Der Unbekannte

Tagebuch zum Thema Biographisches/ Personen

von  AlmaMarieSchneider


1999, der Plan eines sehr komplexen Projekts beschäftigte mich jetzt schon den ganzen Tag als plötzlich der Eingang einer Mail vom PC gemeldet wurde.

Ich sah auf die Uhr. So spät noch, das konnte nur unser Büro in den USA sein.

Etwas mürrisch öffnete ich die Mail und erstarrte. „Um Himmels Willen“, murmelte ich, „das wird doch nicht wieder ein Virus sein“. Erst vor einer Woche öffnet ich ein „Hi“ und es war Melissa. Eine wahre Katastrophe.


Die Mail enthielt wild aneinander gereihte Wörter in deutsch und englisch. Wörter, die man in einen Hut geworfen, durchgeschüttelt und willkürlich aneinander gefügt hat. Ich vermochte keinen Sinn zu erkennen.

So antwortete ich, indem auch ich wahllos Wörter zu Sätzen zusammen stellte. Dachte, „Blödmann“ und sendete an einen C.Cutter...

Er antwortete wieder, schrieb er sei Amerikaner aus Iowa, hieße Ken und freue sich mich kennen zu lernen. Meine Gedichte fanden sein Interesse und so versuche er zu mir Kontakt herzustellen. Zugegeben eine seltsame Art, dies zu tun.

Wir verlegten unsere Kommunikation vom Büro in unser privates Umfeld. Ken schrieb und sprach ein sehr gewähltes und schönes deutsch, war 48 Jahre alt und geschieden. Wir mailten, telefonierten und so ging es fast drei Jahre und ich verliebte mich in ihn. Seine wunderschöne dunkle Stimme verzauberte mich einfach.

Er war gebildet, hatte studiert und für alles Interesse, Nur er war weit weg.

Leben konnten wir unsere Liebe nur schriftlich. Er schrieb mir wunderschöne Briefe und Liebesgedichte. Ich schlug ihm Freundschaft vor und schließlich willigte er auch ein. Mir fehlte die körperliche Nähe.

Eines Abends rief er wieder an. Diesmal wurde eine Nummer im Display angezeigt und es war die Nummer einer Stadt 30 km von mir entfernt. Das ließ sich mein Temperament nicht gefallen. Ich sagte ihm auf den Kopf zu, was ich davon hielt und zwangsläufig war er mit einem Treffen einverstanden.

Wir verabredeten uns an einen Sonntag Nachmittag auf einen Kaffee. Aufgeregt saß ich dann auf einer Parkbank und wartete. Ich hatte weder ein Bild noch sonst etwas, woran ich ihn erkennen konnte. Aber er hatte Bilder von mir, von meinem letzten Urlaub.

Ein großer weißhaariger Mann kam auf mich zu. Er erinnerte mich stark an Jean Gabin. Nein, dachte ich, das konnte er nicht sein. Ich war 47 Jahre alt und dieser Mann sah zwar sehr gut aus, war jedoch gut 70 Jahre alt. Vor mir blieb er stehen, lächelte mich an und sagte einfach nur: „Ken“. Seine grau-blauen Augen waren bittend und fragend auf mich gerichtet. In diesem Augenblick beschloss ich ihn als Ken zu akzeptieren ohne Vergangenheit und Alter.

Wir trafen uns noch oft, aber obwohl wir uns liebten, nur als Freunde. Eine Partnerschaft lehnte ich ab. Ich wusste nichts von ihm, nicht einmal seinen Nachnamen, nichts aus seiner Vergangenheit und wenn ich fragte, antwortete er immer: „ Wenn ich Dir sage wer ich war, dann gehst Du und nichts ist schlimmer für mich“. So fragte ich bald nicht mehr nach, verbrachte wundervolle Stunden an seiner Seite.

Dann verliebte ich mich erneut in meinen zweiten Mann. Er wusste, dass ich treu war und Ken war als Mailpartner und Freund geduldet.

2019 kam die letzte Mail von ihm. Er nannte mich immer Almie oder Almerl und gleich welchen Nachnamen er benutzte, daran erkannte ich ihn. Seine Mails endeten stehts mit „Love and hugs, yours forever, Ken“. Er ist vermutlich gestorben. 20 Jahre lang waren wir uns von Herzen verbunden, doch wer er war, ich habe es nie erfahren.






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Kommentare zu diesem Text

Verlo (65)
(24.02.23, 03:35)
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 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 24.02.23 um 16:14:
Danke Verlo. Ich freue mich auch über Deine Empfehlung.


Schönes Wochenende und liebe Grüße
Alma Marie

 uwesch (24.02.23, 06:10)
Klingt sehr authentisch. Liebe und eine gewisse Tragik kompakt :ermm: LG Uwe

 AlmaMarieSchneider antwortete darauf am 24.02.23 um 16:17:
Ja, es ist authentisch und ein Leben im Hier und Jetzt gewesen. Das ist daran das Schwierigste.

Danke auch für Deine Empfehlung.

Herzlichst
Alma Marie
Teolein (70)
(24.02.23, 08:47)
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 AlmaMarieSchneider schrieb daraufhin am 24.02.23 um 16:30:
Lieber Teolein,

da gibt es ja den berühmten Spruch von Karl Vallentin: "Mögen hätt ich schon...", der darf aber seit 2011, LG München, nicht mehr ohne Genehmigung zitiert werden.
Ja, Ken war dieses Wagnis wert. Was ich von ihm kannte war das, was er im Augenblick war, was natürlich die Frage aufwirft: Reicht das für Freundschaft und Liebe? 

Dir auch ein schönes Wochenende und danke für Deinen Kommentar und Empfehlung sowie Lieblingstext.

Herzlichst
Alma Marie

 TassoTuwas (24.02.23, 10:41)
Liebe Alma Marie,

es gibt sie, Erlebnisse oder Begegnungen, die so geheimnisvoll sind, dass es nicht vermessen ist zu behaupten, egal wie viele Menschen es auf der Welt gibt, dies ist etwas Einzigartiges.
Größtenteils schwebt in ihnen ein melancholischer Zauber, der sich nicht auflöst, aber für nichts im Leben möchte man es ungeschehen machen.

Herzliche Grüße
TT

 AlmaMarieSchneider äußerte darauf am 24.02.23 um 17:52:
Lieber TassoTuwas,

diese Begegnungen entstehen nur, wenn man sich auf sie einlässt und mich hat leider meine Neugier vor nichts bewahrt und Du hast recht, für nichts in der Welt hätte ich diese geheimnisvolle aber auch zauberhafte Beziehung missen mögen.

Herzlichen Dank für Deinen Kommentar.
Dir ein schönes Wochenende und liebe Grüße
Alma Marie
Muckelchen (70)
(24.02.23, 11:22)
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 AlmaMarieSchneider ergänzte dazu am 24.02.23 um 18:01:
Liebe Muckelchen,

Liebe ist erst einmal nur ein Wort, mein Gefühl aber für ihn war aufrichtig und wahr. Auch einen Freund kann man lieben und das war Ken für mich. Er bescherte mir nur Schönes und vielleicht liegt gerade darin seine Liebe zu mir.
Hätte ich gewusst, wer er war und welche Sorgen er hat? 
Wer weiß was geschehen wäre.

Danke für Deinen Kommentar und Deine Empfehlung.

Alma Marie

 harzgebirgler (24.02.23, 15:14)
:) :) 
das macht dir - in jeder hinsicht -
so schnell eine nach sicher nicht! :D 

lg vom harzer

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 24.02.23 um 18:03:
Danke Harzgebirgler und ein herzliches Lächeln

Alma Marie

 LotharAtzert (24.02.23, 15:27)
da kannste ma sehen, wohin einen
der Plan eines sehr komplexen Projekts
bringen kann. Wer weiß, wer Ken in Wirklichkeit war . Ein romantisches Gruseln überkam mich, fast wie bei Bram Stoker oder Sheridan Le Fanue


Gruß
Lothar

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 24.02.23 um 18:10:
Lieber Lothar,
ich hätte es gerne gewusst. Er hatte Kontakte zum amerikanischen Militär. Sprach mehrere Sprachen flüssig, darunter auch russisch, wer weiß. Ich wusste nicht einmal wo er wohnte und fragte auch nicht mehr danach. Was machte er bis ins hohe Alter in Deutschland? All das habe ich mich natürlich auch gefragt.

Danke für Kommentar und Empfehlung.

Herzliche Grüße
Alma Marie

 AngelWings (24.02.23, 15:43)
30 km entfernt! Ja, es gibt auch Amerikaner die Deutschland Stadion der Army, der NATO bloß eins sehr schwierig, weil diese so gesagt ein Grund Regelung haben, das eigentliche keine beziehung führen dürfen. 
Es gibt natürlich Ausnahmen, wir bei mein Freundin Tina weil sie sich als, übersetzerin neben berufliche erworbt, hat zu griff auf manche Oberoffice, da ist passiert zum Glückdiener nicht mehr der Army und war dann nicht mehr in NATO tätig, jetzt hat er selber ein Firma in Canada.

 Redux meinte dazu am 24.02.23 um 15:51:
Eine wirklich schöne und intensive Geschichte, sehr gut zu Papier gebracht. Ohne jeglichen Kitsch und nachvollziehbar erzählt.

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 24.02.23 um 18:17:
@ AngelWings
Als wir uns kennenlernten war er ja bereits 70 Jahre (auch wenn er behauptete er sei erst 48 Jahre alt). Das ist natürlich bei einem Treffen aufgeflogen.
Also er war höchstens noch als Übersetzer tätig.
Liebe Grüße
Alma Marie

@Redux
Danke für Dein Lob Redux und auch für Deine Empfehlung.
Ich freue mich und wünsche schönes Wochenende.

Herzlichst
Alma Marie
Taina (39)
(24.02.23, 17:04)
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Verlo (65) meinte dazu am 24.02.23 um 17:22:
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 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 24.02.23 um 18:29:
@Taina
Mein Gefühl für ihn sagte etwas Anderes. Ich weiß, es ist paradox und 20 Jahre einfach so? Für mich eher ungewöhnlich.
Ich glaube sein Verhalten hatte etwas mit seiner früheren Tätigkeit zu tun und nicht mit mir. Zumindest war er immer da, wenn ich ihn brauchte. Er gibt mir heute noch Rätsel auf. Danke auch für Deine Empfehlung.

Liebe Grüße
Alma Marie


@Verlo

Lieber Verlo,
Taina versprüht kein Gift. Sie macht sich nur Gedanken.
Ist schon OK.

Ein Lächeln
Alma Marie
Taina (39) meinte dazu am 24.02.23 um 19:36:
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 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 24.02.23 um 21:09:
Weiß ich doch Taina. 
Ich habe gelernt auch mit einem Rätsel zu leben und so unrecht hatte Ken da nicht. Ich weiß nicht wie ich auf eine "schlimme" Wahrheit reagiert hätte. 

Dir ein schönes Wochenende und liebe Grüße
Alma Marie
Taina (39) meinte dazu am 25.02.23 um 06:15:
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 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 25.02.23 um 13:44:
Er kam aus dem Nirvana und war plötzlich nicht mehr da.
Irgendwie ist in mir immer noch tiefe Trauer um ihn.
Es ist zu vermuten, dass er in den kalten Krieg involviert war.
Ich werde den Tipp von Quoth und Dir aufnehmen. Dabei darf ich nicht an ihn denken, ich hätte große Skrupel dabei.

 Quoth (24.02.23, 20:31)
Löse das Rätsel doch fiktiv einmal auf! Könnte eine noch bessere Geschichte werden. Oder würde sie verlieren? In meinen Mädels" hat sie ja Spuren hinterlassen. Gruß Quoth

Kommentar geändert am 24.02.2023 um 20:33 Uhr

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 24.02.23 um 21:15:
Lieber Quoth,
da gibt es bereits von mir Geschriebenes. Ich müsste es heraus suchen. Ich wollte ihn herausfordern. Hat nix aber auch gar nix gebracht. Ken hatte sowieso Nerven wie Drahtseile.

Aber Deine Idee ist toll. Ich werde mich darum kümmern.

Die Mädels habe ich vor Kurzem wieder einmal gelesen. Du schreibst einfach gut.

Danke für Deinen Kommentar. 

Schönes Wochenende und herzliche Grüße
Alma Marie

 Saira (25.02.23, 09:38)
Liebe Alma Marie,

eine tragisch-schöne Geschichte. Sehr berührend!

Das Ende lässt viel Raum für Fantasie.

Herzliche Grüße
Sigrun

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 25.02.23 um 13:48:
Danke liebe Sigrun, auch für Deine Empfehlung und Lieblingstext.
Das Ende! Ja, ich werde mich fiktiv darum kümmern. Noch fehlt etwas der Mut.

Herzliche Grüße
Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.23 um 19:01:
Hallo Alma Marie
fast alle Menschen schwärmen von der Romantik. Dir war es vergönnt, sie als unaufgelöste Sehnsucht und unaufgelöstes Geheimnis zu erleben. Es ist gut, so wie es war; denn das Besondere wurde nicht verletzt.

Liebe Grüße
Ekki

Antwort geändert am 25.02.2023 um 19:02 Uhr

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 26.02.23 um 00:04:
Lieber Ekki,

ich habe Ken oft schmerzlich vermisst, doch wie Du sagst: So war es gut, wie es war.
Herzlichen Dank auch für Deine Empfehlung und Lieblingstext.

Liebe Grüße
Alma Marie
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