Auf der Düne

Kurzprosa zum Thema Abschied

von  uwesch

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  PHASEN DES LEBENS (Prosa),  Aus dem Leben gegriffen

Es war gut, dass ihr älterer Mann sterben durfte, dachte sie. Ihm war ein ungewöhnlich langes und reiches Leben beschieden. Die letzten Jahre mit seiner Demenz belasteten sehr, aber in einem Pflegeheim wollte sie ihn nicht unterbringen. Sie fand an diesem Gedanken eigentlich nichts Außergewöhnliches. In den letzten Jahren hatte sie jedoch manchmal das Gefühl, in einer Sinnlosigkeit gelebt zu haben. Jetzt nach seinem Tod bekamen Worte wieder Gewicht, wenn sie sich mit alten Freundinnen traf.

Als im Frühjahr die Kirschbäume im Garten blühten und die Bienen darin summten, machte sie die Entdeckung, dass sie aufhören konnte, ständig daran zu denken was zu tun war. Ihr Geschnatter im Hirn kam endlich zur Ruhe, was sie auch mit der Wiederaufnehme ihrer Meditationen förderte.

Die einfachen Dinge faszinierten sie wieder. Spaziergänge am Strand, Treibholz und schöne Muscheln aufsammeln und immer wieder aufs Neue sich daran zu erfreuen. Eines Tages fand sie ein großes Schneckengehäuse. Wenn sie das mit der Öffnung ans Ohr hielt, hörte sie ein geheimnisvolles Rauschen.

Manchmal setzte sie sich nach einem Spaziergang an der Küste auf eine Düne, schaute lange aufs Meer und weinte.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (26.01.23, 07:38)
Die Frage, ob sich der Verzicht auf ein eigenes Leben "lohnt", stellt sich vielen Frauen gar nicht erst.
Vielleicht zu Unrecht.

 uwesch meinte dazu am 26.01.23 um 14:43:
Mag sein, was sicher auch z.B. vom Bildungsstand und den damit verbundenen Einkommen zu tun hat.
Dank Dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

 Saira (27.01.23, 07:19)
Du hast den Blick auf eine Ehefrau gerichtet, die ihren demenzkranken Mann über Jahre bis zu seinem Tod begleitet hat. Die Sinnlosigkeit, die sie in Momenten empfand, kann ich gut nachvollziehen. Es fanden immer weniger und irgendwann keine „normalen“ Gespräche mehr mit dem Partner statt. Sie hat erleben müssen, wie sich ihr Mann stetig weiter in Vergessenheit verlor. Nach seinem Tod konnte sie ihre schlafenden Sinne wieder aktivieren. Die Trauer ist deshalb nicht kleiner.
 
Wo könnte man sich intensiver mit seinen Gefühlen befassen als am Meer?
 
Sehr berührend erzählt.
 
Liebe Grüße
Sigrun

 uwesch antwortete darauf am 27.01.23 um 07:54:
Danke Dir für Deinen einfühlsamen Kommentar und die Empfehlung.  LG Uwe
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