Früher hatte ich es übelst. Heute bin ich vom Leben krass gezeichnet ...

Monolog zum Thema Alter

von  alter79


Am Ende der Röhre

 

Es ist einundzwanzig Uhr und ein paar zerdrückte. Ich sitze im Auto, fahre, - höre Bee Gees: I've gotta get a message to you, während die Zielperson etwa einen Kilometer vor mir in der U-Bahn sitzt, um am Bahnhof Zoo Stoff zu kaufen, wie ich vermute.

 

Nein, ich muss niemanden deswegen fragen - ich weiß es - ich kenne ihn schließlich wie mich. Auch deswegen kann ich mir bis zum Finale Zeit lassen. Und um derweil die Birne von störenden Gedanken frei zu halten, singe ich lauthals in die höllen- laute Musik hinein, gröle, zische, pfeife, ziehe Fratzen - bin ein Kind im Keller; geil, oder? - Schwachsinn - es ist nur so eine absurde Idee. Richtig ist, dass es zwar etwas wie Angst oder dergleichen in mir gibt - mehr eine Ahnung vor mir selber, und wozu ich fähig bin, doch die gebe ich nicht zu. Nicht jetzt. Und eigentlich nie so richtig.

 

*

Ja, es ist wahr, die Welt ist schlecht, ein Irrenhaus, das sage ich, Alex, Knastschließer, der Sprüche und Weisheiten gepachtet hat, - der das Leben kennt. Denn Kraft meines Amtes agiere ich täglich zwischen Pennern, Losern und anderem Gesocks, - zwischen Typen, die mir immer öfter mächtig auf den Sack gehen.

 

Klar, ich suche im Zentrum der zerstörten Seelen und Lebern und mitten in matschigen Hirnen und verteerten Lungen den Sinn des Lebens...

 

Ich höre dazu tief in ramponierte Körper hinein, lausche zwischen dem Sondermüll, den diese Leute als Leben getarnt mit sich herumschleppen nach der Wahrheit. Ja, und ich muss sie finden, muss da durch, beruflich, - meist. Und ich beschwere mich deswegen nicht, nein, ich kann das, und ich erhalte Geld dafür. Doch egal ob privat oder des Jobs wegen, manchmal nervt es.

 

Andererseits, Wahrheiten aus zweiter oder dritter Hand sind besser als gar keine. Und es tröstet, dass nicht alles umsonst ist. Außerdem kann jeder Mensch weinen - wann und wenn er denn will. Der Lüge wegen, oder der Wahrheit. Oder um den Tod von Angehörigen. Dem idiotischer Freunde, die an Nikotin und Suff gestorben. Oder um sich selber, weil man besoffen war und es nicht wollte - weil einen die Tusse betrogen hat und abgehauen ist ...

Schlimmer noch: Leute heulen in schmalzigen Kinofilmen, wie Pretty Woman, wegen einer als Hochzeit getarnten Beerdigung, weil man das Ende kennt - ha, ha, ha, über Schmalzsongs von Julio Iglesias oder, wenn man einen lange Zeit vermissten Menschen im TV-Suchdienst Fliege wiederfindet, oder im Lotto gewinnen würde, eventuell, - oder - oder - oder - und - und. Es gibt tausend Gründe. Doch ich weiß von mir, am häufigsten flennen Menschen nach einem Streit. Wenn sie vor Wut kochen, bis dass die Adern am Schädel knacken.

Ja, und dann hasse ich diese undisziplinierten Weicheier: Ameisen hätten die werden sollen, denke ich, denn Tiere weinen nicht, - oder Disziplin lernen, wie ich. Wahr ist, auch ich konnte jahrelang nicht weinen ... Doch die Zeiten ändern sich, und seit Monaten kann ich wieder richtig heulen. Zum Beispiel wegen Leuten, die ich kenne. Wegen Typen, mit denen ich mitleide, um deren Wohlergehen ich mir Sorgen machen muss.

 

Die Ursache weswegen ich heule weiß ich leider nicht - und es ist mir eigentlich auch schnurz -, denn wenn ich traurig werde lasse ich einfach die Sau raus, sage mir: ’Mensch, es gibt zig Möglichkeiten Frust los zu werden, man muss nur richtig wollen, also mach ...’ Doch wie gesagt, eigentlich betrifft mich das nicht so richtig.

 

Halt, noch eins: Was ich vor einiger Zeit las war, dass Weinen Schmerzen lindert, wie Morphium, zum Beispiel. Und der Autor schrieb, dass sich Schmerzen durch Tränen verflüssigen und körperliche wie seelische Anspannungen ausgespült werden. Und dass Weinen die Muskulatur lockert. Auch dass, wer Tränen unterdrückt, verkrampft, und unter Umständen krank wird.

 

Gut, einiges davon kann ja meinetwegen stimmen, - doch alles glaube ich nicht, denn ich bin von jeher Skeptiker, Skorpion, wie ich schon sagte. Und ich weiß, ach - mehr noch, ich bin davon überzeugt, dass es ein Geschenk Gottes ist, weinen zu können, - sollte es Gott geben. Gut, ich habe ihn noch nie getroffen. Leider. Doch wenn ich heule, also so richtig, dann quält mich das schmerzhaft wie ein eiskalter Nachtwind, - als wenn ich aus der warmen Kneipe komme in die Kälte trete. So geschätzt ein Dutzend glühender Nadeln brennen sich dann bei jedem Luftholen tief in meine Lungen, die peinigen mich dann. Wirklich! Und brennt es dann echt mörderisch, bin ich schlimmer dran, als ich es je für möglich gehalten habe. Und das ist Teufels Beitrag. Also gibt es auch Gott; oder? 

Die Scheiße dabei, tief innen packt mich Todesfurcht und Angst -, ein solcher Reifen von außen, dass mir innen, ja innen, das Herz weh tut, juckt - dass ich es kratzen will, und die Brust sich spannt wie vom Hanteltraining als ich anfangs täglich vier Stunden am Stück trainierte; ich Idiot. Und manchmal spüre ich dann Panik, Schuldgefühle wegen meines Lebenswandels, oder so was ähnliches ... Heute zum Beispiel, das ist so ein Tag, da rummst mein Herz, als kollerte eine hüftlahme Bowlingkugel trotz Handikap alle 10 um.

Doch Bowling ist heute nicht, heute bin ich hinter einem alten Freund her, der mich beschissen hat. Lanz, sein Name. Und ich habe es mir versprochen, ich werde ihn kriegen, so oder so, und dann hat es sich um den ausgeweint - und dabei fällt mir wieder der Mist von gestern und vorgestern ein. Doch erst mal egal, denn ich weiß, wo er ist, und ich werde in mir holen.

 

*

 

Als ich begann Lanz zu jagen war es noch hell. Mittlerweile hat Dunkelheit die abgewirtschafteten Häuserreihen optisch auf eng zusammen gezogen. Auf Tunnelblick, oder so. - Mir scheiß egal, obwohl ich im Dunkeln schlecht sehen kann. Doch auch gerade deswegen fahre ich volle Pulle mitten hindurch. Drüber hinweg. Husche vorüber, flitze vorbei. Presche zwischen geometrisch verlaufenden Straßen und schiefen Wohnblocks, denn es muss bald vorbei sein. Also rase ich mitten durch Höllen, Himmelreste, Fetzen von Dasein, vorbei an menschenleeren Dönerbuden, aus denen Dunst zieht, orientalische Musik lärmt, die sich mit dem Gebell eines plötzlich neben mir her rasenden Hundes mischt, - der wie irre ist, wütend, der versucht, in den Vorderreifen meines Wagens zu beißen. Mist! Schon das reicht, um Vollgas zu geben, wegzukommen, von dem Gesocks, den Pennern, und von mir. Nur raus aus der Stadt, und das möglichst schnell, und immer schneller, und immer weiter, - nur weg von hier ...

 

Ich glaube nicht, dass ich allein bin mit meinen Fluchtgedanken und im Verdrängen von Negativgedanken über Gesellschaft und Stadt, - nein, dieses beschissene Tagesgeschehen lässt auch Kreuzbergs Nächte nicht unberührt. Auch wenn es in einem Schlager anders klang. Doch das ist lange her.

Ja, auch ich bemerke die Irrtümer meines Lebens immer wieder, wie jetzt den grün schillernden Käfer auf meiner Jacke, der dort sitzt, ranzig abstinkt, und starrköpfig nach was Fressbarem sucht, obwohl nichts dergleichen da ist. Der Idiot.Echt, anscheinend haben er und ich einfach kein Gefühl für manches. Spüren nichts, oder halten es bewusst fern. Und auch Gott scheint weit weg - und ist gegen alles was ist und was nicht. Würde es sonst sein wie es ist?

 

Shit, darüber wird mir kalt, - immer. Ich schiebe den Regler der Heizung hoch, um dem Gefühl göttlicher Verlassenheit wenigstens Maschinenwärme zu geben. Doch auch das, ein weiterer Trugschluss. Halt, zur Entspannung habe ich was in Petto. Etwas zu trinken. Kein Scheiß, - zwischen den Knien gequetscht halte ich eine Flasche Malt. Es ist die zweite heute. Was soll’s. Und eventuell kommt das dunkle Blau in Blau und das Grau meiner Gedanken sowieso von da her. Vom Saufen. Und meine elende Gelassenheit, es zu ertragen auch. Bilde ich mir doch seit jeher ein, eine angeborene Unerschütterlichkeit zu besitzen - und taff zu sein, in dieser asozialen und verkommenen Struktur ringsum; und ich schließe Gott darin ein.



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