Birding

Kurzgeschichte zum Thema Wahnsinn

von  RainerMScholz

Mein Therapeut hat mir geraten, mich nicht auf Nebenschauplätzen zu verzetteln.

Mein Therapeut hat mir geraten, nicht zu versuchen, Idioten Intelligenz in irgendeiner Form eintrichtern zu wollen.

Mein Therapeut hat mir geraten, nicht mit Leuten mit vorgefertigten Ansichten zu debattieren.

Mein Therapeut, mein Therapeut, der kann mich mal.

Lass uns über deine Kindheit sprechen. Das Herz sagt nein. Was soll es da zu reden geben. Die Couch ist zu kurz, es ist zu warm, mit meiner Kindheit war alles in Ordnung. Nur das übliche. Keine besonderen Vorkommnisse, keine besondere Päderastie oder Ministrantenfellatio. Einmal hat mir bei einer Schulhofrangelei ein Kamerad mit dem Hintern auf dem Gesicht gesessen; seitdem kann ich es nicht leiden, wenn mir jemand auf dem Gesicht sitzt. Ein Mädchen aus der vierten Klasse hat mir auf den Kopf gespuckt. Das empfand ich fast als zuviel der Würdigung. Meine Oma hatte ein Hinkebein, mein Opa war taub, und ansonsten war alles in bester Ordnung in den Siebzigern.

Vielleicht suche ich mir das nächste Mal eine Therapeutin aus statt eines männlichen Seelenbegehers. Der könnte ich wenigstens auf die Titten glotzen. Oder ich bringe heimlich einen Pömpel mit, so ein Gummisaugding vom Klo, überrasche sie in einem Moment der Ablenkung, vielleicht nachdem ich sie mit meinem Zeug in Halbschlaf gequasselt habe, und pumpe ihre Eumel leer, bis von ihrem Körper nur noch eine faltige Hülle übrig ist.

Mein Therapeut sagt, dass Tagträume ganz normale Nebenwirkungen einer regen Phantasie seien. Oder es sind die Tabletten.

Mein Therapeut hat mir geraten, diese Phasen mit Autosuggestion überwinden zu trachten. Dialektik ist nur eine Ausrede dafür, keine eigene Haltung haben zu wollen. Fragen mit Gegenfragen zu beantworten bringt mich zur Weißglut. Ist es nicht so? Keine Ahnung, was würden Sie sagen? Wieso steckt den Leuten der Kopf so tief im eigenen Arsch. Was ist los mit der Welt. Wieso kommen mir auf der Autobahn all diese Idioten entgegengefahren.

Die roten Hunde des Krieges rennen im Innern meiner Pupillen gegen den Schädel.

Mein Therapeut sagt, mein Therapeut sagt. Die Couch ist zu kurz, es ist zu warm hier drin, die Wände rücken näher und die bunten Pillen gehen zu Neige. Die Hunde werden dich fressen in einem fremden Land. Ins Auge gehen.

Mir juckt die Muschi. Kann ich das sagen? Warum nicht. Mir juckt die Muschi. Meine seelische Vagina läuft aus, und heraus kommt: ein kleiner Mensch! Der wohnt jetzt da oben, scheint sich alles genau anzusehen, krabbelt durch jede Windung, guckt auf die Bilder, die Worte, die Buchstaben und Zeichen. Damit habe ich nichts zu tun. Der kleine Kerl hat sich selbst geboren. Jungfrauenabort. Unblutig, schmerzlos, und selbstentzündlich. Was? Wieso habe ich das gesagt?

Mein Hausarzt sagt, Rauchen sei ungesund. Wie das Leben. Das ganze Leben. Wozu soll es gut sein, das ewige Leben. Was dem einen sein Erdbeben, ist dem anderen sein Krieg. Eins, zwei – einerlei. Der letzte Schlag trifft immer dich. Ob du jetzt ein Bänkelspritzer warst oder Ministrantenficker, ein Zukunftsfresser, Allesverfrühstücker oder ein Buffetleerräumer, ein Eigenpans oder ein Tunichtgut vor dem Herrn. Gedankenlose Worte werden oft mit dem Aussprechen der Wahrheit verwechselt.

Und das da auf der Straße, das ist nicht der Nikolaus mit seiner Bimmel, das ist der Schrotthändler.

Mensch oder Monster, wer weiß das schon.

Mein Therapeut hat mir geraten, gelassen an die Sache heranzugehen. Ich habe das Brotmesser aus der grünen Resopalschublade von daheim dabei. Wenn er sich umdreht, um am Schreibtisch ein neues Rezept für mich auszustellen, dann nehme ich seinen Skalp, ich halte den abgeschnittenen Haarschopf hoch in die Luft, stoße ein Kriegsgeheul aus, und dann renne ich die Treppen hinunter, mit seinem Blut im Gesicht, trete die Außentür auf und springe auf meinen Bronco. Wir galoppieren wie der Wind in das versengte Abendrot zwischen den verspiegelten Hochhaustürmen und verschwinden im Horizont dieser monothematischen War-tar-welt.



© Rainer M. Scholz



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (09.02.23, 18:00)
Ruhig, Brauner, ruhig!

Aberwitzig und aus dem "Leben" gegriffen.

Gut, dass es so wenige freie Therapieplätze gibt. :D

 RainerMScholz meinte dazu am 10.02.23 um 15:13:
Sage nicht Brauner zu mir,
sonst werd´ ich zum wilden Stier.
Ansonsten: Hüah und im Schweinsgalopp
weg von diesem ganzen Trott.
Gruß + Dank,
R.
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