XV. Das Mitgefühl

Epigramm zum Thema Engel

von  Terminator

Eine Mitgefühlsethik – als ein Sollen – aufzustellen, ist schon der Nachweis, dass es das Mitgefühl, ohne dass es gesollt werden soll, nicht gibt. Schopenhauer ist schon Nietzsche bzw. Hobbes in Rousseaus Fell.


Der Wohlgeratene braucht das Mitgefühl nicht zu erlernen, er hat es schon: die heitere, von Hass und Ressentiment unbeschwerte menschliche Natur ist grundsätzlich empathisch. Erst wenn sich einer das Mitgefühl hart abringen muss, wurde er vom Ressentiment besiegt und ist missraten.


Daher handelt es sich bei der Zweiteilung der Menschen in Missratene und Wohlgeratene nicht um eine rechtsradikale Anthropologie: jeder kann wohlgeraten und jeder kann missraten. Der ärmste Sklave kann der Kaiser Roms werden und der Kaiser Roms kann zum übelsten geisteskranken Schurken entarten.


Das Mitgefühl ist nicht der Weg zur Katharsis des Missratenen, weil das Mitgefühl des Missratenen immer ein taktisches, ein berechnendes ist. Nächstenliebe ist, wie jede Form der Liebe, spontan und authentisch. Zwang kann weder Verliebtheit noch Wohlwollen erzeugen. Nur die Demut führt zur Katharsis – die Liebesfähigkeit ist, wie die Wohltätigkeit, eine Ressource, die der Missratene gar nicht hat. Er kann bestenfalls seine Schuldigkeit tun.


Die Angstmache vor den ungezähmten Wohlgeratenen entspringt der Projektion: der Missratene weiß, dass er selbst ein Lügner, Betrüger, Verräter und Schinder ist, und stellt sich den Wohlgeratenen als einen sich ähnlichen Widerling vor, nur viel mächtiger. Um der Hasspropaganda gerecht zu werden, bräuchte der Wohlgeratene aber Fähigkeiten, die er gar nicht hat, weil er sie nicht entwickeln konnte: die Fähigkeit, ehr- und würdelos zu handeln kann nicht theoretisch erlernt werden.


Der Missratene bettelt kniend um Mitleid, um seinen Wohltäter im nächsten Augenblick auszurauben; er erbettelt Frieden, um bei nächster Gelegenheit heimtückisch zu meucheln. Nur Feigheit hält den gemeinen Massenmenschen von Mord und Vergewaltigung ab.


In der demokratistischen Gleichmacherei wird der seltenere Wohlgeratene vom großen Haufen der Missratenen für ihresgleichen gehalten, und weil er stärker, klüger, schöner, besser ist, werden die in jedem Missratenen schlummernden Charakterfehler und bösen Absichten hochkonzentriert auf den Wohlgeratenen projiziert.


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Kommentare zu diesem Text

Daniel (50)
(08.03.23, 13:24)
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Taina (39)
(08.03.23, 13:34)
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 S4SCH4 meinte dazu am 10.05.23 um 20:01:
Ob wohl ein Missgebratener mit Leiden besser dran ist.
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