Berührung
Text zum Thema Abschied
von Mondscheinsonate
Nach dem Arbeitsamt, das mir wie ein Ärgernis vorkam, aber eigentlich "normal" ist, dieses "Sind Ihre Daten noch aktuell?", ein Abgleich, ja, es sind noch dieselben wie vor 30 Tagen, ich möge einen aktuellen Lebenslauf hochladen, "Der ist aktuell, erst ein Monat alt", schon, aber von 2022, "Ist gut", gut, dann "Auf Wiedersehen", "Ah, ich hätte gerne einen Englischkurs", ein Blick, "Nichts frei", das war klar, alle Leute im Kurs bekommen jetzt 150 Euro extra, das war nicht meine Intention, sondern Conversation, sagte auch ich "Auf Wiedersehen", ging, stand danach ratlos auf dem großen Platz, der voll ist mit Alkoholikern und Primitivlingen gefüllt war, dachte, dass ich also jetzt zu ihnen gehöre, gerade eben, war unschlüssig, ob ich auf den Friedhof fahren sollte, die Sonne schien um 8:50. Ich fuhr.
Angekommen, ja, dort fühle ich mich tatsächlich angekommen, der Schnee lag noch, gefror zu Eis, knirschte unter meinen Schuhen, ächzte unter meiner Last, ging ich den üblichen Weg, ich nenne es Hauptweg, nach vorne bis zur Kirche, dann bog ich links ein, ging gerade weiter bis zur Weggabelung, ging trotzdem weiter und dann über ein Stück Rasen zu meinem Zielort, der mir ein trauriges Bild lieferte, so traurig, dass ich weinen musste, denn meine Befürchtungen oder besser Ahnung, dass bald kein Kerzerl mehr brennen würde, ist bereits eingetreten und statt frischen Blumen, immer waren frische Blumen in der komischen Vase mit den Schlitzen hinten, steckten neue, ewige Blumen, weitere, zu den zusätzlichen, irgendjemand zeigte: "Jetzt schließe ich ab und stecke dir Plastikblumen hinein, denn dann brauche ich nicht mehr oft kommen!" Und, zur vorigen Hässlichkeit an Plastikblumen, steckten nun noch weitere buntere Plastikblumen in der Vase, die sich an Hässlichkeit überboten, geschmacklose Hässlichkeit, die ich am Liebsten in den Restmüll geworfen hätte, wo sie in der Müllanlage verbrannt worden wären. Die Blumen waren derartig geschmacklos, das geschmacklose Englein unter Eis, keine Kerze, lieblose Geschmacklosigkeit, wie es nur im größten Albtraum sein kann.
Ich nahm sofort die roten, strahlend roten Rosen aus dem Papier, Rosen, wie sie schöner nicht sein können, wie die, die ich an meinem Geburtstag von meiner Schwester für den Garten bekam, und stieg vorsichtig, alles war vereist, auf den Rand und gab sie in die Vase, holte aus meiner Tasche eine weiße Kerze mit roten Rosen darauf heraus und zündete sie an, stellte sie in die Mitte.
Und, wenn sie nur ein paar Stunden brennen würde, das Licht war da, wieder Helligkeit im Tod.
Dann erst beruhigte ich mich, entschuldigte mich für die letzten zwei Wochen, es täte mir leid, aber die Klausuren, erzählte von der unsäglichen blauen Brut in Niederösterreich, aber auch von einem Zuwachs seiner Partei, dann erst ging ich, ich war nicht lange da und dann ging ich wieder Claudia besuchen, die am 24. Jänner ihren 41. Geburtstag gehabt hätte und zündete ihr auch eine Kerze an und nah bei Claudia liegt ein Grab, gegenüber, deren Kranz frisch war, es stand "Du und Ich" darauf, das männliche Du verstarb, das tat mir in der Seele weh, das Ich blieb und das Urnengrab war noch offen, ich wich zurück, der Respekt war da, ging nicht zu nahe, trauerte nicht, fühlte aber Schmerz mit dem Ich.
Daneben ein Grab, das mich erschreckte, Johan Bothas, den ich liebte, dem ich lauschte, nicht wusste, dass er verstorben ist, das seit 2016. Ich fragte mich, wieso ich die Welt nicht mitbekam, das hätte mich doch erschüttert, wenn ich gewusst hätte, dass der Wagner- Sänger schlechthin, einer, der besten Tenore, gestorben war und dann überlegte ich, dass das die Zeit war, wo ich selbst zu kämpfen hatte, das machte mich traurig, weil mir die Zeit, der Kopf für andere Dinge, abhanden kam und das Jahre.
Ich blieb vor seinem Grab stehen und hörte "Wintersturme wichen dem Wonnemond" im Kopf, während die Sonne auf dem Eis glänzte.
Ich stand lange davor. Die Oper gab mir stets alle Emotionen, auch dieses Stehen.
Am Rückweg fiel mein Blick auf einen alten Grabstein, wo ich das erste Mal bemerkte, dass unter den alten, lang verstorbenen Namen "Bettina" stand, 1980-2002. Meine Güte, dachte ich, wirklich, meine Güte.
Dann ging ich weiter, rauchte mir eine Zigarette an und bog ab, unerwartet kam ich zu dem Grab von Frau Hörbiger, plötzlich war mir es richtig unangenehm zu rauchen, ich entschuldigte mich, Ehrfurcht endet nicht mit dem Tod.
Und, dann drehte ich mich um, dachte, hier liegen Menschen, berühmte Menschen, die ich immer wieder sah, ich wuchs auf, sie waren da, manche noch vor kurzem und ich hielt inne, sie gehörten zu meinem Leben und dann dachte ich an das Arbeitsamt: "Laden Sie einen aktuellen Lebenslauf hoch!" und schämte mich zwischen all diesen toten Menschen.