Während ich meinen Abendlernsnack, Reis mit Gemüse, esse, denke ich, dass es ziemlich gefährlich war, die Großmutter, während der Zubereitung des Mittagessens zu fragen, was es heute geben wird. Jedesmal lief das gleich ab, aber nur ein paar Mal, bis ich es ließ, so: "Oma, was kochst du heute Gutes?"
"Was koche ich schon Gutes? Das, was am Tisch kommt!" Und dann, bitte runterzählen, 3, 2, 1...
"Immer diese Fragerei! Das Kind kann nie den Mund halten, soll überhaupt froh sein, dass es etwas bekommt, wir hatten nichts zu fressen, wären die Scheiß Kommunisten und Juden (das sagte sie leiser) nicht gewesen, hätte es gar keinen Krieg gegeben, Scheiß- G'sind'lzeit, das verhurte Drecksg'sindl und ich mittendrin, angestellt, um's Essen bettelnd und das Kind fragt, was es zu Essen gibt! Das, was am TISCH kommt! Die kennt ja keinen Hunger!"
Das war 1982- 1986 so, dann fragte ich sie kaum noch etwas.
Viel Einbrenn und Kohl, Spinat, Fisolen, abgebratene Wurst, Gerschtlsuppn, Eintropftes, ... es war sowieso immer dasselbe. Mich wunderte es, dass ich durch die Mehl- Öl- Pampe meinen Löffel bekam.
Ob die Oma ein Nazi war, darüber dachte ich nie nach, aber, ich denke schon, wenngleich, sie hielt sich, zumindest, wenn sie nicht kochte, zurück.
"Opa?" Wir spazierten beim Dr. Karl- Renner- Museum vorbei. "Ja?"
"Warst du ein Nazi?"
Er blieb stehen und sah mir in die Augen.
"Ja, ich war ein Nazi. Später nur Offizier im Krieg."
Ich ließ ihn mit weiteren Fragen in Ruhe.
Mein Großvater ließ mich auch in Ruhe mit Erzählungen, die in diese Richtungen gingen, erzählte nur aus seiner Gymnasialzeit. Er erzählte nichts Politisches, auch nicht vom Ständestaat davor. Gar nichts. Auch nicht Geschichten vom Wiederaufbau, nichts Privates, nichts, was mich etwas anginge. Null Gefühl, nur meine Hand hielt er immer sehr fest.
Eigenartige, kaputte Generation.
Die Oma blieb, im Normalfall, also, wenn sie nicht kochte, das hasste sie, in der Gegenwart. Ich kannte alle Nachbarschaftsgeschichten.
Das Schlimmste für sie waren die vier Schwestern meines Großvaters, aber zugegebenermaßen, die waren wirklich schrecklich. Drei lebten zusammen, brachten ihre Männer früh in die Gräber, eine, bei uns in der Nähe, die Tante Rosa, alle vier sind 98, 99, 100 und 102 geworden. Hätte das die Oma noch erlebt, hätte sie folgendes gesagt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit!): "Bosheit stirbt nicht!"
Die Grete war ... na ja, in Ordnung. Eine alte Philosophieprofessorin, stellte sich jedoch mit Vorliebe über das einfache Mädl, nämlich meine Oma. Kehrte "das Studierte" hinaus, gut, das sind sowieso "die ärgsten Vögel", wie Oma immer sagte.
Opa sah sie an.
"Du nicht! Du hast mich ja geheiratet!"
Opa sagte: "Mein Reserl!" Er hatte Herzchen in den Augen.
Ich verstand es nicht, aber es war so. Sie war immer sein Reserl. Dabei war sie eine rohe Person.
"Die Theres' ist neben der Brauerei aufgewachsen!" sagte mein Papa.
"Daher das Bierkutschergetue!"
Das erklärte viel.
Oma war sicher oft auf dem Gelände und setzte sich durch. Ein Bier war auch immer gut! (Aber, bitte nur mit Bierwärmer!)
Na ja, das waren wirklich böse Weiber. Keine Einzige kam zu den Begräbnissen meiner Großeltern.
Aber, ich rächte mich für die Oma, die im Sarg lag und der taube Opa neben mir saß, denn die Tochter der Tante Rosa saß hinter mir und stallierte lautstark alle Leute aus, da drehte ich mich um und sagte im O-Ton meiner Oma: "Du bist die peinlichste Klesch'n auf diesem Planeten (ich übersetze das Wort "Klesch'n, es ist das weibliche Geschlechtsorgan, auch ich musste es lernen, die Oma hat es immer gesagt, wenn eine Frau extrem furchtbar war, wusste lange nicht, was das heißt!), wenn dir was nicht passt, marschier'!"
Und, nein, es war mir nicht peinlich, Oma war mir nie so nah wie in dem Augenblick. Der Sarg war hell erleuchtet und im Kerzenschein grinste ich.