Tiberius

Essay zum Thema Persönlichkeit

von  Graeculus

Der Kollege Verlo, der mich andernorts dadurch überrascht hat, daß er binnen drei Tagen von jemandem, der sein Lebtag noch nichts von Velleius Paterculus gehört hatte, zu einem Fachmann für dessen Werk mutiert ist, hat mich auf einen Einfall gebracht.

Velleius Paterculus war ein hoher römischer Offizier um die Zeitenwende, der eine „Römische Geschichte“ verfaßt hat. Diese hebt sich in zwei Hinsichten von den Werken anderer antiker Historiker ab: 1. Er schätzt die Leistungen des römischen Kaisers Tiberius (geb. 42 v.u.Z., gest. 37 u.Z.) hoch ein, während der ansonsten sehr negativ geschildert wird. 2. Er kannte Tiberius persönlich, hatte unter ihm gedient, während die die anderen römischen Historiker Jahrzehnte und Jahrhunderte später gelebt und geschrieben haben. Ansonsten ist das Werk des Velleius Paterculus das eines trockenen Militärs, und die vielen geistreichen Bemerkungen des Tiberius, die uns überliefert sind, stehen bei den anderen.

Eine dieser Bemerkungen ist auf eine kuriose Weise für uns heute noch von Bedeutung. Bekanntlich sind zwei Monate unseres Kalenders nach römischen Kaisern benannt: der Juli nach Julius Caesar und der August nach Augustus. Als nun zur Regierungszeit des Tiberius (14 bis 37 u.Z.) im Senat der Antrag gestellt wurde, auch nach ihm einen Monat zu benennen, antwortete Tiberius, der Liebedienerei nicht schätzte, trocken: „Und was wollt ihr euch beim dreizehnten Kaiser einfallen lassen?“ Deshalb heißt unser September immer noch September. Weniger witzig, dafür aber weise und zeitlos ist sein Standpunkt zu Prozessen wegen Gotteslästerung: "Deorum iniurias dis curae. - Um die Beleidigungen der Götter sollten sich die Götter selber kümmern."

Aber eine andere Äußerung von ihm ragt über alle anderen hinaus, insofern sie aus dem schönsten, sprachlich raffiniertesten und zugleich tief emotionalen lateinischen Satz besteht, den ich kenne. Der Hintergrund ist der, daß Tiberius sich auf die von ihm geliebte Insel Capri zurückgezogen und die täglichen Regierungsgeschäfte in Rom dem Befehlshaber seiner Leibgarde, dem Prätorianerpräfekten Seian, überlassen hatte, dem er vollständig vertraute. Dann aber mußte er erfahren, daß Seian, um seine Aussicht, selber Kaiser zu werden, zu verbessern, den einzigen Sohn des Tiberius ermordet hatte. In dieser Situation, den engsten Freund und das Kind verloren, schrieb Tiberius an den Senat in Rom einen Brief, aus dem der Historiker Tacitus einen Satz, den Satz, wörtlich zitiert:

Quid scribam vobis, patres conscripti, aut quo modo scribam aut quid omnino non scribam hōc tempore, di me deaeque peius perdant quam perire me cotidie sentio, si scio.


Wie hier der Hauptsatz (di me deaeque ...) mit Sperrung, Alliteration etc. in zwei Nebensätze (Quid scribam ...; si scio ...) eingerahmt wird, das macht der lateinischen Sprache so leicht keine andere nach. Jede Übersetzung muß dem hinterherhinken; in etwa, mit der größten mir möglichen Annäherung, lautet sie: 

Was ich euch schreiben soll, versammelte Väter, oder in welcher Weise ich euch schreiben soll oder auch nur was ich euch nicht schreiben soll, die Götter und Göttinnen mögen mich noch mehr verderben, als ich mich ohnehin täglich zugrundegehen fühle, wenn ich das weiß.


(Wer da auch noch die Sperrung und die Alliteration hineinbringt, Heil ihm!)

Für uns heute hat Tiberius auch in einer anderen Weise als der der Monatsnamen eine Bedeutung: Er war derjenige Kaiser, unter dessen Regierung in Judaea ein gewisser Jesus hingerichtet worden ist. Zwar hat Tiberius davon schwerlich Kenntnis gehabt, aber so ganz unbeteiligt war er an diesem Ereignis nicht. Als nämlich Pontius Pilatus bei der entscheidenden Gerichtsverhandlung die Neigung zu erkennen gab, diesen Jesus freizusprechen, obwohl der sich in zweideutigen Bemerkungen dazu bekannt hatte, König der Juden zu sein, da sagten die dem Jesus feindlich gesonnenen Hohenpriester zu Pilatus: „Wenn du diesen freiläßt, bist du ein Feind des Kaisers!“ Der Kaiser war Tiberius, und Pilatus sah sich plötzlich mit der Möglichkeit konfrontiert, diesem Kaiser werde gemeldet, er lasse einen Hochverräter – einen Möchtegern-König in Judaea – ohne die gebührende Strafe. Das Naturell des Tiberius war nicht von der Art, daß man sich in diesem Falle auf seinen Humor hätte verlassen können.

Noch eine weitere Anekdote aus der Zeit des Tiberius hat später eine gewisse Bedeutung erlangt. Und zwar berichteten Fischer, die auf ihrem Schiff an der Insel Elba vorbeigefahren waren, sie hätten von dieser Insel einen lauten, schrecklichen Schrei gehört: „Der große Pan ist tot!“ Plutarch berichtet dies in aller Unschuld als ein rätselhaftes Ereignis; aber die späteren Christen sahen darin ein Wunder, welches der Welt verkündet habe, die Zeit der heidnischen Götter sei vorbei.

Insgesamt kommt Tiberius bei den christlichen anders als bei den heidnischen Historikern der Antike nicht schlecht weg. Nicht er hatte Jesus höchstselbst zum Tode verurteilt, das war der feige Pilatus gewesen, und als hassenswertes Scheusal bot sich eher der spätere Nero an, der als erster Christen verfolgen ließ.

Erwähnen möchte ich noch zwei von Sympathie für Tiberius zeugende Äußerungen des Philosophen Friedrich Nietzsche. Zum einen erwähnt er einmal, es sei doch staunenswert, daß der Erlöser (Jesus) und der erlösungsbedürftigtste aller Menschen (Tiberius) zur selben Zeit gelebt hätten, einander aber nie begegnet seien. Ein andermal lobt Nietzsche den Tiberius, weil dieser – anders als Sokrates, Augustus und Nero – nicht mit einem eitel-geschwätzigen letzten Satz gestorben sei, sondern: schweigsam. Und er unterstellt ihm einen letzten, für sich behaltenen Gedanken: „Qualis spectator pereo – Welch ein Zuschauer stirbt mit mir!“ Eitel war er wohl wirklich nicht, andererseits aber auch nicht fähig, populär zu sein und von wechselseitiger Sympathie getragene Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen – was für einen damaligen Kaiser ebenso wichtig war, wie es das heute für einen Politiker ist. Ein idealer Zuschauer? Vielleicht. Ein unglücklicher Mensch gewiß. "Der traurige Kaiser", so hat ihn einer seiner modernen Biographen genannt.


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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (01.03.23, 05:51)
Deshalb heißt unser September immer noch September.
Obwohl er doch mittlerweile der neunte Monat ist. 

Naja, bei den Römern begann das neue Jahr im März. Da passt er noch.
Tiberius war wohl auch in einige Giftmorde verwickelt, besonders der an Germanicus, seinen angedachten Nachfolger. Er wollte wohl Drusus, seinem Sohn den Weg ebnen, der jedoch wiederum Seianus im Weg war Livilla, die Frau von Drusus zum Fremdgehen anstiftete um dann sich per Heirat in die kaiserliche Familie einzudrängeln.
Da war schon einiges los, im altem Rom.

Kommentar geändert am 01.03.2023 um 06:44 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 16:47:
Es gibt noch viel zu sagen über diesen Tiberius. Was seine Schattenseiten angeht, so stehen wir vor dem Problem, daß außer Velleius Paterculus, dem Offizier, alle römischen Historiker der ihm feindlich gesinnten senatorischen Elite angehören: Tacitus, Sueton, Cassius Dio.
Vom Fall des Germanicus nimmt die Forschung heute einheitlich an, daß, falls der ermordet worden ist, nicht Tiberius dafür verantwortlich war, sondern Piso, gegen den dann auch ein Prozeß eingeleitet wurde, dessen Urteil er sich durch Suizid entzog.

Einen Senator soll er sogar einmal getreten haben! Was war passiert? Dieser war vor ihm niedergekniet. "Homines ad servitutem parati - Die Menschen sind zur Knechtschaft bereit", sagte Tiberius ... und trat ihn. Wenn man sich selber zum Knecht macht, ist das ja noch verächtlicher, als wenn man ein Knecht ist.

Ich habe meine Auswahl so strukturiert, daß ich mich auf diejenigen Überlieferungen beschränkt habe, die heute noch eine Bedeutung haben.

 Graeculus antwortete darauf am 01.03.23 um 16:48:
Geschichte als solche ist ja nur für wenige interessant.

 Graeculus schrieb daraufhin am 01.03.23 um 18:13:
Das mit den Monaten zieht sich ja so durch: der September (der siebte) ist der neunte, der Oktober (der achte) ist der zehnte, der November (der neunte) ist der elfte und der Dezember (der zehnte) ist der zwölfte.
Gut, daß Du darauf hingewiesen hast. Das mit dem März als Jahresbeginn muß alt sein, denn zur Zeit des Tiberius fand der Jahrswechsel samt Amtsübergabe der Magistrate schon im Januar statt.

 AlmaMarieSchneider äußerte darauf am 01.03.23 um 18:34:
Lt. Google 153 v. Chr. wurde der Jahresbeginn auf 1. Januar verlegt. Ich glaube noch im Gedächtnis zu haben, dass Julius Cäsar dies offiziell machte. Ich werde nachsehen.

Nach einer legendären Aussage soll aber schon 713 v. Chr. durch Numa Pompilius der 1. Januar als Jahresbeginn gegolten haben.

Numa Pompilius war der zweite der sieben Könige Roms.
Er gehörte zu den Gründern Roms (Etrusker)

Der Link sagt, es wäre Numa Pompilius gewesen.

https://www.kinderzeitmaschine.de/antike/rom/lucys-wissensbox/machthaber/wer-waren-die-sieben-koenige-von-rom/



Antwort geändert am 01.03.2023 um 18:35 Uhr

Antwort geändert am 01.03.2023 um 18:40 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 01.03.23 um 22:38:
Ich selber weiß es nicht. 153 v.u.Z. würde immerhin erklären, warum in historisch noch faßbarer Zeit der September als siebter Monat bezeichnet wurde. Die Zeit der römischen Könige ist ja komplett mythisch.

 Tula (01.03.23, 09:13)
Moin Graeculus
Mein erster Urlaub im 'kapitalistischen Ausland' waren 10 Tage Italien, bei Sorrento. Wir ließen uns Capri nicht nehmen und ich nicht die Ruinen seines Palastes dort. Schöne Erinnerung.
Annsonsten muss ich wohl heidnische Kenner vernommen haben, er soll ja ziemlich übel umd auch lüstern gewesen sein. Wahrscheinlich wie alle anderen ...  ;)

LG
Tula

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 17:03:
Er besaß sogar aus der Erbschaft des Augustus mehrere Paläste auf Capri, von denen aber die Villa Iovis, die Du gewiß meinst, der einzige mir bekannte, vielleicht sogar der einzige halbwegs erhaltene ist.
Es ist traumhaft dort oben auf der Klippe!

Über die sexuellen und sadistischen Exzesse, die man Tiberius nachsagt ("Was treibt dieser einsame Greis da wohl auf Capri?"), ist schwer zu urteilen. Die antiken Historiker, die davon berichten, also in erster Linie Tacitus und Sueton, stehen ihm ausgesprochen feindselig gegenüber. Mit dem Senat war Tiberius nicht klargekommen, da er sich als Princeps einerseits und republikanisch gesinnter Traditionalist andererseits in einer paradoxen Stellung befand.

Wenn Senatoren über Tiberius schreiben, dann ist das in etwas so, wie wenn Verlo und Fridolin über Joe Biden schreiben. Also mit Vorsicht zu genießen. In meiner eigenen Einschätzung gehe ich so vor, daß ich dort, wo selbst Tacitus und Sueton Positives über Tiberius schreiben, darauf vertraue, während ich bei negativen Äußerungen vorsichtig bin.
Beispiel: Tiberius war mit Vipsania Agrippina verheiratet und liebte sie anscheinend sehr. Dann mußte er sich auf Befehl des Augustus von ihr scheiden lassen und dessen Tochter Julia heiraten, die er keineswegs liebte. Lese ich nun, daß Tiberius, als er der inzwischen anderweitig verheirateten Vipsania zufällig auf der Straße begegnete, einen Weinkrampf bekam, dann ist das für mich von anderer Bedeutung als die Berichte über seine späteren sexuellen Eskapaden mit Kindern.
Doch das ist eine Annahme - wissen werden wir es nicht.

 Tula meinte dazu am 01.03.23 um 22:02:
Hallo nochmal
Jetzt rate mal, an welcher Stelle ich soeben laut gelacht habe ... guter Vergleich!  :D

LG
Tula

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 22:40:
Ich ahne es, lieber Tula.
Dabei behauptet übrigens Tacitus am Beginn seiner 'Annalen', er wolle "sine ira et studio" (ohne Ab- und Zuneigung, also neutral) schreiben. Auch dabei kann man lachen, wenn man sein Werk kennt.

 TassoTuwas (01.03.23, 10:32)
Hab ich mit großem Interesse gelesen!

Ganz am Ende, der Vergleich derzeitiger Politiker mit römischen Kaisern. Ein Bonmot der Extraklasse  :) !

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 17:05:
Es freut mich, daß jemanden das - also die Antike - interessiert!

Mit der Extraklasse übertreibst Du, denn das ist ja geradezu ein Topos, erschien mir beim Schreiben schon fast trivial.

 harzgebirgler (01.03.23, 11:44)
:) :) 
sehr interessant, gerne gelesen!

was mir an ihm auffiel:
sein münzporträt zeigt eine hakennase, wahrlich ausgeprägt,
die, quasi klassisch verwandelt, keine der skulpturen trägt.  :D

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 17:10:
Da hast Du recht. Die Nase auf Münzen hat eine andere Form als die auf den Porträtbüsten.





Idealisieren hätte man ja eigentlich beides können.

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 17:14:
Bei der Porträtbüste erkennt man allerdings, daß die Nase - wie so viele - abgebrochen war und ergänzt worden ist. Oder?

 harzgebirgler meinte dazu am 01.03.23 um 18:21:
meist wohl, doch die statuen weisen auch keine hakennase auf - gar noch so eine wie diese münze mit ihm aus dem berliner münzkabinett:

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 22:43:
Ein Problem habe ich damit: Während Münzen immer das Profil zeigen, werden Porträtbüsten meist frontal aufgenommen. Ich kann das also nicht überprüfen, es sei denn, ich käme noch einmal z.B. in die Vatikanischen Museen.
Aber Du hast mich auf eine Frage aufmerksam gemacht, die ich mir noch nicht gestellt hatte. Von Nasen ist halt selten die Rede.

 harzgebirgler meinte dazu am 02.03.23 um 08:25:
:) :) bei "verlo" zum beispiel denke ich aber immer automatisch "du nase!" :D

 Augustus (01.03.23, 12:38)
Tiberius sammelte detektivisch fleißig von einzelnen Senatoren Beweise über deren Korruption, Schwächen und Fehlverhalten , um sie so erpressen zu können und seine Politik durchzusetzen. 
Die Strategie: man muss ja nicht die Senatoren wortreich überzeugen, um seine Politik durchzusetzen, sondern ihnen eine korrupte Tat nachweisen können, und sie damit erpressen, damit sie tiberius politik abnicken, ging auf.

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 17:11:
Eine solche raffinierte Taktik habe ich bisher nur von Kaiser Hadrian gelesen. Woher hast Du Deine Information?

 Redux (01.03.23, 17:50)
Ein sehr interessantes Essay, das ich gerne gelesen habe. Für alle geschichtlich Interessierten eine Art Fundgrube.

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 22:44:
Manche werden von Tiberius überhaupt noch nie etwas gehört haben, andere zwar schon, aber nicht unter dem hier gewählten Aspekt. Gut, wenn es interessant rübergekommen ist!

 EkkehartMittelberg (01.03.23, 20:25)
Hallo Graeculus,

ich kannte bisher nur das durch Tacitus, Sueton und Cassius Dio vermittelte negative Bild des Tiberius, das einen nicht lange beschäftigt. Durch dein differenziertes Porträt wird er sehr menschlich und kommt dem Betrachter im Guten und Bösen nahe. Dazu servierst du noch pikante sprachliche Feinheiten.
Ich weiß nicht, was auf der Agenda deiner noch zu schreibenden Bücher steht. Eine Geschichte der römischen Kaiser von dir würde ein Bestseller. Da bin ich ganz sicher.

 Graeculus meinte dazu am 01.03.23 um 22:48:
Ach, lieber Ekkehart, ich weiß Dein Kompliment zu würdigen, aber es gibt schon so viele Römische Kaisergeschichten, daß ich da mit dem Lesen gar nicht mehr hinterherkomme. Ich zähle hier allein fünfzehn Tiberius-Biographien.
Aber in der Tat planeich als nächstes ein Buch zur Antike - unter einem Gesichtspunkt, der m.W. noch nicht behandelt worden ist. Mal sehen, was daraus wird. Die Freude am Schreiben teilen wir ja.

 FRP (02.03.23, 12:10)
"In den Tiber mit Tiberius!" - so sagte man sofort in Rom, als er endlich (so wurde es empfunden) tot war, wahrscheinlich ermordet vom Präfekten Macro, der Caligula gefällig sein wollte. Erträglich erscheint er mir nur durch seine irren Nachfolger Caligula und Nero. Dazwischen lag der milde, und etwas gerechtere Claudius, den ich favorisiere; freilich durch Ranke-Graves darin beeinflusst. "Ich, Claudius, Kaiser und Gott" ist großartig - das gilt auch für die Fernsehserie von 1976. Besonders widerwärtig an Tiberius war mir immer, dass er seine erste Frau Julia, die Tochter des Augustus, nach dessen Tod nicht nur nicht aus der Verbannung in Reggio Calabria zurückrief, sondern ihr sämtliche Zuwendungen strich, sodass sie schlußendlich an TBC und Hunger verendete. Vor der sexuellen Nachstellung des lüsternen Tiberius soll weder Knabe noch Oma sicher gewesen sein.  Schuld an allem ist freilich Livia, die Mutter des Tiberius. Denn Tiberius wollte eigentlich gar nicht Kaiser werden. Jedenfalls, wenn man Ranke-Graves folgt. Im leider unzugänglichen Garten des Großmeisterpalastes auf Rhodos (wo Tiberius einige Zeit zurückgezogen lebte) habe ich eine Statue mittels Teleobjektiv fotografiert, welche die seine sein könnte). So gedenkt man seiner wohl immer noch ein wenig, dort.

 Graeculus meinte dazu am 02.03.23 um 12:51:
Auf Deinen interessanten und vor allem kenntnisreichen Kommentar werde ich noch ausführlicher eigehen, sobald ich etwas mehr Muße habe. Spontan möchte ich ein Detail richtigstellen: Julia, die Tochter des Augustus, war nicht seine erste Frau. Seine erste Frau war Vipsania Agrippina, die er sehr geliebt hat, von der er sich jedoch auf Befehl des Augustus scheiden lassen mußte, um im Rahmen von dessen Nachfolgeplänen seine Tochter Julia zu heiraten; einen Sohn hatte er ja nicht. Diese Julia war, salopp gesagt, eine berüchtigte Skandalnudel, deren ehebrecherische Verhältnisse wohl einzig der Vater lange nicht kannte oder nicht kennen wollte. Er, Augustus, war es schließlich auch, der sie - seine eigene Tochter - zur Verbannung verurteilt hat.

Kennst Du "Augustus" von John Williams? Dort ist davon viel die Rede.

 FRP meinte dazu am 02.03.23 um 13:01:
Ja, kleiner Flüchtigkeitsfehler von mir, Ranke-Graves erwähnt das auch alles, auch die Episoden mit den Tränen bei der zufälligen Begegnung mit Vipsania. Julias Verdorbenheit ist mir bekannt, aber den Tod hat sie sicher nicht verdient, und Augustus hat sie immerhin von dieser abgelegenen Insel (weiß nicht mehr, wo genau, bei Korika?) nach Reggio "abgemildert". Und bei Nietzsche, wollte ich noch sagen, ist es m. E. keinesfalls ein Kompliment, wenn er jemand als "erlösungsbedürftig" bezeichnet. Jedenfalls nicht nach seiner Abkehr von Wagner. Tiefenpsychologisch interessant scheint es mir, ob Menschen wie Julia und Tiberius so verdorben geworden sind, weil sie vor allem von Livia gezwungen worden, Menschen zu heiraten, die sie nicht wollten, und sich dafür von geliebten Menschen trennen mussten. Obgleich es heißt, dass Julia anfangs sehr wohl etwas für Tiberius empfunden haben soll. Implizierte ungezügelte Macht auch ungezügelte sexuelle Gier (Messalina, Julia, Tiberius, Caligula?). Und wieder ist es Claudius, der mir lobenswert erscheint. Er wurde sogar dafür gerügt, dass er "nur" auf Frauen stand; also nicht auf Knaben und Schafe

Nein, den "Augustus" von J.W. kenne ich noch nicht, danke für den Tipp. "Ich, Claudius, Kaiser und Gott" gibt es auch auf DVD, die Mini-Serie ist köstlich!. Von Ranke-Graves suche ich noch eine vollständige englische Ausgabe; die deutsche (absurde!) Übersetzung (z.B. "Deutsche" statt Germanen, Wien statt Vindobonum, Hauptmann statt Centurio usw.) enthält leider nur die Hälfte Text des Originals.

Antwort geändert am 02.03.2023 um 13:09 Uhr

Antwort geändert am 02.03.2023 um 13:17 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 02.03.23 um 23:15:
Jetzt komme ich dazu, noch etwas nachzutragen:

Der Ranke-Graves hat keinen kritischen Umgang mit den Quellen. Er beschreibt die Dinge so, wie sie von den antiken Historikern überliefert worden sind.

Wie ich vorgehe: 1. Die Tendenz eines Autors einschätzen. 2. Ist sie negativ - und das ist sie bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio -, dann unterscheide ich zwei Arten von Aussagen: Fallen sie günstig aus für die beschriebene Person (in diesem Falle Tiberius) und werden sie vielleicht sogar als wörtliches Zitat überliefert, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie korrekt sind, wesentlich höher, als wenn die Aussagen mit der negativen Tendenz des Autors übereinstimmen.

Zu dem Bericht, Tiberius habe die Julia förmlich auf einer Insel verhungern lassen, fällt sofort ein Parallelfall auf (auch da geht es um die Verbannung auf eine wasserlose Insel), in dem Tiberius einen solchen Antrag des Senats ablehnte, und zwar mit der Berufung auf ein Prinzip:

[...] dandos vitae usus, cui vita concederetur.

[...] wenn man jemandem das Leben schenke, müsse man ihm die Möglichkeit des Lebens geben.

Das berichtet Tacitus (Annalen IV 30) und gilt mir, da es den Tiberius menschlich erscheinen läßt und zudem als Zitat daherkommt, als ziemlich zuverlässig. Man müßte zumindest erklären, warum er im Falle der Julia von diesem Prinzip abgewichen sein sollte.

Und dann fällt mir noch ein Forschungsergebnis ein: Martin Zimmermann, "Gewalt. Die dunkle Seite der Antike" (München 2013). Zimmermann arbeitet heraus, daß all die antiken Berichte über die Grausamkeit von Tyrannen hochgradig stilisiert sind. Sie folgen Stereotypen. Wenn ein Autor eine historische Person als bösen Tyrannen darstellen will, dann greift er auf Klischees zurück. Das macht solche Berichte noch zusätzlich verdächtig. Speziell bei Tiberius kommen alle Klischees zusammen: die Grausamkeit, die sexuelle Abartigkeit, die Willkür, die Menschenfeindlichkeit.

Der Stand der Forschung zu Tiberius findet sich bei:
- Zvi Yavetz: Tiberius. Der traurige Kaiser. München 1999
- Holger Sonnabend: Tiberius. Kaiser ohne Volk. Darmstadt 2021

Ranke-Graves ist nicht der Stand der Forschung - falls er überhaupt als Historiker auftreten wollte.

Zu Kaiser Claudius ist mir kein neueres Werk bekannt. Dir? Er scheint als nicht so interessant zu gelten.

 FRP meinte dazu am 03.03.23 um 12:14:
Nun ja, zumindest ist Julia unter der Ägide und damit der Verantwortlichkeit des Tiberius verhungert, und auch Agrippa Postumus kam zu Tode unter ihm, nicht unter Augustus, der beide ursprünglich verbannt hat. Tiberius tat nicht nur nichts, um sie (Julia) zurückzuholen; er strich ihr auch sämtliche Zuwendungen. Ursache und Wirkung, erwiesene Schuld.

Generell würde ich sagen, dass wir uns doch alle vergleichend und interpretierend durch das Leben bewegen, und jenes stärken, was unserem ganz privaten Narrativ entspricht; anderes abwächen, was uns nicht so tauglich erscheint. Dazu entwickeln wir teils auch eine eigene Methodik, bedienen aber damit wohl eher nur unsere Präpositionen. Was die höhere Meinung der Briten über Claudius anbelangt könnte das der von Marie Bonaparte und Anna Freud determinierten "Identifikation mit dem Aggressor" entsprechen; folgend dem Motto: Wer uns besiegt muss schon etwas taugen. Was Claudius, - mit all seinen körperlichen Restriktionen, - erreichte, scheint mir dennoch liebenswerter als das, was die anderen Claudier/Julier so verzapften. Tiberius hat dem Seianus praktisch Rom und den Senat ausgeliefert, und sich seine private Zurückgezogenheit gegönnt. Die Weichen für ein geborgeneres Aufwachsen seines Sohnes Gemellus, mit dem Caligula dann leichtes Spiel hatte, stellte er auch nicht. Claudius war da freilich auch nicht besser, siehe Britannicus und Nero. Manchmal denke ich, dass das Kernproblem darin bestand, dass der Senat sich nicht militärisch vor der Wilkür der Imperatoren durch eigene Prätorianer schützte. Was da an Senatoren abgeschlachtet wurde - aus reiner Geldgier, und das schon von Octavian und Marc Anton ...

 Graeculus meinte dazu am 04.03.23 um 16:06:
Zunächst möchte ich wieder auf das Verhalten des Tiberius gegenüber Agrippa Postumus und Julia eingehen:

Es ist klar, daß Agrippa Postumus getötet wurde. Auf wessen Befehl - den des Augustus oder den des Tiberius - läßt selbst Tacitus offen. Den des Augustus, des eigenen Großvaters also? Nun, wenn er politisch statt großväterlich dachte (wofür es Anhaltspunkte bei Augustus gibt), dann mußte er seinen Enkel entweder zum Nachfolger ernennen (wofür Agrippa Postumus offenbar ungeeignet war) oder ihn durch testamentarische Verfügung töten lassen, denn er wäre für den Nachfolger und damit für den Staat eine große Gefahr gewesen.
Daß Tiberius selbst nicht so klug dachte bzw. nicht so hart war, wird an seinem eigenen Lebensende klar: Er ließ die Nachfolge des Gaius Caligula zu, ohne den Enkel Tiberius Gemellus töten zu lassen. Dazu wird er zitiert mit einer Äußerung gegenüber C. Caligula:

Σύ τε τοῦτον ἀποκτενεῖς, καὶ σὲ ἄλλοι.

Du wirst diesen da töten, und andere werden es mit dir tun.

[Cassius Dio LVIII 23, 3]

„Occides hunc tu“, inquit, „et te alius.“

Den wirst du ermorden, und dich wird ein anderer ermorden.

[Tacitus: Annalen VI 46]

Er wußte also, was da kommen würde, brachte aber die Härte nicht auf, für klare Verhältnisse zu sorgen.

Zu Julia: Leider äußert sich der letzte Biograph, Holger Sonnabend, nicht zum Tod der Iulia; aber Der Neue Pauly schreibt:

Nach Augsutus' Tod hat angeblich [sic!] Tiberius sie durch Entzug aller Mittel noch 14 n. Chr. in den Tod getrieben.

Eindeutig ist dies also nicht. Und ich persönlich meine, wenn er es getan und dann kurz danach öffentlich den von mir zitierten Grundsatz vertreten hätte, daß den Verbannten auch die Lebensmöglichgkeiten gelassen werden müßten, dann wären doch noch viele Zeitgenossen da gewesen, die das als lächerlich hätten durchschauen müssen.
Tacitus & Co. hatten es nicht mehr mit Zeitgenossen zu tun, die sie hätten widerlegen können.

Nun denke ich über den Claudius nach. Man kennt sein Stottern, seine literarischen Neigungen und seine unglückliche Wahl bei Ehefrauen. Der klaren Regelung der Nachfolge war er so wenig gewachsen wie Tiberius, wie ja auch Du schreibst. Was weiß man noch von ihm? Eine Rede, in der er seine Ernennung von Galliern zu Senatoren verteidigt, ist in großen Teilen erhalten: ein Teil bei Tacitus, ein anderer in einer fragmentierten Inschrift. Ein stilistisches Glanzstück ist das nicht, meine ich.
Er ist mir, schon bei seiner zufälligen Ernennung zum Kaiser, immer als tragisch-lächerliche Person erschienen, wenn Du verstehst, was ich meine.

 Dieter Wal (04.03.23, 14:41)
Deinem Essay gelingt es, Interesse für diesen römischen Kaiser zu erwecken.

Ich wusste bisher wenig aus dem Lateinunterricht und vom Theologiestudium her über Tiberius. Jetzt ist es deutlich besser. Danke!

 Graeculus meinte dazu am 04.03.23 um 16:08:
Mit dieser Aussage machst Du mir eine große Freude - die Freude zu wissen, daß man nicht vergeblich geschrieben hat.

 FRP meinte dazu am 04.03.23 um 22:01:
Auch wenn ich mich wiederhole: Wir alle glauben nur, was wir glauben wollen. So ist es ein wenig dürftig, Claudius anhand einer Triumphbogeninschrift und einem trockenen Text zu bewerten, wenn wir doch wissen, das 95 % seines zumeist historischen Schaffens (welches von den Zeitgenossen bewundert wurde) verschollen sind (vielleicht liegen die Texte ja unter dem Kreml . Stell Dir vor, wir wüssten von Hitler wenig, und würden in anhand der Tränen über Geli Raubals Tod bewerten - so ähnlich ist es m.E., wenn man Tiberius anhand der Tränen über die erzwungene Scheidung von Vipsania bewerten will. Auch bin ich echt erstaunt, wie (vermeintlich?) kalt und herzlos und rational Du über den Tod von Personen hinweggehst und Dich auf eine vermeintliche politische Notwendigkeit berufst. Wenn die Menschheit keine andere Alternativen hätte als immer nur Tod und immer wieder Tod als einzige Antwort - dann wäre sie es nicht wert, überleben zu dürfen. Humane Verbannung hätte es auch getan, und Tiberius selbst war in seinem freiwilligen Exil auf Rhodos lange glücklich. Sueton, Tacitus, - Du weißt es, - sie alle schrieben tendentiell und subjektiv verbrämt aus einer anderen Zeit heraus. Agrippa Postumus ungeeignet zum Herrscher? Es gibt auch Quellen, die eher Tiberius für ungeeignet halten, und sein Rückzug nach Capri könnte dafür ein Indiz sein. Und nochmal: Für diese Last, die Claudius vom Schicksal auferlegt bekam, hat er es gar nicht schlecht gemacht - ich sage nur: Der Hafen von Ostia! Und Tiberius musste erkennen, was Caligula für ein Monster zu werden begann. Ob er Gemellus durch Weichenstellung hätte schützen können, sei dahin gestellt.

Antwort geändert am 04.03.2023 um 22:03 Uhr

Antwort geändert am 04.03.2023 um 22:04 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 04.03.23 um 23:44:
Da hast Du mich mißverstanden, was das kalte Kalkül angeht. Ich habe mich lediglich in die Lage des Augustus versetzt, der ein erfolgreicher Machtmensch war und dem am Gelingen seines Werkes über seinen Tod hinaus gelegen war.
Wir wissen nicht, wer die Ermordung des Agrippa Postumus befohlen hat - auch Tacitus schreibt dies deutlich. Aus der Perspektive des Augustus wäre der Befehl nachvollziehbar, also möglich. Solange ein leibhaftiger Enkel des Augustus lebte - und sei es in der Verbannung -, mußte er die Stabilität des Staates gefährden, zumal der von ihm in Aussicht genommene Kaiser eben kein leiblicher Nachkomme des Augustus war. (Ich selber bin kein Augustus, auch nicht was Machtkalkül angeht.)

Tiberius hatte zu Lebzeiten des Augustus zwar schon seine problematische Persönlichkeit (Exil in Rhodos) erkennen lassen, aber auf der anderen Seite erheblich zur Stabilität des Reiches beigetragen, nämlich nach der Katastrophe des Varus. Keine derartige Qualifikation hatte Agrippa Postumus aufzuweisen.
Ob Tiberius letztlich eine gute Wahl des Augustus war, steht auf einem anderen Blatt. Während meines Studiums habe ich gelernt: Man darf das nicht nur aus der uns reichlich überlieferten Perspektive stadtrömischer Senatoren sehen, sondern muß auch auf die Provinzverwaltung schauen. Da gibt es einige positive Zeugnisse, und seine Anweisung an den Präfekten von Ägypten, die Steuern zu senken, ist sogar sprichwörtlich geworden: "Ein guter Hirt schert seine Schafe, aber er zieht ihnen nicht das Fell über die Ohren!"

Was den Claudius angeht, so möchte ich Dir nicht zu nahe treten; ich habe lediglich zusammengefaßt, was ich über ihn wußte. Den Hafen von Ostia hat er in der Tat ausbauen lassen. Aber die Berichte, nach denen ihm der Speichel aus dem Mund lief, sind schon etwas komisch. Und das von Historikern, die eben nicht eine spezielle Animosität ihm gegenüber hatten. Leider sind die Annalen des Tacitus gerade bei Claudius verstümmelt. Ja, wir wissen etwas wenig über Claudius; aber es bleibt ja keine Alternative dazu, dieses Wenige zugrunde zu legen, oder?

 Graeculus meinte dazu am 04.03.23 um 23:47:
Daß ich nur glaube, was ich glauben will, trifft so allgemein auf mich, meine ich, nicht zu. Ich gebe aber gewisse Sympathien für Tiberius zu.
Was Claudius angeht, bin ich ohne weiteres bereit, meine Meinung über ihn zu ändern. Ostia ist immerhin ein Argument.

 Graeculus meinte dazu am 12.03.23 um 22:56:
An FRP:

Wußtest Du, daß Claudius sich einen extra gut gefederten Wagen hat bauen lassen, damit er auch während der Fahrt nicht auf sein geliebtes Würfelspiel verzichten mußte? Das habe ich heute bei Sueton gelesen, der obendrein berichtet, Claudius habe sogar ein Buch üder das Würfelspiel verfaßt.

 FRP meinte dazu am 13.03.23 um 10:52:
Ja, wusste ich. Eine harmlose Sucht im Vergleich zur Sucht anderer Kaiser, permanent Hochverratsprozesse zu führen. Zur Politik in den Provinzen: Ja - aber es sollte uns stutzig machen, dass selbst Nero, - reduziert auf diesen Gegenstand, - als vorbildlicher, endlich (gegenüber den Provinzen) gerechter Herrscher rüber kommt. Und Claudius: Ja, er war mit Restriktionen zur Welt gekommen, verwachsen, perma-Nasen- und Speichelfluss, Zittern und Stottern. Desto erstaunlicher (im Positiven Sinne) gelingt ihm seine Regierung, die freilich blind gegenüber der Messalina war. Köstlich die Anektode bei (Tacitus?), wonach ein Fremder zum sich incognito durch Rom bewegenden Claudius sagte, dort vorn schaffe eine Prostituierte, welche auch Krüppel wie ihn bedienen würde. Der freigelassene Grieche, welcher Claudius begleitete, erbleichte: Er wusste, dort arbeitet Kaiserin Messalina. Schnell führte er den Claudius weg. Doch wozu Messalina beseitigen, wenn Julia Agrippinia d. J. doch schlimmer war - nicht als Prostituierte, aber als Beseitigerin aller, die Claudius lieb und teuer waren (einschließlich seiner eigenen Person). Ich bleibe dabei: Die Römer hielten sich für zivilisiert, aber ihre vermeintlich einzige Antwort auf Probleme war: Tod. So dachte Stalin auch. Wo ein Mensch ist, ist ein Problem.

Antwort geändert am 13.03.2023 um 10:53 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 13.03.23 um 17:56:
Inzwischen lese ich, angeregt durch Dich, die antiken Quellen zu Claudius. Du kennst sie offenbar.

In einer neuen Nero-Biographie (von Alexander Bätz) findet sich auch ein Kapitel über Claudius. An Positivem wird hervorgehoben: seine historischen Studien (das Werk über die Geschichte der Etrusker - das hätten wir heute gerne), seine relative Friedfertigkeit (sofern es nicht um seine Eheprobleme ging) sowie die in die Zukunft weisende Ausnahme von Provinzialen in den Senat (das Thema der in Fragmenten erhaltenen Rede).

Diese Darstellung von Messalina mit Britannicus scheint stilbildend geworden zu sein für die späteren Mariendarstellungen:

 FRP meinte dazu am 13.03.23 um 18:41:
Vielen Dank für das schöne Bild, das kannte ich noch nicht. Schon traurig, dass Frauen wie Julia, Messalina und Poppaea in maßloser Selbstüberschätzung und maßloser sexueller Gier alles auf Spiel setzten. Nun ja, die Quellen. Der Ranke-Graves gibt alle Quellen an, die ihm und seiner Zeit zur Verfügung standen - und der Anhang meiner alten Ausgabe zitiert die signifikanten Stellen in deutscher Übersetzung, bei Claudius handelt es sich ja meistens um Sueton und Tacitus. Seneca scheint ihm so sehr übel gesinnt, das ich auf ihn verzichten kann. In der DDR gab es eine wunderbare, festgebundene Ausgabe, die Reihe "Bibliothek der Antike" im Aufbau-Verlag, Weimar, bilingual, für kleines Geld. Obgleich ich lange als Antiquar gearbeitet habe, habe ich mir die Reihe leider nicht "gesichert", fange erst jetzt mühevoll wieder an zu sammeln. Die Augustus-Empfehlung von Dir habe ich bestellt, aber amazon lässt sich endlos Zeit mit der Lieferung. Von Pierre Grimal scheint es ein ähnlich würdigendes Buch bezüglich der Iulia Agrippinia d. J. zu geben, dass ich mir noch besorgen will, wenn es in deutsch oder englisch zu haben ist. Ähnlich Dir habe ich jetzt wieder mehr Zeit im Leben, wenn auch auf anderer Rechts- und Finanz -Grundlage.

P.S.: Also doch, das Christentum verklärte alle heidnischen Dinge in ihr Gegenteil: Messalina und Britannicus als Vorbild der Santissima Madonna mit dem Jesus-Kind. Wittgensteins Neffe würde sagen: Grotesk, grotesk!

Antwort geändert am 13.03.2023 um 18:51 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 13.03.23 um 23:02:
Mir wird klar, daß ich eine ganz unzulängliche Ausgabe von "Ich, Claudius, Kaiser und Gott" habe, insbesondere ohne die Quellenangaben: Paul List Verlag München 116.-145. Tausend  1952.
Die Bilbiothek der Antike im Aufbau-Verlag kenne ich nicht einmal. Was ich kenne, weil es durch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft in der BRD vertrieben wurde, sind die wunderbaren Bücher des Akademie-Verlages in (Ost-)Berlin. Die habe ich mir schon als junger Mensch erstanden.
War übrigens auch immer gut, wenn man in der DDR oder der UdSSR war und überlegte, was man mit seinem "Zwangsumtausch" machen sollte. Eine Buchhandlung gab es immer, sogar in Moskau eine deutschsprachige.

 Graeculus meinte dazu am 24.03.23 um 17:12:
Ich lese jetzt den Ranke-Graves in meiner stark gekürzten deutschen Ausgabe und habe gleich anfangs zweierlei festgestellt: 1. Ranke-Graves rechtfertigt diese Kürzung in einem eigenen Vorwort für die deutsche Ausgabe. 2. Der Übersetzer, ein damals renommierter Mann, macht darauf aufmerksam, daß die Angleichungen an den heutigen Sprachgebrauch (Germanen --> Deutsche usw.) dem Original entsprechen, also auf den Autor zurückgehen.

 FRP meinte dazu am 24.03.23 um 18:38:
Ja, und? Das ist mir doch alles bekannt! Nie habe ich behauptet, das es am Übersetzer liegt.

 Graeculus meinte dazu am 24.03.23 um 18:44:
Darauf hat sich meine Annahme bezogen:

Von Ranke-Graves suche ich noch eine vollständige englische Ausgabe; die deutsche (absurde!) Übersetzung (z.B. "Deutsche" statt Germanen, Wien statt Vindobonum, Hauptmann statt Centurio usw.) enthält leider nur die Hälfte Text des Originals.

Das klingt doch so, als würdest Du die Übersetzung dafür verantwortlich machen.

 Verlo (05.03.23, 08:12)
Graeculus:

Der Kollege Verlo, der mich andernorts dadurch überrascht hat, daß er binnen drei Tagen von jemandem, der sein Lebtag noch nichts von Velleius Paterculus gehört hatte, zu einem Fachmann für dessen Werk mutiert ist, hat mich auf einen Einfall gebracht.

Danke, Graeculus, daß du mir ein Denkmal setzt und ich dich anregt habe – vielleicht werde ich noch deiner Muse –, aber ein Fachmann von Velleius Paterculus war ich nie, hab ich nie behauptet und werde ich nie sein. Da scheinst du geträumt zu haben.

 Graeculus meinte dazu am 05.03.23 um 15:21:
Du weißt schon, was ich gemeint habe.

 Teichhüpfer (13.05.23, 20:06)
Die sind in der Dekadenz zu Grunde gegangen. Cleopatra war seine Geliebte. Ich bin kein guter Freunde gewesen, und werde es auch nicht, Graeculus.

 Graeculus meinte dazu am 13.05.23 um 22:33:
Cleopatra war die Geliebte Caesars und des Marcus Antonius, nicht die des Tiberius.
Was meinst Du mit "kein guter Freund"?

 Teichhüpfer meinte dazu am 14.05.23 um 05:49:
Dein Kommentar auf Verlo.

 Graeculus meinte dazu am 14.05.23 um 15:03:
Verlo ist in der Tat kein guter Freund.

 Teichhüpfer meinte dazu am 15.05.23 um 14:57:
Die Abschußliste an mich, die kennst Du gar nicht.

 Graeculus meinte dazu am 15.05.23 um 16:03:
Du stehst auf einer Abschußliste?

 Teichhüpfer meinte dazu am 16.05.23 um 04:13:
Da waren schon so Winks, Beweise. Es ist mir auf gefallen, Graeculus.

 Graeculus meinte dazu am 16.05.23 um 14:31:
Dann bleib standhaft. Einer Erpressung sollte man nicht nachgeben.

 Teichhüpfer meinte dazu am 16.05.23 um 17:36:
Oké
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