Weshalb Fabeln beliebt sind

Fabel zum Thema Wahrnehmung

von  EkkehartMittelberg

Der Löwe wollte wissen, weshalb Fabeln beliebt sind. Deshalb berief er einige Literaten, um sie zu befragen.

Der eitle Pfau sagte: „Hochwohlgeborener, weil ihre Lehre den Schwachen vor der Willkür der Herrschenden schützt.“

Die Eule erkannte, in welche Gefahr sich der Pfau begeben hatte und schmeichelte: „Durchlaucht, die Sklavenmoral der Fabel täuscht die Menschen darüber hinweg, dass Literatur echte Macht nicht besiegen kann.“

Der Fuchs kannte seinen selbstbewussten Herrn, der sich der Fabel bedienen wollte, und setzte noch einen Trumpf drauf: „Serenissimus, das Interessante an der Fabel ist, dass man ihre Lehre drehen kann. Dient sie heute noch der Sklavenmoral, wird sie morgen ein Instrument der Herrschenden sein .“

Der Löwe merkte sich den Pfau als Festtagsbraten vor, nahm den Fuchs in seinen Kronrat auf und ließ ihn ein paar unentgeltliche Fabeln zur Festigung der Herrenmoral als Probe schreiben.




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Kommentare zu diesem Text


 Aron Manfeld (29.03.23, 00:27)
Doch wohl zumeist nur bei gelangweilten Studienräten, Ekkehart.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.03.23 um 00:38:
Merci, Aron, dafür, dass du gleich reagiert hast, um die Regel außer Kraft zu setzen. :)
LG
Ekki

 Terminator (29.03.23, 00:33)
Die Schwachen erzählen einander Fabeln und schmunzeln über die Herrschenden: "Wir durchschauen euch!" Die Herrschenden hören sich diese Fabeln zur Unterhaltung an und denken über die Schwachen einander zu: "Und wir essen euch".

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 29.03.23 um 00:41:
Dem habe ich nichts entgegenzusetzen, Terminator.

 Hobbes schrieb daraufhin am 29.03.23 um 08:01:
Guten Tag EkkerhartMittelberg,

wunderschön und tiefsinnig. Danke sehr.

Gruß 

Peter

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.03.23 um 12:08:
Danke Peter, vielleicht kommt diese grausame Fabel der Realität nahe.
Gruß
Ekki

 Saira (29.03.23, 08:27)
Lieber Ekki,

die Mächtigen setzen auf Fabeln, die die Macht der Herrschenden bestätigen und hervorheben. Kritik an diesem Zustand wird nicht geduldet und ausgelöscht. Der Löwe frisst die Kritikübenden praktischerweise auf.
 
Bei Menschen ist es kaum anders. Ein Diktator, der als einzelne Person mit unbeschränkter politischer Macht herrscht, duldet keine Kritik an seiner Herrschaftsform. Wer es dennoch wagt, wird schnell mundtot gemacht.
 
Wieder ist dir eine kluge Fabel gelungen!
 
Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 29.03.23 um 12:13:
Vielen Dank, Sigi, Diktatoren sind ein beliebtes 
Objekt für Fabeln. Doch auch Manipulationen in Demokratien locken sie an.

Herzliche Grüße
Ekki
Teolein (70)
(29.03.23, 10:08)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.03.23 um 12:19:
Gracias, Teo, Fabeln sind Reflektoren politischer Verhältnisse. Selten gehen sie ihnen antizipierend voraus.
Beste Grüße
Ekki

 harzgebirgler (29.03.23, 11:55)
der anthropomorphismus ist das pfund
mit dem die fabeln wuchern und der grund
warum sie so beliebt sind seit jeher
denn kaum wem fällt ja ihr verstehen schwer.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.03.23 um 17:52:
Grazie, Henning, das hast du sehr schön ausgedrückt. Ich räume gerne ein, dass die traditionellen Fabeln in der Tradition der Aufklärung mir sogar zu leicht zu verstehen sind. Deshalb versuche ich manchmal ihre Lehre nicht zu formulieren, um den Lesern ein bisschen Denkarbeit zu überlassen.

LG
Ekki

Antwort geändert am 29.03.2023 um 17:53 Uhr

 plotzn (29.03.23, 14:54)
Servus Ekki,

seit ich vor vielen Jahren mal einem Fuchs am Rand eines Wildgeheges zu nahe gekommen bin, habe ich aufgrund des Gestankes eine veritable Abneigung gegen dieses Tier entwickelt.

Durch Deine Fabeln wird mir Reineke wieder deutlich sympathischer.

Liebe Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.03.23 um 18:31:
Merci Stefan,
ich bin froh, dass du als verständiger Kommentator meiner Fabeln Fiktion und Realität auseinander hältst. Das können nur wenige.

Liebe Grüße
Ekki

 GastIltis (29.03.23, 20:12)
Hallo Ekki, natürlich sind Fabeln beliebt. Sie haben im Grunde genommen eine Form der Regierung; die Diktatur, oben steht der Löwe, dann gibt es Berater und beliebig viele Akteure. Und eine Richtung weisende Handlung!
Warum spielt die Fabel in einer Demokratie keine Rolle? Gibt es da keinen Herrscher? Ist die Macht des Geldes ohne Sprachrohr? Ich bin vielleicht ein wenig irritiert, weil ich gerade von Dirk Oschmann das Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ gelesen habe. Darin wird nachgewiesen, dass niemand etwas befehlen muss, keiner muss beraten, kaum jemand muss zuhören, und trotzdem geschieht (bzw. geschah) in dreißig Jahren etwas, das eigentlich ungeheuerlich ist. Und es ist noch aktuell!
Das hat, wirst du einwenden, mit einer Fabel nichts zu tun. Diktaturen, die für die Fabeln die Grundlage bieten, gibt es noch zur Genüge!
Doch was, frage ich, haben wir als anerkannt demokratischer Staat, mit Diktaturen zu schaffen? Außer, dass wir Handel betreiben, Energieträger kaufen, Technologieprodukte tauschen, Waffen liefern?
Wir können sie nur entweder bewundern wegen ihrer Kultur oder verachten wegen ihrer Unkultur. Oder dulden, weil sie uns auch dulden.
Wir können Fabeln lieben. Warum nicht? Der Pfau wird schon mitbekommen, warum!
Viele Grüße von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.03.23 um 21:52:
Vielen Dank, Gil,
es ist richtig, dass Fabeln häufig Diktaturen zum Gegenstand haben. Aber sie können sich auch unabhängig von der Regierungsform mit Schwächen menschlicher Verhaltensweisen in Demokratien auseinandersetzen.
Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg (30.03.23, 08:34)
Lieber Ekki,
es amüsiert die Menschheit seit jeher, wenn sie ihre Schwächen gespiegelt (und deshalb relativ schmerzfrei) zu Gesicht bekommt.
Noch dazu in der gewohnten hierarchischen Ordnung.
Selbst der Himmel bleibt nicht verschont - mit seinem Chef, der illustren Familie, den Erzengeln und Normalogeflügelten ...
ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Herzliche Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.03.23 um 11:19:
Die Menschheit amüsiert sich über ihre gespiegelten Schwächen. Da sagst du etwas Wahres, liebe Piccola. Die Fabeln haben von der Form her immer noch die lehrhafte Komponente, die aber Teil des Amüsements geworden ist. Wahrscheinlich ist die postindustrielle Gesellschaft weniger naiv als die vorindustrielle zur Zeit der Aufklärung

Herzliche Grüße
Ekki

 TrekanBelluvitsh (10.04.23, 15:19)
Nun, es gibt auch einen Punkt, den Literaten*innen, Rezensenten*innen und Leser*innen gerne verschweigen. Auch in der Literatur gibt es Moden. Man benutzt ein bestimmtes Genre, weil es gerade schick ist, man so wirkt, als sei man auf der Höhe der Zeit.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.04.23 um 17:06:
Merci, das stimmt. Freilich haben traditionelle Fabeln momentan keine Konjunktur. Ich vermute, dass man die traditionellen Fabeln wegen ihrer heute sehr schlicht erscheinenden Lehren als zu bieder empfindet.
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