Stundenhotel

Text zum Thema Absurdes

von  Mondscheinsonate

Die beiden hielt nichts ab, gar nichts. Einmal wurde er erwischt, die Freundin las Liebesbriefe von ihr und ein anderes mal, da hörte ihr Freund eine Nachricht auf der Mobilbox ab, die er nicht hören sollte. Gar nichts hielt ab, die Gezeiten zogen ins Land und sie trafen sich jede Woche und gingen ins nobelste Stundenhotel, das derart viel kostete, dass es absurd war, man hätte schon längst heimlich um das Geld eine Wohnung mieten können. Jeden Mittwoch lagen sie auf schneeweißen Kissen in einem kaiserlich eingerichten Zimmer mit goldumrandeten Spiegeln an den Wänden und roten Tapeten. Die Zimmermädchen hatten noch Uniformen aus der K. und K.- Zeit an, auch der Portier, äußerst diskret, behandelte jeden wie den Kaiser selbst und angeblich war dieser einst auch Stammgast in dem Etablissement. 


Zehn Jahre lang ging das so mit zerwühlten Laken. Irgendwann, es war der fünfte Juni 2002, das weiß sie noch genau, sah sie auf seine Hand und auf einen, noch nicht dagewesenen Ring. Sie fragte, wann er geheiratet hat, da sagte er "gestern". 

Sie konnte ihn nicht mehr wiedersehen, das "gestern" fand sie schäbiger als alles andere. Sie fragte sich, ob das Geliebtendasein nicht genauso schäbig sei, ja, das war es, aber Hochzeit und das "gestern", das war ihr zu heftig. Es war egal, ob es geschah, aber "gestern", das war nicht egal. 

Vielleicht nahm sie auch das "gestern" zur Flucht, weil das Ganze längst von "gestern" war oder dachte sie über "gestrige" Gefühle nach?

Sie wusste es nicht, sperrte sich dennoch. 

Heute betrachtete sie seine Frau, sah "Verheiratet seit 4.Juni 2002" und schämte sich zutiefst, dachte, das war "gestern", alles war "gestern", aber so ist sie nicht mehr heute. 

Lange hielt sie, nachdem er das sagte, schweigend ihre Hand in seiner, dann löste sie sich und verschwand ins Heute.


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (03.02.23, 22:20)
Ist da 'ne Metapher?

 Mondscheinsonate meinte dazu am 03.02.23 um 22:26:
Wennst willst.

 TassoTuwas (04.02.23, 15:24)
Der Ehering am Finger, ein genialer, hinterlistiger, bösartiger, wirkungsvoller, schäbiger Trick! 
(die Wiener haben bestimmt ein passendes Wort dafür)
Trennung ohne lästige Erklärungsversuche.

Herzliche Grüße
TT

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 04.02.23 um 19:50:
Vielleicht.
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