Säurebad

Text zum Thema Existenz

von  RainerMScholz

Aufhören, etwas darstellen zu wollen, nichts mehr anzuerkennen, hinter sich selbst zurücktreten, die Vaterschaft abzulegen, die Ehe, Freundschaften, alles zu beenden, was mich mit mir selbst in Verbindung bringen kann, in das Grau abzutauchen, das Schwarz, in die Farblosigkeit jenseits des lichten Schimmers. Wie soll das gehen? Alle Ecken und Kanten sollen abgeschmirgelt werden, der Glanz verschliffen, die Größe, die Form überhaupt, nichts soll an Kontur bleiben, alles zurücktreten und verschwinden, jeder Laut, alle Artikulation, die Erscheinung und das unnütze Abbild, das von meiner Person als Mensch existiert.

Da will ich nicht dazugehören müssen. Ich will es ablegen und aufhören, versucht habe ich es lange genug. Es wollte nicht gelingen. Und weil ich euch nicht länger zu leiden vermag, muss auch ich folgerichtig gehen, komplett aufhören, diese Existenz verlassen. Ich möchte nicht länger ertragen, beschönigen, aushalten und rechtfertigen. Das Experiment ist beendet, erfolglos abgebrochen, in sich zusammengefallen; es hat aufgehört, einfach so.

Vollkommen klar, werden die Schlauen und Abgefeimten unter euch sagen, dann bring dich halt um das Leben. Aber sagt doch selbst: Ist das nicht zu simpel, euch angemessen, aber nicht der Existenz schlechthin; und einer späten Rache gleichkommend, wenn man solche faden Bilder bemühen mag. Ein Eingeständnis, dass ich gescheitert bin im Welttheater. Ja, das ist es, ein Unvermögen. Meine Entscheidung sei frei und unvoreingenommen. Was ist mit eurer? Der Rede ist schon zuviel. Sei es drum. Nicht wahr.

Der Einäugige – er sei König.

Aber ich möchte nicht länger sehen oder gesehen werden. Ich möchte nicht mehr wahr sein. Ich möchte nicht mehr da sein. Das sei mein letztes Wort.

Wie also soll ich verschwinden, mich auflösen und vergehen, wie die Verlösung bewerkstelligen. Im Moor, in der Heide, im Wurzelwerk toter Bäume, in den Lüften verhauchen, soll ich von den Dachfirsten segeln, in den Wolken zerstäuben, unter den Teppich gekehrt, oder in siedenden Kraftwerkskernen, soll ich mich auf die Teerstraßen der Zivilisation werfen, soll ich im Ruß und im Qualm verkohlen, mich von den wilden Tieren fressen lassen, die in Gehegen ihre Runden drehen, soll ich Gott verkünden oder den neuen Menschen, das Ende der Tyrannei des Geldes oder soll ich als brennender Phallus fliegen zum Mars.

Habt ihr nicht einen Ratschlag, seelenlose Masse, gedankenferne Leserschaft, wisst ihr einen Rat?



© Rainer M. Scholz



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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (18.01.23, 00:29)
So fühlt man sich, wenn man ganz unten ist. Mein Rat: An sich selbst glauben. Es ist nicht aller Tage Abend.

Liebe Grüße
Alma Marie

 RainerMScholz meinte dazu am 19.01.23 um 14:41:
Ich würde es gerne abstrakter sehen wollen, auch im Hinblick auf eine anthropologische Zugehörigkeit, die man nicht abzulegen vermag, und, weiterführend, was Text, und im weitesten Sinne Kunst, damit machen kann oder auch nicht.
Oder Wissenschaft: neulich sah ich einen Bericht über mögliche Zukünfte, der davon sprach, u.a., dass Menschen nicht für Flüge im All konzipiert seien (wie für so vieles nicht, was aber dennoch stattfindet) wegen ihrer teigigen, puddinghaften Körperlichkeit, aber dass stattdessen die von uns konstruierten Maschinenwesen zu fernen Planeten fliegen könnten an unserer Stelle - das sollten sich Leute wie Bezos und Musk `mal `reinpfeifen und versuchen, hier auf der Erde etwas zu erreichen, bevor sie sich auf den Mars verdünnisieren, weil sie die Menschheit als gescheitert betrachten, einmal selbstverständlich von ihren Wenigkeiten abgesehen -; das auch im Hinblick auf den letzten Satz des vorletzten Absatzes des Textes.

Gruß + Dank,
R.
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