Zylinder und Hütchen

Text zum Thema Alles und Nichts...

von  PollyKranich

Zylinder und Hütchen

Wir leben in einem Zeitalter der Verrohung und Ignoranz. Tragen den Zylinder der Allmächtigkeit und wissen alles. Wissen sogar so viel, dass wir echte Fakten von Fake News unterscheiden können.

Sind immer dabei, alles ist prima, lecker, gut und fotografierbar. Haben alle Meinungen dieser Welt binnen einer Millisekunde parat. Tun diese kund, ohne mit der Wimper zu zucken. Zucken gar nicht mehr mit der Wimper, denn das könnte verhindern, dass wir die Likes der anderen verpassen. Liken ungefragt jede Äußerung, mit der Gewissheit, dass alles bleibt und doch vergessen wird. Im Äther der Datenlichtgeschwindigkeit tragen wir die Verantwortung unserer Worte mit Stolz. Für einen Augenblick. Schultern das Elend der anderen Welt mit dem Hauch von Mitgefühl, fühlen nichts und klopfen uns auf die parkabejackte Schulter, die so mild und klein und ohne Last ist. Wir sind groß im Teilen, ist es doch der Ausweis unserer Toleranz. Tolerieren nichts, ohne unser Zutun. Die Straße der Erleuchtung nehmen wir mit links, alles ist Zen, was eben noch die Kaffeetasse war. Monetäre Belange erfüllen uns mit Schuld, leise nehmen wir sie aber in Kauf. Kaufen fair, ohne Plastik und mit gutem Gewissen.


Wir leben in einem Zeitalter der verpassten Chancen. Tragen das Hütchen des Könnens leicht, lüpfen es jedoch sehr oft und gerne. Wissen nichts, die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters und ist vielfältig und oft unerreicht. Sind nie da, nichts ist schön, schmeckt, tut weh und lässt sich blicken. Sagen nicht, was wir denken, denn Denken ist anstrengend und schmerzhaft. „And one of the most stressful things I've ever come across“ (Kate Nash). Werden nicht gemocht, weil wir sind, sondern weil wir darstellen. Das Schauspiel unseres Daseins tragen wir als Bürde. Für immer. Sind nicht beteiligt am dritten Weltkrieg, verhindern ihn aber auch nicht. Wir haben alles für uns und wollen es dabei belassen. Gehen nur auf die Straße, wenn es Offensichtliches zu bejubeln oder verhindern gilt. Glauben nichts, es sei denn an uns. Geld ist willkommen, hilft, tötet ab, was eben noch da war. War es da? Hauptsache was und zählt das überhaupt. Verrennen uns in der Leere, Galoppieren ins Nichts. Blenden die Blender. Blitzlichten uns und alle anderen. Mit der Nonchalance des Nichtkapierers im Dauerlauf.

Und das Ganze für den einen Augenblick des Spürens. Nur nicht uns selbst.



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Kommentare zu diesem Text


 Redux (30.12.22, 13:35)
Man könnte sich ertappt fühlen und spontan sagen: das ist aber harter Tobak, so schlimm ist es doch nicht, so schlecht ist unsere Welt nicht, sie ist doch nicht besser oder schlechter als andere Zeitalter zuvor...
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es nie ein besonders schlechtes, übles oder dunkles Zeitalter gegeben hat, und dennoch stimme ich mit dir und deinen Ausführungen überein, sie stimmen mich nachdenklich und lassen mich ein wenig ertappt zurück.
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