für sich. Sie tat es am liebsten mit ihm gemeinsam. Aber dann dauerte es länger, weil eine Liebeseinheit „eingeschoben“ werden musste.

 

Als sie den ersten Hunger gestillt hatten, schob er seinen Teller von sich und sagte trocken: „Du wolltest es nicht anders haben. Hoffentlich bist du stark genug, damit zu leben.“

 

* * *

 

Tilly sah ihn aufmunternd an. Bodo lag zu seinen Füßen. Der warme Hundekörper schmiegte sich an seine rechte Wade. Das Tier schien zu wissen, dass sein Herrchen eine Stütze brauchte.

 

„Ich war in einem früheren Leben erfolgreicher Finanz- und Anlageberater bei einem mittelgroßen Spezialisten für Hochrisikoportfolios. Und zwar einer von fünf Partnern – ich war der bei weitem jüngste und zugleich aggressivste. Versagensangst war mir fremd. Mir graute vor nichts. In wenigen Jahren, ich war gerade 27 geworden, hatte ich das schnellstwachsende Anlage- und Kundensegment der Firma. Man musste mich binden. Daher wurde ich als Geschenk zum siebenzwanzigsten Geburtstag vom Senior Fundmanager zum Partner. Ein Anruf einer Headhunterin und das Vorlegen ihres Angebots für mich genügten. Ich musste nicht einmal feilschen.“

Er nippte an seiner Virgin Mary und schaute ins Nichts.

„Was ich nicht wusste, war die Tatsache, dass unsere Firma nichts anderes als eine Geldwaschanlage einer der mächtigsten Narco-Gangs an der mexikanisch-texanischen Grenze war. Ich war sozusagen das legitime Aushängeschild und hatte den Job, der Sache einen legalen Anstrich zu verpassen. Man hatte diese Strategie angeleiert, weil die Behörden vermehrt die Firma für Geldwäsche unter Verdacht hatten. Ich war mit meinem Team und seiner Arbeit übermäßig erfolgreich. Die Bosse waren extrem begeistert und versorgten mich mit einer steigenden Pipeline legaler Kunden, deren Entscheider sie in der Hand hatten. Aber dazu später.“

 

Carl schnappte sich zwei Muffins, stand auf und organisierte einen Behälter mit Vanille-Eis mit echter Vanille und – nicht ganz stilecht – Schlagsahne aus der Sprühdose. Tilly fuhr sich mit der Zunge über ihre vollen Lippen, grinste ihn an und posaunte: „Ich auch will.“

Dem konnte abgeholfen werden.

 

„Ich machte in den nächsten drei Jahren geradezu unverschämt viel Kohle. Mit 30 hätte ich nicht mehr zu arbeiten gebraucht. Dann schlug das Schicksal zu. Innerhalb von wenigen Wochen starb meine Mutter an Krebs, meine kleine Schwester Madlen setzte sich eine Überdosis Fentanyl, und mein Vater erschoss sich. Sein Suizid war wohl eine Folge der ersten beiden Sterbefälle. Ich dachte, ich würde das kaltschnäuzig, wie ich war, einfach wegstecken. Zu meinen Eltern hatte ich ein distanziertes Verhältnis. Sie verachteten, was ich als Beruf ausübte. Das tat man nicht, wenn man etwas auf sich hielt“, fuhr Carl fort.

„Zu meiner Schwester hatte ich während meines Studiums und meiner Ausbildung den Kontakt verloren. Sie war fast zehn Jahre jünger als ich. Nach der Beerdigung meines Vaters fand ich per Zufall heraus, was wir in der Firma wirklich taten. Als mir die Decke auf den Kopf fiel, ging ich um fünf Uhr morgens ins Office, um mit Asien wieder einmal selbst zu handeln. Mir fehlte das Adrenalin des Tradens. Ich war zum Sesselfurzer mutiert. Das war nicht das, was man „the real thing“ oder das einzig wahre Leben nannte.“

Er machte eine kurze Trinkpause.

„Ich hörte zufälligerweise an Telefonat mit, dessen Inhalt mich zutiefst schockierte. Sein Inhalt in Kürze: Wir waren der legale Arm und die Geldwäscheanlage der Sureños-Gang, die mit dem Gulf Cartel in Mexiko zusammenarbeitet. So musste ich das verstehen, was da auf Spanisch geflüstert worden war. Ich musste mich an der Wand festhalten, um nicht zu hinzufallen, und dann hätte man mich entdeckt. Auch den Würgereiz bekam ich in den Griff.“

Er holte tief Luft, stand auf und warf den teuren Kaffeevollautomaten an. Ein Kaffee Crema und einen Doppio für Tilly später fuhr er fort:

„Zuerst war ich wie gelähmt. Ich tat nichts und hoffte, ich hätte mich getäuscht. Als ich gerade wieder zu mir gefunden hatte, kam der nächste Schlag. Eine Ermittlerin, die im Falle des Todes von Madlen in San Diego Untersuchungen anstellte, rief mich eines Tages wutentbrannt an und ließ mich wissen, dass meine Firma Geld für die Bande waschen würde, die meine Schwester auf dem Gewissen hätte.“

Carl holte tief Luft und kämpfte mit seinen Gefühlen. Dann berichtete er weiter.

„Daraufhin reichte ich meinen ersten richtigen Urlaub ein, buchte ein One-Way-Ticket dorthin und traf mich mit der Polizistin, die sich als attraktives, supernettes und extrem intelligentes schwarzes Schnittchen herausstellte. Sie machte mich bei unserem ersten Treffen in unnachahmlicher Art zur Schnecke. Zurecht, wie ich erkennen musste. Am darauffolgenden Wochenende vögelten wir uns über fast drei Tage die Gehirne raus, wenn wir nicht gerade über die beiden Gangs redeten oder aßen und tranken, und ich war anschließend um viel Wissen reicher und noch mehr Illusionen ärmer. Danach war ich überreif für das Thema Whistleblowing, das mir die DEA am Montag nach dem Wochenende vorschlug.“

 

* * *

 

„Und anschließend bist du untergetaucht, richtig?“

Tilly war nicht nur ein echter Hingucker. Sie war auch nicht auf den Kopf gefallen.

Carl nickte.

„Ich habe sogar an einem Zeugenschutzprogramm für Kronzeugen teilgenommen, bis mich ihre Auftragsmörder entdeckten und ich ihnen schwer verletzt gerade noch von der Schippe sprang. Dabei hatte ich ungeheures Glück. Eines Nachts habe ich mich aus dem Krankenzimmer und am Bewacher vorbei geschlichen und mich bei einer Ärztin, die sich sehr um mein leibliches Wohl unter der Gürtelschnalle verdient gemacht hatte, nachdem das wieder ging, selbst entlassen. Seither bin ich auf der Flucht.“

„Dass du ein Schwerenöter und Herzensbrecher bist, habe ich schon mitgekriegt“, war ihr schnoddriger, ganz leicht piesiger Kommentar.

Er schwieg und sagte nichts dazu. Warum auch. Sie hatte ja recht. Irgendetwas führte dazu, dass die weibliche Hälfte der Menschheit ihm an und unter die Wäsche wollte. Er wusste es nicht genau, was sie an ihm fanden. Es musste mit dem Inhalt seiner Shorts zu tun haben, mutmaßte er.

 

„Vor ein paar Tagen hat dich Im Store in Farmsville jemand erkannt und du ihn beziehungsweise sie, stimmt’s?“

Tilly war noch schlauer, als er gedacht hatte.

„Es war eine Frau, und ich habe früher mal mit ihr geschlafen, falls du das wissen wolltest, und zwar nicht nur einmal.“

„War’s wenigstens gut?“

Auf diese Spitze ging er nicht ein.

„Ich habe über sieben Jahre Zeit gehabt, mich auf das Unabwendbare vorzubereiten, Tilly. Mein Testament ist gemacht. Ich hatte Madlen geschworen, so viele von ihnen mitzunehmen, wie ich kann. Sie sind bereits hier, und sie werden kommen. Heute Nacht. Wahrscheinlich morgen früh gegen vier Uhr. Ich werde sie erwarten.“

Tilly verstand.

„So ähnlich habe ich es mir gedacht. Warum bist du nicht erneut abgehauen?“

„Ich kann nicht mein ganzes Leben vor ihren Schergen und Killern fliehen. Sie haben einfach zu viele Freunde und Spitzel. Es gibt keinen Platz auf dieser Welt, an dem ich vor ihnen sicher wäre. Ich bin mental so weit, den Schlussstrich zu ziehen. Ich bin einfach müde. Bitte geh jetzt, Tilly. Das ist mein Kampf. Das ist mein Tod. Du hast dein Leben noch vor dir. Meins findet hier und spätestens morgen früh sein Ende.“

Tilly stand wortlos auf und ging hinaus.

 

* * *

 

Als sie sich wieder gesetzt hatte, meinte sie: „So, jetzt bin ich dran mit der Beichte.“

Carl setzte sich auf und spitzte die Ohren.

„Ich nehme an, du erzählst mir jetzt, was dich nach Farmsville und zielgerichtet in mein Bett gebracht hat.“

Tilly war mild erstaunt.

„Wie soll ich das verstehen?“

„Wie ich es sagte.“

Er wollte darauf nicht antworten.

 

Sie griff in das kleine schwarze Backpack, das er zum ersten Mal sah, und zauberte eine DEA-Dienstmarke heraus, die sie vor ihm auf den Tisch warf.

„Ich soll dich von Ester grüßen“, fuhr sie fast zu leichthin fort, „sie bestand darauf, dass ich dich wissen lasse, bei ihr wäre immer ein Plätzchen für dich frei.“

„Du kannst ihr gern sagen, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.“

„Glaub mir, sie ist die einzige, der ich es erlauben würde, mit dir ins Bett zu gehen – auch wenn es schmerzte. Sie ist eine ganz liebe Freundin und Kollegin. Sie gehört zu den besten und tollsten Menschen, die ich kenne.“

„Ich habe etwas geahnt, Tilly, aber nicht das.“

„Warum hast du mich so schnell und so nah an dich rangelassen? Ich hätte dich töten können!“

 

Das klang nicht nur vorwurfsvoll. Es war auch so gemeint.

„Darauf gibt es eine triviale Antwort. Du warst meine emotionale Henkersmahlzeit. Ich sah dich und war blitzverliebt. Du kamst in den Diner, und die Welt stand für mich still. Als du dann neben mir lagst und ich dich im Mondschein betrachten konnte, habe ich dem Herrgott gedankt und mit ihm meinen Frieden machen können.“

„Du spinnst, Carl.“

„Und jetzt?“

„Jetzt rette ich dein Leben.“

 

* * *

 

Carl hatte richtig gelegen. Um vier Uhr dreizehn brach die Hölle los. Die Narco-Mörder-Truppe ging auf Carl McAllisters Haus los. Dabei schoss sie aus allen Rohren. Handgranaten detonierten.

Der Hausbesitzer hatte das Haus und das Umfeld wirklich ziemlich gut gesichert. Männer wurden von donnernd explodierenden Sprengfallen zerfetzt. Gliedmaßen und Körperteile flogen ziellos umher.

Einer der Getroffenen brüllte: „Coño!“ Einer anderer: „Fuckfuckfuck, I am hit!“ Ein dritter: „Estoy muriendo!“ Der vierte stöhnte: „Ich verblute, Hilfe!“

Das Schreien, Kreisen und Wimmern ließ den zwei Beobachtern das Blut gerinnen.

 

Der Blutzoll der Angreifer war gigantisch. Der von Ihnen angeforderte Heli wurde von zwei zielgenau abgefeuerten Boden-Luft-Raketen getroffen und zerbarst bereits im Flug in drei Teile, die in den Boden der Halbwüste schlugen und in Feuer aufgingen.

Tilly saß mit Carl in dessen Gefechtstand im Bunker unter dem Haus, den sie bisher gar nicht kannte. Sie staunte Bauklötze und wollte gar nicht wissen, woher er das Equipment hatte. Sie waren im „Land of the Free“, wie Carl cool formulierte, da ging alles, und deshalb stand sein Mini-Fort genau hier. Über die Außenkameras konnten sie das Gemetzel miterlebten. Die Flüche und das Gefluche der Lebenden und das Gestöhne und unterdrückte Schreien der Verletzten und Sterbenden schufen eine schreckliche Geräuschkulisse. Sie waren beide weiß im Gesicht. Vor allem Tilly hatte schon einiges hinter sich. Aber das ging an ihre Grenzen.

 

Zuerst hörten und kurz darauf sahen sie die drei oder vier Hubschrauber des DEA-Einsatzkommandos. Auf einmal ging alles richtig schnell. Erst wurde es verdammt lauf und kurz darauf gleißend hell. Einige peitschende Schüsse, auf die die Schreie der von ihnen Getroffenen antworteten, wurden von bellenden Kommandos in Englisch und Spanisch abgelöst.

„Hände hoch!“

„Arriba las manos!“

Schließlich trat gespenstische Ruhe ein, die erst wieder von den Sirenen der Krankenwagen unterbrochen wurde.

 

* * *

 

Auf seinem Bett mit den Ausmaßen einer kleinen Zirkusmanage waren drei nackte Körper ineinander verknäult. Sie waren in eindeutiger Bewegung, und entsprechende Geräusche ließen auf ein höchst vergnügliches Tun schließen. Diese kulminierten in dreistimmigen Äußerungen höchster Ekstase.

„Meine Damen“, hörte man eine heisere Männerstimme nach einer Weile schweratmend sagen, „ihr müsst mich am Leben lassen. Wenn ich tot bin, haben wir alle davon keinen Spaß mehr. Ich kann nicht mehr, ich bin alle.“

„Wann du alle bist, bestimme ich“, krächzte Ester kichernd, „ich habe zehn Jahre nachzuholen. Und genau das habe ich vor.“

„Ey, kommt nicht in Frage“, raspelte eine zweite Frauenstimme widerspenstig. Sie gehörte Tilly. „Ich will auch noch was von ihm abhaben.“

„Ihr seid doch nicht ganz knusper!“, grunzte Carl brummig. „Also ich geh jetzt was essen. Ich hab tierisch Kohldampf. Ob ihr was dagegen habt oder nicht. Ende.“

„Aber du kochst!“, waren sich ebendiese Damen zweistimmig einig. „Aber du kochst, Carl, keine Widerrede.“

Das hatte der auch gar nicht vor.


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