In die Welt wurde Jan innerhalb von einer Stunde hineingeworfen. Es war eine Sturzgeburt. Im bisherigen Verlauf seines Lebens ist ihm nie klar geworden ob sein Leben zufällig geschah oder sein Schicksal durch einen unergründlichen Plan vorbestimmt war. Nachdem der Junge das Lesen gelernt hatte, hielt er alles Gedruckte für wahr. Mit zunehmendem Alter musste er jedoch feststellen, dass viele Unwahrheiten wahrer erschienen als die Wahrheit.
Seine mittlere Reife in einem Gymnasium verlief einigermaßen glatt. Er begann eine Lehre als Feinmechaniker bei Phillips in der Nähe des Hamburger Flughafens. Der Konzern hatte vor ein paar Jahren Röntgenmüller, den weltweit führenden Hersteller von entsprechenden Geräten übernommen. Die Lehrwerkstatt hatte im Hinblick auf ihre Lehrlingsausbildung einen sehr guten Ruf.
Schon im ersten Lehrjahr verliebte er sich in Lisa, dem einzigen Mädel, das neben neun anderen Jungen im selben Betrieb eine Lehre begann. Es kam zu der Zeit sehr selten vor, dass Mädels sich in einem derartig technischen Beruf ausbilden ließen. Nur wusste Jan nicht so recht wie er sich mit seiner Schüchternheit am besten an sie ranmachen könnte.
Im Spätherbst desselben Jahres, an einem nasskalten und unfreundlichen Freitag hing Nebel über der Stadt. Auf den Dächern der Autos machte sich schon silbriger Raureif breit. Jan hatte sich nach Feierabend sehr schnell umgezogen, weil er seine Flamme am Werkstor wie beiläufig abfangen wollte. Er hielt es für notwendig, zunächst sein wirkliches Anliegen auf Umwegen zu verbergen.
Als sie aus dem Tor geschlendert kam, fragte er sich locker gebend:
„Hallo, hast du Lust mit mir noch einen kleinen Spaziergang im naheliegenden Park zu machen, bevor es ins Wochenende geht?“
Lisa schaute ihm erstaunt in die Augen. Es ratterte in ihrem Kopf, denn sie war es gewohnt, dass den meisten Menschen nicht Unmittelbarkeit oder fraglose Direktheit nahelag. Doch sie spürte intuitiv, dass der Junge offensichtlich in sie verliebt war. Das hatte sie schon seit einiger Zeit vermutet. Sie willigte ein.
Im Verlauf des Spazierganges im Park fiel so eine Art Kuss, eher eine leichte Berührung ihrer Wangen. Nach dem Treffen schlenderten sie zur U- und S-Bahnstation Ohlsdorf und verabschiedeten sich mit tiefem Blick in ihre Augen, nachdem sie Geheimhaltung gegenüber den Mitlehrlingen verabredet hatten.
Sie musste in die S-Bahn Richtung Barmbek, um von dort mit der U-Bahn nach Wandsbek-Gartenstadt weiterzufahren. Er bestieg die U-Bahn Richtung Hallerstraße via Station Klosterstern.
