Ich denke...

Brief zum Thema Abschied

von  Mondscheinsonate

Liebes,


Lass uns zusammen eine halbe Stunde Pause machen, 2000 Seiten sind schon viel Stoff zu lernen. 

In Wahrheit drücke ich mich vor dem Grundbuch. Sie haben sicher schon deine Wohnung leer geräumt, Gott sei Dank musste ich das nicht mitansehen, mir hat Rosis Wohnung gereicht. 

Das ist ja in Wahrheit das Unerträgliche. 

Meine Oma hatte ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer (bösartigen) Mutter, dennoch behielt sie den Kleiderschrank, samt Bekleidung, im Keller auf und der durfte auch nicht geöffnet werden. Einmal erwischte ich sie, als sie ihn öffnete und ihre Nase an die Kleidung hielt. Ich fragte mich, ob Liebe wirklich stärker sein kann als eine lebenslange Quälung, ja, Züchtigung? 

Langsam schlich ich mich wieder hinauf, sie sah mich nicht. Mir tat die Großmutter leid, sie holte sich durch den Geruch das Gefühl zurück, das sein hätte können.

Ich glaube, ich würde das auch machen, hätte ich deinen Schrank mit der Kleidung. 

Obwohl, dein Schrank war der eines eitlen Gockels, komplett verspiegelt. In meiner Wohnung gibt es nur zwei Spiegel, einer im Bad und ein schmaler auf meinem Schrank, der in der Kammer steht, das heißt, ich sehe mich seltener. Ich bin kein eitler Mensch, so ändern sich die Zeiten. 

Aber, das Bild der harten Großmutter, die an der Kleidung ihrer Mutter roch, das war dennoch rührend. 

Ich sagte letztens zu meiner Schwester, dass die Kleidung der Mutter das Einzige wäre, das ich nehmen würde, meinte, sie war immer gut angezogen, zeitlos, teuer und wir haben dieselbe Kleidergröße. Jetzt wo ich schreibe, denke ich, die Wahrheit liegt wahrlich im Geruch, beim Öffnen des Schranks, kam mir ihr Parfüm entgegen, das roch so gut, dass ich ihr momentan verzieh. 

Es roch nach Mama. Das Wort "Mama" verlernte ich mit den Jahren, es wurde zum harten Wort "Mutter", später "Sie".

Vor der Kleinen wird sie "Großmutter" genannt. Die das Bild des neugeborenen Mädchens, meiner Nichte, meiner Schwester zurücksandte, meinte, sie schrieb es dazu, dass sie keinen Wert darauf lege, eine Großmutter zu sein, fragte eine Zeile darunter, ob sie ein paar Euronen für ihre arme Mutter übrig hätte. 

Unfassbar, wahrlich.

Sie lief auch herum und ließ sich bedauern, meinte, ihre Zwillingsbuben wären bei einem Autounfall gestorben, das erzählte sie einer Dame in einem Geschäft, die meine Kusine gut kennt und die erzählte es uns.

Ja, man sollte mit kranken Menschen Mitleid haben, ich habe es nicht.

Zurück.

Ich bekam kein einziges Buch von dir, der Richard hat sich nicht gemeldet. Er hat auch Recht auf Ruhe, hat er dich doch zwei Jahre lang gepflegt. Schnell, schnell, einmal noch Stress, alles muss weg und dann Stille. Im Gemeinderat hielten sie eine nette Rede, luden ihn ein, alles ist feinsäuberlich dokumentiert, ich konnte es lesen. Da stand sogar, wer, um wieviel Uhr, den Saal verließ (um zu Pinkeln). 

Ich freue mich schon, wenn ich dich am Freitag wieder besuchen kann. Für mich ist das ein schöner Weg zu dir, eine kleine Weltreise. Es nötigt mich hinauszugehen, ich bemerke, die Arbeitslosigkeit tut mir nicht gut und wenn ich gehe, dort bei dir, dann erhellen sich meine Gedanken, ich erfinde Lebensgeschichten von unbekannten Menschen, setze mich auf eine Bank und lese ein paar Seiten in "I put a spell on you" von John Burnside- passend- dann gehe ich wieder ein bisschen und prinzipiell muss ich auf's Klo, das lässt mich dann wieder meinen Körper spüren. Spüren, dass ich lebe und atme ich die frische Winterluft ein und wieder aus. Manchmal besuche ich dich am Rückweg nochmals, so habe ich mir angewöhnt, zuerst dich, dann Claudia zu besuchen, dann wieder dich, um "Baba" zu sagen. Ich kann leider keinen Schrank öffnen, um deinen Duft einzuatmen, eine Mischung aus Parfüm und Persil, aber ich höre manchmal deine Stimme. Jetzt mischen sich immer mehr die Erinnerungen an furchtbare Zeiten hinein und ich habe das Gefühl, ich bin nochmals jung und kann mich nicht wehren. Daher höre ich sie nicht mehr so oft. Ich habe aufgehört zu verklären. Die Mutter mischt sich hinein, wie immer, diese Aufdringlichkeit. 

Es gibt zu viel aufdringliche, widerwärtige, bösartige Menschen, gerade eben wieder erlebt, sie gehört in diese Reihe. Menschen, die nur da sind, um andere zu quälen, Abschaum eben. 

Du warst das nicht, grundsätzlich nicht, nur einen Moment warst du derselbe Abschaum, diesen Moment habe ich dir zu deinen Lebzeiten nie verziehen, also warum sollte ich ihr verzeihen?

Erst im Tod habe ich dir verziehen, da hörte der alte Schmerz auf und es begann ein anderer. Ein ganz anderer.


Bussi.



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