Das Fortgehen war nicht immer lustig, das wäre gelogen. Ich erinnere mich noch, ich stand bei Leo und Michael, draußen vor der Tür, beide Türsteher waren am Wochenende da, sonst nur einer von beiden, plötzlich ging die Türe ruckartig auf und die Kellner Markus, Dino (er war Grieche) und ein Unbekannter fielen förmlich heraus und lagen zu dritt auf dem Boden. Dino stand als erster auf und putzte sich ab, Markus stand, den Fremden am Hemd gepackt, mit diesem auf und stieß ihn von sich. "LOKALVERBOT"! Der Fremde taumelte, sich ständig umdrehend und schimpfend davon. Markus drehte sich zu uns und sagte: "So ein Arsch! Der stänkerte alle an und suchte überall Streit, dann ging er auf uns los, den lasst ihr mir bitte nicht mehr hinein."
Leo und Michael nickten. Im Grunde brauchte es keine Türsteher, die Kellner waren Hünen, bis auf Markus, der war recht aggressiv, sehr gutmütige und liebe Männer. Leo sah mich an, sagte: "Mausi, das war der Anfang, heute ist wieder mal Vollmond." Ich nickte, wir kannten das schon, es war jedesmal dasselbe. Michael bückte sich und nahm seine Limonade, die unter dem Stuhl stand, da kam der Joker um die Ecke, Michael sagte: "Da kommt schon der Krawallmacher, jetzt geht es los!" Leo verdrehte die Augen, ich lachte, sagte: "Joker! Schön, dass du da bist, wir freuen uns sehr!"
Der Joker setzte sein Grinsen auf und antwortete: "Madame! Sie werden immer schöner, wie machen Sie das?" Er deutete einen Kuss auf meinem Handrücken an. "Galant, Galant!"
Der Joker sprach als ob er aus der Kaiserzeit entsprungen war, selbst war er nur 1m 60 cm groß, immer mit Jeansjacke und Cowboyboots, ständig auf Koks. Tauchte er auf, gab es Krawall, er hatte die Gabe dazu, jedoch ließ er immer so viel Geld im Lokal, dass er nie ein Lokalverbot bekam, außerdem zettelte er stets Streitigkeiten an, beteiligte sich an diesen aber nie, zog sich immer im richtigen Augenblick zurück.
Leo sagte: "Joker, reiß dich heute zusammen, einmal wenigstens!"
"Was Sie immer haben, gnädigster Herr, ich bin doch brav!"
Michael setzte gerade zum Trinken an, verschluckte sich und hustete, wurde rot im Gesicht. Der Joker klopfte ihm auf den Rücken und sagte: "Na, na, na, hier wird noch nicht gestorben."
Doch. Aber, das wussten wir noch nicht.
Es wurde Mitternacht, dann eins, es blieb ruhig. Tommy spielte dieselben Songs ("alte Hadern") wie immer, Joan Jett röhrte, da ging die Türe auf und der Joker torkelte heraus. Leo lachte: "Zwei Stunden und derart besoffen, geh nachhause, das hat keinen Sinn mehr."
"Das, lieber Leo..." er pausierte kurz, um nachzudenken, dann sprach er eine Minute später weiter "... mach' ich!"
In dem Moment hörte man um die Ecke eine laute Streiterei. Unser Lokal war in der Mitte der Gasse, der Joker torkelte an die Gassenecke, um nachzusehen, der Leo, Michael und ich sahen ihm zu. Der Michael sagte: "Der soll nur fern bleiben, der B' soffene!" Der Joker hielt sich an einem Verkehrsschild auf einem Steher an, zeigte mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf das, was nur er sah, sah zu uns und plötzlich fiel ein Schuß, der Joker sank zu Boden, es glich einer Hinrichtung.
Leo öffnete schnell die Tür und warf mich förmlich in den Vorraum des Lokals. Ich stolperte rückwärts und saß geschockt am Boden. Sah nur, wie Leo und Michael losliefen. Damals gab es noch keine Mobiltelefone für jedermann. Ich stand langsam auf und lief die Stiegen hinunter, das Lokal war bummvoll, es war dampfend heiß, Meat Love sang, ich drängte mich mit voller Kraft, ich hatte damals 39 kg, durch Menschenmassen, hin zur Bar, ging hinter sie, erwischte Dino am T-Shirt, zog und zog, bis er sich umdrehte. Er sah anscheinend mein Entsetzen, ging zu Markus, schrie ihm etwas ins Ohr, weil es so laut war, beide stürmten an mir vorbei, drängten sich ebenfalls unsanft durch die Massen und waren verschwunden. Tommy kam in diesem Moment zufällig aus seinem DJ-Plätzchen heraus, ich sagte:"Komm!", nein, ich schrie, er kam hinter mir nach.
Im Vorraum musste man nicht mehr schreien, da sagte ich aufgeregt: "Den Joker hat man erschossen!"
"Was!" schrie mich Tommy an, "Red' keinen Scheiß, das ist kein Spaß!"
"Doch, wenn ich es dir sage!"
Er deutete mir, dass ich da stehen bleiben sollte, er sagte: "Rühr dich nicht von da weg, wehe!" Ging ebenfalls wie Dino und Markus hinaus.
Ich ging hinaus, man will das Grauen sehen, ich wollte das Grauen sehen.
Ich blieb bei der Eingangstüre stehen und lugte aus dem Mauervorsprung zum Eingang hinaus, sah, dass bereits Polizei, Rettung und Schaulustige, die mir die Sicht versperrten, da waren. Ich wagte mich vor und gerade als ich bei der Mitte ankam, nur noch ein paar Meter hatte, drehte sich der Michael zufälligerweise um, kam mir entgegen, nahm mich sanft bei den Schultern, er versperrte mir mit seiner Breite, er war recht dick, die Sicht auf das ganze Geschehen. Sein Gesicht zeigte Betroffenheit. Er sagte: "Puppi, geh nachhause, es ist vorbei, das ist nix für dich, wirklich nicht." Er drückte mich fest an sich, aber es war, als ob er eine Umarmung gebraucht hätte. Er ließ von mir ab, drehte mich in Richtung meinem Eingang, gab mir einen Klaps auf den Popo und schob mich über die Straße. Ich wohnte gegenüber. Beim Aufsperren drehte ich mich nochmals um und Michael sah mich streng an, wartete, bis ich im Tor verschwunden war.
Um drei in der Früh, ich konnte naturgemäß von der Aufregung nicht schlafen, zog ich mich nochmals an und ging nochmals hinunter. Leo stand bei der Tür und Michael saß müde auf dem Stuhl. "Habe ich dir nicht gesagt, du sollst gehen?" fragte er.
"Bin ich ja."
Leo lächelte leicht.
Ich drehte mich so, dass ich die Ecke sah, ein Blutfleck, noch naß und ziemlich groß, war zu sehen.
"Ist er..?"
Leo unterbrach mich, sagte: "Ja."
Ich sah betroffen zu Boden.
"Wieso?!"
Leo erzählte mir, dass einige um die Ecke in Streit gerieten, da zog einer eine Waffe und schoß wild um sich, zwar niemanden von den Streitenden an, aber diese Machtdemonstration endete mit dem Joker, der zu Boden sank.
Die Polizei hat den Schuldigen, den die umstehende Meute niederrang, festgenommen. Dem Joker konnten sie nicht mehr helfen.
Da das Lokal um die Ecke dem selben Besitzer wie unser Stammlokal gehörte, gab es ab diesem Zeitpunkt Waffenkontrolle. Sie fanden oft Messer und Pistolen, riefen dann sofort die Polizei an. Auch gab es ab dieser Nacht jede Woche Lokalkontrollen von der Polizei, Licht an, Ausweise her. Oft war der Kurti, der Bekannte meiner Mutter, Einsatzleiter, der mich regelmässig fortschickte, wenn er mich sah. Er sagte: "Das dauert."
Dabei war ich beschützt, das wusste ich ab diesem Abend, aber wie sagte Leo so schön: "Manchmal bist du machtlos."
Seit diesem Abend spielte es ständig "The Joker" von der Steve Miller Band, zu Ehren unseres Krawallmachers, der am Ende an seiner betrunkenen Neugierde starb. Und manchmal wache ich heute noch schweißgebadet auf, weil ich vom Ende und dem Schuß und dem Zusammensinken träume.