Urangst prägte Michaels Leben. Er war ein Kaiserschnitt. Wurde betäubt ins Diesseits geholt. Mit Lachgas mitten im Zweiten Weltkrieg, obwohl das beileibe nicht zum Lachen war. Mutter wollte den Fötus abtreiben. Durch wildes Reiten. Herumgeschleudert hat er sich widersetzt. Wollte leben. Seine Nabelschnur war zweimal um den Hals gewickelt. Blau angelaufen wurde er in die Welt geholt. Doch Mutter machte es ihm auch später noch schwer. Hat oft gesagt: „DU schaffst das nicht“. So geschah es dann. In der Goethe-Schule, ex Hitler-Gymnasium, ex Goethe-Schule. Abgang nach der 11. Klasse. Als junger Mann wurde er Leichtathlet. Blitzschnell über die 100 Meter. Doch es gab einen noch schnelleren Konkurrenten im Verein. Immer wieder war er nur Zweiter. Wie in der Konkurrenz zum jüngeren Bruder. Dem Zweitgeborenen im letzten Kriegsjahr. Die Frucht eines Seitensprungs. Von Mutter zu Zeiten als ihr Mann an der Front war. Ein mehr oder weniger gewolltes Kind. Ohne Abtreibungsversuche. Von einem Offizier, in den Mutter sich verknallt hatte. Der Halbbruder wurde mit Würmern in die Welt geworfen. Im letzten Kriegsjahr. Von ihr verhätschelt. Michael war weitgehend abgeschrieben. Er hatte ja keine Würmer. Das verletzte ihn sehr. Auf Fotos war das sehr gut zu sehen.
Eine Lehre nach dem schulischen Abgang brachte eine Wende. Mechanisch-handwerklich lief es prächtig. Ein guter Abschluss folgte. Wenn auch wieder nur als Zweitbester. Doch der Glaubenssatz der Mutter bohrte weiter. Die nächsten Bildungsgänge gelangen. Bis hin zu zwei Diplomen. Als Erwachsener dachte er, was er an Angst besaß wäre nun aufgebraucht. Doch den Glaubenssatz konnte er nicht bannen. Mit 70 Jahren beschloss Mutter die Welt per Tabletten zu verlassen. Ihr Vermächtnis war ein Zettel. Auf dem stand: „Verzeih mir Michael“. Sie hatte es nicht geschafft normal zu sterben, doch IHR Programm früh auf den Sohn zu übertragen. Doch das war keine böse Absicht, sondern Ausfluss des Krieges und der Ängste, die dort herrschten.
Michael konnte verzeihen. Jetzt war es getan, die Angst verloschen. Er wollte leben.
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Ja, das ist ein Lebensstart, den man keinem wünschen möchte. Doch in den Kriegsjahren herrschte kein Normalzustand. An psychologische Betreung war da wohl auch kaum etwas möglich - man hatte existenziellere Probleme.
LG Uwe