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2001/02

Parabel zum Thema Ausbrechen

von  Terminator

Was Bayer Leverkusen 2001/02 erlebte, war paradigmatisch. Triple-Vize, im Champions-League-Finale saßen Amateure auf der Bank. Auch ich ging auf dem Zahnfleisch. Dabei war ich schon Anfang 2001 mir dessen voll bewusst, dass ich eine Depression hatte. Doch darüber durfte ich nicht sprechen, mit keiner erwachsenen Person: ich wurde sofort beschämt und der Undankbarkeit beschuldigt. "Guck, die da hat es schwer, ihre Mutter ist totkrank", und weiter in dem Sinne.


Ich wunderte mich im August, woher die Heiterkeit kam. Ich malte lustige Cartoons, ich zeichnete aber auch an manchen Tagen stundenlang Landkarten (im Alter von 15 bis 24), aber wiederum nicht cartoonisch, sondern wie ein echter Kartograph. Doch am Ende gefiel mir das Ergebnis nicht und ich vernichtete die Karte. So ging es schon seit Ende 1998: Kurzgeschichten schreiben, kurze Zeit später Hefte vernichten. Immer wieder dieses Reinigungsritual, und ein Anfang bei Null.


Unter Dauerstress gibt es drei mögliche Reaktionen: Flucht, Kampf, Erstarrung. Lernen als Reaktion gibt es da nicht, also blieb ich in diesem Schuljahr sitzen. Ende 2001 empfing mich der Oberstudienrat, ein schüchterner und sehr freundlicher Mann, und erklärte mir in aller Ruhe, wie es jetzt weitergeht. Keine Beschuldigung, keine Beschämung, er ließ mich einfach mal schon die Leistungs- und Abdeckungsfächer für das nächste Jahr auswählen.


Das Jahr 2001 endete denn auch mit einem Totalausfall: ich war im November und Dezember zu nichts mehr fähig, als in der Dunkelheit meines Zimmers Kerzen zu verbrennen und an besseren Tagen Street Fighter EX Plus Alpha auf Play Station zu spielen.


Anfang 2002 war ich auf dem Sprungbrett ins Reich des Suizids. Allein die Träume in Mai und August 2001 hätten gereicht, um den Freitod gezwungenermaßen zu wählen, denn so viel Ekel kann kein Mensch ertragen. Nicht einmal nachts gab es Erholung. Und die Tage waren wie Kreise der Hölle: der Höllenkreis der Schuld, der Scham, der Lieblosigkeit, der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung, und, der leidvollste natürlich, der Höllenkreis des Ekels. Seit Ende Juni 2001 war ich wieder Atheist, was hielt mich also noch?


Doch, es gab einen Sinn. Er war nicht in Worte zu fassen. Ich habe ihn weder denken noch fühlen können, aber ich habe ihn intuiert (mit introvertierter Intuition).


An meine Schulzeit konnte ich viele Jahre lang nicht zurückdenken, ohne Wut, Zorn, Trauer, Ekel, Menschenverachtung und Rachegefühle zu empfinden. Nun stelle ich aber fest: ich erinnere mich zwar an alles, als wäre es gestern, ja erst heute vor zwei-drei Stunden geschehen, aber was ich empfinde, ist nur Erleichterung. Und: Heiterkeit.

 


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