Krieg und Erdbeben in der besten aller Welten

Erörterung zum Thema Nachdenken

von  eiskimo

Beklemmende Parallele: 1755 verwüstete ein gewaltiges Erdbeben die portugiesische Hauptstadt Lissabon. Fast zeitgleich begann ein blutiger Konflikt der europäischen Großmächte um die Machtbalance und territoriale Gewinne, später als der Siebenjährige Krieg benannt. Erdbeben und Krieg…

Der französische Aufklärer Voltaire (1694-1778) nahm diese fürchterlichen Ereignisse damals zum Anlass, seine satirische Erzählung „Candide oder der Optimismus“ zu verfassen.

Der gutgläubige Held darin, Candide, ist von der optimistischen Philosophie seines Lehrmeisters Pangloss zutiefst durchdrungen (basierend auf Leibniz „Gott kann zwar alle möglichen Welten denken, aber doch nur die beste von ihnen wollen …“ )

Voltaire lässt ihn dann diese vermeintlich beste Welt in all ihren Schrecken erleben. Denn der junge Mann startet auf der Suche nach seiner Geliebten Cunégonde eine Odyssee, die ihn zu immer neuen Desastern, Missetaten und Brutalitäten führt. Trotzdem: Unbeeindruckt hält der naive Candide an der weltfremden Lehre fest.

Was wollte Voltaire seinen Lesern damit sagen?  Dass Optimismus naiv ist,  sogar lächerlich?

In unserer besten aller Welten, die ja heute Wohlstand verspricht und privates Glück für alle, ist das eine interessante, durchaus aktuelle Frage. Siehe die Ukraine, siehe die Türkei oder Syrien.

Was im Jahre 1776 freilich anders war: Voltaire hatte diese Werk anonym veröffentlichen müssen, (eine deutsche Autorenschaft vortäuschend!!) – da scheinen wir inzwischen in dieser besten aller Welten tatsächlich etwas freier.



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (09.02.23, 11:48)
Schön wäre es, sollte diese Erörterung jemanden dazu veranlassen, einmal Voltaire zu lesen; der hat das ja verdient.

Erdbeben begleiten die Geschichte der Menschheit, und die Folgen werden bei immer dichterer Besiedlung immer verheerender.

Was ich nicht verstehe: Schon die Kultur der Caral, die vor 5000 Jahren in den Anden enstanden ist, einem notorisch erdbeben-gefährdeten Gebiet, hat einige simple, aber wirksame Techniken entwickelt, um Häuser erdbebensicher zu machen. Etliche ihrer Mauern stehen noch heute.
Es gibt also solche Techniken schon lange? Warum werden sie nicht angewendet? Warum werden Bauherren nicht dazu verpflichtet, sie anzuwenden? Kostengründe? An sich schon ein irrsinniges Argument in einer gefährlichen Zone; aber das, was die Caral da gemacht haben, war nicht teuer - es waren kluge Einfälle.

 eiskimo meinte dazu am 09.02.23 um 11:59:
Interessant, was Du da anmerkst. Die Caral kannte ich bisher nicht. Hatte nur mal gelesen, dass in Japan besonders erdbebensicher gebaut wird. Es wird also auch für moderne Bauten Verfahren geben, das Schlimmste zu vermeiden bzw. abzumildern. Kostet wahrscheinlich richtig Geld, und da liegt, denke ich, die Ursache für die "Schlamperei".
Vielleicht ist es auch Fatalismus.  Das Jenseits kennt wohl keine Erdbeben.

 Graeculus antwortete darauf am 09.02.23 um 13:31:
Ohne Zweifel kann man erdbebensicher(er) bauen, und auch ich hatte immer gehört, daß das halt teurer sei. Da war ich überrascht zu sehen, mit welch einfachen Mitteln schon diese Caral den Effekt erreicht hatten.
Habe ich von einer arte-Dokumentation: "Die Stadt der Pyramiden: Caral – Wiege der Andenkultur". Müßte bei arte noch in der Mediathek sein.

(Eigentlich müßtest Du als frankophiler Deutscher doch der arte-Typ sein, oder?)

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 09.02.23 um 13:37:
Bin zwar nicht ausgesprochen frankophil, aber doch regelmäßige (bis fast ausschließliche) arte-Kundin und habe den Film gesehen. Wie auch jene über die Maja und ihre Nachfolgekulturen.
Was auffällt ist, dass frühere Bauten Jahrtausende überstanden habe (mit oder ohne Erdbeben); heute hält eine Hütte nicht mehr als 10 - 40 Jahre.

Tja.

 eiskimo äußerte darauf am 09.02.23 um 13:55:
Klar, Art ist immer eine Option, auch gestern Abend wieder mit  "Die Unschuldigen" von Anne Fontaine - grandios!
Warum die Schäden im aktuellen Erdbebengebiet so immens sind, das liegt sicher auch an der politischen "Instabilität" dort. Die armen Leute dort - viele von ihnen unterdrückt, vertrieben, kaum mit dem Notwendigsten versorgt - hatten eher improvisiert als etwas Dauerhaftes aufbauen können.
Und die Machthaber sehen hinter den Opfern wohl mehr die nächsten Wahlen oder die veränderte Militärstrategie...

 Graeculus ergänzte dazu am 09.02.23 um 15:26:
Es gibt das also, das erdbebensichere Bauen. Und man weiß ja auch, wo Erdbeben drohen, nämlich wo die tektonischen Platten aufeinanderstoßen. Daß daraus in Syrien und der Türkei keinerlei Konsequenzen gezogen werden, wirft Fragen auf.

 millefiori meinte dazu am 09.02.23 um 15:47:
Das finde ich auch sehr interessant, Graeculus, ich sehe mir gerne Dokus bei arte an, das sind sehr interessante Dinge die man erfährt. Diese habe ich verpasst. Vielleicht kann man sie irgendwo noch ansehen. Es gibt so allerlei, wo ich mich frage: "Warum wird das nicht umgesetzt, wenn es eine bessere Alternative gibt?" Aber ich denke oft es steckt irgendeine Lobby dahinter, die davon profitiert, so unsinnig es auch sein mag. 
🤔

 Graeculus meinte dazu am 09.02.23 um 15:59:
Den Film gibt es noch in der arte-Mediathek; den Titel hatte ich ja genannt.
Man kann nicht genug Werbung für arte machen.

Daß einfache Leute, die ein Häuschen brauchen, von solchen Fragen und Lösungsmöglichkeiten nichts wissen, verwundert nicht. Wohl aber sollte der Staat Vorschriften erlassen, gegenüber Bauunternehmern durchsetzen und den Bau gegebenenfalls finanziell fördern.
Man darf wohl davon ausgehen, daß Erdoğans Palast erdbebensicher gebaut ist.
Taina (39) meinte dazu am 09.02.23 um 16:02:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 09.02.23 um 16:04:
Ja, so nennt man das.

 millefiori meinte dazu am 09.02.23 um 17:26:
Hallo Taina,
nein, war jetzt nicht auf eine spezielle Doku gemünzt. Aber dann kann ich ja bei Gelegenheit beide Dokus evtl. in der Mediathek ansehen.
Ich hatte auch vor längerer Zeit einen Bericht über Treibstoff aus Wasserstoff oder Pflanzen gesehen, es wird leider nicht umgesetzt. Leider spielt Korruption und Lobbyismus immer noch eine große Rolle.
Gruß Millefiori

Antwort geändert am 09.02.2023 um 17:28 Uhr

 Quoth meinte dazu am 12.02.23 um 09:58:
Ja, den Film über die Caral in Peru hab ich mir angeschaut. Sehr interessant. Vielleicht sogar in Teilen übertragbar - obgleich die Caral höchstens aus 3000 Menschen bestanden und jetzt Hunderttausende untergebracht werden müssen. Dieser idiotische Beton!

Auch der andere Film über die vergewaltigten und geschwängerten Nonnen sehr gut. Bin auch ein Fan des arte-Programms.

 Verlo (09.02.23, 13:44)
In unserer besten aller Welten

Hast du gelesen, wie Nord Stream gesprengt wurde, wer alles beteiligt war?

Weißt du, daß man nicht nur in der Türkei von einem künstliches Erdbeben ausgeht?

Daß der Krieg in der Ukraine nicht einfach so ausgebrochen ist, sollte inzwischen überall angekommen sein.

Für die, die an den Schaltern der Macht sitzen, ist es bestimmt die "beste Welt aller Zeiten", aber nicht für die, die von den Entscheidungen betroffen sind: nirgendwo auf der Erde kann man sich den Folgen entziehen.

 Pensionstarifklempner (09.02.23, 22:42)
Auch mal wieder in Heinrich von Kleist "Erdbeben von Chili " schauen.

 eiskimo meinte dazu am 09.02.23 um 23:19:
Sehr guter Hinweis, Danke! Habe gade eine Zusammenfassung davon gelesen. Da es später verfasst wurde, ist auch die Diskussion darüber weitergehend, u.a. mit Ideen der Französischen Revolution  bereichert...
Kleist selber hält auch nichts von Leibniz.

 Mondscheinsonate (09.02.23, 23:00)
Der Mensch ist ein Trottel. Überall bauen sie sich hin und ignorieren Warnungen. Das ist eine Tragödie. Heutzutage kann man genau feststellen, wo es als nächstes Scheppern wird. Die Oma sagte immer: "Die Erde rächt sich!" Pathetisch, aber wahr.

 eiskimo meinte dazu am 09.02.23 um 23:08:
Stimmt. Und auch Voltaire würde Oma beipflichten.

 Verlo (09.02.23, 23:51)
Was im Jahre 1776 freilich anders war: Voltaire hatte diese Werk anonym veröffentlichen müssen – da scheinen wir inzwischen in dieser besten aller Welten tatsächlich etwas freier.
Vielleicht wollte Voltaire nur keinen seiner Gönner auf die Füße treten.

Mich würde nicht wundern, wenn die Autorenschaft bekannt war. Der Markt war überschaubar.

Daß Seymour Hersh die Chronologie der Nord-Stream-Sprengung unter seinen Namen veröffentlicht, ändert nichts daran, daß es nicht der ersten Vorfall ist und auch nicht der letzte sein wird. Außerdem ist er nicht angestellt, muß nicht um seinen Posten fürchten.

Schon vergessen, wer alles während der Pandemie abgesägt wurde, weil er der offiziellen Meinung widersprochen hat?

Oder die Menschen, durch die eine schützende Impfung für den Rest ihres Lebens massiv geschädigt sind. Die vielen plötzlich und unerwartet Verstorbenen. 

Die Bedrohungen sind heute andere, und man kann sich ihnen sehr schwer entziehen.

Aber du und ich scheinen die Welt von verschiedenen Positionen zu betrachten.
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