Das gebrochene Versprechen

Short Story zum Thema Enttäuschung

von  uwesch

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  SHORT STORYS,  PHASEN DES LEBENS (Prosa),  Aus dem Leben gegriffen

Er lag seit sechs Wochen in der Klinik und fühlte sich matt, fiebrig und sehr allein. Diagnose: Pfeiffersches Drüsenfieber.

Sein Bettnachbar, ein älterer Herr, lag schon seit sechs Wochen dort und nervte durch ständiges Radiohören, mit Vorliebe deutscher Schlager.

Jetzt ist er gerade für einige Zeit in die Cafeteria verschwunden, um heimlich ein paar Zigaretten auf der Toilette zu rauchen. Das hat ihm der Oberarzt der Inneren Abteilung wegen seiner angeschlagenen Lunge strengstens verboten.
Draußen prasselt der Regen mit monotonem Rhythmus an die Fenster und steigert seinen Trübsinn. Er schaut zu wie die Tropfen nach dem Aufprall schlängelnde Linien auf die Scheiben zeichnen. Doch dann hört er Schritte den Flur entlanglaufen, sieht zur Tür, die sich langsam öffnet. Es ist Anne, die junge Frau, mit der er verlobt ist und die er heiraten möchte. Ihre langen Haare hängen in nassen Strähnen auf die Schultern. Sie zieht den triefenden Trench aus, hängt ihn über einen Garderobenhaken an der Seite des Spindes für die Kleidung der Patienten und tritt dann an sein Bett.
„Guten Tag“, sagt sie und wirkt dabei ungewohnt distanziert. So kennt er sie gar nicht. Aber sie drückt ihm einen Kuss auf die heiße Stirn.
„Hallo“, begrüßt er sie und verliebt sich erneut.
Sie setzt sich vorsichtig auf seine Bettkante. Er möchte sie herunterziehen und sie küssen. Doch sie wehrt ab und sagt:

„Ich möchte mich nicht anstecken. Wie geht es dir denn jetzt?“
„Ganz gut. Der Arzt meint, in vierzehn Tagen könne ich die Klinik verlassen. Ich bräuchte einige Zeit nicht zu arbeiten, da ich noch zu geschwächt bin.“
„Das ist doch schön für dich!“, meint sie.
„Wenn ich wieder ganz fit bin, möchte ich dich sofort heiraten“, sagt er.
Sie schweigt darauf eine Weile - zu lange.
„Was ist?“ fragt er.

Sie richtet sich auf und spricht mit einem gequälten Gesichtsausdruck:

„Ich habe mir überlegt, dass ich dich doch nicht heiraten möchte.“
Er schaut sie erschrocken an, will es nicht glauben, ist völlig konsterniert, fühlt sich verzweifelt und im Stich gelassen. Nach einer langen Pause fließen die Tränen über seine heißen Wangen, ähnlich den dicken Regentropfen, die immer noch auf den Fenstern ihre Linien ziehen.
Ihm fehlen die Worte. Nachdem er sich etwas gefangen hat, fragt er:

„Warum denn nun plötzlich nicht mehr? Bloß, weil ich jetzt krank bin?“
„Nein“, sagt sie, „meine Eltern wollen das nicht. Sie meinen wir passen nicht zusammen. Und es wäre viel zu früh zum Heiraten, ich sollte erst mal mein Studium zu Ende bringen. Und ich finde sie haben recht.“
Er schweigt, ist baff.

„Liebst du mich denn nicht mehr?“
Sie zögert mit der Antwort.
„Doch, aber ich habe das Gefühl, meine Eltern haben Recht.“
Er ist lange sprachlos. 

Nachdem er sich etwas gefangen hat, fragt er:

„Wie meinst du das? Ich liebe dich wirklich. Ich bin verrückt nach dir. Warum hörst du auf deine Eltern? Du hast doch sonst dauernd Streit mit ihnen. Die wollen doch bloß, dass du noch länger bei ihnen wohnst.“
„Das mag stimmen“, sagt sie, „aber ich werde mir ein Zimmer in Uni-Nähe nehmen und von dort aus studieren.“
Er wischt sich das tränennasse Gesicht ab und erhebt seine Stimme:

„Ich finde das gemein von dir, mich hier im Krankenhaus damit zu überfallen, wo ich mich nicht wehren kann. Ich möchte mit deinen Eltern reden. Kannst du sie nicht mal in dieser Woche hier her bestellen?“
„Nein, das will ich nicht, und sie wollen das auch nicht. Und außerdem mag ich deine Eltern nicht und unsere Eltern mögen sich auch nicht.“
Ihre Mundwinkel zeichnen ein verspanntes Lächeln, das auf ihn wirkt wie das Zerrbild der abstrakten Figur eines modernen Künstlers, oder wie von einem hässlichen Ort in einer anderen Welt.
Völlig erschöpft sagt er:

„Du willst mich also nicht mehr. Du liebst mich nicht mehr.“
„Ja, das ist wohl so!“

Sie steht abrupt auf, küsst ihn flüchtig auf die Stirn, greift sich ihren Trench und eilt zur Tür. Er sieht ihr nach und verfolgt die Bewegungen ihres schlanken Körpers. Sie sind von unnatürlicher Entschlossenheit. Ihr Rücken scheint ihm etwas vermitteln zu wollen, wofür es keine Erklärung gibt. Etwas, was von vorne nicht vermittelbar war. Aber was dieses ist, weiß er nicht oder will es nicht wissen. Die Tür fällt leise in ihre Füllung. Zurück bleibt nur noch der Schattenriss ihrer Abwesenheit - wie ein Scherenschnitt. Sein Leben fällt in einen Abgrund.
Der Bettnachbar kommt zurück und fragt:

„Was ist los? Hast du Ärger mit deiner Verlobten gehabt?“
„Ja, aber ich habe keine Lust darüber zu reden. Doch ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie heute das Radio nicht mehr anstellen.“
„Iss´ ja gut, wenn´s denn sein muss!“ erwidert er unwirsch.



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Verlo (16.01.23, 02:00)
Wir hatten schon einen Termin für die Hochzeit. Unsere Eltern wollten. Sie wollte plötzlich nicht mehr. Ich dachte, ich sterbe. 

Heute danke ich Gott.

 uwesch meinte dazu am 16.01.23 um 08:48:
Na, dann war es ja richtig für Dich gelaufen :)
Ich konnte meine Flamme doch noch gewinnen und 25 Jahre lang halten.
Dank für Deine Empfehlung.
LG und einen schönen Tag wünscht Uwe

Antwort geändert am 16.01.2023 um 08:49 Uhr
Teolein (70) antwortete darauf am 16.01.23 um 09:13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 uwesch schrieb daraufhin am 16.01.23 um 09:42:
Was ist daran komisch, dass Deine Frau mit aufs Foto wollte? ...  oder war es die erste, die zur zweiten Hochzeit mit drauf wollte?
Dank dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

 Dieter_Rotmund (16.01.23, 09:28)
Die Dialoge sind etwas arg hölzern, aber im Grunde eine spannende Begegnung.

Kommentar geändert am 16.01.2023 um 09:28 Uhr

 uwesch äußerte darauf am 16.01.23 um 09:43:
Ja klar - Mahagoni-Holz :) 
Hölzerne Grüsse von Uwe

 niemand ergänzte dazu am 16.01.23 um 10:08:
Die Dialoge erscheinen mir tatsächlich etwas hölzern, wozu dann auch die Stelle mit dem "Tränenausbruch" nicht so ganz zu passen scheint. Sie wirkt, als ob man die Steifheit damit überspielen möchte.
Beim Inhalt frage ich mich wie alt die beiden sind, die sich da so von den Eltern beeinflussen lassen. Da da noch ein Studium zu vollenden ist, scheinen sie mir ziemlich jung zu sein, ältere Menschen würden sich nicht dermaßen beeinflußen lassen. Wer weiß allerdings wofür dieses elterliche "Stopp!" letztendlich gut war. Die Jugend ist zu hormonisiert und handelt auch ziemlich übereilt, was man nicht selten dann mit einigen Scheidungen bezahlen muss. Nicht Hormonie, sondern Harmonie ist eine Voraussetzung für ein Zusammenleben
welches sich Ehe nennt. Wobei ist erstmal sowas wie innere Harmonie vorhanden, kann die Hormonie alles freudig ergänzen ;) 

LG Irene

Antwort geändert am 16.01.2023 um 10:09 Uhr

 uwesch meinte dazu am 16.01.23 um 14:11:
Hallo Irene,
ich hab mich mal in die damalige Situation hineingefühlt. Es stimmt, dass ich die Szenerie damals etwas hölzern empfunden habe, zumal ein weiterer Patient - ein Soldat - im Zweibettzimmer lag, denn es war ein Bundeswehrlazarett in Hamburg Wandsbek, in dem mein Vater Chefarzt in der Chirurgie war. Ich lag in der Inneren Abteilung und natürlich hat er mich jeden Tag mit dem dortigen Chef aufgesucht. Das hat wohl indirekt eine offene Kommunikation mit der Freundin behindert und war somit sehr zwiespältig.
Du schreibst "Sie wirkt, als ob man die Steifheit damit überspielen möchte." So war es soweit ich das erinnere.
Abgesehen davon versuche ich bewußt oder unbewußt auch generell die Widersprüche in meiner Art zu schreiben im jeweiligen Stil darzustellen.
Ich bin nicht der Meinung, dass ein guter Text in einem ewig gleich Fluß/Stil dahinplätschern muß. Das wirst Du an einigen Texten von mir feststellen können. Mich langweilen auch solche Texte, die so dahinplätschern. Insofern darf "Holzerei" und z.B. Flussgeschehen für mich durchaus in Kooperation stehen :)
LG und Dank für Deinen ausführlichen Kommentar von Uwe

Antwort geändert am 16.01.2023 um 14:14 Uhr

 AlmaMarieSchneider (16.01.23, 19:11)
Ich schließe mich da niemand an. Wer liebt kann auch mal etwas warten. Das Studium ist wichtiger. Es bildet die Lebensgrundlage und befreit von Abhängigkeit.
Schlimm ist, dass so etwas während einer Krankheit geschehen muss. Also damit hatte die Dame doch noch etwas warten können.

Gerne gelesen und liebe Grüße
Alma Marie

 uwesch meinte dazu am 16.01.23 um 19:49:
Na ja auf eine Krankheit warten ist wohl nicht opportun in unserer Industriegesellschaft. Man muss halt funktionieren :)  Komme was da komme.
Dank für Deine Empfehlung und LG Uwe
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram