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Brief zum Thema Abschied

von  Mondscheinsonate

Liebster,


Gestern dachte ich, ich sei in einem Roman von Kafka gelandet, tatsächlich, im Prozess, denn ich betrat die berühmte alte Postsparkasse in der Wiesingerstraße, die keine Postsparkasse mehr ist, erbaut von Otto Wagner, und das Grau des alten Beamtenapparates hüllte mich sofort ein als ich die ersten Stiegen hinaufging, ja, ich ging sofort Stiegen hinauf und einen langen Flur entlang, da stand auf einem Papier an die Mauer geklebt "Seminarraum 2, 2. Stock - Klausur BR JKU". Der 2. Stock, naturgemäß in alten Häusern der dritte, der Mezzanin dazwischen, war durch breite, allerdings sehr flache Stufen erreichbar, weit und breit kein Aufzug, so ging ich hinauf, keuchte ein wenig, die Kondition ist nicht die Beste, angekommen im 2. Stock, eigentlich im 3. Stock, der Mezzanin ist offensichtlich dazwischen, war ich ratlos, denn es erschienen mir keine "Wohnungen", sondern nur Flure, links und rechts, nichts angeschrieben, alles düster, so ging ich nach links, der Flur hörte nicht mehr auf, so schien es, ging um die Ecke, da eine Glastüre, darauf stand "Kein Durchgang, der Boden wird neu verlegt!", da war ich also falsch, ging zurück, ging in den rechten Flur, geradeaus, grau in grau, düster, um die Ecke, endlich Türen, links und rechts, wieder Ratlosigkeit, nichts beschriftet, ich entschied mich für die linke Tür, einmal hatte ich Glück, das war die richtige Tür, da saß eine Dame in blau, ihr Gesicht war fast grau, fragte: "Bitteschön?" Und da breitete ich ihr mein Anliegen aus, sie stand auf, führte mich durch einen weiteren Flur um die Ecke, nochmals um die Ecke und da waren keine Türen, nur Flur und in der Mitte zwei Glaskobeln, mitten in der Mitte hörte alles auf mit Zimmern mit Glaswänden, ich war erstaunt, gut.

Dann, nach der Klausur fragte ich einen Kollegen, wie man jetzt wieder zurückgehen kann, da zeigte er auf eine Tür hinter den Glaswänden, die mich erstaunte, ich fragte: "Woher bist du gekommen?" Da sagte er verärgert: "Da kennt sich kein Mensch aus!" Ich folgte ihm, da war ein Aufzug, wir fuhren hinunter, aber der Aufzug ging nur bis zum Mezzanin, dann ging er nach links, ich folgte ihm, einen langen Flur entlang, nach links, dann Stiegen hinunter und endlich der Ausgang, dann wusste ich, warum er das sagte, obwohl er nicht von meiner Seite gekommen war, der Ausgang war ganz woanders, nicht in der Wiesingerstraße 4, sondern in der Postgasse. Das Grau fiel sofort wieder ab. Furchtbar! Ich fragte: "Was war das jetzt?" Der Kollege schüttelte den Kopf, sagte: "Die reine Bedrückung!" Ich sagte: "Entsetzlich!"


So ging ich dann, um den Kopf auszulüften, die Postgasse hinauf, bog in die Wollzeile ein, ging durch das bunte Treiben, rechts in die Rotenturmstraße, es wurden weniger Menschen, aber auch noch genug, über die Straße zum Hohen Markt, an der zweiten Pestsäule vorbei, nach links in die Marc- Aurel- Straße, Vorlaufstraße, hinunter, bog nach rechts ab in den Salzgries und blieb am Anfang der Fischerstiege stehen, wo mittlerweile alle Lokale weg sind, ein kleines Möbelgeschäft ist nun im "Weinblatt", daneben blieb ich stehen und sah auf dein Haus, das auch mein Haus war und plötzlich drückte es mich, ich dachte, es drückt mich mehr als vor deinem Grab, denn vor dem Grab weiß ich, dass du tot bist, längst verstorben, aber die Fischerstiege, das ist das Leben, da leben Menschen, da sind sie nicht tot, aber du bist nicht mehr dort, du bist tot und kommst nicht mehr durch das Eisengittertor hinaus, niemals wieder und da drückte es mich so sehr, dass ich die Straße nicht mehr betrachten konnte und schnell weiterging, das war zu unerträglich, die Tränen kamen doch, aber diesen Anblick, diese Straße, die ertrage ich nicht mehr, vielleicht ertrug ich den Abschluss einer Zeit nicht, die nicht mehr wiederkommen wird, nie wieder. Ich wünschte, ich müsste nie mehr wiederkommen, aber ich muss. Eine ist noch da, die mich betrifft. Der Gedanke ließ mich erschaudern. 


Bussi.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (18.02.23, 09:47)
Zu Schluss etwas arg sentimental, ansonsten sehr gerne gelesen!

 Mondscheinsonate meinte dazu am 18.02.23 um 13:57:
Danke!
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