Ein letztes Wiedersehen

Erzählung zum Thema Abgrenzung

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  PHASEN DES LEBENS (Prosa)

Es ist erst vier Monate her, aber für mich ist die Vergangenheit Gegenwart. Ich glaube, dass er mich gar nicht sieht, nicht sehen will. Dass ich, wenn er mich berührt, unsichtbar für ihn bin. Eine Frau ohne Form, eine Gestalt ohne Seele. Und deshalb erscheint mir das, was wir tun, keine Substanz mehr zu haben. So als stecke unsere Trennung bereits in seinem Schweigen, in seiner Weigerung mich zu sehen. Selbst wenn ich schreie, um endlich wahrgenommen zu werden, weiß ich, dass es nicht geschehen wird.

Das Malen von Bildern ist seine Profession. Sein neuestes überdimensionales Werk, das er in meiner Abwesenheit gemalt hat, füllt jetzt die Wand hinter dem Sofa aus, direkt mir gegenüber. Ich frage mich, was das Bild mir sagen will.
Die Monate, die ich in New York war, habe ich nicht mit ihm gesprochen, nicht telefoniert. Die Zeit zwischen dem Davor und dem Jetzt wurde mit ungeheurer Kraft weggezogen, wie die Ebbe, die das Wasser am Horizont verschwinden lässt. Gerade ist wieder Flut in mir. Die Brandung will seine Ufer überschwemmen. Wird er diesmal zuhören? Meine Seele berühren? Oder doch wieder nur mit mir vögeln?
Ich fange an, das Geschehen der vier Monate mit Worten zu füllen, die aus meinem Mund ohne Pause hinaussprudeln.

Der Abend sinkt mit intensiver Trägheit herab. Er gähnt und fragt mich:

„Hast du noch viel zu berichten?“
Ich antworte:

„Ja“, und dann lasse ich eine Pause, … „und du?“
Er entgegnet:

„Ich nicht. Schau mein neues Bild an, und du weißt, was in mir vorgegangen ist“.
Giftgrünes Wasser wabert mich an, wie eine vorgeschichtliche Ursuppe. Lässt mich frieren. Leben scheint da nicht möglich zu sein. Der riesige See erzeugt innere Schwere. Gelbe Lachen auf ihm versuchen etwas Hoffnung zu vermitteln. Abgestorben wirkende Schilfhalme recken sich verzweifelt in den Himmel. Sie versuchen das Gelb aufzugreifen, das sich wie Regen an Schnüren senkrecht auf die Erde hinter dräuend dunklen Bergen abzuseilen versucht. Voller Hoffnung etwas Nähe herstellen zu können. Doch die finsteren Berge hinter dem See wissen das zu verhindern.
Das ist unsere Lage nach vier Monaten der Trennung. Ich schaue ihm ins Gesicht. Da findet es sich wieder, das giftige Grün in seinen Augen, wie im See dahinter. Welche Geheimnisse lauern im Bild, im Wasser? Ist noch Hoffnung darin? Welche Werte schlummern im Verborgenen? …. Ich kann sie nicht sehen und sage:

„Ich werde gehen, für immer.“
Er schaut mich traurig an. Eruption, so als fänden Rohrbrüche in seinen Tränenkanälen statt. Das salzige Wasser rinnt ungebremst über seine Wangen, wie gefrorene Wasserfälle eines Gebirgsbaches, die von der Frühlingssonne befreit wurden. Tropft auf sein lila T-Shirt, bildet Seen und färbt es in Teilen dunkler. Schluchzer erschüttern seinen Körper.
Er tut mir leid, doch ich muss jetzt gehen. Ich will leben.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (30.01.23, 08:56)
Nicht alle Schweigsamen weinen bei einer Trennung, aber es kann sein.

 uwesch meinte dazu am 30.01.23 um 09:29:
Klar, jede*r geht damit anders um.
Dank dir für Deine Empfehlung und LG in den Tag von Uwe

 EkkehartMittelberg (30.01.23, 13:35)
Eine fundierte Erzählung auch zum Thema Konsequenz.

LG
Ekki

 uwesch antwortete darauf am 30.01.23 um 15:48:
Danke Ekki, auch für Deine Empfehlung.  LG Uwe
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