Das Go- Kart

Text zum Thema Begehren

von  Mondscheinsonate

Daniel bekam zum Geburtstag ein Go- Kart, eines zum Treten, man saß aber bequem darin, der Sitz war gepolstert, schwarz- weiß gemustert. Ich bekam ein Klapprad, das war damals modern, orange. Ich hasste mein Fahrrad (ich hasse es heute noch!) und wollte auch ein Go- Kart. Papa sagte: "Ein Go- Kart ist für Idioten, die das Fahrradfahren nicht erlernen wollen", und ich solle nicht undankbar sein!"

Ich war nicht undankbar, ich wollte ein Go- Kart. 

Daniel und ich stritten ständig darum. Naturgemäß, es war ja seines, überließ er es mir nur ungerne. 

Ich durfte mit dem Fahrrad überall hin, er nur im Hof damit fahren. 

Irgendwann hänselte ich ihn, meinte, er sei noch ein Baby, könne gar nicht radfahren und er soll mit mir in den Park fahren und dort mit meinem Fahrrad fahren, eine große Runde, ich will das sehen!

Er fuhr mir mit seinem Go- Kart hinterher, gab sich große Mühe über die Straße, stoppte den Verkehr dadurch, kam kaum über die Pflastersteine, war dennoch tapfer, obwohl seine Kraft nicht groß war. 

Im Park angekommen, stieg ich vom Fahrrad und hielt es ihm provokant hin: "Da fahr!" 

Er zögerte kurz und dann stieg er auf. 

Als er ein paar Meter wackelig gefahren war, bemerkte ich, dass er es tatsächlich nicht konnte und sagte: "Wenn du schneller fährst, dann kommst du besser voran!" Ich grinste hämisch. Er trat wirklich fest in die Pedale, wurde schneller und kreischte vor Freude: "Ich kann fahren!"

Die Freude war ansteckend, plötzlich wurde aus meinem Spott echte Freude. Ich sah ihm die Strecke entlang zu, plötzlich wurde er für einen Anfänger zu schnell, wollte bremsen, wusste nicht wie, ich rief noch zu: "Vorne drücken, drück die Hebel!", aber es war zu spät, er raste ungebremst, mit hoher Geschwindigkeit auf die Straße und in dem Moment kam ein Auto. Es krachte.

Ich ließ das Go- Kart unbeaufsichtigt und lief zu Daniel, der auf den nächsten Gehsteig geschleudert wurde, das Rad lag unter dem Auto. Der Autofahrer stieg aus, er war blass. Daniel lag da und lachte, sagte: "Mir tut nichts weh, alles in Ordnung! Ich kann Radfahren!" Er stand wackelig auf, putzte sich ab, seine Hände waren aufgeschunden und blutig.

Der Autofahrer lief zu Daniel, eine Passantin zur Telefonzelle, rief die Rettung. Daniel hatte auch eine Platzwunde am Kopf, die ganze Kleidung war blutig. Der Autofahrer sagte, er solle sich am Boden setzen und es kam bald die Rettung, auch die Polizei. Es wurde der Daniel in den Wagen verladen und er schrie immer wieder: "Ich kann Radfahren!" Das war gruselig. 

Mein Fahrrad war ein Totalschaden. Ein Polizist nahm das Go- Kart und schob es vor sich her und das hinter mir her. Ich zeigte dem Mann, wo wir wohnten. Er stellte es in der Hausfahrt ab und fuhr mit mir in den 7. Stock, eigentlich 6. Stock, zum 7. Stock musste man zu Fuß raufgehen. Dann erklärte er D. alles und die zog schnell ihre Schuhe an und ging an mir vorbei, beide ließen mich dort stehen. 

Später holte Papa mein kaputtes Fahrrad, das achtlos vor die Telefonzelle geschmissen wurde. Am Boden waren Unfallmarkierungen.

"Das macht Neid mit dir!" sagte Papa und zeigte böse auf die Markierungen.


Ein paar Tage später kam Daniel aus dem Spital. Er hatte eine Gehirnerschütterung, Abschürfungen, eine gebrochene Rippe, eine Platzwunde und ein Zahn fehlte ihm. 

Daniel besuchte ich in seinem Zimmer und weinte viel, da nahm er meine Hand und sagte: "Du hast jetzt kein Fahrrad mehr, aber du darfst inzwischen mit meinem Go- Kart fahren."

Wir waren erst sieben Jahre alt, aber ich spürte das erste mal im Leben das Wort "Freundschaft", ohne, dass mir ganz klar war, was es wirklich bedeutete. 

Ich bettelte Papa jeden Tag an, dass er Daniel ein Fahrrad kaufen soll, flehte, sagte: "Er hat es gerne!"

Da sagte Papa: "Gut, aber du kriegst kein neues Fahrrad mehr!"

Ich freute mich, denn Daniel fuhr seine stolzen Runden, er liebte es wirklich, mit dem neuen blauen Fahrrad, im Hof und ich durfte mit dem Go- Kart fahren. 



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