Das Antinatalismus-Experiment

Persiflage zum Thema Nachdenkliches

von  Terminator

Ist mein Leben wert, fortgesetzt zu werden? Laut dem Philosophen David Benatar beurteilen wir unser Lebensglück falsch, indem wir es krass überschätzen. Ich will am eigenen Beispiel prüfen, ob er recht hat. Das ist der Einsatz: Hat Benatar recht, ist Antinatalismus ethisch-moralische Pflicht (wir dürfen keine Kinder in die Welt setzen, weil sie wir dadurch bloß zu sinnlosem Leid verurteilen).



1. Lust und Unlust.


Benatars Frage lautet: Würdest du dein Leben nochmal leben wollen? Ich bin 40, die Leiden des Alters sind mir noch nicht bekannt, aber ich bin alt genug, um auf ein schon langes Leben zurückblicken zu können. Meine Antwort ist ein klares Nein.


Ich fühle mich durchaus glücklich, insbesondere in den letzten Jahren. Aber wenn ich gefragt werde: Würdest das glücklichste Jahr deines Lebens wiederholen wollen? , müsste ich auch hier mit Nein antworten.


Etwas stimmt doch nicht: ich bin glücklich, würde aber selbst das glücklichste Jahr meines Lebens nicht wiederholen wollen.



2. Erfüllung der Wünsche.


Haben sich meine Kindheitswünsche erfüllt? Keineswegs. Haben sich meine Teenager-Wünsche erfüllt? Mitnichten. Haben sich die Wünsche erfüllt, die ich mit 30 für die nächsten 10 Lebensjahre hatte? Leider auch nicht.


Ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich meine derzeitigen Wünsche noch erfüllen werden? Nein, sehr gering. Wird sich das Mindeste, das ich mir in diesem Leben noch wünsche, und weniger nicht wünschen kann, um die Lebensfreude nicht zu verlieren, noch erfüllen? Unwahrscheinlich.


Was zum Teufel ist los? Verarsche ich mich selbst!?



3. Pollyannaismus


Diesen Begriff prägte Benatar, um die Neigung, unsere Zukunft unrealistisch glücklich vorzustellen, auszudrücken. Statt pollyannaism kann auch der Ausdruck toxic positivity bemüht werden. Es geht darum, das wir immer eigentlich denken: "Ok, es war bisher alles ziemlich mies, aber es wird auf jeden Fall besser!" Wir bewerten unser Leben nicht nach dem, was wir tatsächlich erlebt haben, sondern nach dem, was wir noch zu erleben hoffen. Und solange es theoretisch möglich ist, schließen wir es in unsere Glücksrechnung mit ein, als wäre es bereits Realität.


Ich bin nüchterner, fast zynischer Realist. Ich sehe mein Leben sogar so pessimistisch, dass ich mir keine vitale Lebenserwartung von über 60 zutraue, trotz gesunder Lebensweise. Also müsste mir doch klar sein: Ich bin 40, ich habe noch 20 Jahre mit annehmbarer Lebensqualität; bisher war mein Leben so, dass ich selbst das glücklichste Jahr nicht wiederholen wollen würde. Ohne Selbstbetrug und Zauberei, lohnt es sich noch, rein rational-hedonistisch betrachtet, weiterzuleben?


Zaubern kann ich nicht, und ich bin ehrlich, also: Warum lebe ich noch weiter? Weil ich daran glaube, dass sich meine objektiv höchst unwahrscheinlichen metaphysischen Spekulationen erfüllen werden. Ich glaube daran, bei erfüllter Lebensaufgabe (Charakterprüfung in dieser Welt) in einer meiner inneren Schönheit angemessenen physischen Welt wiederheboren zu werden, und eine Kindheit, eine Jugend und ein Restleben so wie ich es mir wünsche, erleben zu können.



Somit ist festzustellen, dass meine derzeit große Lebensfreude sehr voraussetzungsreich ist. Ohne den Transzendenzhorizont würde sich die Lebensfreude sofort auflösen und nur der Gedanke daran, mich morgen aus diesem Leben verabschieden zu können, würde mir Kraft geben, den heutigen Tag zu überstehen. Aus rational-hedonistischer Perspektive hat David Benatar vollkommen recht. Selbst ein glückliches Leben bezieht sein Glück fast ausschließlich aus der Vorfreude bzw. aus Hoffnungen, Illusionen, d. h. nicht aus dem, was unmittelbar hier und jetzt erlebt wird. Insofern haben die alten Griechen wieder einmal recht, dass das Beste ist, nie geboren zu sein, und das Zweitbeste ein schneller Tod.


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