Das Blutbad in einem Eimsbütteler Jugendstilhaus

Erzählung zum Thema Beziehung

von  uwesch

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  HAMBURG VOR ORT,  Aus dem Leben gegriffen

Testosteron ist ein mächtiger Stoff. Peter beschließt, nachdem seine Frau ihn vor zwei Jahren verlassen hat, sich eine neue Wohnung zu suchen. Sie hatte keine Lust mehr, seine ständige Unzufriedenheit ertragen zu müssen. Ein Sexualleben fand nicht mehr statt.

Sein Freund Paul meinte gestern Abend beim Bier:„Sieh´ doch einfach mal, die meisten Ehemänner schauen heimlich Erotikfilme zu nachtschlafenen Zeiten. Mutti gibt sich den Enkelkindern hin. Sie begräbt die Streitereien mit den leiblichen und angeheirateten Töchtern und Söhnen. Ansonsten wird der Haushalt immer perfekter gestaltet, so dass Männe nichts mehr darin zu sagen hat. Er darf allenfalls nach Liste einkaufen und den Garten beackern. Zumindest die groben Teile wie Rasen mähen, Beete umgraben, Platten verlegen. Die Pflanzenauswahl bestimmt dann die werte Gattin. Verlieben darf er sich in sein Auto.“

„Hast Recht, so war es die letzten Jahre mit ihr.“

Angeberei und gemeinschaftsfühliger Austausch von Zoten an Grillabenden in der Rentnerclique sind auch nicht Peters Ding. Das hilft nicht wirklich aus der Demütigung als Mann, auf das sexuelle Altenteil gesetzt zu werden.
Am heutigen Morgen putzt er sich die Zähne und murmelt vor sich hin:

„Dieser ewige Handbetrieb ist nicht mehr lustvoll. Dann kann ich mich ja gleich kastrieren lassen? Oder soll ich warten bis der Testosteronpegel abgeflaut ist, ähnlich den Nachwehen eines Sturmtiefs, oder bis nur noch leise die Resthormone in den verkalkten Windungen des Körpers säuseln. Nein!“
Er kämmt die Haare, rasiert sich und wirft noch einen letzten Blick in den Spiegel:
„Siehst gut aus, Kerl. Regelmäßiger Sport und gesunde Ernährung befördern die Lust und die Kraft für neues Erleben. Im Film ´Wolke 9` wird doch gezeigt, dass auch ältere Menschen Spaß an Lust und Leidenschaft haben können. Ob das den Realitäten standhält? Sollte es gegen alle Erwartungen so kommen, miete ich mir einen Heißluftballon zur Wolke 9, um immer da zu bleiben. Im Himmel soll es ja am schönsten sein.“
Er packt die Tennistasche, steigt in seinen Daimler und macht sich auf den Weg zum Club. Nach seinem Umzug vor drei Monaten lernte er Eva kennen. Sie ist vor kurzem in den Tennis-Club eingetreten, neun Jahre jünger und sehr sportlich. Offensichtlich hat sie Feuer an ihm gefangen. Er ist nicht einer dieser Sprüche klopfenden Machos, sondern eher etwas schüchtern und hat das Gefühl, dass sie das mag.
Nach dem Match, das sie gewonnen hat, fragt sie unvermittelt:

„Sag´ mal, hast du Lust mit mir am Samstag in die wieder eröffnete Bar im Hotel Hafen Hamburg mit traumhaftem Blick auf das Lichtermeer der Kräne und Werften zu gehen?“

„Ja gern, ich war nur immer zu schüchtern, allein in Bars zu gehen, habe aber Interesse, die Stimmungen dort kennen zu lernen. Für neue Erfahrungen bin ich gerne zu haben.“
Eva fühlt sich sicher in Bars. Sie hatte ihre Kommunikationsbedürfnisse dort oft befriedigt, sich aber manches Mal etwas alleine gefühlt, wenn sie keiner ansprach. Insgeheim hoffte sie natürlich, dass ihr eines Tages der Mann ihrer Träume dort begegnen würde. Nun will sie sich mit erhöhter Chance direkt verabreden. Machogehabe findet sie eher öde. Sie muss wegen Peters bisheriger Zurückhaltung an ein Wunder denken und stellt sich vor, wenn er ihr anders gestimmt begegnet, sie den rückhaltlosen Zugang zu seinem Wesen erlangen könnte. Sie wünscht sich, dass dieser Mann es versteht, in ihr Leerräume zu schaffen, die nicht hohl sind, und in denen noch verschwommene Gefühle Gestalt annehmen können.
Die Bar liegt hoch in einem Turm des Hotels und sie finden eine kleine Nische mit dem avisierten traumhaften Blick über die Hafenszenerie bei den Landungsbrücken. Nach drei Cocktails und einer anregenden Unterhaltung schauen sie sich verträumt in die Augen. Heute will Eva es wissen. Ihr ist danach, ihn zu verführen, denn sie glaubt, dass Männer letztendlich nur über Sex zu gewinnen sind. Sie zentriert ihre gelbbraunen Tigerkatzenaugen auf ihn und Peter kommt sich durchsichtig vor wie eine Tiefseequalle. Soll er seine Chance jetzt ergreifen?
Es bedarf keiner Worte mehr. Ihre Körper sind sich grundsätzlich einig in dem, was sie wollen. Wie es sich gehört, bezahlt Peter die Rechnung, gibt der Bardame ein anständiges Trinkgeld und stakst mit Eva die steilen Stufen hinunter auf die Helgoländer Allee. Ihre Körper sind inzwischen so offen, und der Abend so weit fortgeschritten, dass Eva vorschlägt, sich ein Taxi zu gönnen und in ihre Altbau-Single-Wohnung in Eimsbüttel zu fahren. Sie will es zahlen, was Peter sehr edel findet und auch annehmen kann. Gesagt, getan.

Sie steigen aus dem Taxi und stiefeln die Treppen des ansprechenden Jugendstil-Mietshauses in der Lutterothstrasse hinauf.

Die Landung in Evas Bett gleicht zunächst eher einer stürmischen Notlandung. Doch Eva bremst ihn plötzlich aus und sagt ganz freundlich:

„Du, ich habe gerade eben, als wir aus dem Taxi stiegen, meine Tage bekommen.“

„Ach“, reagiert Peter enttäuscht.

Aber sie streichelt sanft seinen Penis und meint: „Mir macht das nichts, wenn wir hier ein kleines Blutbad anrichten. Aber du kannst, wenn du magst, mich auch von hinten nehmen. Oder ich mach´s dir mit der Hand oder dem Mund.“

Peter sind diese Alternativen aus der Praxis mit seiner Frau nicht bekannt, doch er will Eva jetzt und erinnert sich, wie Charlotte Roches Protagonistin genussvoll mit ihrem Blut hantierte. Was soll diese ewige Hygiene, die ihm seine Mutter und seine Frau eingebleut haben! Dabei aß er als Kind sogar heimlich Nasenpopel.
Seine Geilheit siegt über den aufgekommenen Frust. Er will es klassisch von oben, Missionarsstellung eben. Doch der vom Alkohol begleitete Sturm findet schnell sein Ende und Eva ist unzufrieden, weil ihre Wünsche auf etwas Zärtlichkeit so schnell verpuffen. Sie hatte mehr Einfühlungsvermögen erhofft.

Das schneeweiße Laken färbt sich dunkelweinrot, mehr als sie es erwartet hatte, und sie hat das Gefühl, dass sie ausläuft. In dieser Lache ist es nicht mehr gemütlich und sie flüchtet sich frustriert in die Dusche, wo sich die Wanne zartrosa einfärbt.

Peter wird plötzlich übel. Er rennt ins Bad und schwalliert Saures lautstark ins Klo. Es ist ihm peinlich, denn offensichtlich lässt sich das Ekelgefühl nicht über den Verstand regeln.
Sie verabschieden sich erschöpft an der Wohnungstür und Peter geht langsam mit weichen Knien die drei Stockwerke des Mietshauses hinunter. Die Feuchtgebiete live konnten zwar Dämme brechen, doch die Hinterlassenschaften spülten die Lust davon.

Blut und zersetzte Nahrung charlottern und rochern jetzt durch die altehrwürdige Kanalisation zum Ködelbrand*, um sich dann geklärt zum Feuchtgebiet der Elbe, der Nordsee und dem Atlantik hinzuzufügen.

Das Buch, das Peter vor zwei Jahren gelesen hatte, wirft er beim sonntäglichen Katerspaziergang wütend in die Elbe. So erreichen Liebeswunsch und das eklige Buch ebenfalls ihre Endstufe.

 

* Die Endstufe des Hamburgischen Klärsystems liegt am Köhlbrand. Das ist ein Mündungsarm der Süderelbe in die Norderelbe, wird aber vom Volksmund scherzhaft Ködelbrand genannt.



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (16.03.23, 12:14)
auf feuchtgebiete von der roche
pellt eier sich ein ochsenfrosch. :D 

schmunzelgrüße vom harzer

 uwesch meinte dazu am 16.03.23 um 15:06:
Ja, die Feuchtgebiete von Roche, was war das Buch damals für ein Skandal. Aber Prüderie gibts auch heute noch oder teils schon wieder mehr.
Dank dir für Kommi und Empfehlung
LG Uwe

 Dieter_Rotmund (16.03.23, 18:09)
Andreas Dresens Wolke 9 (D 2008) - hat der dir gefallen?

 uwesch antwortete darauf am 16.03.23 um 18:56:
Ist mir unbekannt, weshalb ich dazu nichts sagen kann.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 17.03.23 um 10:10:
Achso, reine Figurenrede.
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