Das Geosmin in der Luft

Text

von  theatralisch

Meine Haltung ist recht aufrecht. Vermutlich wegen des ganzen Sports. Schon mein Leben lang mache ich viel Sport. Der Sport rettete mir sogar das Leben. Erstens wegen der gewissen Grundfitness und der gestärkten Knochendichte / positiven Auswirkungen auf den Körper. Und zweitens, weil ich ohne Sport nicht wüsste, was alles in mir steckt und dass ich einfach alles tun könnte – sofern ich wollte.

 

Es ist ein milder Wintertag. Ich laufe durch die Stadt. Mir gehen die Worte meines besten Freundes durch den Kopf – sinngemäß: Es käme auf die Geschichte, also den Inhalt an. Blumige Sprache usw. wäre in jedem Fall zweitrangig.

Der Meinung bin ich auch. Als junger Mensch glaubt einer vielleicht, alles müsse „explodieren“ und „implodieren“, also in jedem Fall eine Form der Kraftauswirkung / des Druckaufbaus erfolgen, wohin auch immer. Übertragen auf einen Film: Schnelle Wechsel, harte Schnitte. Ich bin übrigens eher für Blickachsenanschluss: Aufeinanderfolgend der gleiche Winkel aus zwei verschiedenen Perspektiven zur Erfüllung der Erwartungshaltung des Zuschauers. Ich denke, „Lola rennt“ ist ein klassisch-gutes Beispiel, um transparent zu machen, welche Rolle gerade die Kamera in einem Film spielen kann. Deshalb stimme ich Folgendem zu: Es kommt auf den Inhalt an. Und es kommt auf die Perspektive an.  

 

Es riecht noch zimtig nach Winter – vor allem wegen unserer empfindlicheren Schleimhäute in der kalten Jahreszeit, doch das sogenannte Geosmin – ein Stoff, der von Mikroorganismen im Boden produziert wird und durch die Geruchsmoleküle infolge der sich erwärmenden Erde als modrig-erdiger Geruch wahrgenommen werden kann – liegt schon fast in der Luft. Auch, weil wir es so wollen, latent erahnen oder einige von uns nur unterbewusst wünschen. Ja, Triebimpulse: Als ich hier so spaziere durch die Stadt – eigentlich wollte ich nur einmal kurz um den Block laufen, doch oft kann ich meine Schritte dann nicht mehr so abrupt stoppen, also laufe ich einfach weiter, bis ich vermute, dass es Zeit wäre, umzukehren – denke ich wie oft in letzter Zeit an die großen Dichter und Denker vor allem zur Zeit der Jahrhundertwende / décadence. Insbesondere (siehe Text von gestern / 25.1.23 – „Das hat nichts mit dir zu tun: Geburtstag, Frühling, Rilke, Rodin…“) Rilke hat es mir angetan. Und ich frage mich respektive weiß vielleicht, was er dazu gesagt haben mag. Zu Themen wie „das Unbewusste“ oder auch „Triebimpulse“ – im Hinblick darauf, was wir eigentlich überhaupt (wirklich) wollen. Ich suche mir dann ein Gedicht heraus und lese es:

"Du bist der raunende Verrußte

Du bist der raunende Verrußte,
auf allen Öfen schläfst du breit.

Das Wissen ist nur in der Zeit.
Du bist der dunkle Unbewusste
von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Du bist der Bittende und Bange,
der aller Dinge Sinn beschwert.
Du bist die Silbe im Gesange,
die immer zitternder im Zwange
der starken Stimmen wiederkehrt.

Du hast dich anders nie gelehrt:

Denn du bist nicht der Schönumscharte,
um welchen sich der Reichtum reiht.
Du bist der Schlichte, welcher sparte.
Du bist der Bauer mit dem Barte
von Ewigkeit zu Ewigkeit."

(Rilke, 1899)

Hier geht es wohl wie oft um Gott: Immanenz, Transzendenz. Grundlegende Fragen, die neu gestellt werden müssten. Was ich bei für meine Begriffe klugen / gebildeten Menschen jedoch grundsätzlich nicht verstehe: Warum zeigen sie Schwäche und geben Kindheitstraumata nach? Niemand muss das. Niemand muss, weil er in Armut aufgewachsen ist oder verprügelt wurde, nun reich werden oder vor Streit fliehen. Am gesündesten ist es sicher, sich an der goldenen Mitte zu orientieren: Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen (bewusstem) Wunsch und Realität.

 

Während des Laufens blicke ich nie zurück oder überhaupt sonst wohin. Einfach so. Genauso, wie ich einfach so schreibe und damit nichts weiter anstelle – neuerdings / seit 2021 ca. wieder vermehrt auf keinverlag online stelle. Ich wäre sicherlich von allem „geheilt“, wäre nichts an oder um mich herum, das mich mehr interessierte, als nur Spaß: Essen, Clubs und so. Aber ja, ich müsste auch gar nichts sagen, denn es ist schon alles so oft und imponierend gesagt worden. Ich empfehle euch, Rilke zu verstehen. Dann könnt ihr gute Menschen werden oder es auch bleiben – jedoch reflektierter, bedachter, mit viel Tiefgang und alledem. Zum Abschluss ein (Teil-)Gedicht:

„Ich weiß das Leben ist gar und gut

Und die Welt ist ein voller Topf,

aber mir geht es nicht ins Blut

mir steigt es nur zu Kopf.

 

Andere nährt es, mich macht es krank;

Begreift, daß man’s verschmäht.

Mindestens ein Jahrtausend lang

brauch ich jetzt Diät.“

(Rilke, 1906)



Anmerkung von theatralisch:

Brauchen wir wirklich was? Wenn wir drüber nachdenken, kommen wir wahrscheinlich zu dem Schluss, dass wir ohne Kindheitstraumata gar nichts bräuchten. Um zu überleben etwa also das Grundlegende: Essen und Trinken, Schlaf...das Übliche.

Wir können davon abgesehen alles (be)lassen. Es spielt(e) keine Rolle. 

Aber was ist dann wirklich schlimm? Doch die Traumata? Nein. Was dann? Die Zeit. Nur die Zeit bringt Psychosen hervor, aber nie uns. Das Gehirn will uns nicht dabehalten, es ist in Wirklichkeit nur der Körper. Aber schon auch umgekehrt. Diese Lage ist so vertrackt, dass es außergewöhnlich wäre, sich noch zurechtzufinden.

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (26.01.23, 13:02)
Nun ja. Auch unser Jahrhundert ist im Begriff einen Umbruch durchzuführen. Der Transhumanismus vollzieht sich als Schmetterling aus der Raupe Industrialisierung. Die Natur nimmt dazwischen einen nostalgischen Charakter an. Seen, Gärten, Meere, Weiden, Wiesen und Berge sind Strukturen der Welt, die unser archaisches Befinden berühren, weil der Mensch daraus gewachsen ist. 
Das Laufen ist in seinem Ursprung Mittel zur Wanderung von Volksgruppen gewesen. Neandertaler haben diese Fortbewegung genutzt. Sie sind nicht spaziert oder listgewandelt, sondern sind gelaufen und haben kurzzeitig sich ausgeruht und sind wieder gelaufen. Das Laufen hat also eine uralte Tradition, und ist wohl dem Überlebenstrieb zuzuordnen. 

Aber umso kontrastreicher die Dichtung von ehemals zum informstuonszeitalter, umso stärker sticht ihr Wert hervor. 

Es ist als hörten wir dem Gesang einer abgeschiedenen Welt, die noch in uns geheimnisvoll lebt.

 theatralisch meinte dazu am 26.01.23 um 14:41:
Weißt du, warum die Menschen etwas anderes über einen zu Lebzeiten sagen als nach dem Ableben?

Warum weiß einer nie, was irgendwas soll? Ich hab keinen Verstand mehr deshalb. 

Laufen: Ja, ich bin schon viel gelaufen. Und kann damit nicht aufhören, sobald damit angefangen. Es ist Freiheit und heilsam. Aber auch nur semi. Morgens beginnt es wieder von vorn. Ich sitze hier seit einer Stunde und..und..tippe nun. Davor saß ich ausschließlich. Einer behauptete mal, ich würde das kultivieren. Ich wünschte, es wäre so. Es ist komplett anders. Ich wünsche keinem sowas. Wenn ich nur wüsste, was. Aber so war das noch nie. So kalt und leer. Halt fast hoffnungslos. Die Frage ist nur die, was danach kommt haha.. Noch einmal ein Urknall. 

Wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nicht, ob ich mit Gedichten noch was anfangen kann deshalb. Aber das dürfte klar sein. 

Und wer hat hier eigentlich rumprogrammiert lol..

Komisch.

Antwort geändert am 26.01.2023 um 14:42 Uhr

 Augustus antwortete darauf am 26.01.23 um 16:49:
Nun ja, es klingt weitaus mehr als befinde sich ein Schiffchen auf hoher See, gleichwohl kein Land in Sicht ist, muss nicht heissen, dass gar kein Land vorhanden ist.

 theatralisch schrieb daraufhin am 26.01.23 um 20:12:
Versteh ich wieder nicht. Aber naja. Schiff klingt gut. Lass mal wieder in Mitte feiern haha..

 Augustus äußerte darauf am 27.01.23 um 10:02:
Es ist komplett anders. Ich wünsche keinem sowas. Wenn ich nur wüsste, was. Aber so war das noch nie. So kalt und leer. Halt fast hoffnungslos.


Mein Kommentar bezog sich hierzu. Wenn jemand eine gewisse Leere empfindet, dann liegt ein Fall einer „Reise“ vor. Sie sind mitten auf eine Reise. Oftmals wissen sie nicht wohin, daher das Gefühl auf eine unendliche Meermasse zu blicken, die nur der Horizont streift. 

Auch das Gefühl ewig Laufen zu können, könnte ein Ausdruck sein, dass jemand irgendwohin „reist“. Wie ein Volk, das auf Völkerwanderung ist. Sie wussten oftmals nicht wohin, sie wussten aber, dass sie ein fruchtbares Land suchten, auf dem sie ihren Wohlstand begründen können. Sie hatten also klare Vorstellungen vom idealen Land. 

In Deutschland gibt es Dörfer aus dem 8 Jahrhundert, die in Takt sind, die aber von den Germanen einst verlassen wurden, weil die Erde zu schlecht war. Sie gingen mit dem Wunsch und Willen fort, fruchtbare Erde zu finden, und manchen wanderten weit bis nach Spanien. Zb ein Teil der Ostgoten. 

Übrigens können diese germanischen Dörfer ab März/April besichtigt werden. Für Kinder macht es ebenfalls Spaß. Da kann getöpfert werden, aber auch Pilze im Wald gesammelt werden. Einfach googeln. 

Salve 

Antwort geändert am 27.01.2023 um 10:11 Uhr

Antwort geändert am 27.01.2023 um 10:11 Uhr

Antwort geändert am 27.01.2023 um 10:12 Uhr

 theatralisch ergänzte dazu am 27.01.23 um 14:18:
Du sagst ein paar kluge, einleuchtende Dinge. Bei mir ist das halt so, dass ich seit 2001 was nicht ertrage, aber nicht weiß, was. Bisher hat nichts geholfen und mit jedem neuen Lebensjahr wird das schlimmer. Ich mach aus meinem Herzen aber keine Mördergrube (Gott ist mein einziger richtiger Halt, deshalb auch immer die ganzen Anspielungen auf v. a. das alte Testament).

Ich will demnächst mit meinem Onkel (der war hier auch mal voll aktiv - jeden Tag 1 Text) nach Berlin. Der ist grad in Afrika.

 Dieter_Rotmund (27.01.23, 09:35)
Anfangs gut, wirkt der Text doch zusehens verplappert und kommt vom Ästchen aufs Stöckchen, wie man so schön sagt.

 theatralisch meinte dazu am 27.01.23 um 09:55:
Den kannte ich noch nicht mit dem Aestchen. Ich mag ja sowas. Ich dachte, das waer jetzt en vogue. Waer voll vor den Kopf gestoßen, wenn doch nicht.

 Teichhüpfer (28.02.24, 20:47)
Wo schon Gott einbezogen ist. Ja, da geht das mit dem Sündenfall und Teufel los. Das ist Resultat, in dem wir leben. Akzeptanz, aber wie soll das sein? Ein gutes Werk sehe ich da.
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