Frühstück mit B.

Gedicht zum Thema Behinderung

von  Tula

Aug' in Auge verstehen wir uns am besten.
Ich entziffere den Code, ohne ihn zu kennen.
Zum Beispiel das Flimmern über der Pupille dort sagt
mir gerade 'Orangensaft'. Ein etwas hellerer Glanz
bedeutet 'Erdbeerjoghurt'. Bin ich zu langsam, fordert
ein „Guii“, dem Ruf einer Möwe nicht unähnlich.

Das Leben mit dir gleicht einem Marsch durch
unerforschte Wildnis. In Badeausrüstung.
Ein Kompass wäre ohnehin zwecklos. Ich schlage mich
mit bloßen Händen durchs Gestrüpp und du flatterst mit
den Vögeln hinterher. Hin und wieder befragt mich ein
schlauer Fuchs nach dem Weg. Er glaubt mir selten.
Nachts lachen wir dann den Mond gemeinsam aus.

Du hast mich schon vieles gelehrt. Liebe vor allem.
Und dass Rasierschaum durchaus wohlschmeckend ist.
Wobei ich mir bis heute einrede, die Nagelschere wäre
kein Brenneisen. Damit quäle ich dich nur ungern.

Dein Spektrum gleicht einem Kaleidoskop. Die Vielfalt
ist unerschöpflich, doch die Grundtöne ändern sich nie.
Nein, du lebst NICHT in deiner eigenen Welt.
Du verlierst dich nur ständig in dieser.

Noch bleibt uns Zeit. Ich verdränge die Gedanken an
das Leben nach meinem Tod. Wichtiger ist jetzt dein
Lachen, worüber auch immer. Deine Antwort auf das
Warum ausgerechnet du? – Genau darin liegt nämlich

der Sinn: Was will man mehr als ein glückliches Kind?



Anmerkung von Tula:

für mein 'Baby mit Bart'; veröffentlicht in der Anthologie: „Ich, Mensch: Worte gegen Ableismus“ (2022), von Autorenkollektiv Frei!Geist, ISBN 978-3756521234

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Kommentare zu diesem Text


 diestelzie (08.01.23, 01:43)
Ein wunderbar liebevolles Gedicht über eine Vater/Sohn Beziehung der besonderen Art. Berührend und herzerwärmend.

Liebe Grüße 
Kerstin

 Tula meinte dazu am 08.01.23 um 12:07:
Hallo Kerstin
Herzerwärmend auch dein Gruß. Vielen Dank und beste Wünsche für den Sonntag
LG
Tula

 uwesch antwortete darauf am 08.01.23 um 12:57:
Geht mir auch so - wunderbar :) LG Uwe

 Tula schrieb daraufhin am 08.01.23 um 22:41:
Danke Uwe
LG
Tula

 AchterZwerg (08.01.23, 07:37)
Lieber Tula,
für Fragen nach dem Sinn bleibt oft keine Zeit. Liebe fordert dich ganz.

Ein anrührendes, wunderschönes Gedicht! <3

 Tula äußerte darauf am 08.01.23 um 12:09:
Moin 8er
In der Tat fordert er mich bzw. uns wahrscheinlich mehr als sieben rastlose Zwerge. Aber wenn er dann schläft, bleibt doch Zeit zum ... dichten!  :)

Dankend lieben Gruß
Tula
Teolein (70)
(08.01.23, 12:23)
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 Tula ergänzte dazu am 08.01.23 um 13:05:
Moin Teo
Meistens sogar 'aufregend schön'  ;)

Grüße nach Herne
Tula
Agnete (66) meinte dazu am 08.01.23 um 21:30:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Tula meinte dazu am 08.01.23 um 22:42:
Hallo Agnete
Geschenk und Herausforderung - das trifft es genau, also ins  <3 :)

Dankend lieben Gruß
Tula

 Lluviagata (08.01.23, 12:23)
Hallo, lieber Tula,
anrührend, weil so wahr. Es kommt irgendwann anders, dann wird er dich umsorgen, um dir ein kleines Stück von dem wieder zu geben, was du ihm dereinst geschenkt hast. ♥

 Tula meinte dazu am 08.01.23 um 13:02:
Hallo liebe Llu
Die Frage nach dem eigenen Alter ist für die Eltern behinderter Kinder gewiss eine der ganz zentralen. Es stimmt, dass in leichteren Fällen die Kinder irgendwann  die Eltern im Alter zumindest "mitpflegen". Bei B. wird es leider nicht so sein, die autistische und damit verbundene kognitive Behinderung sind einfach zu tief. Ich belasse die Frage danach, also dem 'was wird irgendwann' dort wo sie hingehört: in der Zukunft. 

Dankend lieben Gruß
Tula

Antwort geändert am 08.01.2023 um 13:03 Uhr

 Didi.Costaire (08.01.23, 15:47)
Hallo Dirk,

dein Gedicht ist außergewöhnlich, gut, gelungen und alles zusammen.

Liebe Grüße,
Dirk

 Tula meinte dazu am 08.01.23 um 22:43:
Hallo Didi
Auch dir dankend lieben Gruß
Dirk

 GastIltis (08.01.23, 16:33)
Hallo Tula,
was soll man dazu schreiben? Dein „Warum ausgerechnet du?“ spricht doch so viel! Und alle, die das fragwürdige (?) Glück hatten, etwas Ähnliches zu erleben (zu dürfen, zu müssen, zu können) sind mit Sicherheit von deinen Zeilen sensibilisiert und fasziniert. Leben ist etwas Seltenes. Und Zutrauen und Verlässlichkeit besonders.
Sei mit empfindsamen Gedanken herzlich gegrüßt von Gil.

 Tula meinte dazu am 08.01.23 um 22:47:
Hallo Gil
Man muss eben das Leben nehmen wie es ist und stets das Beste draus machen. Jeder hat ja irgendwo seine/ihre besondere Herausforderungen. 

Herzlichen Gruß zurück
Tula

Antwort geändert am 08.01.2023 um 22:47 Uhr

 Saira (08.01.23, 19:08)
Lieber Tula,
 
selten hat mich ein Gedicht so tief berührt wie das deinige.
 
Du schreibst so liebevoll über deinen Sohn und eure Verbindung, dass ich deinen Ausführungen mit einem Lächeln folge. Dafür danke ich dir!
 
Ich wünsche dir und deinem Sohn ganz, ganz viel Zeit!
 
Herzlichst
Sigrun

 Tula meinte dazu am 08.01.23 um 22:49:
Hallo Saira
Dank auch dir für deine Zeilen.
Lieben Gruß
Tula

 Aron Manfeld (09.01.23, 16:21)
Dieser Text ist ganz schwer zu kommentieren, lieber Dirk, da der Autismus bisher unbesiegbar ist.

Doch mit Deiner Liebe wirst Du ihn in Schach halten, und vielleicht auch eines Tages vergessen machen.

Ich wünsche Dir von Herzen die Kraft dazu.

 Tula meinte dazu am 09.01.23 um 23:33:
Hallo Aron
Danke dir für deine Zeilen. Sei unbesorgt, nach nun 20 Jahren mit ihm bin ich ein Papa mit Qualitätssiegel   8-)

LG
Tula

 EkkehartMittelberg (11.01.23, 18:51)
Hallo Tula,
in deinen ungewöhnlichen Bildern spiegelt sich die Kraft eurer Liebe.

Liebe Grüße
Ekki

 Tula meinte dazu am 11.01.23 um 21:34:
Hallo Ekki
Dass man als Eltern die Kinder liebt, steht außer Frage. Umgekehrt ist es bei geistig behinderten Kindern nicht unbedingt immer offensichtlich, dass sie uns in der Tat auf ihre Weise ebenso lieben. Gerade bei Autismus, wenn er mit Aggressivität verbunden ist. Glücklicherweise bei B. nicht der Fall. Er ist auf seine Art ein lieber Kerl.

Dankend lieben Gruß
Tula

 AngelWings (11.01.23, 19:10)
Rasierschaum schmeckt? 🤔🤪 Da hast du nicht Taste? 

Über Liebe gelernt? Ist auch so Frage, was man da gelernt hat?

Das man sich ein Vergiftung, zulegte und das noch an eigenen Kind. Man das auch Rasierschaum, genauso Waschmittel nicht in Kinder Händen gehören.

Kommentar geändert am 11.01.2023 um 19:15 Uhr

 Tula meinte dazu am 11.01.23 um 21:39:
Hallo Angel
Bei solch einem nicht gerade glücklichen Kommentar möchte ich auf einen Vers des Gedichtes verweisen:

Hin und wieder befragt mich ein schlauer Fuchs nach dem Weg. Er glaubt mir selten.

Ansonsten: B. ist jetzt 20 und natürlich muss ich ihn hin und wieder rasieren.  

Tula

 AngelWings meinte dazu am 11.01.23 um 22:26:
Aber mit 20 isst man Rasierschaum?🤔

Da hat man gelernt, dass zeug auf Gesicht gehört!

 Tula meinte dazu am 11.01.23 um 22:33:
Nichts für ungut, aber du könntest vor dem Kommentieren auch etwas genauer lesen und dir das Gedicht inhaltlich erarbeiten

 Terminator meinte dazu am 11.01.23 um 23:38:
Rasierschaum schmeckt?
Einem 30-jährigen Autisten auch (mit dem ich beruflich zu tun habe). Er leckt ihn vom 3-Tage-Schnauzer ab, bevor ich mit dem Rasierer hinterherkomme.


Auch als Troll könnte man durchaus etwas mehr Sensibilität und Empathie zeigen, AngelWings. Dein Schlechtes-Deutsch-Getue ist eh durchschaubar.

 AngelWings meinte dazu am 12.01.23 um 00:01:
Nochmal bin kein Troll! Behinder sage man nicht, sondern Geist - und Körperliche eingeschränkt. 

Außerdem kann man sowas verhindern man Trockenrasiert. 
Meine Freund Jahre lang, seine Sohn der eine Tumor hat und daruch Körperliche und Geistig einschränkt war. Konnte nie selbstig essen und muss künstlerisch ernahrt werden. 

Also kann mir nicht vorstellen, dass Rasierschaum selber benutzt hat und davon gekostet hat.

Antwort geändert am 12.01.2023 um 00:05 Uhr

 Tula meinte dazu am 12.01.23 um 00:02:
:D
meinem schmecken noch ganz andere Sachen, aber glücklichwerweise folgt er in der Regel dem Urinstinkt Essbares von Ungenießbarem zu unterscheiden

LG
Tula
dankend

 AngelWings meinte dazu am 12.01.23 um 00:14:
Wenn über Personen schreibt mit Geist-  Körperliche Einschätzung, soll darauf hingewieseen werden. Also immer Anmerkungen, erfassen.

 Tula meinte dazu am 12.01.23 um 00:21:
Angel
Hier auf KV steht das sogar im Thema, siehe oben. Ansonsten doch hoffentlich aus dem Gedicht erlesbar, obendrein habe ich die Anmerkung gemacht. 

LG
Tula

 Tula meinte dazu am 12.01.23 um 00:24:
PS: der Trockenrasierer ist die 'erste Phase'. Reicht aber nicht. Außerdem 'liebt' B. den fast genauso wie die Nagelschere ... 
Zweite Phase dann nass. Ist immer ein Spaß, wenn er dazu aufgelegt ist ...

 Terminator (11.01.23, 23:44)
Nein, du lebst NICHT in deiner eigenen Welt.
Das scheint ein extranormatives Statement zu sein, das (unbeabsichtigt) nicht nur Autisten, sondern auch alle Introvertierten abwertet. Ich kenne zwei erwachsene Autisten (nicht Asperger, pflegebedürftige Autisten), die durchaus in ihrer eigenen Welt leben (in dem Sinne, wie man das gewöhnlicherweise sagt). Trotzdem ist Kommunikation möglich, auch Empathie gegenüber Mitmenschen haben sie schon gezeigt. Aber meistens ist man dann schon in seinem Kopf drin. Manchmal sehen sie sehr glücklich und tiefenentspannt aus.

 Tula meinte dazu am 12.01.23 um 00:16:
Hallo Terminator
Natürlich ließe sich darüber streiten.
Ich kenne es als verallgemeinerndes Statement, welches aus meiner Sicht und persönlichen Beobachtung der Sache nicht wirklich auf den Grund geht. Daher der Nachsatz des sich Verlierens in der 'wirklichen Welt'. 

Wie gewisse Sinnesreize wahrgenommen und verarbeitet werden, man weiß es ja nicht, d h. ich bei meinem, da er nicht spricht und auch anderweitig kaum kommuniziert, einigen alltäglichen direkten Anweisungen folgen kann, aber mehr auch nicht. Der introvertierte Mensch mag sich in 'seine Welt' zurückziehen, also letztendlich auf gewollte/bewusste Art und Weise. Beim schwereren Autismus bin ich mir da nicht so sicher, es braucht Phantasie und somit abstraktes Denkvermögen. 

Auch das hat vielleicht eine flüssige Grenze zwischen diesen Zuständen des 'anderswo-oder-hier-Seins', je nach dem Grad der Behinderung und seinen persönlichen Besonderheiten.

Dankend lieben Gruß
Tula

 Beislschmidt (24.01.23, 16:59)
Einfach wunderbar Tula.
Hast es richtig drauf.
Ich nehme an, es ist aktuell.
Beislgrüße

 Tula meinte dazu am 25.01.23 um 00:08:
Hallo Hans
Danke dir. Natürlich aktuell, der Bub ist jetzt 20. Seit ein paar Minuten im Bett, hin und wieder kichert er vor sich hin  :)

LG
Tula

 harzgebirgler (13.02.23, 13:59)
:) :D <3 
das hast du wirklich anrührend gedichtet -
zum glück hab' ich aufs lesen nicht verzichtet!

lg
harzgebirgler

 Tula meinte dazu am 13.02.23 um 21:56:
Ich hab's dem Bub jetzt gleich berichtet,
auch du hast das Gedicht gesichtet,
gelesen und mit Lob belichtet
(gewissermaßen auf-gewichtet ...)

Dankend lieben Gruß
Tula
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