zählen werde ich ... später

Skizze zum Thema Alter

von  alter79

    Was ist eigentlich an einem Bankraub gefährlich? Antwort: Die Fahrt zur Bank. Diesen Witz dachte er sich, als ihn wieder einmal ein einheimischer Pilot in einer Kurve gefährlich schnitt. Marie hatte ihn schon am Anfang ihrer Beziehung gewarnt: „Die fahren hier wie Sau!“

    Pierre überlegte, was er bei einem Unfall tun würde... Natürlich weiter fahren! Bei seinen Vorstrafen, in einem geklauten Wagen, ohne Pappe, das gäbe ruckzuck achtzehn Monate. Und was gäbe es für den Banküberfall?
     
    In Uelzen parkte er den Wagen auf dem Kundenparkplatz der Bank. Ohne weiteres Zögern zog er im Bankeingang die Sturmhaube über, hatte die Waffe in der Hand, betrat die Bank. Von innen versperrte er die Tür mit einem Fahrradschloss, pappte den mitgebrachten Zettel an die Außenscheibe: „Wegen Rohrbruch vorübergehend geschlossen.“

    „Überfall!“, rief er, im Raum stehend und schoss aus der Hüfte die Deckenkamera aus der Halterung. Plastik schmorte, Putz brach, Funken sprühten, ein chinesisches Neujahrsfest im Geldtempel Uelzen.
    „Alles auf den Boden, ruck zuck !“
    Als die fünf Bankkunden lagen, mehr oder weniger auf dem Bauch, die Hände vor den Augen, wie er befohlen hatte, lief er auf den Tresen zu, die Plastiktüte in der Hand.

    „Dass mir keiner auf dumme Gedanken kommt!“ Und meinte mit ‚ dumme Gedanken’ den Alarmknopf und dessen Betätigung. Die drei hinter dem Schalter liegenden Bankangestellten nickten verstehend im Wackelelvis- takt.
    „Komm hoch“, befahl er einer von ihnen, einer ältlichen Frau. Meyer, las er auf einem Schild an deren Bluse, als die vor ihm stand.
    „Vollmachen, Frau Meyer!“, befahl er, drückte ihr die Alditüte gegen die Brust. Die Tür zur Kassenbox stand offen. Die Frau beeilte sich und tütete doch in Ruhe, irgendwie gefasst, die Scheine ein.
    „Die Münzen auch?“,

fragte sie routiniert, als wäre er Kunde.
    „Keine Münzen!“
    Er hatte anderes im Kopf als Münzen; sichernd blickte er über den Tresen, in den Kundenraum.
    „Keinen Blödsinn, Leute!“, warnte er, „keine unbedachten Bewegungen!“ Und es war ruhig, doch nicht still, denn in die Stille hinein hörte man das leise Schmatzen der Geldscheine. Er wunderte sich etwas, dass das Einpacken von Geld solche Geräusche machte. Es waren jedoch nicht die Scheine, die schmatzten. Eine Tür hatte sich hinter Pierre s Rücken geöffnet, das war es. ‚Chefzimmer’ stand an der Tür. Davor nun der Bankier, der hielt seine Augen halb geschlossen. Warum wohl, war es Angst, wartete der auf irgendwas, vielleicht auf die U-Bahn?
    „Stehen bleiben!“, befahl Pierre dem Banker im Moment als er seiner gewahr wurde. Und in dieser Sekunde, der Gefahr bewusst, irgendwie bewusst und dann auch wieder nicht, blieb Pierre eiskalt, nüchtern, und erschreckend klar. Jawoll, von den Hunden des Krieges bis hierher gehetzt, hatte er nichts zu verlieren, denn er hatte nie etwas zu verlieren. Und wenn er doch was verlor, hatte er bisher immer was dazu gewonnen. Nur bei Effie war das anders. Ihr Verlust war endgültig, war Strafe, der Verlust von Liebe und der mangelnden Fähigkeit, welche zu geben. Effies Nicht- mehr-da-Sein hatte ihn in Herzgefühlen impotent zurückgelassen, soweit dazu.


    Der Banker rieb sich das Gesicht, hatte der heimlich im Büro geschlafen? Herrgott, der Kerl machte ihn verrückt! Und dann, als es unvermutet knallte, durch die Hosentasche des Bankers ein Feuerst oß raste, direkt auf ihn zu –  ‚Halt dich fest, Pierre’ , pfefferte es ihn fast von den Beinen. Ein stechender Schmerz, ein Albtraum, seine Schulter. „Pierre!“, rief er sich aufmunternd zu und sah zum Banker rüber. Doch der war erschrocken, wie alle, wie Pierre selbst. Schluchzen hörte er von den am Boden liege n den Subjekten, vom Banker ein „Oh“, und alles innerhalb einer Zehnte
lsekunde. Und auch seinen Schuss in Richtung des Bankers im Zeitlimit, dann, gleich nach dem Knall, dessen angstvolles Schreien: „Aufhören! Bitte, bitte, bitte, bitte...!“, und das, bevor es überhaupt richtig los ging mit Krieg, oder auch nicht.
    „Schieb die Waffe rüber, aber ganz vorsichtig, sonst...!“ Und als er die hatte, herrschte er den Banker an, sich auf den Boden zu legen, auf den Bauch, zu den anderen, Frau Meyer sollte weiter einpacken und dann den Verbandskasten holen.
    „Was ist hinter der Tür?“
    „Hinterm Chefzimmer?“
    „Ja!“
    „Ein kleiner Tresor.“
    „Geld drin?“
    „Nicht viel , bloß Wechselgeld in Scheinen – und so!“
    „Lassen Sie sich die Schlüssel geben, packen Sie voll. Und denken Sie daran, ein falsches Ding und es gibt Tote!“
    „Kann ich mal zum Klo?“, heulte der Banker.
    „Wie heißt du?“
    „Dietrich Müller.“
    „Hast du dich vollgeschissen?“
    „Ja, ich...“
    „Maul halten, liegen bleiben!“
    Dann musste es schnell gehen, denn an die Scheiben drückten sich Nasen, an denen Menschen hingen, er musste machen, los, los, schnell, schnell – und raus. Frau Meyer drückte ihm die Tüte in die Hand und den Ve
rbandskasten.
    „Sie sind richtig, Frau Meyer.“
    „Viel Glück“, flüsterte die.
     
    Die volle Tüte trug er rechts, den Verbandskasten links.  „Eigentum der Holzeisen – Uelzen“, stand fett dort drauf, zierlich darunter: „Wir kümmern uns um ihr Geld“.

Gut so“, dachte Pierre, „Gesundheit und Geld, das Thema der heutigen Zeit, und ich mittendrin …“
    „Fünf Minuten rührt sich von euch keiner, sonst ...!“
     
    Beim Verlassen der Bank riss er den Rohrbruchzettel ab, warf den Ga f fern das Fahrradschloss zu, rief: „Hineinspaziert, die Bank ist geöffnet!“, und erst im Auto, nach ein paar Kilometern Vollgas auf einer langen G e raden, packte er die Makarov in die Tüte, zog die Sturmhaube ab, tat die zur Waffe und zusammen mit dem Geld in eine Ledertasche.


    „Zählen werde ich die Kohle später.“



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Kommentare zu diesem Text


 Maroon (17.04.23, 09:10)
Der Text ist wirklich klasse geschrieben. Kommt ohne Mätzchen sofort zur Sache und behält die Geschwindigkeit bis zum Schluss.

Die einzige Kleinigkeit, über die ich gestolpert bin, ist das Nicken im "Wackelelvistakt". Der wackelt nämlich, im Gegensatz zum Wackeldackel, mit den Hüften.

One for the money, two for the show ... :)

 eiskimo (17.04.23, 10:02)
Toller Text, mir gefällt besonders Frau Meyer und ihr "Viel Glück ". Ironie oder Sinn für höhere Gerechtigkeit?
Cu
Eiskimo

 alter79 meinte dazu am 17.04.23 um 13:20:
thx ihr 2 - ja, mit der wackelei, da war ich schon in ähnlicher verfassung und wusste später nicht womit ich wann wo wackelte. sorry hier dafür
+
herzl. gr.
M
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